Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.03.2016, Az.: 3 LD 1/14

ADHS; ADS; Aufmerksamkeitdefizitsyndrom; Disziplinarmaßnahme; Milderungsgründe; Postbeamter; Ruhegehalt; Schuldfähigkeit; Überschuldung; Untreue; Wiedereinsetzung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
22.03.2016
Aktenzeichen
3 LD 1/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43241
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 21.03.2014 - AZ: 12 A 1/13

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Aberkennung des Ruhegehalts bei gesicherter Diagnose eines Aufmerksamkeitdefizitsyndroms (ADS), insbesondere zu der Frage, ob Milderungsgründe (vor allem § 21 StGB) vorliegen (Einzelfall).

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 12. Kammer - vom 21. März 2014 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt im Wege der Disziplinarklage, dem Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen.

Der im …..1952 geborene Beklagte trat im ………. 1977 in den Postdienst ein. Er war zunächst als Arbeiter im Paketumschlagdienst beschäftigt. Ab ….. 1979 wurde er als Paketzusteller und in späteren Jahren im Schalter- und Bankdienst eingesetzt. Er bestand 1981 die Prüfung für den einfachen und 1985 für den mittleren Postdienst. Er ist seit 1982 Beamter auf Lebenszeit und wurde zuletzt am ……… 2000 zum Postbetriebsinspektor (BesGr. A 9 BBesO) befördert. Mit Wirkung zum ………. 2006 wurde der Beklagte von der Deutschen Post AG zur Deutschen Postbank AG versetzt und gleichzeitig der Deutschen Post Retail GmbH (inzwischen: Postbank Filialbetrieb AG) zur Dienstleistung zugewiesen.

Der Beklagte erhielt in den Jahren 1994, 1997, 1999 und 2000 diverse Belohnungen und Leistungszulagen (zwischen 200 DM und 2.682 DM). Eine Beurteilung des Beklagten aus dem Jahr 2000 bescheinigte ihm durchgehend Leistungsmerkmale wie „tritt hervor“. In der Leistungsbeurteilung vom ………… 2009 wurden die Merkmale „Arbeitsleistung“, „Arbeitsverhalten“ und „ergebnisorientierte Zusammenarbeit“ mit „erfüllt die Anforderungen annähernd“ und das Merkmal „Anwendung von Fachkenntnissen“ mit „erfüllt die Anforderungen stets“ beurteilt.

Der Beklagte ist seit 2007 geschieden und Vater von zwei erwachsenen Kindern.

Straf- oder disziplinarrechtlich ist der Beklagte mit Ausnahme der zum Gegenstand des anhängigen Disziplinarverfahrens gemachten Vorwürfe nicht in Erscheinung getreten.

Der Beklagte war zuletzt, d.h. bis zum …….. 2009, Kundenberater in der Postbank Center Filiale K.. Zu seinen Hauptaufgaben gehörte die Führung einer Kundenberaterkasse. Von dieser Kundenberaterkasse buchte er im Zeitraum vom 1. Februar 2008 bis zum 16. Februar 2009 Geldbeträge auf sein privates Konto zur Tilgung privater Schulden, und zwar mit folgenden Buchungen:

01.02.2008

1.500 Euro

19.02.2008

2.500 Euro

12.03.2008

700 Euro

13.05.2008

1.500 Euro

10.06.2008

600 Euro

01.08.2008

1.000 Euro

11.09.2008

1.000 Euro

15.09.2008

500 Euro

02.10.2008

700 Euro

11.10.2008

1.200 Euro

10.11.2008

2.500 Euro

10.12.2008

1.500 Euro

16.02.2009

101,60 Euro

Gesamtbetrag: 15.301,60 Euro.

