Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.03.1998, Az.: XI 188/93
Haftung für Lohnsteuern und Säumniszuschläge einer GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung); Haften der gesetzlichen Vertreter juristischer Personen bei gob fahrlässiger Pflichtverletzung; Pflichtverletzung durch Nichtabführen der Lohnsteuer; Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuer, wenn die Löhne in drei Raten im Jahr ausgezahlt werden; Befugnis des in Haftung genommenen Geschäftsführers einer GmbH Einwendungen gegen die Steuerfestsetzung zu erheben
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 24.03.1998
- Aktenzeichen
- XI 188/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 18615
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1998:0324.XI188.93.0A
Rechtsgrundlagen
- § 191 Abs. 1 AO
- § 34 AO
- § 69 S. 1 AO
- § 164 Abs. 2 AO
Fundstellen
- GmbHR 1998, 857 (amtl. Leitsatz)
- KTS 1999, 82-83
- NWB DokSt 1998, 1049
Verfahrensgegenstand
Haftung
Amtlicher Leitsatz
Der haftende GmbH-Geschäftsführer ist auch bei Unanfechtbarkeit der einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehenden Lohnsteueranmeldung nicht gehindert, Einwendungen gegen die Richtigkeit der Anmeldung geltend zu machen, wenn er den Antrag auf Änderung der Festsetzung gemäß § 164 Abs. 2 AO wegen Konkurseröffnung nicht mehr stellen konnte und das Konkursverfahren über den Ablauf der Festsetzungsfrist hinaus andauert.
Der XI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 24. März 1998,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ...
ehrenamtliche Richterin ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Änderung des Haftungsbescheids vom 07.07.1989 in der Fassung des Haftungsbescheids vom 18.10.1989 und des hierzu ergangenen Einspruchsbescheids vom 28.04.1993 wird die Haftung für Lohnsteuer Oktober 1988 (9.103 DM) aufgehoben und die Haftung für Säumniszuschläge auf 58 v.H. der im Haftungsbescheid aufgeführten Beträge herabgesetzt.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Ausrechnung der in der Haftung verbleibenden Säumniszuschläge wird dem Finanzamt übertragen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger für Lohnsteuern und Säumniszuschläge, die die Firma ... GmbH dem Finanzamt (FA) schuldet, haftet.
Der Kläger war seit Errichtung der zunächst als ... Bauunternehmen GmbH firmierenden Gesellschaft ihr alleiniger Geschäftsführer. Am 08.02.1989 beantragte er, den Konkurs über das Vermögen der GmbH zu eröffnen. Das Konkursgericht bestellte mit Beschluß vom 09.02.1989 einen Sequester und verbot der GmbH, über Gegenstände ihres Vermögens zu verfügen (Bl. 8 Lohnsteuerakte - LStA). Das Konkursverfahren wurde am 28.07.1989 eröffnet und nach Durchführung eines Schlußtermins am 25.01.1993 aufgehoben.
Der Beklagte nahm den Kläger mit Bescheid vom 07.07.1989 für die Steuerrückstände der GmbH in Haftung. Mit dem streitbefangenen Bescheid vom 18.10.1989 (Bl. 7 Gerichtsakte - GA) beschränkte der Beklagte die Haftung auf die Lohnsteuer Juni bis Oktober 1988 nebst Säumniszuschlägen, die bis zum 09.02.1989 berechnet sind. Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren (Einspruchsbescheid vom 28.04.1993 - Bl. 12 GA) die Klage.
Der Kläger meint, er hafte nur für die Lohnsteuer, die als Lohnsteuer auf die ausbezahlten Nettolöhne abzuführen gewesen wäre. Die Haftungssumme verringere sich so um ca. 30.600 DM (Einzelheiten siehe Aufstellung Bl. 23-25 GA). Für Säumniszuschläge hafte er überhaupt nicht. Durch Pfändungen des FA und der AOK seien dem Kläger keine Mittel verblieben, um die Lohnsteuern abzuführen. Die GmbH habe ihre Kreditrahmen bei den Banken ausgeschöpft. Erstmalig im Klageverfahren trägt der Kläger ferner vor, die Löhne des Haftungszeitraums seien teilweise verspätet gezahlt worden, u.a. die für Oktober 1988 in drei Abschlägen im Januar 1989. Für den Fall, daß es darauf überhaupt ankomme, sei von einer Tilgungsquote von 58 v.H. auszugehen (Schriftsatz vom 16.01.1998 nebst Anlage - Bl. 76 GA).
