Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 10.08.2017, Az.: L 10 SF 10/17 EK U

Zahlung einer Entschädigung wegen unangemessener Dauer der Entscheidung über das Klagebegehren in einem sozialgerichtlichen Verfahren; Gewährung einer Verletztenrente; Entschädigung wegen der überlangen Dauer eines Gerichtsverfahrens; Zweck der Entschädigungsleistungen; Keine Anrechnung als Einkommen; SGB-II-Leistungen; Anspruch auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens; Kein Anspruchsübergang auf den Grundsicherungsträger

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
10.08.2017
Aktenzeichen
L 10 SF 10/17 EK U
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 22736
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - AZ: S 21 U 28/11

Fundstelle

  • info also 2017, 276-279

Redaktioneller Leitsatz

1. Entschädigungsleistungen nach § 198 Abs. 3 GVG im Hinblick auf Nichtvermögensnachteile dienen der Entschädigung für die erlittene Verletzung des menschen- und verfassungsrechtlichen Rechtes des Einzelnen auf ein zügiges Verfahren; insoweit vermutet das Gesetz den Eintritt eines Nichtvermögensschadens, also eines immateriellen Schadens; dieser kann nur in der Beeinträchtigung oder dem teilweisen Verlust von Lebensqualität liegen.

2. Zweck der Leistung nach § 198 Abs. 3 GVG ist es deshalb auch ohne ausdrückliche Erwähnung dessen im Gesetzestext, dem in seinen Rechten Verletzten durch das Zurverfügungstellen von Geld die Möglichkeit zu eröffnen, durch die Verwendung des Geldes seine Lebensqualität wieder zu steigern und damit den Mangel möglichst auszugleichen.

3. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers soll die Entschädigung die "seelische Unbill" durch die lange Verfahrensdauer ausgleichen.

4. Damit ist zwar kein rechtlicher oder tatsächlicher Zwang verbunden, das Geld für diese Zwecke und nicht für den "normalen" allgemeinen Lebensunterhalt zu verwenden; das ist aber auch nicht erforderlich.

5. Der von dem Gesetzgeber gewollte Zweck der Entschädigungsleistungen nach § 198 Abs. 2 GVG unterscheidet sich deutlich von dem Zweck der Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II.

Tenor:

Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 2.400,00 EUR als Entschädigungsleistung zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird endgültig auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Entschädigung wegen unangemessener Dauer der Entscheidung über sein Klagebegehren in dem Verfahren des Sozialgerichts Hildesheim (SG) zu dem Aktenzeichen S 21 U 28/11.

Der 1944 geborene Kläger hatte in diesem Verfahren Leistungen der Berufsgenossenschaft wegen einer bei ihm vorliegenden Berufskrankheit (BK) geltend gemacht. Die Berufsgenossenschaft Holz und Metall hatte mit im Verfahren streitigem Bescheid vom 21. Dezember 2010 dem Kläger ab 28. März 2001 zunächst Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. und dann ab dem 10. März 2000 nach einer MdE von 30 v.H. wegen der bei ihm vorliegenden BK 4301 (Asbestose) gewährt.

Im Widerspruchsverfahren hatte sich der Kläger im Wesentlichen dagegen gewandt, dass das ihm zustehende Geld aus Nachzahlungen einbehalten worden war, um Ansprüche anderer Sozialleistungsträger zu befriedigen.

Am 7. März 2011 hat der Kläger Klage bei dem SG wegen "Justizverbrechen" erhoben. Zunächst war nicht ersichtlich, um was es sich bei dem Klagebegehren handelte. Noch im März 2011 meldet sich dann der Prozessbevollmächtigte des Klägers zur Akte. Die beklagte Berufsgenossenschaft wies zunächst darauf hin, sie sei bei der Durchführung des Widerspruchsverfahrens davon ausgegangen, dass nur die Einbehaltung der Nachzahlung Gegenstand des Verfahrens gewesen sei. Sie hat angeboten, zur Höhe der MdE weitere Ermittlungen anzustellen. Das SG hat dem Kläger mit Beschluss vom 20. April 2011 Prozesskostenhilfe gewährt. In einer ersten Stellungnahme vom 6. Mai 2011 war der Kläger nicht damit einverstanden, dass die Beklagte weitere Ermittlungen durchführte. Die Beklagte hat deutlich gemacht, sie wisse nicht, wie dann weiter verfahren werden solle. Das SG bat den Prozessbevollmächtigten des Klägers mehrfach um Klarstellung. Der Prozessbevollmächtigte trug im August 2011 vor, und legte insbesondere zu einem jahrelangen Aufenthalt des Klägers in den Niederlanden ergänzende Unterlagen vor. Die Beklagte teilte ebenfalls Ende August 2011 mit, ihr seien nun doch weitere Unterlagen aus den Niederlanden zugegangen, diese müssten nun noch übersetzt werden und man werde sich dann melden. Im Oktober 2011 berichtete die Beklagte über den Stand der Ermittlungen - insbesondere dass noch nicht alle Übersetzungen vorlägen. Auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers reichte im Oktober 2011 weitere Unterlagen ein. Der Kläger nahm dann zu den Unterlagen aus den Niederlanden Stellung. Er ließ im März 2012 durch seinen Prozessbevollmächtigten anregen, weitere Ermittlungen durch die Beklagte vorzunehmen. Die Beklagte teilte mit, sie sehe keine weitere Möglichkeit von Ermittlungen in den Niederlanden mehr. Im Juni 2012 wandte sich das SG erneut an den Kläger und bat ihn, ein Einverständnis zu weiteren Ermittlungen in den Niederlanden - möglichst in niederländischer Sprache - vorzulegen. Dem kam der Kläger im Juni 2012 nach. Im Juli 2013 reichte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten einen Bescheid ein, aus dem sich ergibt, dass bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt worden war. Zusätzlich waren ihm die Merkzeichen G, B und H zuerkannt worden.

