Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.09.1997, Az.: II 536/96

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ; Versäumen der Investitionszulagenantragsfrist ; Ermittlung des zuständigen Betriebsstättenfinanzamtes

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
03.09.1997
Aktenzeichen
II 536/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 17851
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:0903.II536.96.0A

Fundstelle

  • NWB 1999, 306

Verfahrensgegenstand

Investitionszulage für das Wirtschaftsjahr 1993/1994

In dem Rechtsstreit
hat der II. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 3. September 1997,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ...
ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 1996 wird aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der an den Kläger zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Beklagte (Bekl.) für einen zunächst beim unzuständigen Betriebsstättenfinanzamt rechtzeitig eingegangenen und von diesem nach Ablauf der Investitionszulagenantragsfrist an das zuständige Wohnsitzfinanzamt weitergeleiteten Antrag auf Investitionszulage für das Wirtschaftsjahr 1993/94 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht abgelehnt hat.

2

Der Kläger (Kl.) erzielt Einkünfte aus land- und Forstwirtschaft. Er bewirtschaftet zusammen mit seiner Ehefrau in Betriebsgemeinschaft einen Hof. Die Einkünfte aus land- und Forstwirtschaft werden bei dem für die Einkommensbesteuerung zuständigen Bekl. (dem beklagten Finanzamt - FA -) einheitlich und gesondert festgestellt. Seit 1990 bewirtschaftet der Kl. außerdem einen Hof in A. (Sachsen-Anhalt); die Einkünfte hieraus werden vom Finanzamt E. als hierfür zuständigem Betriebsstättenfinanzamt gesondert festgestellt.

3

Streitig ist die Investitionszulage für das Wirtschaftsjahr 1993/94.

4

Der Kl. hatte bereits für das Wirtschaftsjahr 1990/91 beim Betriebsstättenfinanzamt E. für Investitionen in seinem Betrieb in A. Investitionszulage beantragt. Während des Antragsverfahrens fand eine Außenprüfung für diese Investitionszulage statt mit der Folge, daß die Investitionszulage nur zum Teil gewährt wurde, wobei sich die Bemessungsgrundlage dann im nachfolgenden Einspruchsverfahren nochmals änderte. Sie wurde endgültig festgesetzt mit Bescheid vom 18.11.1993.

5

Auch für das Wirtschaftsjahr 1991/92 hatte der Kl. beim Finanzamt E. Investitonszulage beantragt, die mit unter Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) ergangenem Bescheid vom 29.09.1993 zunächst auch gewährt wurde.

6

Schließlich beantragte der Kl. für das Wirtschaftsjahr 1993/94 (Streitjahr) am 14.09.1995 für weitere Investitionen in seinem Betrieb in A. eine Investitionszulage.

7

Nachdem das Finanzamt E. in der Zwischenzeit festgestellt hatte, daß es für die Besteuerung nach dem Einkommen nicht zuständig war, hob es mit Bescheid vom 29.11.1995 den Investitionszulagenbescheid 1991/92 nach § 164 Abs. 2 AO auf.

8

Der Kl. stellte daraufhin erneut einen Antrag auf Investitionszulage für das Wirtschaftsjahr 1991/92 nunmehr beim zuständigen Finanzamt B., dem Bekl. (Antrag vom 08.12.1995) und beantragte, wegen Versäumens der Antragsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung bezog er sich auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 11.03.1994 Aktenzeichen II 374/93 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1994, 1016).

9

Mit Schreiben vom 1.12.1995 beantragte der Kl., ihm auch für die Investitionszulage 1993/94 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren; man habe die Sachbearbeiterin beim Finanzamt E. gebeten, die notwendigen Unterlagen dem Bekl. zuzuleiten. Der Investitionszulagenantrag 1993/94 ging von dort am 29.04.1996 beim Bekl. ein.

10

Der Bekl. gewährte zwar unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Investitionszulage für das Wirtschaftsjahr 1991/1992, versagte aber Investitionszulage für das Wirtschaftsjahr 1993/1994. Für dieses Wirtschaftsjahr könne Wiedereinsetzung auch unter Berücksichtigung des angeführten Urteils des Niedersächsischen Finanzgerichts nicht gewährt werden, weil der Antragsvordruck zwischenzeitlich geändert worden sei und der Zuständigkeitshinweis nunmehr eindeutig gefaßt sei. Ferner sei die Zuständigkeit auch im Erläuterungsblatt nochmals in diesem Sinne eindeutig wiedergegeben.

11

Der Einspruch des Kl. hiergegen blieb ohne Erfolg.