Am 7. Juli 2009 wurde für die vom Beklagten verwaltete Kasse, die längere Zeit nicht überprüft worden war, ein Soll-Ist-Vergleich gemacht. Nachdem die Filialleiterin festgestellt hatte, dass in der Kasse ein Barbestand von 15.301,60 Euro hätte sein müssen und sie den Beklagten darauf angesprochen hatte, verschaffte sich dieser unter einem Vorwand zunächst Aufschub, um dann am nächsten Tag nach nochmaliger Ansprache durch die Filialleiterin einzuräumen, dass er das Geld aus finanzieller Not auf sein eigenes Konto überwiesen und verbraucht habe. Er gab am 9. Juli 2009 zugunsten der Klägerin ein Schuldanerkenntnis über die Summe ab und versprach, monatlich 150 Euro zurückzuzahlen. Die Klägerin stellte den Beklagten noch am 9. Juli 2009 mündlich von seiner Arbeit frei und verbot ihm mit Verfügung vom 11. August 2009 die Führung der Dienstgeschäfte. Mit Verfügung vom 3. September 2009 leitete die Klägerin ein Disziplinarverfahren gegen den Kläger ein und setzte es zugleich wegen des ebenfalls eingeleiteten Strafverfahrens aus.

Aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts K. vom 26. Oktober 2009 steht der Beklagte unter Betreuung, deren Einrichtung er selbst im August 2009 beantragt hatte. Der Facharzt für Psychiatrie L. und die Betreuungsstelle der Stadt K. stellten fest, dass der Beklagte, der sich bereits seit 2006 in psychiatrischer Behandlung befinde, an einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ICD 10: F 90.0; im Folgenden: ADS) leide und infolgedessen Schwierigkeiten habe, seine rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten selbst zu regeln. Im Rahmen der Verlängerung der zunächst nur befristet ausgesprochenen Betreuung befand der Facharzt L. in seinem Gutachten vom 26. Oktober 2011, dass der Beklagte in der Lage sei, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Beeinträchtigung zu bilden, er aber nicht immer in der Lage sei, danach zu handeln. Ausweislich eines Schreibens der Betreuerin des Beklagten vom 23. Februar 2010 an die Klägerin ist der Beklagte geschäftsfähig; im Disziplinarverfahren vertrete die Betreuerin ihn nicht, sondern seine Prozessbevollmächtigten.

Ab Oktober 2009 wurden mehrere Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse gegen den Beklagten erlassen. Eine im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren durchgeführte Kontoüberprüfung des Beklagten ergab u.a., dass im Zeitraum vom 1. Februar 2008 bis zum 26. Februar 2009 auf seinem Konto eine Dauerüberziehung über den Dispositionsrahmen von 7.400 Euro hinaus bestanden hatte. Ein Teil der Abbuchungen im Lastschriftverfahren sei daraufhin von der Postbank nicht eingelöst worden. Am 26. Februar 2009 erhielt der Beklagte von der Postbank Niederlassung M. eine Gehaltszahlung in Höhe von 3660,39 Euro und eine „Restauszahlung Mitarbeiterkredit“ in Höhe von 9.384,97 Euro. Am 29. Juni 2009 erhielt der Beklagte eine Gehaltszahlung von 5.507,93 Euro. Der Kontostand des Beklagten betrug am 2. Januar 2008 -7.445,96 Euro und am 1. September 2009 +749,33 Euro.

Anlässlich seiner Vernehmung durch die Polizeiinspektion K. am 25. November 2009 erklärte der Beklagte, er habe bei der Postbank und bei der N. Bank Kredite in Höhe von ca. 10.000 Euro sowie Kreditkarten- und Dispositionskreditschulden gehabt. Als Beamter müsse er seine Arztrechnungen zunächst verauslagen und erhalte sie dann zurück. Durch die Arztrechnungen, die er nicht habe bezahlen können, und die Kreditrechnungen habe er sich in einer finanziellen Zwickmühle befunden. Er habe das vereinnahmte Geld auch für Unterhaltszahlungen an seine Kinder und zur Schuldentilgung verwendet. Den „Mitarbeiterkredit“ in Höhe von 9.384,97 Euro habe er zur Umschuldung in Anspruch genommen. Die Gehaltszahlung in Höhe von 3660,39 Euro erkläre sich damit, dass er bei seiner Besoldungsstelle erst verspätet die Zuschläge für seine Kinder beantragt habe. Die Gehaltszahlung von 5.507,93 Euro erkläre sich daraus, dass er zunächst vergessen habe, seine Lohnsteuerkarte einzureichen. Er sei deshalb zunächst in eine sehr schlechte Steuerklasse gestuft worden.