Im Oktober 2013 gelangte ein Gutachten des Pneumologen Prof. Dr. H. zur Gerichtsakte. Dieses war durch die Beklagte zur Überprüfung des Gesundheitszustandes des Klägers veranlasst worden und beruht auf einer Untersuchung des Klägers am 13. August 2013. Prof. Dr. H. sah bei dem Kläger seit 2007 eine MdE von 50 v.H. als gegeben an. Er regte weiter an zu überprüfen, ob durch ein weiteres psychiatrisches Gutachten geklärt werden könne, ob Teile der bei dem Kläger vorliegenden psychiatrischen Störung durch die BK verursacht worden seien.

Mit Bescheid vom 1. Oktober 2013 erkannte die Beklagte dem Kläger ab dem 22. August 2007 Verletztenrente nach einer MdE von 50 v.H. zu. Auch insoweit wurde die Nachzahlung in Höhe von ca. 24.000 EUR zunächst einbehalten. Mit weiterem Bescheid vom 3. Dezember 2013 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Erhöhung der MdE wegen seiner psychiatrischen Beschwerden ab. Zur Begründung wies sie darauf hin, die Entstehung der psychiatrischen Störungen reiche bis in die Kindheit und Jugend zurück. Das SG verfügte die Sache sodann im Dezember 2013 in das Sitzungsfach.

Auf Sachstandsanfragen des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten von Februar 2014 teilte das SG mit, eine Terminierung sei für April oder Mai in den Blick genommen. Mit weiterer Verfügung vom 14. April 2014 teilte das SG unter Bezugnahme auf das Gutachten von Prof. Dr. H. mit, es sei beabsichtigt, ein weiteres psychiatrisches Gutachten einzuholen und erbat insoweit eine Schweigepflichtentbindungserklärung des Klägers. Nachdem diese erteilt worden war, beauftragte das SG mit Beschluss vom 25. April 2014 die Neurologin Dr. I. mit der Erstellung eines Gutachtens. Dr. I. legte ihr Gutachten am 9. Oktober 2014 vor. Sie hatte den Kläger am 31. Juli 2014 untersucht. Sie diagnostizierte bei dem Kläger auf ihrem Fachgebiet eine sehr ausgeprägte Persönlichkeitsstörung mit ganz vorrangig paranoiden Anteilen. Die Entstehung dieser psychiatrischen Funktionsstörung hänge indessen nicht mit der bei dem Kläger vorliegenden Lungenasbestose zusammen. Zur Begründung verwies sie insbesondere auf ein Gutachten aus dem Landeskrankenhaus J. aus Dezember 1985, in dem schon eine ganz ähnliche Symptomatik beschrieben worden war. In diesem Gutachten, das in den aus den Niederlanden beigezogenen Unterlagen enthalten ist, wird gleichfalls auf ein Vorgutachten aus dem Jahr 1972 hingewiesen, welches nicht vorliegt, welches aber offenbar ganz gleichartige Diagnosen enthalten hat.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wies im November 2014 auf eine nach seiner Auffassung im Gutachten enthaltene Lücke hin und beantragte insoweit bei der Sachverständigen nachzufragen. Das SG leitete diese Nachfrage an die Sachverständige weiter. Diese fragte zunächst bei dem SG zurück, da der Kläger zwischenzeitlich Strafanzeige gegen sie erstattet hatte, und sie daher unsicher war, ob sie noch Stellung nehmen könne.

Im Februar 2015 hat die Beklagte ein weiteres Gutachten von Prof. Dr. H. vom 21. Januar 2015 vorgelegt. Dieser war aufgrund der Untersuchung des Klägers am 20. Januar 2015 zu dem Ergebnis gelangt, hinsichtlich der anerkannten Folgen der Berufskrankheit habe sich keine Befundänderung ergeben. Diese müsse weiter mit einer MdE von 50 v.H. bewertet werden.

Dr. I. legte im Februar 2015 ihre Stellungnahme vor. Aufgrund der Strafanzeige des Klägers forderte die Staatsanwaltschaft Hannover die Akte des SG an, welche ihr auch übersandt worden ist. Die Akte lag dem SG im März 2015 wieder vor. Sodann ist die Akte in das Sitzungsfach verfügt worden. In der Folge beschwerte sich der Kläger mehrfach telefonisch und persönlich und bat um umgehende Terminierung.

Das SG lud die Sache am 8. Juni 2015 zur mündlichen Verhandlung am 2. Juli 2015. Diese Ladung ist aus dienstlichen Gründen aufgehoben worden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte ebenfalls Aufhebung des Termins beantragt. In der Folge erschien der Kläger mehrfach persönlich bei dem SG und mahnte dringend die Terminierung an. Er rief auch mehrfach bei dem SG an und bat um Sachstandsmitteilung. Auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers meldete sich mehrfach und bat um Terminierung.

Am 10. August 2016 erhob der Kläger Verzögerungsrüge. Anlässlich dessen wies er darauf hin, die Beklagte habe ein neues Gutachten durch den Pneumologen Prof. Dr. K. erstellen lassen. Das Gutachten vom 10. Juli 2016 reichte der Kläger sodann ein. Prof. Dr. K. war im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, die dem Kläger zustehende MdE müsse ab dem Untersuchungszeitpunkt mit 60 v.H. bewertet werden. Die beklagte Berufsgenossenschaft erkannte dem Kläger mit Bescheid vom 6. September 2016 ab dem 1. Juli 2016 eine MdE von 60 v.H. zu. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers legte am 30. September 2016 das Mandat nieder.