12

Mit der Klage begehrt der Kl. weiterhin, ihm für die versäumte Antragsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

13

Zwar treffe es zu, daß das verwendete Antragsformular nunmehr einen zutreffenden Hinweis enthalte, wonach bei bloßer gesonderter Feststellung der Antrag bei dem für die Einkommensteuer zuständigen Finanzamt zu stellen sei. Das Niedersächsische Finanzgericht habe aber in dem entschiedenen Fall ausdrücklich darauf hingewiesen, daß auf die Zuständigkeit des für die Einkommensteuer zuständigen Finanzamts bei gesonderten Feststellungen nicht nur unmißverständlich, sondern auch optisch hervorgehoben hingewiesen werden müsse, weil die Finanzverwaltung es vordem jahrelang entgegen der gesetzlichen Regelung zugelassen habe, daß der Antrag beim Betriebsstättenfinanzamt eingereicht wurde. Außerdem habe der zuständige Sachbearbeiter des Prozeßbevollmächtigten auf die Zuständigkeit des Finanzamts E. für die Investitionszulage vertraut, da von diesem Finanzamt der Investitionszulagenantrag für das Wirtschaftsjahr 1991/92 zum einen bearbeitet worden sei, zum anderen sogar wegen dieser Investitionszulage eine Betriebsprüfung durchgeführt worden sei, die die Zuständigkeitsfrage nicht aufgegriffen habe. Außerdem habe im Streitfall das Finanzamt E. seine Obhutspflichten gegenüber dem Kl. verletzt. Nach § 89 Satz 1 AO solle nämlich die Finanzbehörde die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind. Deshalb dürfe ein Steuerpflichtiger erwarten, daß eine unzuständige Behörde den bei ihr abgegebenen Antrag im Rahmen eines ordentlichen Geschäftsgangs an die zuständige Behörde weiterleite. Dieses sei allerdings innerhalb angemessener Zeit hier nicht geschehen. So sei z.B. nach einem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 20.06.1995 (1 BvR 166/93 NJW 1995, 3173) einer Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein fristgebundener Schriftsatz im Rechtsmittelverfahren bei dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig gewesen sei, eingereicht und nicht mehr fristgerecht an das zuständige Rechtsmittelgericht weitergeleitet worden sei. Sei ein solcher Schriftsatz so rechtzeitig eingereicht worden, daß fristgerecht die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres hätte erwartet werden können, sei der Partei Wiedereinsetzung zu gewähren.

14

Der Kl. beantragt,

den Einspruchsbescheid aufzuheben.

15

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

16

Der Bekl. weist nochmals darauf hin, daß der Erläuterungstext im Antragsformular klar und eindeutig die Rechtslage wiedergebe, die Zuständigkeit zudem gesetzlich eindeutig (§ 6 Investitionszulagengesetz) geregelt sei und außerdem die formellen Voraussetzungen des Antragsverfahrens in einem dem Antragsformular beigefügten Erläuterungsblatt zutreffend erläutert gewesen seien. Bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt hätte es nicht dazu kommen können, daß der Investitionszulagenantrag beim falschen Finanzamt eingereicht worden wäre.

Entscheidungsgründe

17

Die Klage ist begründet.

18

Das FA hat dem Kl. zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Investitionszulagenantragsfrist gemäß § 110 AO versagt.

19

Soweit die Verspätung nämlich darauf beruht, daß der Antrag beim unzuständigen Finanzamt eingereicht worden war, ist ein Verschulden des Kl. ausgeschlossen.

20

Der erkennende Senat hat in seinem rechtskräftigen Urteil vom 11.03.1994, II 374/93 (EFG 1994, 1016) entschieden, auch einen steuerlichen Berater treffe kein Verschulden an der Versäumung der Investitionszulagenantragsfrist, wenn er den Antrag fristgerecht bei dem Betriebsstättenfinanzamt stelle und dieses im wesentlichen damit begründet, die Finanzverwaltung habe jahrelang entgegen der gesetzlichen Regelung die Stellung des Antrags auf Investitionszulage bei dem Betriebsstättenfinanzamt auch in Fällen der (nur) gesonderten Feststellungen zugelassen (vgl. zuletzt Tz. 83 des BMF-Schreibens vom 31. Dezember 1996, BStBl II 1997, 51) und durch die jahrelange, kommentarlose Verwendung eines dem Gesetz widersprechenden Belehrungstextes eine Art "Gefahrenlage" geschaffen, die die Beraterschaft zwangsläufig "verinnerlicht" habe und müsse deshalb, wolle sie zu einer dem Gesetz entsprechenden Verfahrensregelung zurückkehren, alles tun, um zu verhindern, daß die von ihr geschaffene Gefahrenlage zu Nachteilen der Anspruchsberechtigten führe; sie müsse deshalb klar und unmißverständlich die Gesetzeslage wiedergeben und durch unübersehbare, optische Hinweise den geänderten Belehrungstext kennzeichnen.