Seit dem 23. November 2010 befand sich der Beklage in einem Privatinsolvenzverfahren.

Mit Verfügung vom 2. März 2010 enthob die Klägerin den Beklagten vorläufig des Dienstes und sah wegen dessen finanzieller Verhältnisse von einer Einbehaltung von Teilen der Dienstbezüge ab.

Nachdem die Staatsanwaltschaft K. im Januar 2010 Anklage wegen Untreue gegen den Beklagten erhoben hatte, holte das Amtsgericht K. ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zur Frage der Schuldfähigkeit des Beklagten im Tatzeitraum 1. Februar 2008 bis 16. Februar 2009 ein. Der Gutachter Dr. O., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes der Stadt K., kam in seinem Gutachten vom 22. Juli 2010 zu dem Ergebnis, dass bei dem Beklagten von einem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) ausgegangen werden könne und bei ihm eine akzentuierte Persönlichkeitsentwicklung mit ängstlich - vermeidenden und abhängigen Persönlichkeitsanteilen vorliege. In das Gutachten eingeflossen war ein Entlassungsbericht der Reha-Klinik P. vom 3. Januar 2007. Dort war der Beklagte vom 20. November 2006 bis zum 11. Dezember 2006 wegen einer chronischen Überlastungsstörung behandelt worden. Der Gutachter Dr. O. sah keine Hinweise auf Störungen im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Zusammenfassend ist im Gutachten ausgeführt:

„In der gutachterlichen Würdigung kann daher zunächst festgestellt werden, dass bei Herrn E. neben einem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) vom Vorliegen einer akzentuierten Persönlichkeitsentwicklung mit ängstlich-vermeidenden und abhängigen Persönlichkeitsanteilen ausgegangen werden kann, aus den beschriebenen Störungen ergaben sich im Rahmen der letzten fünf Jahre unterschiedliche Behandlungsnotwendigkeiten, teilweise auch vor dem Hintergrund einer damit einhergehenden begleitenden depressiven Symptomatik. Wenngleich vor allem die abhängig-vermeidenden Persönlichkeitsanteile in Verbindung mit dem ADS sicher im Vorfeld der ihm zur Last gelegten Delikte dazu beigetragen haben, dass Herr E. seine Angelegenheiten nicht im erforderlichen Umfang hat bewältigen können, ergeben sich jedoch aus nervenärztlicher Sicht keine Hinweise darauf, dass die genannten Störungen im Sinne der § 20, 21 StGB geeignet waren, die Einsicht in das Unrecht der Tat herabzusetzen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Die Diagnose eines Aufmerksamkeitdefizit-Syndroms erfüllt per se nicht das Kriterium einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“, auch die beschriebene akzentuierte Persönlichkeitsentwicklung erscheint von ihrem Schweregrad nicht so ausgeprägt, dass sie zu einer mindestens erheblichen Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit führen würde. (…) Bezüglich der Steuerungsfähigkeit lässt sich feststellen, dass die genannten Umbuchungen zwar unter jeweils ansteigendem äußeren Druck zusätzlicher finanzieller Engpässe vorgenommen wurden, insgesamt jedoch über einen Zeitraum von 12 Monaten in 13 Einzelschritten erfolgt sind, sodass sich beispielsweise für einen impulshaften Handlungsanteil kein Anhalt ergibt.“