Am 15. Februar 2017 ist Entschädigungsklage erhoben worden.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 27. April 2017 die beklagte BG verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 13. Juli 2005 bis zum 21. August 2007 Verletztenrente nach einer MdE von 40 v.H. zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die zunächst vom Kläger eingelegte Berufung ist am 14. Juni 2017 zurückgenommen worden.

Der Kläger ist im Wesentlichen der Auffassung, das Verfahren habe viel zu lange gedauert und er sei insoweit zu entschädigen. Er führt die Verzögerung auf ein Zusammenwirken der Justiz mit der Berufsgenossenschaft und mit Regierungskreisen zurück. Durch dieses Vorgehen solle er aufgrund seiner jüdischen Religionszugehörigkeit benachteiligt werden. Zudem wolle sich das politische System an den Rentenbeiträgen der arbeitenden Menschen bereichern. Diese Auffassung hat der Kläger in zahlreichen Schriftsätzen vertieft und vielfach auf ihm zur Kenntnis gekommene Fälle in der Vergangenheit hingewiesen, in denen es zu falschem und rechtswidrigem Verhalten der Justiz gekommen sei.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

das beklagte Land zu verurteilen, an ihn wegen der Nachteile aus der überlangen Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens zu dem Aktenzeichen S 21 U 28/11 des Sozialgerichts Hildesheim immateriellen Schaden in Höhe von 5.000,00 EUR zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf hingewiesen, die Dauer des Verfahrens sei nicht auf Versäumnisse des befassten Gerichts, sondern auf das Vorgehen des Klägers im gerichtlichen Verfahren zurückzuführen. Der Kläger habe durch eine Vielzahl ausgesprochen schwer zu verstehender Schriftsätze immer wieder Anlass gegeben nachzufragen bzw. Beleidigungen zurückzuweisen. Auch sei es für das erstinstanzliche Gericht schwierig gewesen, den Sachverhalt mit Auslandsbezug zu ermitteln.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Gerichtsakte des Sozialgerichts Hildesheim zum Aktenzeichen S 21 U 28/11 Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Der Senat hat sich durch den in der mündlichen Verhandlung wiederholten Antrag des beklagten Landes vom 9. August 2017, das Verfahren zu vertagen und ihm erneut Akteneinsicht zu gewähren nicht an einer Entscheidung des Rechtsstreits gehindert gesehen. Der Senat hat keinen erheblichen Grund im Sinne von § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 227 Zivilprozessordnung (ZPO) für eine Vertagung feststellen können.

Soweit der Vertreter des beklagten Landes zur Begründung dieses Antrages geltend gemacht hat, das Land bedürfe einer erneuten Akteneinsicht, um seine prozessualen Rechte zu wahren, macht er damit sinngemäß geltend, es liege ein Fall der mangelnden Vorbereitung im Sinne von § 202 SGG in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Nr. 2 ZPO vor. Dies war für den Senat indessen nicht nachvollziehbar.

Die gesamte Akte des Ausgangsverfahrens hat dem beklagten Land zur Einsichtnahme zur Verfügung gestanden, wie sich aus dem Schriftsatz des beklagten Landes vom 22. Mai 2017 ergibt. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen, sich hieraus ein Bild über den Ablauf des Verfahrens zu machen. Dass das beklagte Land dies auch durchaus getan hat, ergibt sich für den erkennenden Senat auch ohne weiteres aus dem erwähnten Schriftsatz vom 22. Mai 2017, in dem ins Einzelne gehend Verfahrensabschnitte und das Verhalten des Klägers sowie dessen Äußerungen angesprochen werden. Der Senat hat das beklagte Land überdies mit Verfügung vom 30. Mai 2017 darauf hingewiesen, dass eine - auch kurzfristige - Aktenübersendung jederzeit möglich sei. Diese Möglichkeit hat das beklagte Land bis zum 9. August 2017 - einen Tag vor der mündlichen Verhandlung (vgl. dazu etwa BSG Urt. v. 3. Juli 2013 - B 12 R 38/12 B) - nicht wahrgenommen, obwohl es mit Verfügung des Gerichts vom 28. Juli 2017 von der Rücknahme der Berufung in Kenntnis gesetzt worden war.

Weiter hat sich der Vertreter des beklagten Landes in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gesehen, die wenigen Blatt der Berufungsakte in einer Verhandlungspause durchzusehen. Die von ihm gegebene Begründung, die notwendigen Verwaltungsabläufe ließen dies nicht zu, war für den Senat nicht nachvollziehbar. Vor diesem Hintergrund hat der Senat nicht zu der Auffassung gelangen können, dass die prozessualen Rechte des beklagten Landes ohne Gewährung einer erneuten Akteneinsicht nicht gewahrt worden wären. Es liegt also kein erheblicher Grund für eine Vertagung vor.

Da der Vertreter des beklagten Landes das Gerichtsgebäude auch alsbald - nachdem der Senat sich zur Beratung zurückgezogen hatte - verlassen hat, war auch keine Gelegenheit vor Verkündung des Urteils eine gesonderte Entscheidung über den Vertagungsantrag des beklagten Landes zu verkünden.

Die auf § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) gestützte Entschädigungsklage ist zulässig.

Der Kläger hat einen Entschädigungsanspruch in dem ausgeurteilten Umfang aus § 198 GVG gegen das beklagte Land.

Der Senat hat das Begehren des Klägers sowohl in prozessualer als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht an §§ 198 ff GVG zu messen. Der Senat ist für die Entscheidung über das Entschädigungsbegehren funktional und örtlich zuständig. In den der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Angelegenheiten (vgl. § 51 SGG) ist gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG für Klagen auf Entschädigung nach § 198 GVG gegen ein Land das für dieses Land örtlich zuständige LSG zuständig. Das beklagte Land ist im Verfahren wirksam durch die Generalstaatsanwaltschaft vertreten worden. Die Entschädigungsklage vom 2. Juni 2015 ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs. 5 SGG).