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des Haftungsbescheids vom 07.07.1989 in der Fassung des Bescheids vom 18.10.1989 sowie des dazu ergangenen Einspruchsbescheides vom 28.04.1993 die Lohnsteuerhaftungsschuld auf den Betrag herabzusetzen, der sich ergibt, wenn statt der angesetzten Bruttolohnsteuer nur die Nettolohnsteuer zugrundegelegt wird (unter Bezugnahme auf die Anlage Seite 3 zu dem Schriftsatz vom 31.08.1993), sowie auf die Nachforderung der Säumniszuschläge ganz zu verzichten.
Der Beklagte beantragt
Klagabweisung mit der Maßgabe, daß Einwendungen gegen eine Reduzierung der berechneten Säumniszuschläge entsprechend einer Tilgungsquote von 58 v.H. nicht erhoben werden.
Der Beklagte meint, im Rahmen eines längeren Haftungszeitraums komme allenfalls für die letzten Lohnsteuer-Anmeldungszeiträume eine Beschränkung der Haftungssumme auf die sich für die ausgezahlten Nettolöhne ergebende Lohnsteuer in Betracht (BFH-Urteil vom 26.07.1988 VII R 83/87, Bundessteuerblatt II 1988, 859). Die angemeldeten Lohn- und Lohn-Kirchensteuern für November und Dezember 1988 seien noch gezahlt worden. Ferner habe der Kläger mit dem FA im Dezember noch eine Ratenvereinbarung für die GmbH getroffen. Falls zu dem Zeitpunkt keine Mittel mehr vorhanden gewesen wären, hätte schon zu diesem Zeitpunkt ein Konkursantrag wegen Zahlungsunfähigkeit gestellt werden müssen. Falls die Haftung für Lohnsteuer durch das Gericht herabgesetzt werde, müsse berücksichtigt werden, daß im Rahmen der abgegebenen Voranmeldungen die Lohnsteuer für den Arbeitnehmer ... nicht angemeldet worden sei, obwohl die GmbH für diesen jedoch einbehaltene Lohnsteuer in Höhe von 1.675,10 DM bescheinigt habe. Bezüglich der Säumniszuschläge sei allerdings zu berücksichtigen, daß ein Schaden nur insoweit entstanden sei, als das FA gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt worden sei. Der von dem Kläger ermittelten Quote, mit der die GmbH im Haftungs-Zeitraum ihre Verbindlichkeiten getilgt habe, könne gefolgt werden. Die Säumniszuschläge seien daher auf 58 v.H. herabzusetzen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger haftet nicht für die Nichtabführung der auf die Löhne Oktober 1988 entfallende Lohnsteuer, weil ihm insoweit keine schuldhafte Pflichtverletzung vorzuwerfen ist. Die Säumniszuschläge sind nach dem sogenannten Grundsatz der anteiligen Tilgung auf 58 v.H. herabzusetzen.
Der Beklagte hat den Kläger zu Recht gemäß § 191 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) mit Haftungsbescheid in Anspruch genommen. Die in § 34 AO bezeichneten gesetzlichen Vertreter juristischer Personen haften nach § 69 Satz 1 AO, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Nach § 69 Abs. 2 AO umfaßt die Haftung auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge. Die Haftung für steuerliche Nebenleistungen, wie Verspätungs- oder Säumniszuschläge, ist ebenfalls durch Haftungsbescheid gem. § 191 AO geltend zu machen (BFH-Urteil vom 24.02.1987 VII R 4/84 BStBl II 1987, 33).