Das Amtsgericht K. verurteilte den Beklagten durch rechtskräftiges Urteil vom 27. September 2010 wegen Untreue in 13 Fällen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 35 Euro. In dem Urteil heißt es u.a.:

„Bei der Strafzumessung war innerhalb des Strafrahmens des § 266 StGB, der Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe vorsieht, zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, da(ss) er strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist und er die Taten, sowohl in der Hauptverhandlung, als auch im Ermittlungsverfahren unumwunden eingeräumt hat. So hat er auch bereits im Juli 2009 ein Schuldanerkenntnis zugunsten der Geschädigten unterzeichnet und leistet seitdem monatlich 150 Euro Schadenswiedergutmachung. Auch war bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass zwar keine verminderte Schuldfähigkeit beim Angeklagten vorliegt, jedoch eine psychische Erkrankung mit zu den Taten beigetragen haben kann. Auch war das noch schwebende Disziplinarverfahren und die lange Zeit der Unsicherheit seit Sommer 2009 strafmildernd zu berücksichtigen.“

Der Beklagte leistete seine Geldstrafe durch 720 Stunden gemeinnützige Arbeit ab.

Mit Schreiben vom 17. Dezember 2010 informierte die Staatsanwaltschaft K. die Klägerin über die rechtskräftige Verurteilung des Beklagten. Die Klägerin nahm das Disziplinarverfahren am 24. Januar 2011 wieder auf. Im Februar 2011 leitete die Klägerin parallel die Überprüfung der Dienstfähigkeit des Beklagten ein.

Der Beklagte bat in einer Stellungnahme, bei der Bemessung des Disziplinarmaßes positiv zu berücksichtigen, dass er zum einen ehrenamtlich bei der Evangelischen Kirchengemeinde K., westliches Ringgebiet, tätig sei und er zum anderen dabei sei, seine finanziellen Verhältnisse in Ordnung zu bringen. Insgesamt sei eine positive Entwicklung festzustellen; die Straftaten seien als einmalig und situationsbedingt zu beurteilen.

Unter dem 14. März 2011 wurde für den Beklagten eine Beurteilung erstellt, in der ihm sehr gute Fachkenntnisse und eine selbständige und zuverlässige Aufgabenerledigung bescheinigt wurde. Aufgrund seiner freundlichen und kompetenten Art sei er von seinen Kunden und Kollegen geschätzt worden.

Der Vorstand der Klägerin versetzte den Beklagten mit Urkunde vom 12. September 2011 wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand.

Unter dem 15. Dezember 2011 erstellte der Ermittlungsführer der Klägerin den Bericht über das Ermittlungsergebnis. Die „disziplinarrechtliche Würdigung“ in dem Bericht lautet:

„Durch sein Fehlverhalten hat der Beamte seine Pflicht gem. § 61 Abs. 1 Satz 2 und 3 Bundesbeamtengesetz (BBG) zu uneigennützigem, achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten im Dienst missachtet und hierdurch ein einheitlich zu würdigendes, äußerst schwerwiegendes Dienstvergehen im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begangen. Zu Gunsten des seinerzeit noch aktiven und jetzigen Ruhestandsbeamten sind seine gute dienstliche Beurteilung und seine disziplinarrechtliche Unbescholtenheit zu würdigen. Darüber hinaus hat der Beamte die o.g. Veruntreuungen bereits am 08.07.2009 seinen Vorgesetzten, die ihn am 07.07.2009 nach dem Aufbewahrungsort des Bargeld-Sollbestandes seiner Kasse gefragt hatten, gestanden (….). Auch weist die Begehungsweise der Untreuehandlungen nicht gerade auf Verschleierungsabsichten hin (….). Ferner ist zu beachten, dass der Beamte, der ja beruflich erfolgreich als Finanzbeamter der Postbank tätig war, während der Taten und schon lange Zeit davor, unter einer ernsten psychischen Erkrankung litt, die ihn daran hinderte, sich effektiv um die Verbesserung seiner eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse zu kümmern, indem er z.B. Arztrechnungen, zwecks Erstattung, bei der Krankenkasse eingereicht hätte (….). Letztlich ist auch zu beachten, dass der jetzige Ruhestandsbeamte, trotz seiner immer noch desolaten finanziellen Situation, bemüht ist, der Postbank Schadenersatz zu leisten; er hat bereits mehr als 3.300,00 Euro zurückgezahlt.“