Der Kläger hat die notwendige Verzögerungsrüge i.S. von § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG eingelegt. Diese ist auch wirksam, weil sie zu einem Zeitpunkt erhoben worden ist, an dem objektiv die Besorgnis gerechtfertigt war, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen sein werde.

Die Klage ist auch teilweise begründet.

Das beklagte Land kann dem Entschädigungsanspruch des Klägers zunächst nicht generell entgegen halten, ein eventueller Anspruch sei auf Träger von Leistungen der Grundsicherung übergegangen - wie dies etwa in den Schriftsätzen vom 26. Juli und 9. August 2017 angedeutet worden ist. Entschädigungsansprüche stehen nämlich dem Kläger - und nicht einem etwaigen Träger von Leistungen nach dem SGB II oder XII zu.

Der Senat verkennt hierbei nicht, dass nach § 33 Abs. 1 SGB II in der seit dem 1. August 2006 geltenden Fassung Ansprüche von Beziehern von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes kraft Gesetzes auf den Leistungsträger übergehen, wenn bei rechtzeitiger Leistung des Anderen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nicht erbracht worden wären.

In diesem Zusammenhang kann der Senat zunächst dahingestellt bleiben lassen, wann die im vorliegenden Verfahren streitigen Entschädigungsleistungen rechtzeitig im Sinn der vorgenannten Vorschrift zu erbringen gewesen wären. Dies könnte zunächst deshalb zweifelhaft erscheinen, weil nicht feststeht, welche Monate ohne ausreichende Verfahrensförderung des Ausgangsrechtsstreites einen Entschädigungsanspruch auslösen und welche zu der dem Gericht zuzugestehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit zählen. In diesem Zusammenhang ist weiter auf das Problem hinzuweisen, während des Laufes des Ausgangsverfahrens verlässlich zu bestimmen, welche Bearbeitungszeit noch angemessen ist und welche nicht mehr. Wenn man dieses Problem vernachlässigen würde, könnte man die Verteilung so vornehmen, dass die jeweils ersten Monate der Untätigkeit des Gerichtes der Vorbereitungs- und Bedenkzeit zuzurechnen sind, die späteren Monate dann also Entschädigungsansprüche auszulösen geeignet wären. Zwingend erscheint eine solche Verteilung aber nicht. Im Übrigen sieht der Senat auch in der gesetzlichen Regelung des § 198 GVG keinen Ansatzpunkt für die Annahme, die Entschädigung sei gleichsam zeitgleich zu der Fortdauer der Verzögerungszeit in monatlichen Teilbeträgen zu zahlen.

Zudem geht jedenfalls die Praxis des beklagten Landes nach dem Eindruck des Senats davon aus, dass Entschädigung nicht etwa von Amts wegen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, sondern nur auf ausdrückliche Forderung des jeweiligen Verfahrensbeteiligten zu leisten ist, so dass eine Fälligkeit der Forderungen im vorliegenden Fall erst mit Klageerhebung, allerfrühestens mit der Andeutung der Forderung in dem Ausgangsverfahren mit der Verzögerungsrüge eingetreten wäre. Zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger aber bereits eine nicht unbeträchtliche Verletztenrente nach dem SGB VII sowie eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen. Selbst wenn die Verzögerungsrüge nicht zu den materiellen Anspruchsvoraussetzungen zählt, so erscheint der Gedanke doch sehr zweifelhaft, dass der Anspruch auf Entschädigung bereits vor der Erhebung der Verzögerungsrüge fällig geworden sein könnte, also zu einem Zeitpunkt, zu dem noch gar nicht feststand, ob für die Dauer des Ausgangsverfahrens überhaupt Entschädigung würde verlangt werden können. Darüber hinaus könnte der Bestand eines Entschädigungsanspruches wegen einer bereits eingetretenen Verzögerung eines Rechtsstreites auch davon abhängen, ob etwa das Verfahren in einer höheren Instanz besonders rasch zum Abschluss gebracht worden ist (Kompensation einer Verzögerung, Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtverfahren, Kommentar zu § 198 GVG RdNr. 101). Schließlich hängt die Durchsetzbarkeit der Entschädigungsforderung auch von der Wahrung der Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG ab, so dass eine Fälligkeit der Forderung auch vor diesem Zeitpunkt gewissen Zweifeln begegnen kann. Dem allem muss der Senat im vorliegenden Fall allerdings nicht nachgehen.

Ebenso wenig muss er sich mit der Frage auseinandersetzen, ob denn der Kläger bei Eintritt der Fälligkeit der Entschädigungsansprüche noch im laufenden Leistungsbezug eines Grundsicherungsträgers gestanden hat, was im Hinblick jedenfalls auf das Alter des 1944 geborenen Klägers mehr als zweifelhaft erscheint (vgl. dazu § 7a SGB II und § 41 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII)).

Selbst soweit eine zeitliche Kongruenz zwischen der Fälligkeit der Entschädigungsansprüche und einem etwaigen Leistungsbezug bestanden haben sollte, wäre der Entschädigungsanspruch nicht übergegangen. Die Leistungspflicht eines etwaigen Trägers der Grundsicherung wäre auch bei "rechtzeitiger" Leistung des Beklagten nicht erloschen oder gemindert. Dies wäre insbesondere unter den Voraussetzungen des §§ 11 ff. SGB II nur dann der Fall, wenn die gedacht zugeflossenen Entschädigungsleistungen mit derjenigen Wirkung auf die Leistungen des Grundsicherungsträgers anzurechnen gewesen wären, dass sich diese vermindert hätten oder ganz entfallen wären. Diese Voraussetzung lag aber nicht vor.

