Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 23.08.2017, Az.: L 11 AS 35/17

Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei Hilfebedürftigkeit; Berücksichtigung des Einkommens und des Vermögens des Partners; Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Berücksichtigung des Wertes eines Kfz beim Vermögen; Ermittlung der Angemessenheitsgrenze

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
23.08.2017
Aktenzeichen
L 11 AS 35/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 22738
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 08.12.2016 - AZ: S 10 AS 3027/15

Fundstellen

  • FEVS 2018, 275-278
  • GV/RP 2017, 696-697
  • NVwZ 2017, 9 (Pressemitteilung)
  • NZS 2017, 7-8
  • ZfSH/SGB 2017, 673-674 (Pressemitteilung)
  • info also 2018, 31-33
  • info also 2018, 141

Redaktioneller Leitsatz

1. Sinn und Zweck der Privilegierung des Eigentums an Kraftfahrzeugen ist es, den Leistungsbeziehern die Aufnahme bzw. Fortführung auch solcher Erwerbstätigkeiten zu ermöglichen, zu deren Ausübung ein Kraftfahrzeug erforderlich ist.

2. Hierfür reicht ein angemessenes Kraftfahrzeug pro erwerbsfähigem Hilfebedürftigen.

3. Dementsprechend ist kein bestimmter Geldbetrag geschützt, sondern das Kraftfahrzeug als solches (allerdings nur bis zur Wertgrenze von in der Regel 7.500,- Euro).

4. Das SGB II sieht für Kraftfahrzeuge weder die Einräumung abstrakter bzw. fiktiver Freibeträge noch eine Kumulation mehrerer Freibeträge vor.

Tenor:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 8. Dezember 2016 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen die Ablehnung der Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit ab 1. Juli 2015.

Der 1963 geborene Kläger zu 2) bezog bis Ende Juni 2015 Arbeitslosengeld I nach den §§ 136ff. Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III). Mit Wirkung ab 1. Juli 2015 beantragte er zusammen mit seiner 1968 geborenen Ehefrau (Klägerin zu 1)) sowie der 1993 geborenen gemeinsamen Tochter beim Beklagten die Gewährung von SGB II-Leistungen. Zum Zeitpunkt der Antragstellung verfügten die Kläger neben einem Guthaben auf ihrem Girokonto u.a. über zwei Kapitallebensversicherungen (Rückkaufswerte von 7.793,73 Euro und 7.768,- Euro bei hierauf selbst eingezahlten Beiträgen in Höhe von 6.830,19 Euro bzw. 6.905,69 Euro). Zudem war der Kläger zu 2) Halter eines im Dezember 2013 für 18.125,- Euro gekauften Kraftfahrzeugs (G. H., Erstzulassung: November 2013). Dieses Kraftfahrzeug hatte laut Internetrecherche des Beklagten einen sog. Händlereinkaufswert von 11.051,- Euro (Stand: 26. Juni 2015). Die Klägerin zu 1) erzielte damals aus einer abhängigen Beschäftigung ein monatliches Arbeitsentgelt von 294,56 Euro netto. Die Tochter der Kläger erhielt neben dem Kindergeld eine monatlich schwankende Ausbildungsvergütung in Höhe von ca. 600,- Euro netto.

Der Beklagte lehnte die Gewährung von SGB II-Leistungen mit der Begründung ab, dass die Kläger über verwertbares Vermögen in Höhe von 20.502,36 Euro verfügten. Dieser Betrag ergebe sich aus dem auf dem Girokonto befindlichen Guthaben i.H.v. 1.389,38 Euro, den Rückkaufswerten der Lebensversicherungen sowie aus einem bei der Vermögensanrechnung für das Kraftfahrzeug zu berücksichtigenden Teilbetrag von 3.551,- Euro (Zeitwert von 11.051,- Euro abzgl. 7.500,- Euro Freibetrag). Das verwertbare Vermögen der Kläger übersteige deren Vermögensfreibeträge um 4.452,36 Euro, das Vermögen der Tochter (Girokonto, Sparbücher und Sparkonten) den ihr zustehenden Freibetrag um 6.133,09 Euro. Somit könnten die Kläger ihren Lebensunterhalt zumindest bis 31. Oktober 2015 aus dem den Freibetrag übersteigenden Vermögen bestreiten (Bescheid des Beklagten vom 14. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2015).

