Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 05.07.1997, Az.: 2 W 83/96

Rücktritt von einer Lebensversicherung wegen des Fehlens von ausdrücklichen Fragen

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
05.07.1997
Aktenzeichen
2 W 83/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 21702
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1997:0705.2W83.96.0A

Amtlicher Leitsatz

Lebensversicherung: Kein Rücktritt wegen Fehlens von ausdrücklichen Fragen i. S. von § 16 Abs. 1 VVG.

Gründe

1

Die Beklagte ist nicht wirksam gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 VVG vom Versicherungsvertrag zurückgetreten. Eine vorvertragliche Verletzung der Anzeigepflicht durch den Versicherungsnehmer liegt nicht vor. Zwar hat dieser in dem von ihm unter dem Datum des 13.05.1994 ausgefüllten Antragsformular die Gesundheitsfragen unter den Ziffern 8.2 und 8.3, in welchen u.a. danach gefragt wird, ob Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bestanden haben, mit "nein" beantwortet. Damit hat der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht jedoch nicht verletzt, obwohl er in den Jahren 1986 und 1988 unter Gesundheitsstörungen litt und ärztlich insbesondere wegen Hypertonie behandelt wurde.

2

Eine einen Rücktrittsgrund für den Versicherer begründende falsche Beantwortung von Fragen im Versicherungsantrag liegt grundsätzlich nämlich nicht vor, wenn unklare oder mehrdeutige Fragen gestellt werden; in einem derartigen Fall fehlt es an einer ausdrücklichen Frage i. S. von § 16 Abs. 1 VVG (OLG Frankfurt VersR 1992, 41, 42; Senat VersR 1994, 1169). Vorliegend drängt es sich auf, die Gesundheitsfragen unter den Punkten 8.2 und 8.3 dahingehend zu verstehen, dass lediglich Krankheiten, Gesundheitsstörungen usw. in den letzten 5 Jahren vor Antragsstellung anzugeben sind. Ob eine derartige Auslegung nicht sogar die einzig sinnvolle ist, mag dahinstehen; jedenfalls sind die genannten Gesundheitsfragen keineswegs eindeutig entsprechend der Auffassung der Antragsgegnerin dahingehend zu verstehen, dass nach zurückliegenden Erkrankungen ohne zeitliche Begrenzung gefragt wird.

3

Bei der Auslegung von Fragen in einem Versicherungsantrag ist auf die Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen, verständigen Versicherungsnehmers abzustellen (OLG Frankfurt a.a.O; Senat a.a.O; Knappmann r+s 1996, 81, 82). Vorliegend ist zwar vom Wortlaut her in den Fragen unter den Ziffern 8.2 und 8.3 keine zeitliche Begrenzung für die anzugebenden Gesundheitsstörungen erfolgt. Dafür, dass gleichwohl Krankheiten, die länger als 5 Jahre zurückliegen, nicht angegeben werden müssen, spricht jedoch die Frage unter Ziffer 8.1. Diese Frage lautet: "Sind Sie in den letzten 5 Jahren von Ärzten oder anderen Behandlern untersucht, beraten oder behandelt worden oder wurde Ihnen eine Behandlung angeraten?". Mit dieser Frage bringt die Antragsgegnerin aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers eindeutig zum Ausdruck, dass sie an Angaben über ärztliche Behandlungen, die länger als 5 Jahre zurückliegen, kein Interesse hat. Für den Versicherungsnehmer drängt es sich unter diesen Umständen auf, diese zeitliche Begrenzung auch auf die nachfolgenden Fragen unter den Ziffern 8.2 und 8.3 zu beziehen. Denn typischerweise werden erhebliche Krankheiten, deren Kenntnis für die Entschließung des Versicherers von besonderem Interesse sind, ärztlich behandelt, wo hingegen in der Regel eine ärztliche Behandlung bei geringfügigen Erkrankungen unterbleibt. Wenn aber der Versicherer hinsichtlich der für ihn regelmäßig besonders bedeutsamen Frage der ärztlichen Behandlungen zum Ausdruck bringt, dass er an der Angabe solcher Behandlungen, die länger als 5 Jahre zurückliegen, kein Interesse hat, liegt es für den Versicherungsnehmer nahe anzunehmen, dass diese zeitliche Einschränkung für sämtliche erfragten Erkrankungen gilt.