Gemäß § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklichen Zweck erbracht werden, nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach dem SGB II im Einzelfall demselben Zweck dienen (vgl. auch die wörtlich identische Regelung in § 83 SGB XII). Die hier streitigen Entschädigungsleistungen sind in dem vorgenannten Sinn zweckbestimmt. Sie dienen anderen Zwecken als die etwa zur Bestreitung des Lebensunterhaltes des Klägers gewährten Leistungen.

Entschädigungsleistungen nach § 198 Abs. 3 GVG im Hinblick auf Nichtvermögensnachteile dienen der Entschädigung für die erlittene Verletzung des menschen- und verfassungsrechtlichen Rechtes des Einzelnen auf ein zügiges Verfahren (vgl. dazu auch Schweigler, SGb 2017, 314, 318, die zutreffend weiter darauf hinweist, dass die Pflicht zur Entschädigungsleistung auch einen präventiven Zweck hat). Insoweit vermutet das Gesetz den Eintritt eines Nichtvermögensschadens, also eines immateriellen Schadens. Dieser kann nur in der Beeinträchtigung oder dem teilweisen Verlust von Lebensqualität liegen. Zweck der Leistung nach § 198 Abs. 3 GVG ist es deshalb auch ohne ausdrückliche Erwähnung dessen im Gesetzestext, dem in seinen Rechten Verletzten durch das Zurverfügungstellen von Geld die Möglichkeit zu eröffnen, durch die Verwendung des Geldes seine Lebensqualität wieder zu steigern und damit den Mangel möglichst auszugleichen. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 17/3802, S. 19) soll die Entschädigung die "seelische Unbill" durch die lange Verfahrensdauer ausgleichen. Eine derartige Steigerung der Lebensqualität durch im Wege der Entschädigung zukommendes Geld ist nur dadurch möglich, dass dieses für solche Dinge oder Dienstleistungen verwendet wird, die an sich nicht oder jedenfalls nicht in dieser Menge oder in dieser Qualität zur normalen Lebensgestaltung des in seinen Rechten Verletzten gehören.

Damit ist zwar kein rechtlicher oder tatsächlicher Zwang verbunden, das Geld für diese Zwecke und nicht für den "normalen" allgemeinen Lebensunterhalt zu verwenden (s. dazu BT-Drs. 17/3404 Seite 94 zu § 11a Absatz 3 SGB II). Das ist aber auch nicht erforderlich (vgl. dazu auch Stotz, NZS 2015, 410). Der von dem Gesetzgeber gewollte Zweck der Entschädigungsleistungen nach § 198 Abs. 2 GVG unterscheidet sich deutlich von dem Zweck der Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II (so im Ergebnis auch Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 11a RdNr. 38 ff. auch in Auseinandersetzung mit der Auffassung von u.a. Stotz, a.a.O.). Die gegenteilige Auffassung in dem von dem Beklagten zitierten Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 19. November 2015 (Az.: L 15 SF 23/15 EK AS PKH) enthält - jedenfalls zu diesem Aspekt - keine zwingenden Argumente (kritisch dazu auch Schweigler, SGb 2017, 314 und Söhngen a.a.O. Rn 38.2).

Zwar hat das Bundessozialgericht gelegentlich (vgl. etwa Urteil vom 23. März 2010, Az.: B 8 SO 17/09 R, SozR 4-3500 § 82 Nr. 6) im Rahmen der Prüfung einer möglichen Zweckbestimmung einer Leistung die Frage aufgeworfen, ob denn mit der Gewährung der Leistung die Erwartung einer bestimmten Verwendung der Leistung verbunden sei. Andererseits hat es aber auch (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2007, Az.: B 8/9b SO 20/06 R, SozR 4-3500 § 90 Nr. 1) Landesblindengeld als zweckbestimmt im Sinn von § 83 Abs. 1 SGB XII angesehen, obwohl mit dieser Leistung keine konkrete Verwendungserwartung verbunden ist. Zwar soll das Blindengeld für den Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen dienen, ob allerdings ein konkret fassbarer Mehrbedarf in der Höhe der Leistung besteht und der Blinde diese zur Deckung des Mehrbedarfes verwendet, ist weder Anspruchsvoraussetzung, noch wird es überhaupt geprüft. Dasselbe gilt auch hinsichtlich der erhöhten Hinterbliebenenrente für das sogenannte Sterbevierteljahr (§ 82 Satz 1 Nr. 6 und 7 SGB VI). Die erhöhte Leistung wird in der gesetzgeberischen Erwartung eines erhöhten Bedarfes des überlebenden Ehegattens während des Sterbevierteljahres gewährt (BSG, Urteil vom 11. Januar 1990, Az.: 7 RAr 128/88, SozR 3-4100 § 138 Nr. 1). Allerdings ist dieser weder Voraussetzung der Gewährung noch wird die Verwendung der erhöhten Rente für diesen Zweck in irgendeiner Weise kontrolliert. Das Bundessozialgericht hat in diesem Zusammenhang den Ausdruck "zweckgebunden" in der früheren Vorschrift des § 138 Abs. 3 Nr. 3 AFG dahin ausgelegt, dass darunter alle diejenigen Leistungen fallen, die aus einem bestimmten Anlass und in einer bestimmten Erwartung gegeben werden und die der Empfänger im Allgemeinen für den bestimmten Zweck verwenden wird, ohne dass er hierzu aber angehalten werden könnte. Im Grundsatz genauso verhält es sich mit dem Überbrückungsgeld nach § 51 Abs. 1 StVollzG, das das Bundessozialgericht ebenfalls als zweckbestimmt angesehen hat (vgl. Urteil vom 28. Oktober 2014, Az.: B 14 AS 36/13 R, Az.: SozR 4-4200 § 37 Nr. 7), das aber nach § 51 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nur ausnahmsweise einer Verwendungskontrolle unterliegt, wobei auch insoweit gesetzlich die Verwendung zu dem intendierten Zweck nicht vorgeschrieben ist. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Anrechnung jedenfalls eines Teiles des Überbrückungsgeldes durch § 11a Abs. 6 SGB II in der seit dem 1. August 2016 geltenden Fassung nunmehr doch ausdrücklich vorgeschrieben ist. Das ändert nichts daran, dass die Leistung von dem Gesetzgeber wenigstens teilweise als einem anderen Zweck als für den Lebensunterhalt des Strafentlassenen zu dienen bestimmt angesehen wird. Noch weitergehend war die Auffassung des Bundessozialgerichtes zu Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz (Urteil vom 3. April 1963, Az.: 7 RAr 72/61, SozR 4 zu § 150 AVAVG), wonach die Zweckbindung neben der beabsichtigten Verwendung der Leistung wesentlich auch aus dem gesetzgeberischen Motiv für die Bewilligung erwächst (so auch BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az.: B 8 SO 17/09 R, SozR 4-3500 § 82 Nr. 6, unter ausdrücklichem Hinweis darauf, dies könne auch - wie im vorliegenden Zusammenhang - durch die Formulierung "zum Ausgleich" in den Gesetzesmotiven zum Ausdruck gebracht werden).