Im Juli 2015 beantragten die Kläger beim Sozialgericht (SG) Braunschweig erfolglos den Erlass einer einstweiligen Anordnung (Beschluss des SG vom 20. August 2015 - S 52 AS 368/15 ER -). Die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb ebenfalls erfolglos (Beschluss des erkennenden Senats vom 14. Oktober 2015 - L 11 AS 1413/15 B ER -). Zur Begründung hatte der Senat damals ausgeführt, dass der Beklagte hinsichtlich des Kraftfahrzeugs zu Recht nur einen Freibetrag i.H.v. 7.500,- Euro anstatt der von den Klägern beanspruchten doppelten Freibeträge (d.h. insgesamt 15.000,- Euro) anerkannt habe.

Gegen den Bescheid des Beklagten vom 14. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2015 haben die Kläger am 2. Oktober 2015 beim SG Braunschweig Klage erhoben und geltend gemacht, dass die im Eilverfahren S 52 AS 368/15 ER / L 11 AS 1413/15 B ER getroffenen Entscheidungen den "Anforderungen des § 12 SGB II" widersprechen würden.

Das SG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Kläger ihren Lebensunterhalt im streitbefangenen Zeitraum aus dem ihnen zur Verfügung stehenden Vermögen bestreiten konnten. Selbst bei Außerachtlassung etwaiger Guthaben auf Giro- oder Sparkonten hätten sie über mindestens 19.061,70 Euro verfügt (Rückkaufswerte der Lebensversicherungen zzgl. des anzurechnenden Teilwerts des Kraftfahrzeugs). Entgegen der Auffassung der Kläger betrage der Freibetrag für das Kraftfahrzeug lediglich 7.500 EUR (vgl. im Einzelnen: Urteil vom 8. Dezember 2016).

Gegen das den Klägern am 15. Dezember 2016 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 12. Januar 2017 eingelegte Berufung. Die Kläger sind der Auffassung, dass der Wert des im gemeinsamen Eigentum stehenden Kraftfahrzeugs zu jeweils 5.500,- Euro auf die Klägerin zu 1) bzw. den Kläger zu 2) zu verteilen sei, so dass die einschlägigen Freibeträge nicht überschritten würden. Angesichts eines Freibetrags von 7.500,- Euro pro Person wäre für das gemeinsame Kraftfahrzeug sogar ein Wert von bis zu 15.000,- Euro leistungsunschädlich.

Einen ausformulierten Berufungsantrag haben die Kläger nicht gestellt. Der Beklagte hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet über die Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält. Die Beteiligten hatten vorab Gelegenheit zur Stellungnahme (vgl. richterliche Verfügung vom 24. März 2017).

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage rechtsfehlerfrei abgewiesen.

Zulässiger Streitgegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist lediglich der Zeitraum vom 1. Juli bis 1. Oktober 2015. Nachdem der Beklagte mittlerweile für die Zeit ab 2. Oktober 2015 (vorläufige) Leistungen nach dem SGB II bewilligt hat (Bewilligungsbescheid vom 26. Oktober 2015), geht es im vorliegenden Verfahren nur noch um den davorliegenden Zeitraum der vollständigen Leistungsablehnung (BSG, Urteil vom 30. August 2010 - B 4 AS 70/09 R -).

Der Beklagte hat für diesen Zeitraum rechtfehlerfrei die Gewährung von SGB II-Leistungen wegen fehlender Hilfebedürftigkeit abgelehnt.

Die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II setzt u.a. Hilfebedürftigkeit voraus (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II). Hilfebedürftigkeit liegt nur dann vor, wenn die Betroffenen ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus ihrem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern können bzw. die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere nicht von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen erhalten (§ 9 Abs 1 SGB II). Bei Personen, die - wie vorliegend die Kläger - in einer Bedarfsgemeinschaft leben (vgl. hierzu: § 7 Abs 3 SGB II), sind auch das Einkommen und das Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs 2 Satz 1 SGB II). Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs 1 SGB II). Abzusetzen sind ein Grundfreibetrag in Höhe von 150,- Euro je vollendetem Lebensjahr für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende volljährige Person und deren Partnerin oder Partner, mindestens aber jeweils 3.100,- Euro, wobei der Freibetrag den nach § 12 Abs 2 Satz 2 maßgebenden Höchstbetrag nicht übersteigen darf (§ 12 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB II). Weiterhin abzusetzen ist der Freibetrag für notwendige Ansprüche in Höhe von 750,- Euro für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Leistungsberechtigten (§12 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB II). Von einer Berücksichtigung als Vermögen sind ausgenommen u.a. ein angemessenes Kraftfahrzeug für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende erwerbsfähige Person (§ 12 Abs 3 Nr 2 SGB II).

