Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.03.1998, Az.: XII 986/97
Anerkennung von Stückzinsen als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen; Rechtsmissbrauch durch Verkauf von Wertpapieren und steuerliche Geltendmachung des daraus resultierenden Verlustes; Tatbestand des Rechtsmissbrauchs des § 42 Abgabenordnung (AO)
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 13.03.1998
- Aktenzeichen
- XII 986/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 18613
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1998:0313.XII986.97.0A
Rechtsgrundlagen
- § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG
- § 42 AO
- § 11 Abs. 2 EStG
- § 162 Abs. 2 AO
Fundstellen
- DB 1998, 1490 (Kurzinformation)
- DStRE 1998, 958-959 (Volltext mit amtl. LS)
- SteuerBriefe 1998, 968
Verfahrensgegenstand
Einkommensteuer 1996
In dem Rechtsstreit
hat der XII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
im Einverständnis der Beteiligten
durch
den Richter am Finanzgericht ... als Berichterstatter
gemäß § 79 a Abs. 3, 4 FGO ohne mündliche Verhandlung am 13. März 1998
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten der Kläger abgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung von Stückzinsen als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG).
Streitjahr ist das Jahr 1996.
Der Kläger ist Bankkaufmann. Er ist verheiratet und wird mit der Klägerin zusammen veranlagt. Er erwarb am 30.12.1996 Bundesobligationen SER, 98 1992/97 im Nennwert von 140.000,00 DM zum Kurswert von 140.448,00 DM. Diese Obligationen waren am 20.01.1997 mit einer Zinsgutschrift von 11.725,00 DM fällig. Am 30.12.1996 zahlte der Kläger Stückzinsen in Höhe von 11.171,32 DM.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger die gezahlten Stückzinsen als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen geltend.
Der Beklagte (das Finanzamt - FA-), lehnte den Ansatz der Stückzinsen als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen ab. Es vertrat die Auffassung, daß der Tatbestand der Einkunftserzielungsabsicht insoweit nicht erfüllt sei.
Gegen diese Entscheidung haben die Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben. Sie sind der Meinung, daß die gezahlten Stückzinsen zu Unrecht vom FA nicht als negative Einnahmen aus Kapitalvermögen berücksichtigt worden seien. Der Kauf sei in der Absicht erfolgt, einen Zinsüberschuß zu erzielen. Dies sei auch geschehen. Aus dem Saldo der gezahlten Stückzinsen und der erhaltenen Stückzinsen ergebe sich ein Überschuß von 553,68 DM. Auch unter Berücksichtigung der Bankspesen von 73,00 DM und des Kursrückgangs vom Kauf bis zur Einlösung (448,00 DM) sei ein Überschuß von 32,68 DM erzielt worden. Die Bundesobligationen seien am 30.12.1996 allein aus Renditegesichtspunkten gekauft worden. Auf die Frage, ob und ggf. wie die Wertpapiere finanziert worden seien, komme es nicht an.
Im übrigen sei § 42 AO nicht anwendbar, da die Vorschrift nicht wirtschaftlich unangemessenes Verhalten erfasse.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
für das Streitjahr Stückzinsen in Höhe von 11.171,32 DM als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen und den Einkommensteuerbescheid 1996 vom 24.03.1997 und den Einspruchsbescheid vom 10.12.1997 insoweit abzuändern.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die von den Klägern gewählte steuerliche Gestaltung stelle einen Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO dar. Für den Erwerb der Wertpapiere durch den Kläger am 30.12.1996 seien keine wirtschaftlich einleuchtenden Gründe erkennbar gewesen. Wertpapiere würden üblicherweise gekauft, um Erträge zu erzielen und Kursgewinne zu realisieren. Werde jedoch durch die Anlage das Gesamtkapital insgesamt vermindert, so sei Motiv für die Anschaffung der Wertpapiere allein eine Steuerersparnis. Unter Berücksichtigung der Anschaffungskosten, der gezahlten Stückzinsen, Finanzierungs- und Abwicklungskosten ergebe sich im Streitfall ein wirtschaftlicher Verlust von 325,32 DM. Motiv für die Anschaffung der Wertpapiere sei offenbar allein die beabsichtigte Steuerersparnis aufgrund der Tatsache gewesen, daß die gezahlten Stückzinsen von 11.171,32 DM in voller Höhe als negative Einnahmen aus Kapitalvermögen in 1996 berücksichtigt werden sollten, während die Zinserträge von 11.725,00 DM in 1997 größtenteils durch den Sparerfreibetrag von 12.200,00 DM abgegolten gewesen seien. Würden die gezahlten Stückzinsen als negative Einnahmen aus Kapitalvermögen in 1996 berücksichtigt, ergebe dies eine Steuerersparnis von 3.838,40 DM. Allein diese Steuerersparnis könne Motiv für die Anschaffung der Wertpapiere gewesen sein. Da für diese Gestaltung keine wirtschaftlichen, sondern ausschließlich steuerliche Gründe maßgebend gewesen seien, liege ein Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne des § 42 AO vor.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen im Einspruchs- und Klageverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Zutreffend hat das FA die im Streitjahr gezahlten Stückzinsen nicht steuermindernd berücksichtigt. Grundsätzlich kann der Erwerber einer Anleihe seit dem 01.01.1994 Stückzinsen im Jahr der Zahlung von seinen übrigen Einnahmen aus Kapitalvermögen abziehen. § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG ist durch das StMBG vom 21.12.1993, BStBl I 1994, 5, in der Weise geändert worden, daß auch hier nunmehr das allgemeine Abflußprinzip gem. § 11 Abs. 2 EStG gilt. Liegen demnach keine Einnahmen vor, so führen die Stückzinsen im Jahr der Zahlung grundsätzlich zu negativen Einkünften aus Kapitalvermögen (so auch Harenberg/Irmer, Die Besteuerung privater Kapitaleinkünfte, 2. Aufl. 1997, Rz. 1257).
Im Streitfall kam eine steuermindernde Berücksichtigung jedoch deshalb nicht in Betracht, weil die Kläger mit dem Verkauf der Wertpapiere am 20.01.1997 wirtschaftlich einen Verlust erlitten haben. Die von den Klägern gewählte Gestaltung erfüllt nach Auffassung des Gerichts den Tatbestand des Rechtsmißbrauchs gem. § 42 Abs. 1 AO.
Gemäß § 42 Abs. 1 AO kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Ein Mißbrauch im Sinne der Vorschrift liegt dann vor, wenn eine Gestaltung gewählt worden ist, die gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (BFH, BStBl II 1985, 3). Für die Abgrenzung einer zulässigen gegen eine von § 42 AO mißbilligten Gestaltung ist maßgebend, ob die Gestaltung von verständigen Parteien in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung gewählt würde oder nicht (BFH, BStBl II 1991, 607, 610; Grüne, Harzburger Steuerprotokoll 1996, 249, 276 mit weiteren Nachweisen auf die Rechtsprechung des BFH).
Im Streitfall sind diese Voraussetzungen des § 42 AO erfüllt. Für den Erwerb der Bundesobligationen durch den Kläger am 30.12.1996 sind keine wirtschaftlich einleuchtenden Gründe erkennbar. Ausgehend davon, daß nach zutreffender Rechtsprechung des BFH allein die wirtschaftliche Zielsetzung einer Gestaltung maßgebend ist, hat das FA zu Recht eine Berechnung des wirtschaftlichen Ergebnisses von Kauf und Verkauf der Bundesobligationen vorgenommen. Dieses Ergebnis berechnet sich wie folgt:
Endfälligkeitsbetrag | 140.000,00 DM | |
---|---|---|
zuzüglich Zinsgutschrift | 11.725,00 DM | |
abzüglich Anschaffungskosten | 140.448,00 DM | |
abzüglich Stückzinsen | 11.171,32 DM | |
abzüglich Bankspesen | 73,00 DM | |
abzüglich Finanzierungskosten (geschätzt) | 358,00 DM | |
Verlust | ./. | 325,32 DM |
Soweit die Kläger vorbringen, es habe sich ein Überschuß von 32,68 DM ergeben, folgt das Gericht diesem Vorbringen nicht, denn insoweit sind Finanzierungskosten für die Anschaffung der Bundesobligationen nicht mitberücksichtigt. Zutreffend hat das FA hierfür einen Betrag von 358,00 DM zugrunde gelegt. Motiv für die Anschaffung der Bundesobligationen und den drei Wochen später vorgenommenen Verkauf dieser Wertpapiere können deshalb nur steuerliche Gründe gewesen seien. Für die Kläger würde sich bei Berücksichtigung der gezahlten Stückzinsen von 11.171,32 DM als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen eine Steuerersparnis im Streitjahr von rund 3.800,00 DM ergeben. Andererseits wären die Zinserträge von 11.725,00 DM durch den Sparerfreibetrag und die Werbungskostenpauschale von 12.200,00 DM in 1997 abgegolten Entgegen der Auffassung der Kläger kommt es nach Meinung des Gerichts im Rahmen des § 42 AO sehr wohl auf das wirtschaftliche Ergebnis einer steuerlichen Gestaltung an. Unter Berücksichtigung dessen sind auch etwaige Finanzierungskosten für ein Darlehen zum Erwerb der Wertpapiere in die Betrachtung mit einzubeziehen. Die Kläger sind in diesem Zusammenhang sowohl vom FA als auch vom Gericht aufgefordert worden, die Art und Weise der Finanzierung der Bundesobligationen nachzuweisen. Da sie diesem Begehren nicht nachgekommen sind, war das FA gem. § 162 Abs. 2 AO berechtigt, Finanzierungskosten zu schätzen. Das Gericht macht sich diese Schätzung zu eigen; sie ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden, zumal das FA hier lediglich einen Zinssatz von 5 v. H. zugrunde gelegt hat, obwohl 1996 der allgemeine Kapitalmarktzins höher lag.
Unter Berücksichtigung dieser Finanzierungskosten sind die Voraussetzungen des § 42 AO im Streitfall eindeutig erfüllt. Ein anderes Ergebnis könnte sich nur dann ergeben, wenn die Wertpapiere nicht finanziert worden wären und sich deshalb insgesamt ein - wenn auch geringer - wirtschaftlicher Überschuß ergeben hätte. Darauf kommt es hier jedoch nicht an, da aufgrund der geschilderten Umstände von einem wirtschaftlichen Verlust auszugehen ist.
Durch diese Gestaltung ist der Tatbestand des § 42 AO erfüllt. Die Klage war nach alldem abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
Das Gericht hat gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision zugelassen, weil die Streitfrage, ob ein "wirtschaftlicher" Verlust im oben beschriebenen Sinne die Voraussetzungen des § 42 AO erfüllt, grundsätzliche Bedeutung hat.