Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 16.07.1997, Az.: 2 U 129/97
Grob fahrlässige Herbeiführung eines Versicherungsfalles; Sachverständigengutachten als Entscheidungsgrundlage
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 16.07.1997
- Aktenzeichen
- 2 U 129/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 21693
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:0716.2U129.97.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 103 Abs. 1 GG
- § 6 VVG
- § 9 Nr. 1a VHB
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Keine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls Brand, wenn 3-jähriges Kind nicht rund um die Uhr überwacht wird und nachts Küchenherd einschaltet.
- 2.
Unzureichendes Privatgutachten
Gründe
Das Landgericht ist in erheblich verfahrensfehlerhafter Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Kläger für die Küche nicht mehr als der seitens der Beklagten schon gezahlte Betrag von 9 628,-- DM zusteht.
Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, bei seiner Entscheidung den gesamten erheblichen Vortrag einer Partei zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, NJW 1994, 848, 849) [BVerfG 28.06.1993 - 1 BvR 42/90]. Hieraus folgt u.a. die Verpflichtung, den Beweisantrag einer Partei nicht zu übergehen, soweit es um eine entscheidungserhebliche Frage geht und die hierfür angebotenen Beweise zur Beweisführung zulässig und geeignet sind (vgl. BVerfG, NJW 1991, 285, 286 [BVerfG 31.10.1990 - 2 BvR 183/90]; Zöller/Gummer, ZPO, 20. Aufl., § 539 Rdnr. 16; Zöller/Greger, a.a.O., vor § 284 Rdnr. 8 a, § 286 Rdnr. 12; jeweils m.w.N.). Dieser Verpflichtung hat das Landgericht nicht genügt.
Das Landgericht hat die auch aus seiner Sicht entscheidungserhebliche Frage nach der Höhe der dem Kläger zustehenden Leistung auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen S entschieden. Hierbei handelte es sich jedoch um eine allein nicht geeignete Entscheidungsgrundlage. Zum einen beruht das Gutachten auf Erkenntnissen, die die Ehefrau (!) des Sachverständigen gesammelt hat, über deren Sachkunde nichts bekannt ist. Vor allem jedoch sind die Ergebnisse und Schlussfolgerungen des Sachverständigen S nicht mehr als urkundlich belegter Parteivortrag (vgl. Senat, NdsRpfl 1997, 30 m.w.N.). Mit diesem durfte sich das Gericht schon deshalb nicht begnügen, weil der Kläger bereits in der Klageschrift vom 12. November 1996 für die Richtigkeit seiner Behauptung, der Neuwert der Küche habe zum Zeitpunkt des Schadensfalls 20.000,-- DM betragen, die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt hatte. Die Behauptung zur Schadenshöhe war nicht unsubstantiiert und einer Beurteilung durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen durchaus zugänglich, zumal dieser auf die tatsächlichen Feststellungen des Privatgutachtens hätte zurückgreifen können. Für den Antritt eines Sachverständigenbeweises genügt bekanntlich die summarische Angabe der zu begutachtenden Punkte. Es muss nur das Ergebnis mitgeteilt werden, zu dem der Sachverständige kommen soll (vgl. BGH, NJW 1995, 130, 131 [BGH 10.10.1994 - II ZR 95/93]; Zöller/Greger, a.a.O., § 403 Rdnr. 2). Diesen Anforderungen hat der Kläger genügt.
Bei der erneuten Verhandlung wird das Landgericht das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen haben.
Darüber hinaus ist zu prüfen, ob sich die Beklagte noch auf angebliche Obliegenheitsverletzungen des Klägers berufen kann. Es ist immerhin denkbar, in der unstreitig erfolgten Zahlung einen diesbezüglichen Verzicht zu erblicken (vgl. Prölss in: Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl., § 6 Anm. 15 m.w.N.). Sollte angesichts der konkreten Umstände dieses Falls ein solcher Verzicht nicht erklärt worden sein, wird das Landgericht Folgendes zu beachten haben:
Nach dem derzeitigen Verfahrensstand ist es überaus zweifelhaft, ob die Beklagte gemäß § 6 VVG i.V.m. § 9 Nr. 1 a VHB 84 leistungsfrei geworden ist. Hierzu wäre in jedem Fall erforderlich, dass die Beklagte eine vom Kläger begangene oder diesem zuzurechnende Pflichtverletzung beweisen kann. Dies ist gegenwärtig nicht ersichtlich. Ferner liegen Anzeichen für eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers bislang nicht vor.
Anknüpfungspunkt für ein schuldhaftes Fehlverhalten könnte nur sein, dass der Kläger in der fraglichen Nacht seiner Aufsichtspflicht gegenüber der damals dreijährigen M in besonders erheblichem Maße nicht genügt hat. Hierfür ist nichts ersichtlich.
Die Beklagte kann sich nicht entscheidend auf die Sachverhaltsschilderung stützen, die der Kläger am 2. Juli 1996 gegenüber dem Polizeikommissariat abgegeben hat. Entgegen der - anscheinend ergebnisorientierten - Interpretation der Beklagten z.B. im Schriftsatz vom 23. Dezember 1996 ist darin nicht davon die Rede, dass M schon vorher ,.. nachts .. Elektrogeräte betätigte .. und in der Wohnung Elektrogeräte einschaltete ..". Auch ist es nicht eindeutig, ob M bei der Großmutter schon einmal des Nachts einen Kochherd eingestellt hatte. Ebenso gut ist es möglich, dass dies unter Aufsicht oder jedenfalls in Gegenwart der Großmutter geschehen ist. Die Tatsache, dass M in den Nächten zuvor unruhig geschlafen hatte, gebot es nicht, sie während der gesamten Nacht gleichsam zu überwachen. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass M sich risikoreich verhalten würde, waren nicht gegeben. Die Möglichkeit, dass Kleinkinder unvernünftig handeln und Schäden anrichten können, besteht theoretisch immer. Diese bloß theoretische Möglichkeit zwingt jedoch keinesfalls dazu, die Kinder deshalb rund um die Uhr lückenlos zu kontrollieren. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich das Kind im Hause der Eltern aufhält, die Eltern selbst in der Nähe sind und wegen der Nachtzeit Grund zu der Annahme besteht, dass das Kind schläft. Anders kann der Fall natürlich z.B. dann liegen, wenn das Kind bekanntermaßen verhaltensgestört ist oder zum Zündeln neigt (vgl. BGH NJW 1993, 1003; BGH NJW 1996, 1404, 1405 [BGH 27.02.1996 - VI ZR 86/95]; Palandt/Thomas, BGB, 56. Aufl., § 832 Rdnr. 8 zur Frage der Aufsichtspflicht bei § 832 BGB).