Der Beklagte kann sich demgegenüber zur Stützung seiner gegenteiligen Auffassung nicht auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes (Urteil vom18. Februar 1999, Az.: 5 C 16/98, NJW 1999, 3210) berufen. In der genannten Entscheidung hat sich das Bundesverwaltungsgericht im Kern nur mit der - von ihm verneinten - Frage befasst, ob das Kriterium der Zweckbestimmung einer Leistung zur Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen tauglich sei. Nur nebenbei hat es in diesem Zusammenhang in Bezug auf eine mögliche Zweckbestimmung den Gesichtspunkt erwähnt, ob die Leistung "final zu etwas" erbracht worden sei. Daraus kann allerdings nicht einmal der Schluss gezogen werden, das Bundesverwaltungsgericht habe für die Annahme einer Zweckbestimmung die Erbringung einer Leistung "final zu etwas" als unverzichtbares Abgrenzungskriterium annehmen wollen. Eine solche Auffassung wäre auch eher nicht mit den bereits dargestellten Entscheidungen des Bundessozialgerichts vereinbar und gäbe deshalb nicht Veranlassung, diese für überholt zu halten. Im Übrigen ist nach Auffassung des Senats die Entschädigung wegen Schäden nach § 198 Abs. 2 GVG zugleich "kausal für" - nämlich wegen der Verletzung des Grund- und Menschenrechts auf Rechtsschutz in angemessener Zeit - als auch "final zu" - zur Verwendung zum Ausgleich der erlittenen Nachteile - bestimmt. Dies gilt in gleicher Weise etwa auch im Hinblick auf die erhöhte Hinterbliebenenrente im Sterbequartal: Diese wird ebenfalls zugleich "kausal für" - nämlich wegen der von dem Versicherten gezahlten Rentenversicherungsbeiträge und wegen seines Versterbens - als auch "final zu" - zum Bestreiten der vermuteten erhöhten Ausgaben - gewährt. Für den Senat ist im Übrigen nicht vorstellbar, dass eine öffentlich-rechtliche Leistung im Bereich der gewährenden Verwaltung ohne kausalen Bezug gewährt wird, so dass nach seiner Auffassung dieses Kriterium zur Unterscheidung zweckbestimmter von anderen Leistungen ohnehin nicht tauglich erscheint.

Der Rechtsauffassung des Beklagten steht auch entgegen, dass sie verfassungsrechtlich bedenklich im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit und die Gewährung effektiven sozialen Rechtsschutzes wäre (zusammenfassend dazu Gaier, NJW 2013, 2871, 2872). Sie könnte nämlich dazu führen, dass Bezieher von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII ihren Anspruch auf die Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit weniger verwirklichen könnten, als andere Rechtsschutz Suchende. Eine im Ergebnis ja pauschale Versagung einer Entschädigung für den Bezieher einer Leistung nach dem SGB II oder dem SGB XII könnte bewirken, dass in der täglichen Praxis der Gerichte etwa der Eindruck entstehen könnte, derartige Verfahren unterlägen per se nicht dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot, so dass solche Verfahren womöglich nur nachrangig abgearbeitet werden würden (darauf weist auch Schweigler, SGb 2017, 314 hin).

Da die dem Kläger zustehenden Entschädigungsleistungen schon in Anwendung von § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II und § 83 Abs. 1 SGB XII nicht als Einkommen zu berücksichtigen gewesen sind, bedarf es keiner vertieften Prüfung der Frage, ob die Anwendung von § 11a Abs. 2 SGB II oder § 83 Abs. 2 SGB XII zu demselben Ergebnis führen würde.

Der Kläger hat wegen der unangemessenen Dauer des Ausgangsrechtsstreites bei dem SG Hildesheim Anspruch auf Entschädigung für durch die Verfahrensdauer eingetretene Nichtvermögensschäden in Höhe von 2.400,00 EUR.

