Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 22.07.1997, Az.: 9 U 15/97

Bürgschaftsvertrag der Mutter; Aufklärung über Risiken der Sicherung; Kündigung eines Darlehens mangels Rückzahlung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
22.07.1997
Aktenzeichen
9 U 15/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 22283
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1997:0722.9U15.97.0A

Fundstellen

  • WM 1997, 2076-2077 (Volltext mit amtl. LS)
  • WuB 1998, 33-34
  • ZBB 1997, 390

Amtlicher Leitsatz

Zur Frage der Aufklärungspflicht einer Bank über besondere Risiken bei der Übernahme einer Bürgschaft / Verschulden bei Vertragsverhandlungen.

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 2), Mutter des ehemaligen Beklagten zu 1), aus Bürgschaftsvertrag in Anspruch. Der ehemalige Beklagte zu 1) war Geschäftsführer der Autohaus N. GmbH in P. Dieser hatte die Klägerin Darlehen gewährt. Nachdem die Rückzahlung der Darlehen ins Stocken geraten war, kündigte die Klägerin die der GmbH gewährten Kredite und hob die zu Grunde liegende Geschäftsbeziehung auf.

2

Gleichzeitig forderte sie den Geschäftsführer der GmbH auf, weitere Sicherheiten zu leisten. Dieser veranlasste daraufhin seine damals 66 Jahre alte Mutter, die Inhaberin eines Resthofes war, eine Bürgschaft über 250.000,- DM zu übernehmen.

3

Die Klägerin hat die Beklagte zu 2) wegen eines Teilbetrages in Höhe von 20.000,- DM nebst Zinsen in Anspruch genommen und die Auffassung vertreten, sie sei nicht verpflichtet gewesen, die Beklagte zu 2) über das besondere Risiko der zu übernehmenden Bürgschaftsverpflichtung zu unterrichten. Tatsächlich seien Einzelheiten über die finanzielle Situation der GmbH vor Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde in den Räumen der Klägerin nicht erörtert worden.

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Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe die Beklagte zu 2) im vorliegenden Falle über das mit der Bürgschaft verbundene besondere Risiko aufklären müssen.

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Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie den erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt.

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Sie macht geltend, dass sie die Beklagte zu 2) vor Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde auf die erfolgte Kündigung der Kredite hingewiesen habe und bezieht sich dabei auf einen bankinternen Vermerk, der das Datum vom 07. März 1996 trägt.

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Der Senat hat Beweis erhoben über den Umfang der von der Klägerin in zweiter Instanz behaupteten Aufklärung der Beklagten zu 2) durch Vernehmung der Angestellten der Klägerin und des ehemaligen Beklagten zu 1).

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Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

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Die statthafte Berufung ist zulässig; sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511, 516, 518, 519 ZPO).

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In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

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Nach dem Ergebnis der in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin die Beklagte zu 2) nicht über das besondere Risiko, das mit der von ihr zu übernehmenden Bürgschaft verbunden war, aufgeklärt hat, obgleich ihr die Umstände, die dieses besondere Risiko begründeten, bekannt und der Beklagten zu 2) unbekannt waren. Sie haftet der Beklagten zu 2) daher unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (§ 276 BGB), mit der Folge, dass es ihr verwehrt ist, die Beklagte zu 2) aus der hier in Rede stehenden Bürgschaft in Anspruch zu nehmen. Sie hat die Beklagte zu 2) vielmehr so zu stellen, als sei diese die Bürgschaftsverpflichtung nicht eingegangen.

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Es ist zwar zutreffend, dass ein Kreditinstitut grundsätzlich nicht verpflichtet ist, einen Bürgen über das Risiko einer zu übernehmenden Bürgschaft aufzuklären. Dieser Grundsatz gilt jedoch in einzelnen Ausnahmefällen - wie dem vorliegenden - nicht. Er gilt z.B. dann nicht, wenn die Bank vorsätzlich oder fahrlässig bei dem Bürgen falsche Vorstellungen über das Bürgschaftsrisiko herbeiführt (vgl. BGH NJW 1968, 986, 987 [BGH 28.02.1968 - VIII ZR 210/65]; NJW 1996, 1274, 1275) [BGH 18.01.1996 - IX ZR 171/95].