Der Kläger äußerte sich zu dem ihm bekannt gegebenen Ermittlungsergebnis nicht mehr.

Am 30. Januar 2013 hat die Klägerin Disziplinarklage mit dem Ziel der Aberkennung des Ruhegehalts gegen den Beklagten erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Beklagte habe ein schweres Dienstvergehen begangen. Das verwirklichte Zugriffsdelikt gebiete regelmäßig die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme.

Ein Milderungsgrund liege nicht vor.

- Der Beklagte habe sich nicht freiwillig offenbart, sondern die Tat erst unter dem Druck der drohenden Entdeckung gestanden.

- Der Milderungsgrund der wirtschaftlichen Notlage setze eine unverschuldete und ausweglose Notlage voraus. Hier habe eine typische Überschuldungssituation vorgelegen. Jedenfalls fehle es aber an der Ausweglosigkeit. Insbesondere fänden sich keine Anhaltspunkte, dass die existenziellen Bedürfnisse des Beklagten in Frage gestanden hätten; der Beklagte habe das Geld zur Schuldentilgung verwendet. Abgesehen davon habe der Beklagte hier über einen langen Zeitraum von mehr als einem Jahr dienstliche Gelder veruntreut.

- Der Beklagte habe nicht in einer psychischen Ausnahmesituation gehandelt. Es fehle an einem plötzlichen und unvorhergesehenen Ereignis, das einen Schockzustand verursacht hätte.

- Die Verfehlungen seien nicht einmalig und situationsbedingt, so dass nicht von einer einmaligen, persönlichkeitsfremden, kurzschlussartigen Gelegenheitstat ausgegangen werden könne. Dies ergebe sich auch aus dem im Strafverfahren eingeholten psychiatrischen Gutachten.

Auch bei Abwägung aller für und gegen den Beklagten sprechenden Gesichtspunkte sei ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten.

Die Klägerin hat beantragt,

dem Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und hat erwidert, in seinem Fall lägen klassische Milderungsgründe vor. Er habe in einer für ihn ausweglosen finanziellen und persönlichen Notlage gehandelt. In seiner geschiedenen Ehe seien erhebliche Schulden angefallen. Die Scheidung selbst und der nachfolgende Umzug hätten ihn weiter belastet. Anfang 2008 sei dann der Kreditrahmen seiner Kreditkarte vollständig ausgeschöpft gewesen. Zudem sei der eingeräumte Dispositionskredit für sein Girokonto bei der Klägerin ebenfalls ausgeschöpft gewesen und seitens der Klägerin gekündigt worden. Auch bei Ärzten seien Schulden aufgelaufen. In den Jahren 2008 und 2009 habe er nur noch versucht, Löcher zu stopfen. Auch ein Kredit bei der N. -Bank sei gekündigt worden. Aus diesem Grund habe es auch einen Eintrag bei der Schufa gegeben. Deshalb habe er keine Kredite mehr aufnehmen können. Nach seiner Erinnerung habe er ab Anfang 2008 zu seiner Lebensführung nur noch 200,00 Euro monatlich zur Verfügung gehabt.