Der Anspruch ergibt sich aus der Anwendung § 202 Abs. 1 Satz 2 SGG i.V.m. § 198 Abse. 1 und 2 GVG. Der Ausgangsrechtsstreit hat die angemessene Verfahrensdauer um 24 Kalendermonate überschritten. Besondere Gesichtspunkte, die für ein Abweichen von der gesetzlich vorgesehenen Regelentschädigung von 1.200,00 EUR je Jahr der Verzögerung sprächen, sind nicht geltend gemacht. Sie sind auch sonst - auch in Kenntnis der Entscheidung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt (Urteil vom 26. April 2016, Az.: L 10 SF 5/15 EK) - nicht ersichtlich.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vergleiche etwa Urteil vom 3. September 2014, Az. B 10 ÜG 2/13 R, SozR 4-1720 § 198 Nr. 3) ist die Frage einer etwaigen Verzögerung eines Rechtsstreites in einem dreischrittigen Verfahren zu ermitteln. Danach ist zunächst die Gesamtdauer des Ausgangsrechtsstreites festzustellen (Schritt 1). Sodann ist diejenige Verfahrensdauer zu bestimmen, die angemessen gewesen wäre (Schritt 2). Hierzu ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien zu messen, die auch unter Heranziehung der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG auszulegen und zu vervollständigen sind. In den Rahmen der hierzu dem Gericht des Ausgangsverfahrens zuzubilligenden Zeitdauer sind zu der angemessenen Verfahrensdauer neben den Zeiten einer aktiven Förderung des Verfahrens durch das Ausgangsgericht auch weitere Zeiten zu zählen. Hierzu gehören Zeiten, in denen das Ausgangsgericht gerechtfertigter Weise auf Mitwirkungshandlungen der Verfahrensbeteiligten oder von Dritten gewartet oder aus sonstigen, von den Verfahrensbeteiligten zu vertretenden Gründen an einer aktiven Förderung des Verfahrens gehindert gewesen ist. Zudem sind auch solche Zeiten bei der Bemessung der angemessenen Dauer zu berücksichtigen, in denen das Gericht etwa auf den Ausgang eines anderen Rechtsstreites gewartet hat, wenn zu erwarten war, dass das Ergebnis des anderen Verfahrens für das Ausgangsverfahren von Relevanz sein würde oder wenn die Beteiligten ausdrücklich einem Abwarten zugestimmt haben. Schließlich ist zu beachten, dass nach dem Eingang eines von den Beteiligten eingereichten Schriftsatzes von gewissem Umfang, der sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens auseinandersetzt, auch ohne im einzelnen nachzuvollziehende Tätigkeiten des Ausgangsgerichtes generell von einer Überlegungs- und Bearbeitungszeit von einem Monat auszugehen ist (vgl. zu allem BSG, Urteil vom 3. September 2014, Az.: B 10 ÜG 12/13 R, SozR 4-1720 § 198 Nr. 4).

Hinsichtlich des letztgenannten Punktes ist im vorliegenden Verfahren - worauf das beklagte Land im Grundsatz zutreffend hinweist - zu berücksichtigen, dass der Kläger das Gericht im Ausgangsverfahren mit einer Vielzahl von teilweise sehr langen und nur schwer nachvollziehbaren Schriftsätzen, die zum großen Teil nichts mit dem Streitgegenstand des Verfahrens zu tun hatten, konfrontiert hat. Hierauf wird noch gesondert einzugehen sein.

In einem dritten Schritt ist durch einen Vergleich der Gesamtdauer mit der angemessenen Dauer festzustellen, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat. Als Ergebnis des Vergleiches ergibt sich gegebenenfalls die Anzahl der Monate der Überlänge eines Verfahrens, wobei im Rahmen dieses Prüfungsschrittes neben den Zeiten einer angemessen Verfahrensförderung auch eine weitere Zeit von - vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte - 12 Monaten je Instanz als Vorbereitungs- und Bedenkzeit des Gerichtes des Ausgangsverfahrens in Ansatz zu bringen sind.

Das im vorliegenden Fall zu beurteilende Ausgangsverfahren hat vom 7. März 2011 bis zum 27. April 2017 gedauert.

Durch einen Vergleich der tatsächlichen mit der angemessenen Dauer des Verfahrens zuzüglich der Vorbereitungs- und Bedenkzeit, errechnet sich eine Überlänge des hier zu prüfenden Ausgangsverfahrens. Für die Bemessung der Überlänge des Verfahrens kommt es auf ein Verschulden des/der die Sache bearbeitenden Richter nicht an, so dass der Senat hierzu ausdrücklich keine Feststellungen trifft.

a) Soweit der Kläger möglicherweise geltend macht, in dem Verfahren müssten auch die von ihm angeblich erlittenen Eigentumsnachteile hinsichtlich der geltend gemachten Verletztenrente entschädigt werden, so ist dies nicht Gegenstand des Verfahrens. Im Verfahren auf Erlangung einer Entschädigung wegen Überlänge nach § 198 GVG sind die materiellen Nachteile, um die in den zu betrachtenden Gerichtsverfahren gestritten wurde, nicht erneut Gegenstand der Entschädigung.

b) Grundsätzlich ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht geltend macht, der dem Verfahren zugrunde liegende Sachverhalt sei insoweit relativ komplex gewesen, als Tatsachen in den Niederlanden zu ermitteln gewesen sind. Verfahren mit einer solchen Auslandsbeteiligung sind naturgemäß aufwendiger und mit erheblichem Zeitaufwand verbunden. Der Kläger selbst hatte im Widerspruchsverfahren lediglich die Einbehaltung der ihm zustehenden Nachzahlung zum Gegenstand gemacht. Daher war seine Behauptung - im Klageverfahren - schon in den Niederlanden sei seine Asbestose festgestellt worden, nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens und musste daher im Gerichtsverfahren aufgeklärt werden.

c) Zu einem ersten Stillstand in der Förderung des Verfahrens ist es daher erst in dem Zeitraum zwischen September 2012 und dem Eingang des Gutachtens von Prof. Dr. H. im Oktober 2013 gekommen (zwölf Monate). In diesem Zeitraum lässt sich nicht erkennen, dass das Verfahren gefördert worden ist.

