Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 16.08.2017, Az.: L 11 AL 29/17

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
16.08.2017
Aktenzeichen
L 11 AL 29/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 23990
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 07.02.2017 AZ: S 41 AL 132/15

Tenor:

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Oldenburg vom 7. Februar 2017, mit dem das SG die Klage der Klägerin gegen den Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 20. Juli 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2015 abgewiesen hat.

Die 1992 geborene Klägerin begann am 1. September 2012 eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten. Auf ihren Antrag hin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Juni 2013 Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 2013. Nach entsprechenden Änderungsanträgen der Klägerin bewilligte die Beklagte mit Bescheiden vom 16. August 2013 und 19. Dezember 2013 teilweise höhere BAB. Sie bewilligte letztendlich Leistungen in Höhe von monatlich 184 EUR für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 2013, von 140 EUR monatlich für die Zeit vom 1. August 2013 bis 22. September 2013 und in Höhe von monatlich 237 EUR für die Zeit vom 23. September 2013 bis 30. Juni 2014. Der Bescheide enthielten jeweils den Hinweis, dass die Bewilligung vorläufig erfolge (§ 328 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III -), weil die Höhe des Einkommen des Vaters der Klägerin noch nicht abschließend feststehe. Insoweit hatte die Klägerin sog. Aktualisierungsanträge gestellt, aufgrund derer die Beklagte bei der Leistungsberechnung das aktuelle Einkommen der Eltern (anstatt des Einkommens aus dem vorletzten Kalenderjahr) zugrunde legte.

Der Vater der Klägerin bezog danach zunächst Krankengeld (im Jahr 2013 insgesamt 20.437,12 EUR brutto) und ab dem 23. September 2013 Arbeitslosengeld I (im Jahr 2013 insgesamt 5.846,68 EUR, im Jahr 2014 insgesamt 16.883 EUR). Im November 2014 schloss er mit seinem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag mit Wirkung zum 30. November 2014. Ebenfalls wurde die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 51.500 EUR brutto vereinbart, die im Dezember 2014 ausgezahlt wurde. Im weiteren Verfahren legte die Klägerin die Steuerbescheide ihres Vaters für die Jahre 2013 und 2014 vor. Aus dem Steuerbescheid für 2013 ergaben sich positive Einkünfte von 4.542 EUR. Für das Jahr 2014 betrugen die positiven Einkünfte 61.172 EUR.

Mit Bescheid vom 20. Juli 2015 nahm die Beklagte die Bewilligung von BAB für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 30. Juni 2014 zurück (Hinweis auf § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X -) und verlangte die Erstattung von 3.726,87 EUR. BAB sei vorläufig gezahlt worden. Die Überprüfung des Einkommens des Vaters habe ergeben, dass kein Anspruch auf BAB bestanden habe. In der Verwaltungsakte (Bl. 224) findet sich noch ein auf den 10. August 2015 datierender mit Entwurf überschriebener BAB-Ablehnungsbescheid bzgl. eines BAB-Antrages vom 1. Januar 2013. Ob dieser Bescheid versandt wurde, lässt sich der Akte nicht entnehmen. Der Beklagte ist jedenfalls im erstinstanzlichen Verfahren davon ausgegangen, dass der Bescheid existiert (Schriftsatz vom 9. Dezember 2015). Den Widerspruch der Klägerin vom 3. August 2015 gegen den Bescheid vom 20. Juli 2015 wies die Beklagte zurück. Die Rückforderung stütze sich allein auf § 328 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Es ergebe sich ein maßgebliches Monatseinkommen des Vaters von 2.435,63 EUR für 2013 und 4.458,32 EUR für 2014 und damit unter Berücksichtigung der Freibeträge ein monatliches anzurechnendes Einkommen von 699,69 EUR. Dies übersteige den Gesamtbedarf von 683,80 EUR (Widerspruchsbescheid vom 12. August 2015).

Die Klägerin hat am 7. September 2015 Klage erhoben und sich gegen die Rückforderung gewandt. Die im Dezember 2014 gezahlte Abfindung sei nicht als Einkommen im streitigen Zeitraum zu berücksichtigen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 7. Februar 2017 abgewiesen. Die Erstattungsforderung beruhe auf einer zutreffenden endgültigen Festsetzung des Anspruchs auf BAB. Mit ihrer Rücknahmeentscheidung vom 20. Juli 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2015 habe die Beklagte letztlich endgültig entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch auf die gewährte BAB zustand. Bei der Abfindung handele sich um nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) zu berücksichtigendes Einkommen. Diese sei im Einkommenssteuerbescheid für 2014 auch als Einkommen berücksichtigt worden. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Abfindung erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraums zugeflossen sei. Auch die übrigen Berechnungsschritte der Beklagten seien nicht zu beanstanden.

Gegen das am 6. März 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17. März 2017 Berufung eingelegt. Die Abfindung sei auf den Zeitraum zwischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Renteneintritt zu verteilen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sei eine Abfindung immer unterhaltsrechtliches Einkommen. Eine Einordnung als positives Einkommen für 2014 widerspräche diesem Verständnis und den tatsächlichen Umständen.

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die Abfindung sei zu berücksichtigendes Einkommen, weil sie nach dem Einkommenssteuergesetz (EStG) zu besteuerndes Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit darstelle. Ausnahmeregelungen seien nicht einschlägig.

II.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren, weil die Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - iVm. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO -). Nach derzeitigem Sach- und Streitstand hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2015, mit dem diese den BAB-Antrag der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 30. Juni 2014 endgültig abgelehnt und die gewährten Leistungen in Höhe von 3.726,87 EUR erstattet verlangt hat. Soweit die Beklagte noch im Ausgangsbescheid die Aufhebung der Bewilligungsbescheide nach § 45 SGB X verfügt hat, ist dies unbeachtlich. Schon aus dem Bescheid vom 20. Juli 2015 lässt sich bei verständiger Würdigung aus Sicht eines durchschnittlichen Empfängers ausreichend deutlich entnehmen, dass mit diesem Bescheid über die endgültige Festsetzung des Anspruchs der Klägerin im Sinne von § 328 Abs. 2 SGB III entschieden wurde ("BAB wurde [ ...] vorläufig gezahlt [ ...]. Die Überprüfung des Einkommens Ihres Vaters ergab ein zu berücksichtigendes Einkommen, es bestand tatsächlich kein Anspruch auf BAB"). Spätestens aber durch Erlass des Widerspruchsbescheides, der mit dem Ausgangsbescheid eine rechtliche Einheit bildet (§ 95 SGG), hat die Behörde ihre eigentliche Regelungsabsicht deutlich gemacht, indem sie die Entscheidung nur noch auf § 328 SGB III gestützt hat. Soweit der Ablehnungsbescheid vom 10. August 2015, der wohl die Ablehnung des BAB-Antrages der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 30. Juni 2014 regeln soll, tatsächlich durch Bekanntgabe wirksam geworden sein sollte, ändert dies am Streitgegenstand nichts. Der Bescheid hätte dann im Sinne eines Zweitbescheides den Bescheid vom 20. Juli 2015 ergänzt und wäre nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden.

Durch den angefochtenen Bescheid ist die Klägerin aber nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), weil dieser rechtmäßig ist. Die Beklagte war berechtigt, den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von BAB für den Zeitraum 1. Januar 2013 bis 30. Juni 2014 endgültig abzulehnen und die gewährten Leistungen zurückzufordern (§ 328 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 SGB III).

Sowohl der Beklagte (Widerspruchsbescheid, Seite 4-6) als auch das SG (Urteil, Seite 7-8) haben zutreffend anhand der Vorgaben des SGB III bzw. des BAföG dargestellt, dass bereits allein das Einkommen des Vaters den Gesamtbedarf der Klägerin übersteigt. Zur Vermeidung von Wiederholungen macht sich der Senat diese Ausführungen in entsprechender Anwendung der §§ 136 Abs. 3 SGG, 153 Abs. 2 SGG zu eigen. Insbesondere ist die Abfindung des Vaters Einkommen im Sinne der Regelungen zum BAB. Nach § 67 Abs. 2 Satz 1 SGB III gelten für die Ermittlung des Einkommens und dessen Anrechnung sowie die Berücksichtigung von Freibeträgen § 11 Abs. 4 sowie die Vorschriften des Vierten Abschnitts des BAföG mit den hierzu ergangenen Rechtsverordnungen entsprechend. § 21 Abs. 1 Satz 1 BAföG bestimmt, dass als Einkommen die Summe aller positiven Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 EStG vorbehaltlich einiger in § 21 BAföG geregelten Besonderheiten gilt. Gemäß §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 19 EStG unterliegen der Einkommenssteuer unter anderem Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Dazu gehören auch Entschädigungen, die für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit gewährt werden (§ 24 Nr. 1b EStG). Ergänzend bestimmt § 2 Abs. 2 Nr. 4 Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) unter anderem, dass Entschädigungen, die dem Arbeitnehmer für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit gewährt werden, zum Arbeitslohn gehören. Die Abfindung des Vaters der Klägerin wurde ausweislich des Aufhebungsvertrages zum Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt (Ziff. 3 des Vertrages) und ist damit eine Entlassungsentschädigung in diesem Sinne. Die Abfindung ist auch nicht nach § 3 Nr. 3a-d EStG steuerfrei (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Februar 2017 - OVG 6 M 12.7-, Rn. 6; Stopp in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 6. Aufl. 2016, § 21 Rn. 9).

Die Anrechnung der Abfindung im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum entspricht ebenfalls der Rechtslage. Nach § 24 Abs. 1 BAföG sind zwar grundsätzlich bei der Anrechnung von Elterneinkommen die Einkommensverhältnisse im vorletzten Kalenderjahr vor Beginn des Bewilligungszeitraums (hier 2011) maßgeblich. Der Auszubildende kann aber während des Bewilligungszeitraums einen Aktualisierungsantrag stellen, wenn das Einkommen im Bewilligungszeitraum voraussichtlich wesentlich niedriger als in dem ansonsten maßgeblichen Zeitraum ausfallen wird. In diesem Fall ist von den Verhältnissen im Bewilligungszeitraum auszugehen (§ 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG). Entsprechende Aktualisierungsanträge sind hier sowohl dem Bescheid vom 16. August 2013 als auch dem Bescheid vom 19. Dezember 2013 vorausgegangen. Bei der Berechnungsweise nach § 24 Abs. 3 BAföG bleibt es schließlich im Rahmen der hier streitigen endgültigen Entscheidung auch dann, wenn sich wie hier erweist, dass diese Betrachtung für den Auszubildenden ungünstiger ist (Herbst in jurisPK-SGB III, 1. Aufl. 2014, § 67 Rn. 109; Stopp, aaO., § 24 Rn. 32 ff.; VG Göttingen, Urteil vom 13. März 2007 - 2 A 223/05 -, Rn. 22 f; OVG Koblenz, Urteil vom 24. September 2015 - 7 A 11090/14 -).

Auch der Umstand, dass die Abfindung erst im Dezember 2014 und damit nach Ende des Bewilligungszeitraums gezahlt wurde, ändert an deren Anrechenbarkeit nichts. Nach § 24 Abs. 4 Satz 2 a.E. BAföG gilt nämlich als Monatseinkommen ein Zwölftel des jeweiligen Kalenderjahreseinkommens. Die Summe der Monatseinkommen dividiert durch die Zahl der Kalendermonate des Bewilligungszeitraums ergibt - unter Berücksichtigung der Freibeträge nach § 25 BAföG (hier in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung) - das anrechenbare durchschnittliche Monatseinkommen (§ 24 Abs. 4 Satz 2 BAföG, siehe zur Berechnung: Widerspruchsbescheid, Seite 4 bis 5). Die von der Klägerin in der Berufungsbegründung favorisierte Anrechnungsvariante ist daher nicht mit dem Gesetz vereinbar. Für eine unterhaltsrechtliche Betrachtungsweise ist kein Raum, zumal zur Sicherung des eigenen Unterhalts des Elternteils entsprechende Freibeträge in § 25 Abs. 1 BAföG gewährt werden.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).