21

Der Senat hat in einem späteren Urteil vom 23.11.1995 II 252/94 (EFG 1996, 459) an seiner im erstgenannten Urteil ausführlich begründeten Auffassung festgehalten. Der Senat hält auch weiterhin hieran fest und nimmt wegen der Begründung im einzelnen zur Vermeidung von Wiederholungen auf die genannten Urteile des Senats Bezug.

22

Insbesondere folgt er nicht der Auffassung des Finanzgerichts Münster (Urteil vom 13.06.1995 16 K 2545/94 I, EFG 1996, 154), wonach es für die Frage des Verschuldens allein darauf ankomme, ob die gesetzliche Regelung klar und eindeutig sei, die Belehrung im Antragsvordruck diese nicht ersetzen könne und von einem steuerlichen Berater erwartet werden müsse, daß er die Belehrung in einem Antragsvordruck anhand des Gesetzestextes überprüfe, vor allem, wenn es sich um ein formell neues Gesetz handele und die im Vordruck verwendete Formulierung nicht eindeutig sei. Diese Sichtweise beinhaltet im Ergebnis letztlich eine Art Freibrief für jegliche Fehler der Finanzverwaltung, die jeweils auch zum Schaden der Steuerpflichtigen gereichen würden. Dies ist mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar.

23

Das für den Antrag der Kl. einschlägige und vom Kl. auch benutzte amtliche Antragsformular weist zwar anders als die vorhergehenden Antragsformulare nunmehr ausdrücklich darauf hin, daß bei der gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (im Gegensatz zur einheitlichen und gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen) der Antrag bei dem für die Besteuerung des Einkommens zuständigen Finanzamts abzugeben sei. Einen entsprechenden Hinweis enthalten zusätzlich die Erläuterungen zum Antragsformular.

24

Indes hat es die Finanzverwaltung versäumt, die Abkehr von der bisherigen Handhabung und Rückkehr zur eindeutigen Gesetzeslage auch optisch hervorzuheben. Hierzu wäre erforderlich gewesen, den Satz "Das gilt auch in den Fällen der gesonderten Feststellung" durch Fettschrift aus dem Gesamttext der wesentlichen Erläuterungen am Kopf des Antragsformulares herauszuheben.

25

Nach alledem ist ein verschulden des Prozeßbevollmächtigten des Kl. und damit ein diesem zuzurechnendes verschulden oder gar ein eigenes verschulden des Kl. ausgeschlossen und war dem Kl. deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

26

Etwas anderes könnte zwar möglicherweise - aber auch nur - dann gelten, wenn der Antrag auf einem mit inzwischen zutreffender Erläuterung versehenen Antragsformular beim unzuständigen Finanzamt eingereicht worden wäre, nachdem die hier streitige Antragsproblematik Gegenstand mehrerer veröffentlichter Entscheidungen der Finanzgerichte geworden war. Dann wäre es durchaus denkbar, einem steuerlichen Berater trotz der früheren Handhabung der Finanzverwaltung nunmehr ein verschulden zuzurechnen. Indes ist der Antrag hier bereits rd. ein Jahr vor der erstmaligen Veröffentlichung eines entsprechenden Urteils abgegeben worden.

27

Im Streitfall kommt außerdem hinzu, daß dem steuerlichen Berater und dem Kl. auch deshalb kein vorwurf gemacht werden kann, die Abgabe des Antrags beim Betriebsstättenfinanzamt veranlaßt zu haben, weil, ohne daß sich die Gesetzeslage in der Zwischenzeit geändert hatte, Investitionszulage für das Wirtschaftsjahr 1990/1991 noch vom unzuständigen Betriebsstättenfinanzamt gewährt worden war und der Zulagenbescheid zudem Gegenstand einer intensiven Überprüfung im Rahmen einer Außenprüfung und eines Einspruchsverfahrens war. Im Hinblick hierauf konnten sich Zweifel an der Zuständigkeit nicht ergeben.

28

Der Senat läßt offen, ob ein Steuerpflichtiger erwarten darf, daß eine unzuständige Finanzbehörde einen bei ihr eingegangenen Antrag im Rahmen eines ordentlichen Geschäftsganges alsbald an die zuständige Finanzbehörde weiterleitet, ob mithin ein verschulden des Kl. und seines Bevollmächtigten auch deshalb ausgeschlossen sein könnte, weil der Antrag bereits zwei Wochen vor

29

Ablauf der Antragsfrist beim Finanzamt E. eingegangen war, dieses aber erst nach mehreren Monaten seine Unzuständigkeit erkannt hatte.

30

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

31

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 136 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung (ZPO).