13

Eine Aufklärungspflicht trifft den Gläubiger aber auch dann, wenn er wie im vorliegenden Falle erkennt, dass der Bürge sich in einem Irrtum über das Bürgschaftsrisiko befindet und dem Gläubiger bewusst ist, dass es sich in Wahrheit wirtschaftlich gar nicht um eine Bürgschaft, sondern vielmehr um eine Schuldmitübernahme handelt, weil der Gläubiger dem Schuldner die gewährten Kredite gekündigt hat und nicht beabsichtigt, die Geschäftsbeziehung fortzusetzen, während der Schuldner nicht in der Lage ist, eine Umschuldung mit Hilfe einer anderen Bank vorzunehmen (vgl. dazu OLG Hamm, MDR 1982, 578 [OLG Hamm 16.03.1982 - 10 U 199/81]).

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Ein solcher Sachverhalt ist vorliegend nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats gegeben.

15

Der Beklagten zu 2) war bei Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde nicht bewusst, dass es ihrem Sohn, dem ehemaligen Beklagten zu 1), nicht gelungen war, eine Umschuldung mit Hilfe einer anderen Bank vorzunehmen und dass die Klägerin auch nach Übernahme der Bürgschaft nicht bereit war, die Geschäftsbeziehung mit dem ehemaligen Beklagten zu 1) fortzusetzen. Die Beklagte zu 2) befand sich vielmehr in dem irrigen Glauben, die Übernahme der Bürgschaft sei lediglich erforderlich, um ihrem Sohn die weitere Zusammenarbeit mit der Klägerin zu sichern und die Aufnahme weiterer Kredite zu ermöglichen.

16

Dies haben die Angestellten der Klägerin, die Zeugen M. und Z., auch erkannt und die Beklagte zu 2) nicht über den wahren Sachverhalt aufgeklärt. Ihnen war bewusst, dass es dem ehemaligen Beklagten zu 1) bei normalem Verlauf der Dinge - wie dann alsbald auch geschehen - nicht möglich sein würde, seinen Autohandel weiterhin zu betreiben. Sie verwahrten treuhänderisch die Kraftfahrzeugbriefe der von ihm vertriebenen Neuwagen und kannten seine Betriebsumsätze. Sie wussten ferner, dass er keine andere Bank gefunden hatte, die bereit gewesen wäre, eine Umschuldung vorzunehmen.

17

Dieser Sachverhalt ergibt sich aus dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, der persönlichen Anhörung der Beklagten zu 2) sowie den Aussagen der Zeugen Z., M. und N.

18

Die Beklagte zu 2) hat bei ihrer Anhörung plastisch geschildert, dass sie vor und bei Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde davon ausgegangen sei, dass sie damit die weitere Zusammenarbeit ihres Sohnes mit der Klägerin ermögliche. Sie wurde in diesem Glauben bestätigt durch das Verhalten der Zeugen Z. und M., die mit ihr und ihrem Sohn darüber sprachen, dass die Autokonjunktur gut laufe, weil es Frühling sei. In diesem Zusammenhang hat der Zeuge N ausgeführt, dass auch er als Schuldner der Klägerin davon ausgegangen sei, dass er nach Übernahme der Bürgschaft durch die Beklagte zu 2) seine Geschäftsbeziehungen zu der Klägerin werde aufrechterhalten können.

19

Bei der Würdigung der erhobenen Beweise verkennt der Senat nicht, dass der Zeuge N. als ehemaliger Beklagter zu 1) und Schuldner der Klägerin ein eigenes Interesse am Ausgang dieses Rechtsstreits hat.

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Der Senat hat sich seine Überzeugung von der nicht hinreichend erfolgten Aufklärung durch die Klägerin aber insbesondere auch auf der Grundlage der Aussagen der Zeugen Z. und M. gebildet. Diese Zeugen, die die hier in Rede stehende Kreditangelegenheit bei der Klägerin bearbeitet haben, konnten nicht angeben, ob sie die Beklagte zu 2) über den entscheidenden Umstand, dass die Klägerin die Geschäftsbeziehung zum ehemaligen Beklagten zu 1) nicht fortzusetzen beabsichtigte, aufgeklärt haben. Insbesondere konnte die Zeugin M. sich auch nicht einmal daran erinnern, ob sie überhaupt erwähnt hat, dass die Klägerin dem ehemaligen Beklagten zu 1) die Kredite gekündigt hatte.

21

Nach der Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse ist der Senat der Überzeugung, dass anlässlich der Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde durch die Beklagte zu 2) in den Räumen der Klägerin am 07.03.1996 ein eher positives Bild von der Finanzsituation des ehemaligen Beklagten zu 1) gezeichnet und nicht dargestellt wurde, dass die Beklagte zu 2) sich unwissentlich praktisch auf eine Schuldmitübernahme einließ.

22

Das Landgericht hat die Klage daher im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

23

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 ZPO.