Das Verwaltungsgericht hat dem Beklagten durch das angefochtene Urteil das Ruhegehalt aberkannt. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt: Das Gericht lege seiner Entscheidung die Taten des Beklagten zugrunde, so wie sie in dem Strafurteil des Amtsgerichts K. vom 27. September 2010 (……………..) festgestellt und von dem Beklagten zugestanden worden seien. Der Beklagte habe ein innerdienstliches Dienstvergehen nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begangen, denn durch dieses Verhalten habe er gegen seine Pflichten zur uneigennützigen Amtsführung nach § 61 Abs. 1 Satz 2 BBG, zu achtungs- und vertrauenswürdigen dienstlichen Verhalten nach § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG und zur Beachtung der Dienstvorschriften nach § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG verstoßen. Diese Dienstpflichtverletzung wiege schwer, weil die Verwaltung auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten im Umgang mit ihren sächlichen Mitteln angewiesen sei, zumal eine lückenlose Kontrolle und Überwachung eines jeden Mitarbeiters nicht möglich sei. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines anerkannten "klassischen" Milderungsgrundes seien nicht ersichtlich. Auch eine "Gesamtschau" rechtfertige ein Absehen von der Höchstmaßnahme nicht. Zureichende Anhaltspunkte für eine etwaige Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB lägen nicht vor. Das im Strafverfahren eingeholte und vom Beklagten nicht substantiiert in Frage gestellte Gutachten von Dr. O., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes der Stadt K., vom 22. Juli 2010 sei vielmehr  zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Beklagten zwar ein Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) und eine akzentuierte Persönlichkeitsentwicklung mit ängstlich - vermeidenden und abhängigen Persönlichkeitsanteilen, hingegen keine Störungen im Sinne der §§ 20, 21 StGB vorlägen. Die Rechtsmittelbelehrung des Urteils lautet auszugsweise wie folgt: „Gegen dieses Urteil ist die Berufung statthaft. Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Braunschweig (…) einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen und ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen.“

Eine Ausfertigung des Urteils wurde dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 25. April 2014 zugestellt.

Der Beklagte hat am 4. Juni 2014 Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in  den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat er ausgeführt: Bei Eingang des Urteils im Büro seines Prozessbevollmächtigten sei die maßgebliche Frist für die Einlegung der Berufung im elektronischen Kalender eingegeben und zusammen mit dem Eingangsstempel auf dem Schriftstück vermerkt worden. Die Akte sei dann - wie üblich - zunächst an die rechtsschutzgewährende Gewerkschaft verschickt worden, damit dort geprüft werden konnte, ob Rechtsschutz für die nächste Instanz gewährt werde. Die Akte sei am 13. Mai 2014 wieder im Büro des Prozessbevollmächtigten eingegangen. Die Vertreterin der eigentlich zuständigen (erkrankten) Sachbearbeiterin habe es entgegen der Büropraxis versäumt, eine „Berufungsakte“ anzulegen und eine Wiedervorlage für den letzten Werktag vor Fristablauf zu verfügen. An diesem Tag hätte eigentlich eine Wiedervorlage erfolgen und die Akte mit einem Fristablaufvermerk versehen werden sollen. Stattdessen sei als Wiedervorlage der 16. Juni 2014 eingetragen worden. Die Angelegenheit sei nicht rechtzeitig vorgelegt worden. Auch die unabhängig davon nach ständiger Praxis erfolgenden Prüfungen des Fristenkalenders am Werktag vor dem Fristablauf und am Tag des Fristablaufs durch die Angestellte Q. und die - allerdings nicht regelmäßige - Kontrolle des Fristenkalenders durch den Prozessbevollmächtigten hätten in diesem Einzelfall aus unerfindlichen Gründen nicht zu einer Wiedervorlage der Sache vor Fristablauf geführt. Die Versäumnisse seien insgesamt nur damit zu erklären, dass in jener Zeit der Bürobetrieb durch Umbauarbeiten stark belastet gewesen sei. Vorfristen würden notiert, wenn Rechtsmittel- und Begründungsfrist zusammenfielen. Das sei hier ausweislich der Rechtsmittelbelehrung nicht der Fall gewesen. Bei der verwendeten Software handle es sich um RMS, ein Programm, das von der DGB Rechtsschutz GmbH bundesweit eingesetzt werde. Zur Anwendung gebe es einheitliche Dienstanweisungen, die genau befolgt würden. Die Software verfüge bei Fristeingaben über eine besondere Kontrolle: die Frist müsse standardmäßig noch einmal überprüft und bestätigt werden. Jedenfalls liege nach alledem kein Organisationsverschulden vor.