4

Ein solches Verständnis der Fragen unter den Ziffern 8.2 und 8.3 wird gestützt durch die Frage unter der Ziffer 8.6. Darin wird für den Fall, dass eine der vorstehenden Fragen bejaht worden ist, u.a. um die Angabe der Art und des Verlaufs der Erkrankung sowie des Namens und der Anschrift der behandelnden Ärzte gebeten. Dies bedeutet im Zusammenhang mit der Frage unter der Ziffer 8.1, dass ärztliche Behandlungen für den zurückliegenden Zeitraum von 5 Jahren und - wegen der Frage unter der Ziffer 8.6 - die diesen Behandlungen zu Grunde liegenden Erkrankungen für den genannten Zeitraum anzugeben sind. Würde man nun die Fragen 8.2 und 8.3 so verstehen, dass sämtliche zurückliegenden Erkrankungen ohne zeitliche Begrenzung anzugeben sind, hätte dies für länger als 5 Jahre zurückliegende Erkrankungen zur Folge, dass im Fall der ärztlichen Behandlung dieser Krankheit nach dem eindeutigen Wortlaut der Frage 8.1 die Tatsache der Behandlung nicht anzugeben wäre. Nach Frage 8.6 wird jedoch ausdrücklich nach den Namen und der Anschrift der behandelnden Ärzte auch für den Fall der Bejahung der Fragen 8.2 und 8.3 gebeten, was - ausgehend von dem von der Antragsgegnerin vorgetragenen Verständnis der Fragen - die schlicht widersinnige Folge hätte, dass die Tatsache der ärztlichen Behandlung an sich nur für den Zeitraum der letzten 5 Jahre anzugeben wäre, die Anschrift und der Namen der Ärzte jedoch für einen unbegrenzt lange zurückliegenden Zeitraum.

5

Bei einer solchen Auslegung der Gesundheitsfragen hätte die zeitliche Eingrenzung in Frage 8.1 letztlich nur zur Folge, dass davon lediglich ärztliche Behandlungen der letzten 5 Jahre erfasst würden, denen keinerlei Krankheiten oder auch nur Beschwerden zu Grunde lagen. Dass derartig spitzfindige Überlegungen einem Versicherungsnehmer unzumutbar sind, liegt auf der Hand.

6

Ausgehend von der maßgeblichen Sicht eines Versicherungsnehmers fehlt es mithin vorliegend an einer Frage nach Krankheiten usw., die länger als 5 Jahre zurückgelegen haben.

7

Das Verschweigen der Behandlungen in den Jahren 1986 und 1988 stellt folglich schon aus diesem Grund keine falsche Antwort dar.

8

Der Versicherungsnehmer ist auch auch nicht unabhängig von den gestellten Fragen verpflichtet gewesen, Angaben zu den ärztlichen Behandlungen aus den Jahren 1986 und 1988 zu machen. So wie einerseits die Vermutung zu Gunsten des Versicherers besteht, dass Umstände, nach denen ausdrücklich und schriftlich gefragt wird, erheblich sind, ist im Gegenschluss zu folgern, dass alle anderen Umstände im Zweifel unerheblich sind (Knappmann a.a.O). Eine spontane Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers, deren Verletzung nur bei Arglist zu einem Rücktrittsrecht des Versicherers gemäß § 18 VVG führen kann, ist nur in Ausnahmefällen anzunehmen. Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist nichts Erhebliches vorgetragen.

9

Es kann auch nicht mit der für eine Versagung von Prozesskostenhilfe notwendigen Sicherheit festgestellt werden, dass der Versicherungsnehmer die Frage 8.4 falsch beantwortet hat. Dort wird u.a. danach gefragt, ob ein übermäßiger Genuss von alkoholischen Getränken vorliegt.

10

Zweifelhaft ist bereits, ob angesichts des notwendigen Werturteils des Versicherungsnehmers hinsichtlich des Begriffs "übermäßig"überhaupt eine hinreichend klare Frage vorliegt (vgl. Senat a.a.O.). Dies kann offen bleiben, da jedenfalls nicht feststellbar ist, dass der Versicherungsnehmer im Zeitpunkt der Antragstellung "übermäßig" Alkohol genossen hat oder gar alkoholkrank gewesen ist, weshalb auch insoweit eine falsche Beantwortung der Fragen 8.2 und 8.3 ausscheidet (wird ausgeführt).

11