Danach erweist sich der angefochtene Bescheid mit den unten näher auszuführenden Einschränkungen als rechtmäßig. Der Kläger hat den Haftungstatbestand des § 69 AO durch die Nichtabführung der auf die Löhne Juni bis September 1988 entfallenden Lohnsteuer zumindest grob fahrlässig erfüllt. Als Geschäftsführer war er gesetzlicher Vertreter der GmbH (§ 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung), einer juristischen Person. Dem Kläger oblag nach dieser Vorschrift in Verbindung mit § 41 a Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) die öffentlich-rechtliche Pflicht, die Lohnsteuer bis zum zehnten Tag nach dem Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraumes (Kalendermonat) an das Finanzamt abzuführen. Bei zur vollständigen Begleichung der Löhne nicht ausreichenden Zahlungsmitteln war der Kläger verpflichtet, die Löhne in einem Umfang zu kürzen, der eine gleichmäßige Befriedigung der Arbeitnehmer hinsichtlich des Lohnes und des Finanzamts hinsichtlich der auf die gekürzten Löhne entfallenden Lohnsteuern sicherstellt (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 09.01.1996 VII B 189/95, BFH/NV 1996, 589), und zwar im Fälligkeitszeitpunkt.
Dieser Verpflichtung ist der Kläger nicht nachgekommen. Er hat während des Haftungszeitraums Löhne ausgezahlt, die einbehaltene Lohnsteuer indes im Fälligkeitszeitpunkt nicht abgeführt. Der Kläger hat dadurch bewirkt, daß Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht rechtzeitig erfüllt wurden. Für die durch die Nichtabführung der Lohnsteuer im Fälligkeitszeitpunkt verwirkten Säumniszuschläge haftet der Kläger, wie dargelegt, ebenfalls dem Grunde nach.
Der Kläger hat die ihm obliegende Pflicht, die auf die Löhne Juni bis September 1988 entfallende Lohnsteuer abzuführen, vorsätzlich verletzt. Ausweislich der ausgezahlten Nettolöhne standen ihm Mittel zur Begleichung der Lohnsteuer für den jeweils vorangegangenen Monat zur Verfügung. Die Pflicht zur Abführung der Lohnsteuer war dem Kläger als langjährigem GmbH-Geschäftsführer bekannt. Daß der Kläger der Hoffnung war, die wirtschaftliche Lage werde sich bessern, ändert nichts daran, daß er die geschuldeten Lohnsteuern vorsätzlich nicht abgeführt hat. Vertraut der Geschäftsführer darauf, die Rückstände später nach Behebung von Liquiditätsschwierigkeiten ausgleichen zu können, so ist er damit bewußt das Haftungsrisiko eingegangen und die Nichtrealisierung dieser Erwartungen liegt in seiner Risikosphäre.
Der Kläger hat jedoch die Pflicht, die auf die für den Monat Oktober gezahlten Löhne entfallende Lohnsteuer abzuführen, jedenfalls nicht schuldhaft verletzt. Diese Lohnsteuer war erst am 10.02.1989 fällig. Die Löhne sind nämlich in drei Raten am 11., 24. und 31. Januar 1989 ausgezahlt worden. Es handelt sich also um Lohnzahlungen "für" Oktober 1988, nicht aber um Zahlungen "im" Oktober 1988. Da bereits am 09.02.1989 der GmbH im Sequestrationsbeschluß untersagt worden war, über Gegenstände ihres Vermögens zu verfügen, ist schon zweifelhaft, ob der Kläger noch verpflichtet war, die Lohnsteuer abzuführen. Sollte diese Pflicht dennoch bestanden haben, hätte er sie zumindest nicht schuldhaft verletzt.
