Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 29.12.2004, Az.: 3 A 212/03
Antragstellung; außergerichtliche Kosten; Beigeladener; Beiladung; Billigkeit; Erstattung; Erstattungsfähigkeit; Förderung; Gelegenheit; Klagerücknahme; Kosten; Rechtsanwalt; Verfahren
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 29.12.2004
- Aktenzeichen
- 3 A 212/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 51038
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 162 Abs 3 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Trotz fehlender Antragstellung und trotz fehlender Förderung des Verfahrens durch Tatsachen- oder Rechtsvortrag sind die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen billigerweise zu erstatten, wenn es wegen vorheriger Klagerücknahme nicht mehr zu einer Antragstellung gekommen ist, wenn der Beigeladene mit anderen Worten keine Gelegenheit mehr hatte, im weiteren Verfahren (durch weitere Schriftsätze) und/oder in der mündlichen Verhandlung einen Sachantrag zu stellen oder inhaltlich zum Verfahren Stellung zu nehmen und es zu fördern.
Gründe
Der Kläger wendet sich gegen ihm auferlegte Kosten der beigeladenen Gemeinde A.
Mit Bescheid der Beklagten vom 24. September 2003 wurde festgestellt, dass bestimmter Grundbesitz der Gemeinde A.zusteht. Dagegen hat der Kläger Klage erhoben mit dem Ziel, selbst Eigentümer des Grundstückes zu werden. Im Klageverfahren wurde u.a. die Gemeinde A. als Begünstigte des Bescheides beigeladen. Diese ließ sich durch einen Rechtsanwalt vertreten. Nachdem in zwei Parallelentscheidungen Urteile ergangen waren (3 A 209 und 211/03), nahm der Kläger die Klage zurück.
Mit Beschluss vom 21. Oktober 2004 wurde das Verfahren eingestellt, und dem Kläger wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt. Gleichzeitig wurde entschieden, dass die außergerichtlichen Kosten der beigeladenen Gemeinde A. erstattungsfähig sind.
Mit Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 29. November 2004 wurden die von dem Kläger an die beigeladene Gemeinde A. zu erstattenden Kosten auf 477,11 EUR nebst Zinsen festgesetzt.
Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss führt der Kläger Erinnerung und beantragt gleichzeitig, den Einstellungsbeschluss abzuändern, soweit darin die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der beigeladenen Gemeinde A. festgestellt werden.
Die Anträge des Klägers haben zum Teil Erfolg.
1. Soweit der Kläger beantragt, den Einstellungsbeschluss vom 21. Oktober 2004 abzuändern und zu bestimmen, dass die außergerichtlichen Kosten der beigeladenen Gemeinde A. nicht erstattungsfähig sind, handelt es sich um eine Gegenvorstellung. Denn der Einstellungsbeschluss ist in allen Teilen - damit auch hinsichtlich des Ausspruches zur Erstattungsfähigkeit - gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 VZOG unanfechtbar.
Die Gegenvorstellung kann keinen Erfolg haben. Nach nochmaliger Überprüfung hält der Berichterstatter daran fest, dass es der Billigkeit entspricht, die außergerichtlichen Kosten der beigeladenen Gemeinde Amt Neuhaus für erstattungsfähig zu erklären.
Nach § 162 Abs. 3 VwGO sind die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.
Allerdings entspricht es in der Regel nur dann der Billigkeit, die Kosten für erstattungsfähig zu erklären, wenn der Beigeladene erfolgreich Anträge gestellt hat, da er mit der Antragstellung auch das Risiko eigener Kostenpflicht nach § 154 Abs. 3 VwGO übernommen hat, oder wenn der Beigeladene das Verfahren sonst wesentlich gefördert hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 13. Aufl. 2003, § 162 Rdnr. 23). Auch ist es richtig, dass die Gemeinde A. im vorliegenden Verfahren weder Anträge gestellt hat noch durch inhaltliche Tatsachenausführungen oder Rechtsausführungen wesentlich zu einer Förderung des Verfahrens beigetragen hat: Die Gemeinde A. hat sich mit Schriftsatz vom 22. Juli 2004 gemeldet und angezeigt, dass sie anwaltlich vertreten wird. Der Bevollmächtigte hat um zeitnahe Verhandlung gebeten, zur Sache selbst aber keine weitere Stellung bezogen.
Jedoch: Trotz fehlender Antragstellung und trotz fehlender Förderung des Verfahrens durch Tatsachen- oder Rechtsvortrag sind die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen billigerweise zu erstatten, wenn es wegen vorheriger Klagerücknahme nicht mehr zu einer Antragstellung gekommen ist, wenn der Beigeladene mit anderen Worten keine Gelegenheit mehr hatte, im weiteren Verfahren (durch weitere Schriftsätze) und/oder in der mündlichen Verhandlung einen Sachantrag zu stellen oder inhaltlich zum Verfahren Stellung zu nehmen und es zu fördern (vgl. Olbertz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, Stand: September 2004, § 162 Rdnr. 95).
So ist es hier: Verhandelt worden ist zunächst in den vorab geladenen Verfahren 3 A 209 und 211/03, im Verfahren 3 A 211/03 ist die Gemeinde A. (ebenfalls) anwaltlich vertreten gewesen. In jenem Verfahren hat die Gemeinde zwar keinen Antrag gestellt, jedoch Ausführungen dazu gemacht, dass der Kläger keinen Anspruch auf Übertragung der Grundstücke hat. Diesen Standpunkt hat die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen durch ihren Prozessbevollmächtigten vertieft und so die Entscheidung des Rechtsstreites gefördert. - Im vorliegenden Verfahren ist es wegen Klagerücknahme nach Ergehen des Urteils in den Parallelverfahren nicht mehr zu einer gleichgewichtigen Förderung des Verfahrens durch die beigeladene Gemeinde A. gekommen, so dass es trotz fehlender Antragstellung und Förderung der Billigkeit entspricht, die außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären. Wollte man im vorliegenden Fall wegen der frühzeitigen Klagerücknahme die Erstattungsfähigkeit scheitern lassen, weil hier noch nicht ausführlich zur Sache vorgetragen worden ist, würde man der Beigeladenen letztlich vorschreiben, wie sie ihre Rechtsverteidigung zu gestalten hat, um in den Genuss der Kostenerstattung zu kommen. Dies wäre unbillig.
Unzutreffend ist der Hinweis des Klägers, das Verfahren habe „faktisch“ geruht und für eine anwaltliche Beauftragung eines Rechtsanwaltes habe durch die beigeladene Gemeinde A. keine Veranlassung bestanden. Ein Ruhensbeschluss ist weder ausdrücklich noch stillschweigend erlassen worden. Richtig ist allerdings, dass die Klage vorläufig nur fristwahrend erhoben worden ist, und der Kläger in der Klageschrift darauf hingewiesen hat, noch die Erfolgsaussichten der Klage prüfen zu wollen, auch hat er die Gegenseite gebeten, bis zum Ablauf des November 2003 keinen Rechtsanwalt mit der Interessenwahrnehmung zu beauftragen. Spätestens durch seine späteren Schriftsätze, die sich intensiv mit der Sache beschäftigen, hat der Kläger indes zu erkennen gegeben, dass er die Klage durchführen will. Durch das Verhalten des Klägers konnte es die Gemeinde A. nach der Beiladung für gerechtfertigt halten, einen Rechtsanwalt einzuschalten. Hinderungsgründe, schon in diesem frühen Verfahrensstadium einen Rechtsanwalt einzuschalten und sich Rechtsrat einzuholen, waren für die Gemeinde nicht gegeben. Durch die Beauftragung des Anwaltes hat die Gemeinde auch nicht gegen Treu und Glauben verstoßen oder das Gebot, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Die Gemeinde war auch nicht verpflichtet, sich in den schwierigen Rechtsfragen des Verfahrens selbst zu vertreten.
Schließlich spricht für eine Erstattungsfähigkeit unter Billigkeitsgesichtspunkten im vorliegenden Fall, dass die Gemeinde A. notwendig beizuladen war und wegen der besonderen Konstellation des Falles der Sache nach wirtschaftlich „als Hauptbeteiligte“ anzusehen gewesen ist. Denn sie ist durch den mit der Klage angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 24. September 2003 begünstigt gewesen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Olbertz, a. a. O., Rdnr. 97).
2. Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 29. November 2004 ist teilweise begründet.
Die vom Bevollmächtigten der beigeladenen Gemeinde A. geltend gemachten und von der Urkundsbeamtin festgesetzten Kosten sind nicht in vollem Umfange erstattungsfähig. Die Urkundsbeamtin hat eine Verfahrensgebühr zu einem Satz von 1,3 festgesetzt. Richtigerweise ist nur ein Satz von 0,8 gerechtfertigt. Die Höhe des Gebührensatzes bestimmt sich nach der Anlage zum RVG (§ 2 Abs. 2 RVG). Nach Nr. 3100 der Anlage ist grundsätzlich ein 1,3-facher Gebührensatz festzusetzen, nach Nr. 3101 ausnahmsweise aber ein Satz von 0,8, wenn der Auftrag endet, bevor der Rechtsanwalt einen Schriftsatz einreicht, der Sachanträge oder Sachvortrag enthält.
Ein Sachvortrag setzt voraus, dass sachliche oder rechtliche Ausführungen zur Sache selbst und nicht nur zur Prozess- und Sachleitung gemacht werden; Stellungnahmen zu Fragen, bei denen, wenn ein Antrag gestellt worden wäre, kein Sachantrag vorläge, beinhalten keinen Sachvortrag (Gerold/Schmidt/u. a., Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 16. Aufl. 2004, VV 3101 Rdnr. 43).
Im vorliegenden Fall hat der Bevollmächtigte der Beigeladenen vor der Rücknahme der Klage keinen Schriftsatz eingereicht, der einen Sachantrag oder einen Sachvortrag enthält:
Der Bevollmächtigte hat sich mit Schriftsatz vom 22. Juli 2004 legitimiert und angezeigt, dass er die Gemeinde A. vertrete. Er hat weiter vorgetragen, dass die in den verschiedenen Verfahren betroffenen Flurstücke über 241 ha groß seien und dass in einem Flurbereinigungsverfahren die vorläufige Besitzeinweisung angeordnet sei; das Gericht werde um zeitnahe Verhandlung gebeten. - Im Schriftsatz wird mit keinem Wort auf die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheides eingegangen. Es wird lediglich das gesteigerte Interesse der Gemeinde an einer baldigen Entscheidung dargelegt. Dies sind lediglich Ausführungen zur Prozessleitung und -beschleunigung.
Aufgrund der Neuberechnung ergibt sich der im Tenor ausgeworfene Betrag: Bei einem Gegenstandswert von 5.000,-- EUR und einer Gebühr von 301,-- EUR (1-facher Satz) ergeben sich bei einem Satz von 0,8 (lediglich) 240,80 EUR. Zuzüglich Post- und Telekommunikationsentgelte von 20,-- EUR und einer Mehrwertsteuer ergibt sich ein Gesamtbetrag von 302,53 EUR.
Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Beschluss ist gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 VZOG unanfechtbar.