d) Anschließend ist das Verfahren im Dezember 2013 dem Terminsfach zugeordnet worden. Bis zum Erlass der Beweisanordnung (Gutachten Dr. I.) im April 2014 ist das Verfahren dann erneut vom Gericht nicht betrieben worden (drei Monate).

e) Nach Eingang des Gutachtens von Dr. I., Stellungnahme der Beteiligten hierzu und der Durchführung der Nachfrage bei Dr. I. ist es ab März 2015 erneut nicht zu einer weiteren Förderung des Verfahrens gekommen bis zu der Terminsladung im Juni 2015 (drei Monate).

f) Nach Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung im Juni 2015 lässt sich eine weitere Förderung des Verfahrens durch das Gericht bis zum Gerichtsbescheid im April 2017 ebenfalls nur erkennen, soweit im Juli 2015 angefragt wurde, ob die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien und im März 2017 eine Prozesskostenhilfebeschluss ergangen ist. Dabei ist aus der Gerichtsakte nicht zu ersehen, ob die zahlreichen Sachstandsanfragen und Notizen über persönliche Besuche des Klägers beim Gericht dem Kammervorsitzenden je vorgelegt worden sind (21 Monate).

g) Insgesamt ist es also zu 39 Monaten Verfahrenslaufzeit gekommen, ohne dass erkennbar wäre, dass das Verfahren gefördert wurde. Insoweit weist das beklagte Land zutreffend darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG - vgl. etwa das Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R) den Gerichten grundsätzlich eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten zusteht. Eine derartige Zeit ist jeweils regelmäßig als angemessen anzusehen. Diese zwölf Monate sind also von den insgesamt 39 Monaten bereits errechneten Monaten abzusetzen.

Der Senat hält es für angemessen, dieser üblichen Vorbereitungs- und Bedenkzeit weitere drei Monate Vorbereitungs- und Bedenkzeit hinzuzurechnen. Dies ergibt sich für den Senat insbesondere aus der Vorgehensweise des Klägers, der das Gericht neben den Schriftsätzen seines Prozessbevollmächtigten mit zahlreichen weiteren, nur schwer nachvollziehbaren und im Wesentlichen nicht den Streitgegenstand des Verfahrens betreffenden Schriftsätzen konfrontiert hat. Dies hat es dem Sozialgericht in erheblicher Weise erschwert, das Verfahren zu überblicken und zu fördern. Der Senat hält aus diesem Grund einen Aufschlag von drei Monaten auf die übliche Vorbereitungs- und Bedenkzeit in diesem Fall für angemessen.

Der Senat hält es vorliegend aber nicht für angemessen, weitere 12 Monate Vorbereitungs- und Bedenkzeit im Hinblick auf das Berufungsverfahren zu berücksichtigen. Der Kläger hat hier das am 15. Mai 2017 eingeleitete Berufungsverfahren nämlich alsbald nach Beratung durch seine neue Prozessbevollmächtigte bereits am 14. Juni 2017 durch Rücknahme beendet. Vor diesem Hintergrund hält es der Senat nicht für angemessen, die Zeit des Berufungsverfahrens in seine Prüfung miteinzubeziehen - weder als verlängernd im Hinblick auf das erstinstanzliche Verfahren, noch im Wege der Zubilligung weiterer Vorbereitungs- und Bedenkzeiten, die hier gar nicht angefallen sein können.

Es verbleiben für das Verfahren S 21 U 28/11 insgesamt 24 Monate an Überlänge, die vom beklagten Land zu entschädigen sind.

h) Soweit das beklagte Land weiter geltend macht, diese 24 Monate seien insgesamt ebenfalls auf das - in der Tat höchst ungewöhnliche - Vorgehen des Klägers zurückzuführen und daher nicht zu entschädigen, vermag dies nicht zu überzeugen. Insoweit ist - wie ausgeführt - zunächst einzuräumen, dass die zahlreichen Eingaben und Schriftsätze des Klägers, die dieser neben seinem Prozessbevollmächtigten eingereicht hat, in ihrem Ausmaß und in ihrer Gedankenführung bei Durchsicht der Gerichtsakte zu einer erheblichen Belastung des Lesers führen. Dies rührt nicht nur von den - auch vom Kläger eingeräumten - zahlreichen Fehlern, sondern auch von dem höchst aggressiven und pauschalen Vorwürfen des Klägers gegen alle Mitarbeiter der Justiz und in anderen öffentlichen Stellen der Bundesrepublik Deutschland. Gleichwohl ist aber nicht zu erkennen, dass diese Schriftsätze das SG zu einer vermehrten Arbeit an der Akte veranlasst haben. Gleichzeitig ist der schwere Lebenslauf des Klägers und seine schwere Erkrankung auf psychiatrischem Gebiet, die bereits zu Anfang des Verfahrens deutlich geworden ist, in den Blick zu nehmen und zu berücksichtigen. Wissend, dass der Kläger schwer erkrankt ist, kann also aus diesen Schriftsätzen nicht auf eine Besonderheit des Verfahrens geschlossen werden, die es erlauben würde, die weiteren eingetretenen 24 Monate der Verzögerung außer Acht zu lassen.

Insgesamt errechnen sich also 24 Monate unangemessener Verfahrenslaufzeit, sodass sich unter Berücksichtigung von § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG die aus dem Tenor ersichtliche Verurteilung ergibt. Die weitergehende Klage ist unter Berücksichtigung dessen unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO.

Anlass für die Zulassung der Revision in Anwendung von § 160 Abs. 2 SGG besteht nicht.

Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 GKG.