Dem Kläger ist der Einwand, die für Oktober abgegebene Lohnsteueranmeldung sei falsch, weil die Löhne erst im Januar 1989 ausgezahlt worden sind, nicht versagt. Nach § 166 AO muß allerdings ein Vertreter des Steuerpflichtigen, wie im Streitfall der Kläger als Geschäftsführer der GmbH, eine unanfechtbare Steuerfestsetzung gegenüber dem Steuerpflichtigen gegen sich gelten lassen, wenn er in der Lage gewesen wäre, den Bescheid anzufechten. Nimmt das FA den Geschäftsführer einer GmbH wegen der Entrichtung Steuerschuld der GmbH nach § 41a EStG als Haftungsschuldner in Anspruch, kann er dieser Inanspruchnahme nicht entgegenhalten, die als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung geltende Lohnsteueranmeldung (§ 168 AO) sei falsch (vgl. Tipke-Kruse, Abgabenordnung, § 166, 4). Dieser Grundsatz gilt indes nur für die Anfechtung mittels Rechtsbehelfs. Die Drittwirkung der Unanfechtbarkeit (formelle Bestandskraft) nach § 166 AO bei einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung läßt den Anspruch des Steuerpflichtigen und seines Vertreters auf Änderung der Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO unberührt. Beide Vorschriften haben einen voneinander unabhängigen Regelungs- und Anwendungsbereich (BFH-Beschluß vom 04.06.1996 VII S 9/96, BFH/NV 1996, 915). Daß § 166 AO eingreift, macht die Prüfung, ob ein Antrag auf Änderung nach § 164 Abs. 2 AO noch möglich ist, nicht entbehrlich (vgl. BFH-Beschluß vom 06.06.1994 VII B 2/94, BFH/NV 1995, 281), Der in Haftung genommene Geschäftsführer einer GmbH darf mithin gegen die Inanspruchnahme einwenden, die in einem Bescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung bestandskräftig festgesetzte Steuer, wie im Streitfall die Lohnsteuer Oktober 1988 durch die einer Vorbehaltsfestsetzung gleichstehende Lohnsteueranmeldung (§ 168 AO), sei falsch und gemäß § 164 Abs. 2 AO zu ändern gewesen, wenn der Geschäftsführer den Änderungsantrag für die GmbH zwar nicht gestellt hat, er aber die Vertretungsbefugnis für die GmbH zu einem Zeitpunkt verloren hat, als ein Änderungsantrag noch möglich war, und er die Vertretungsbefugnis bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist nicht wiedererlangt hat. Diese zeitliche Begrenzung folgt aus einer Parallelwertung zu § 166 AO. Dort sind dem GmbH-Geschäftsführer Einwendungen gegen die Steuerfestsetzung nur abgeschnitten, soweit er rechtlich in der Lage gewesen wäre, die Steuerfestsetzung anzufechten (Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 166, 7), Verliert der GmbH-Geschäftsführer die Vertretungsbefugnis während des Laufs der Rechtsbehelfsfrist, tritt die Drittwirkung der Steuerfestsetzung nicht ein.
Demzufolge kann sich der Kläger hier darauf berufen, daß die Lohnsteueranmeldung Oktober 1988 - unstreitig - falsch ist und gemäß § 164 Abs. 2 AO zu ändern gewesen wäre. Von der Eröffnung des Konkursverfahrens am 28.07.1989 an war der Kläger nicht mehr in der Lage, den verfahrensrechtlich möglichen Antrag auf Änderung der Lohnsteueranmeldung für die GmbH zu stellen. Die GmbH hat mit Konkurseröffnung die Befugnis verloren, ihr zur Konkursmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und über dasselbe zu verfügen (§ 6 Abs. 1 Konkursordnung - KO). Das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über die Konkursmasse steht vielmehr dem Konkursverwalter zu (§ 6 Abs. 2 KO; vgl. BFH-Urteil vom 13.03.1997 V R 96/96, BStBl II 1997, 50). Die GmbH hat die Verfügungsbefugnis bis zum Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) nicht wiedererlangt. Die Festsetzungsfrist begann mit Ablauf des Jahres 1988, da die Steueranmeldung im Jahr 1988 eingereicht worden war (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) und lief mithin am 31.12.1992 ab. Das Konkursverfahren über das Vermögen der GmbH wurde indes erst am 25.01.1993 nach Abhaltung eines Schlußtermins aufgehoben.