Zur Begründung seiner Berufung beruft sich der Beklagte weiterhin auf die Milderungsgründe der wirtschaftlichen Notlage und des Handelns in einer psychischen Ausnahmesituation. Ergänzend trägt er vor: Die Beurteilung durch den Sachverständigen Dr. O., es ergäben sich keine schuldmindernden Hinweise nach §§ 20, 21 StGB und ein impulsiver Handlungsanteil sei nicht erkennbar, sei nicht plausibel. Im Übrigen entfalteten die Feststellungen des Sachverständigen im Disziplinarverfahren keine Bindungswirkung. Das Verwaltungsgericht hätte eigene Ermittlungen zu seinem Persönlichkeitsbild anstellen müssen. Es hätte sich außerdem mit der Frage befassen müssen, inwieweit das tatrelevante Verhaltensmuster mit seiner Erkrankung im Zusammenhang stehe. Es gehe um die Frage, ob das tatrelevante Verhalten gleichsam untrennbarer Teil seiner Persönlichkeitsstruktur sei oder vielmehr eine an sich persönlichkeitsferne Ausnahme darstelle, die sich vor dem Hintergrund der Erkrankung in einer eingrenzbaren Ausnahmesituation realisiert habe. Dazu verhalte sich das Gutachten des Dr. O. nicht. Hervorzuheben sei außerdem, dass er ohne seine psychische Erkrankung niemals in die ausweglose Situation gekommen wäre; im Übrigen habe er gerade aufgrund seiner Erkrankung aus dieser Situation auch keinen Ausweg gefunden. Die Betreuung habe er erst beantragen können, als die Tat aufgedeckt worden sei; zuvor habe es sich auch hierbei um einen Punkt gehandelt, den er krankheitsbedingt immer wieder vor sich hergeschoben habe.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 2. Juli 2015 hat der Beklagte auf die von ihm vorgelegte Bescheinigung des Dipl. Psychologen R. vom 30. Juni 2015 verwiesen, in der es u.a. heißt: „Zu Beginn der Behandlung zeigte der Patient bei psychischem Druck zusätzlich die für viele ADS-Patienten typischen Störungen im Bereich der Impulskontrolle, die einerseits zu spontanen Handlungsdurchbrüchen führen können, es dem jeweiligen Patienten aber gleichzeitig schwer machen, im Moment der Handlung die Folgen seines Verhaltens realitätsangemessen zu bewerten. Zu einem späteren Zeitpunkt sind diese Patienten, so auch Herr E., durchaus zu einer moralisch angemessenen Einschätzung des eigenen Fehlverhaltens in der Lage. Diese Problematik konnte inzwischen mit Hilfe der Psychotherapie sehr positiv beeinflusst werden.“ Er hat auf dieser Grundlage den Beweisantrag gestellt, durch ein psychiatrisches Sachverständigengutachten aufzuklären, ob er in Drucksituationen zu Handlungen neige, die als zwanghaft zu qualifizieren seien.

Der Senat hat am 2. Juli 2015 beschlossen, den Beweis wie beantragt zu erheben. Mit Verfügung vom 9. September 2015 hat die Berichterstatterin den Beteiligten mitgeteilt:

„Auf telefonische Anregung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten habe ich per E-Mail Kontakt zu Prof. Dr. S., T. (Leitender Oberarzt der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter der