Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.09.1997, Az.: VI 93/94
Anforderungen an die Gewährung von Sonderabschreibungen (Sonder-AfA); Voraussetzungen der Zonenrandförderung; Begriff der Absetzung für Abnutzung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 16.09.1997
- Aktenzeichen
- VI 93/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 16003
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:0916.VI93.94.0A
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 4 Nr. 2 EStG
- § 3 ZRFG
Verfahrensgegenstand
Zonenrandförderung
Der VI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 16. September 1997,
an der mitgewirkt haben:
Präsident des Finanzgerichts ... als Vorsitzender
Richterin am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ... Kaufmann
ehrenamtlicher Richter in ... Industriekauffrau
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Ablehnungsbescheid vom 4. Oktober 1993 sowie der Beschwerdebescheid der Oberfinanzdirektion Hannover vom 2. Februar 1994 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, Sonderabschreibungen gemäß § 3 ZRFG in Höhe von 476.079 DM für die Bilanz auf den 31. Dezember 1990 zu gewähren.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Sonderabschreibungen (Sonder-AfA) nach § 3 Zonenrandförderungsgesetz (ZRFG) für das Jahr 1990.
Die Klägerin betreibt im Rahmen einer Betriebsaufspaltung als Betriebsunternehmen Ingenieur- und Industriebau. Das für den Betrieb erforderliche Sachanlagevermögen ist von einer den Gesellschaftern gehörenden Kommanditgesellschaft gepachtet.
In der Bilanz zum 31. Dezember 1990 wies die Klägerin als Zugänge beim Anlagevermögen den Betrag von 1.035.557 DM für die Anschaffung von Eigentumswohnungen aus. Hiervon entfielen 77.226 DM auf den Grund und Boden und 952.158 DM auf die Anschaffung der Wohnungen. Neben den Absetzungen für Abnutzung nach § 7 Abs. 4 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) machte die Klägerin Sonder-AfA nach § 3 ZRFG in Höhe von 50 v.H. der Anschaffungskosten für die Wohnungen geltend.
Das Finanzamt (FA) führte entsprechend der Körperschaftsteuererklärung der Klägerin die Körperschaftsteuerveranlagung durch; der Körperschaftsteuerbescheid 1990 vom 8. Juli 1991 erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Eine Anfrage des FA vom 18. Juni 1991 betreffend die Verwendung der Wohnungen zu eigenbetrieblichen Zwecken beantwortete die Klägerin mit Schreiben vom 13. September 1991 dahingehend, daß es sich bei den Wohnungen um Musterwohnungen handele, die potentiellen Interessenten als Anschauungsobjekte vorgeführt würden. Die Klägerin stellte am 13. Oktober 1991 einen förmlichen Antrag auf Bewilligung von Sonder-AfA nach § 3 ZRFG.
In der Zeit vom 27. Juli bis 12. August 1993 führte das FA bei der Klägerin für die Veranlagungszeiträume 1989 bis 1991 eine Außenprüfung durch. Der Außenprüfer ermittelte, daß die vier von der Klägerin erworbenen Wohnungen von Anfang an zu Wohnzwecken an vier verschiedene Personen vermietet worden seien. Der Mietzins betrug ca. 11,20 DM je qm Wohnfläche zuzüglich Nebenkosten. Die Mietverträge enthalten folgende Klausel:
"Das angemietete Objekt ist eine Musterwohnung der Fa. G. Bauunternehmung GmbH und die Vertragspartner kommen überein, daß über die grundsätzliche Einsichtnahme in das Mietobjekt durch die Vermieter die Vertreter der Firma G. Bauunternehmung GmbH nach vorheriger Absprache berechtigt sind, Auftraggeber-Interessenten die Wohnung im Hinblick auf Bauweise und Ausstattung vorzuführen."
Das FA lehnte den Antrag auf Gewährung von Sonder-AfA durch Bescheid vom 4. Oktober 1993 mit der Begründung ab, daß die Voraussetzungen nach Tz. 6 des Schreibens des Bundesfinanzministeriums (BMF-Schreiben) vom 27. Dezember 1987 für die vier Eigentumswohnungen nicht erfüllt seien. Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Beschwerdeverfahren die Klage, zu deren Begründung die Klägerin vorträgt, sie habe durch die Klausel in den Mietverträgen, die die jeweiligen Wohnungen als Musterwohnungen ausweise, eine weiträumige Verfügungsmacht über diese Wohnungen behalten. Die Klausel enthalte keine Begrenzung hinsichtlich der Anzahl von Interessenten pro Tag oder Monat noch sei eine zeitliche Begrenzung der Rechtsposition in den Mietverträgen vereinbart. Die Wohnungen dienten Vorführzwecken, um die Produktionspalette des Unternehmens einem interessierten Publikum vorführen zu können. Sie habe Aufträge sehr häufig aufgrund der Besichtigungsmöglichkeiten der Wohnungen erhalten.
Zur Vermietung sei es gekommen, weil die Bilanz zum 31. Dezember 1989 einen Fehlbetrag von 239.202 DM ausgewiesen. Es sei notwendig gewesen, die Wohnungen zu vermieten, um die Verluste nicht zu vergrößern und um nicht unnötige Aufwendungen für die leerstehenden Wohnungen entstehen zu lassen. Außerdem hätten die Wohnungen als Sicherheiten gegenüber der Norddeutschen Landesbank gedient. Mit dem Erwerb der Wohnungen habe die Klägerin ihr Eigenkapital aufgestockt und im Gegenzug hätten die Gesellschafter-Geschäftsführer ihre selbstschuldnerischen Bürgschaften reduzieren können.
Insgesamt habe sich die Anschaffung der Wohnungen als eine fördernde Maßnahme für den Betrieb des Baugeschäftes dargestellt.
Die Klägerin beantragt,
den Ablehnungsbescheid vom 4. Oktober 1993 sowie den Beschwerdebescheid vom 2. Februar 1994 aufzuheben und die Finanzbehörde zu verpflichten, Sonder-AfA gemäß § 3 ZRFG in Höhe von 476.079 DM zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Gewährung von Sonder-AfA nach § 3 ZRFG handele es sich um eine Ermessensausübung. Die Finanzbehörde habe innerhalb des durch § 3 ZRFG gezogenen Ermessensrahmen in Gestalt des BMF-Schreibens vom 27. Dezember 1989, Bundessteuerblatt - BStBl - I 1989, 518 Ermessensrichtlinien aufgestellt. Nach Tz. 6 der Richtlinien zu § 3 ZRFG sei u.a. Voraussetzung, daß unbewegliche Wirtschaftsgüter zum Anlagevermögen einer Betriebsstätte des Steuerpflichtigen im Zonenrandgebiet gehörten und zu eigenbetrieblichen Zwecken verwendet würden. Entgegen der Auffassung der Klägerin stehe im vorliegenden Fall die Fremdvermietung zu Wohnzwecken im Vordergrund und nicht die Verwendung zu eigenbetrieblichen Zwecken. Die in den Mietverträgen vereinbarte Besichtigungsklausel führe zu keiner anderen Beurteilung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Das FA zu Unrecht die Gewährung der Sonder-AfA nach § 3 ZRFG in Höhe von 50 v.H. der Anschaffungskosten für die Wohnungen versagt.
Nach § 3 Abs. 1 ZRFG kann bei Steuerpflichtigen, die in einer gewerblichen Betriebsstätte im Zonenrandgebiet Investitionen vornehmen, im Hinblick auf die wirtschaftlichen Nachteile, die sich aus den besonderen Verhältnissen dieses Gebiets ergeben, auf Antrag zugelassen werden, daß bei den Steuern vom Einkommen einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuern mindern, schon zu einem früheren Zeitpunkt berücksichtigt werden; insbesondere dürfen unter bestimmten Voraussetzungen bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens Sonderabschreibungen gewährt werden (§ 3 Abs. 2 ZRFG). Nach dem Wortlaut des § 3 ZRFG handelt es sich bei den von der Finanzverwaltung zu treffenden Entscheidungen um Ermessensentscheidungen. Innerhalb des durch § 3 ZRFG gezogenen Ermessensrahmens können die Finanzbehörden zur Regelung bestimmter Gruppen gleichgelagerter Fälle Ermessensrichtlinien aufstellen und hierbei die Gewährung von Sonderabschreibungen von Voraussetzungen abhängig machen, die im Gesetz selbst nicht genannt sind, sofern diese zusätzlichen Voraussetzungen einer sachgerechten Ermessensausübung entsprechen (Urteile des Bundesfinanzhof - BFH - vom 21. April 1983 IV R 217/82, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1983, 532; vom 10. Februar 1988 VIII R 159/84, BStBl II 1988, 653 m.w.N. zur Rechtsprechung). Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 27. Dezember 1989 a.a.O. Ermessenskriterien für die Gewährung von Sonderabschreibungen gemäß § 3 ZRFG aufgestellt. Die Finanzgerichte sind gemäß § 102 Finanzgerichtsordnung (FGO) darauf beschränkt, diese Ermessenskriterien und deren Anwendung durch die Finanzbehörde daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
Im Streitfall ist ein derartiger Ermessensfehler des beklagten FA bei Anwendung des BMF-Schreibens vom 27. Dezember 1989 feststellbar.
Nach I Ziff. 4 Abs. 1 des Schreibens werden u.a. Sonderabschreibungen zugelassen, wenn die beweglichen und unbeweglichen Wirtschaftsgüter sowie die ausgebauten oder hergestellten Teile der Gebäude zum Anlagevermögen einer Betriebsstätte des Steuerpflichtigen im Zonenrandgebiet gehören, in jedem Jahr von Steuerpflichtigen zu nicht mehr als 10 v.H. privat genutzt werden und die unbeweglichen Wirtschaftsgüter und die ausgebauten oder hergestellten Teile der Gebäude vom Steuerpflichtigen zu eigenbetrieblichen Zwecken verwendet werden. Diese Voraussetzungen müssen mindestens drei Jahre nach Anschaffung oder Herstellung der Wirtschaftsgüter oder nach Beendigung der Ausbauten oder Erweiterungen vorliegen.
Im vorliegenden Fall gehören die Wohnungen, für die die Klägerin Sonderabschreibungen begehrt, zu ihrem Anlagevermögen, und sie wurden von ihr als Steuerpflichtiger auch nicht privat genutzt. Dies schon allein deshalb nicht, weil für eine private Nutzung durch die Klägerin selbst kein Raum ist. Die Wohnungen verblieben auch unstreitig mindestens drei Jahre im Betriebsvermögen der Klägerin; sie gehören nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung auch heute noch zu ihrem Betriebsvermögen.
Fraglich kann deshalb allein sein, ob es an der Verwendung zu eigenbetrieblichen Zwecken der Klägerin fehlt.
Nach I Ziff. 4 Abs. 7 des BMF-Schreibens vom 27. Dezember 1989 ist - im Anschluß an die Rechtsprechung des BFH - unter Verwendung zu "eigenbetrieblichen Zwecken" eine im Gegensatz zu fremdbetrieblichen Zwecken, zu fremden Wohnzwecken oder zu eigenen Wohnzwecken stehende Verwendung zu verstehen. Dabei nimmt das BMF-Schreiben vom 27. Dezember 1989 eine Konkretisierung im Falle der Vermietung oder Verpachtung von Gebäuden dahingehend vor, daß vermietete oder verpachtete Gebäude als zu eigenbetrieblichen Zwecken verwendet gelten, wenn die Vermietung oder Verpachtung über eine bloße Vermögensverwaltung hinausgeht und der Mieter oder Pächter in dem Gebäude selbst keine Betriebsstätte unterhält und keine gemeinnützige oder hoheitliche Tätigkeit ausübt. Ausdrücklich als Beispielsfall wird hierfür die gewerbliche Vermietung von Ferienwohnungen angeführt. Daraus folgt, daß nach den von der Finanzbehörde selbst entwickelten Ermessenskriterien auch andere, nicht ausdrücklich geregelte Fälle der Verwendung zu eigenbetrieblichen Zwecken denkbar sind. Es fehlt deshalb an einer Ermessensausübung durch den Beklagten, wenn dieser insoweit nicht in eine Überprüfung des Sachverhaltes eingetreten ist. Eine solche Ermessensausübung hätte - in Gestalt einer Ermessenseinengung - zu der Auslegung führen müssen, daß hier die Sonderabschreibung gemäß § 3 ZRFG zu gewähren ist.
Im vorliegenden Fall sind die vier Wohnungen, für die Sonderabschreibungen gewährt werden, zwar zu fremden Wohnzecken vermietet, ihre Vermietung geht jedoch über eine bloße Vermögensverwaltung der Klägerin hinaus.
Die Klägerin erzielt einen nicht unerheblichen Teil ihrer Einnahmen aus der Herstellung von Wohnungen für Bauträger. Wenn sie vier Wohnungen, die jeweils einen unterschiedlichen Zuschnitt aufweisen, als Vorführobjekt bereithält, so stellt dies einen eigenbetrieblichen Zweck dar, denn es kann nicht zweifelhaft sein, daß die Belange der Klägerin durch die Möglichkeit, Interessenten Wohnungen zu zeigen, gefördert werden. Das Bereithalten von Vorführobjekten ist im Bereich von Firmen, die sich mit der Erstellung von Wohngebäuden befassen, durchaus üblich. Die Klägerin kann ein mit Leben erfülltes Vorführobjekt anbieten, das sich auch in der Benutzung durch Mieter als vorzeigbar erweist. Ein über Jahre leerstehendes Mietwohngrundstück mit vier Wohnungen kann nach dem gewöhnlichen Lebenssachverhalt gar kein Vorführobjekt darstellen, weil sich bei einem solchen Gebäude in unbewohntem Zustand gewöhnlich alsbald Verwahrlosungs- und Zerstörungserscheinungen zeigen, die es als Vorführobjekt ungeeignet machen würden. Wenn die Klägerin also in ihrem Betriebsvermögen auf Dauer Wohnungen hält und diese zu Vorführzwecken nutzt, so kann dies nahezu zwingend nur mit bewohnten Wohnungen geschehen.
Abgesehen davon ist ein betrieblicher Nutzen auch dadurch gegeben, daß die Klägerin die Kosten für die Vorführbarkeit von Wohnungen möglichst gering gehalten hat.
Es kommt nicht entscheidend darauf an, wie groß die Anzahl der Besichtigenden letztlich war. Da die Klägerin sich mit ihrem Angebot im wesentlichen nicht an Einzelerwerber, sondern an Bauträger wendet, die einen Gebäudekomplex erstellen lassen wollen, um ihn anschließend zu vermarkten, kann der Kreis der Besichtigenden notwendigerweise zahlenmäßig nicht sehr umfangreich gewesen sein.
Nach alledem ist davon auszugehen, daß die Klägerin mit den in ihren Betriebsvermögen befindlichen Wohnungen über die bloße Vermögensverwaltung hinaus eigenbetriebliche Zwecke verfolgt hat. Der Klage war stattzugeben.
Die Zulassung der Revision erfolgt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Der Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung zu. Denn Umfang und Grenzen der Verwendung eines bebauten Grundstücks zu eigenbetrieblichen Zwecken als Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von Abschreibungen gemäß § 3 ZRFG bedürfen einer Klärung durch höchstrichterliche Entscheidung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FG; der Beklagte ist der unterlegene Beteiligte.