Die Kläger zu 1) und 2) verfügten im streitbefangenen Zeitraum über Lebensversicherungen mit einem Rückkaufswert von insgesamt 15.561,73 Euro. Hierbei handelte es sich um sofort verfügbares Vermögen, dessen Verwertung für die Kläger auch weder offensichtlich unwirtschaftlich war noch für sie eine besondere Härte bedeutete (§ 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II). Schließich überstieg der Rückkaufswert von 15.561,73 Euro die in die Lebensversicherung eingezahlten Beiträge (insgesamt: 13.735,88 Euro) deutlich. Ebenso wenig stand bei den 1963 bzw. 1968 geborenen Klägern der Eintritt in den Ruhestand unmittelbar bevor. Das den Klägern gemeinsam gehörende Kraftfahrzeug ist in Höhe eines Teilbetrags von 7.500,- Euro geschütztes Vermögen. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des BSG, wonach ein Kraftfahrzeug im Regelfall nur mit einem Zeitwert von maximal 7.500,- Euro als angemessen angesehen werden kann (Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 66/06 R -). Ausweislich der in der Verwaltungsakte enthaltenen DAT-Schätzung (www.dat.de) lag der Wert des Kraftfahrzeugs der Kläger bei ca. 11.000,- Euro (Händlereinkaufswert), so dass der darüber liegende Teilbetrag von 3.500,- Euro verwertbares Vermögen darstellt.

Der Senat folgt nicht der Auffassung der Kläger, wonach ihnen für das Kraftfahrzeug doppelte Freibeträge i.S.d. § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II - also insgesamt 15.000.- Euro - zustehen sollen. Der Gesetzeswortlaut knüpft an ein angemessenes Kraftfahrzeug für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende erwerbsfähige Person an (Hervorhebungen durch den Senat). Da in der Bedarfsgemeinschaft der Kläger lediglich ein Kraftfahrzeug vorhanden ist, kann lediglich einmal ein Kraftfahrzeug im Wert von bis zu 7.500,- Euro geschützt sein. Der die Angemessenheitsgrenze übersteigende Zeitwert (hier: 3.500,- Euro) stellt somit verwertbares Vermögen dar. Der Senat kann hierin auch keinen Wertungswiderspruch zu der von den Klägern im Eilverfahren S 52 AS 368/15 ER / L 11 AS 1413/15 B ER angeführten Fallkonstellation erkennen, in der zwei Kraftfahrzeuge in einer Bedarfsgemeinschaft vorhanden sind. Sinn und Zweck der Privilegierung des Eigentums an Kraftfahrzeugen ist es, den Leistungsbeziehern die Aufnahme bzw. Fortführung auch solcher Erwerbstätigkeiten zu ermöglichen, zu deren Ausübung ein Kraftfahrzeug erforderlich ist. Hierfür reicht ein angemessenes Kraftfahrzeug pro erwerbsfähigem Hilfebedürftigen. Dementsprechend ist kein bestimmter Geldbetrag geschützt, sondern das Kraftfahrzeug als solches (allerdings nur bis zur Wertgrenze von in der Regel 7.500,- Euro, vgl. im Einzelnen: BSG, Urteil vom 6. September 2007, a.a.O.). Das SGB II sieht für Kraftfahrzeuge weder die Einräumung abstrakter bzw. fiktiver Freibeträge noch eine Kumulation mehrerer Freibeträge vor.

Nach alledem lag der Gesamtbetrag des einzusetzenden Vermögens im streitbefangenen Zeitraum - selbst bei Außerachtlassung etwaiger Guthaben auf Giro- oder Sparkonten - bei mindestens 19.061,70 Euro (Rückkaufswerte der Lebensversicherungen zzgl. 3.500,- Euro für das Kraftfahrzeug). Dieses anzurechnende Vermögen überstieg den den Klägern zustehenden Vermögensfreibetrag von insgesamt 16.050,- Euro (vgl. zur Berechnung der Freibeträge: Vermögensberechnung des Beklagten vom 14. Juli 2015 auf Bl. 97 der Verwaltungsakte) um mehr als 3.000,- Euro.

Eine Hilfebedürftigkeit der Kläger ergab sich auch nicht im Hinblick auf ihre damals noch in ihrem Haushalt lebende volljährige Tochter. Diese verfügte bei Antragstellung auf ihren Giro- und Sparkonten über verfügbare Geldmittel i.H.v. insgesamt 10.183,09 Euro. Diesem Vermögen stand ein Freibetrag i.H.v. 4.050,- Euro gegenüber, so dass Vermögen i.H.v. 6.133,09 Euro anzurechnen war (vgl. hierzu erneut die Berechnung des Beklagten vom 14. Juli 2015, a.a.O.). Außerdem erzielte die Tochter bedarfsdeckendes Einkommen aus Ausbildungsvergütung und Kindergeld. Aufgrund fehlender Hilfebedürftigkeit war die Tochter der Kläger somit nicht Teil der Bedarfsgemeinschaft (vgl. § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor.-