Daß auch die Vertretungsbefugnis während der Festsetzungsfrist, in der die einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehende Lohnsteueranmeldung noch geändert werden kann, für die Frage von Bedeutung ist, ob dem in Haftung genommenen Geschäftsführer einer GmbH Einwendungen gegen die Steuerfestsetzung abgeschnitten sind, ergibt sich daraus, daß ihrer Rechtsnatur nach die Haftung der gesetzlichen Vertreter nach den §§ 34, 69 AO eine Schadensersatzhaftung darstellt. Der von dem Haftenden zu verantwortende Schaden des Fiskus ist aber gemessen an zutreffenden Lohnsteueranmeldungen tatsächlich häufig geringer als er den eingereichten Lohnsteueranmeldungen nach zu berechnen wäre. Nach den Erfahrungen des Senats werden für die letzten Monate vor dem Konkursantrag oft Lohnsteueranmeldungen eingereicht, die nicht nach tatsächlichen Lohnzahlungen, sondern nur nach geschuldeten Löhnen berechnet sind. Da die Haftungsvorschriften zum Schadensersatz führen, nicht aber eine Strafe für den Haftenden darstellen sollen, wäre es nicht ermessensgerecht, den Fiskus von der besonderen Situation, die durch einen Konkurs hervorgerufen wird, profitieren zu lassen: Der Konkursverwalter, der die rechtliche Möglichkeit hat, derartige Änderungsanträge zu stellen, hat regelmäßig kein Interesse daran hat, Lohnzahlungen und Lohnsteuern den richtigen Monaten vor Konkurseröffnung zuzuordnen, weil davon normalerweise die Höhe der abzuführenden Lohnsteuer unverändert bleibt und die Konkursmasse keinen Vorteil hätte. Dem Haftenden, der das finanzielle Interesse hat, fehlt wiederum die Befugnis, selbst tätig zu werden. Die Höhe der Haftungssumme kann nicht davon abhängen, ob es dem Haftungsschuldner gelingt, den Konkursverwalter dazu zu bringen, den Änderungsantrag vor Ablauf der Festsetzungsfrist zu stellen und ggf. im Streit mit dem Finanzamt durchzusetzen.
Für die Vormonate sind Auswirkungen verfrühter Anmeldungen auf die Haftungssumme Lohnsteuer weder vorgetragen noch ersichtlich.
Ob der Kläger auch für die Lohnsteuer haftet, die auf den an den Arbeitnehmer ... ausgezahlten Beträge entfällt und die nicht in den Lohnsteueranmeldungen enthalten sein sollen, bedarf keiner Entscheidung. Der angefochtene Haftungsbescheid ist rechtlich ein Sammelbescheid, der für die Lohnsteuer-Entrichtungsschulden jedes einzelnen Monats und für jeden Säumniszuschlag eine eigenständige Regelung durch Verwaltungsakt enthält, die eines gesonderten rechtlichen Schicksals fähig ist. Trotz der Minderung der Haftungssumme für Lohnsteuern insgesamt kann daher hier nicht kompensiert werden. Für die Lohnzahlungszeiträume Juni bis September 1988 steht dem das aus dem Rechtsschutzcharakter der Klage abzuleitende Verböserungsverbot entgegen. Für die für Oktober 1988 gezahlten Löhne haftet der Kläger mangels schuldhafter Pflichtverletzung nicht, so daß es auf die Höhe der zu entrichtenden Lohnsteuer gar nicht ankommt.
Die Haftung für Säumniszuschläge ist auf 58 v.H. der im Haftungsbescheid aufgeführten Beträge herabzusetzen. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, daß die GmbH im Haftungszeitraum ihre Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern in etwa zu diesem Prozentsatz erfüllt hat. Nach dem sogenannten Grundsatz der anteiligen Tilgung hätte auch das FA nur in diesem Umfang Zahlungen auf die Säumniszuschläge erwarten können, so daß auch nur in dieser Höhe ein Schaden eingetreten ist, für den der Kläger haftet. Da Säumniszuschläge unabhängig davon zu entrichten sind, ob die Steuer, die bei Fälligkeit nicht gezahlt wird, zu Recht gefordert wird, hat der Umstand, daß Lohnsteueranmeldungen zu früh eingereicht und die Lohnsteuer dadurch zu früh abzuführen war, auf die Haftung für Säumniszuschläge keine Auswirkung. Die Ausrechnung der Höhe der Haftung für Säumniszuschläge wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Finanzamt übertragen.
Die Ermessensausübung des Beklagten ist nicht zu beanstanden. Hiervon geht auch der Kläger aus, der mit seiner Klage nicht auf eine Aufhebung des Haftungsbescheids abzielt.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 136, 137 FGO. Der Kläger hat nur zu einem geringen Teil im kostenrechtlichen Sinne obsiegt, nämlich nur in Bezug auf den Teilerfolg hinsichtlich der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer in Höhe von 1.117 DM. Der Erfolg des Klägers bezüglich der Lohnsteuer Oktober 1988 kommt ihm kostenrechtlich nicht zugute, da er auf Tatsachen und Beweisen (Zahlung der Löhne Oktober 1988 im Januar 1989) beruht, die er verspätet, nämlich erst im Klageverfahren, geltend gemacht hat.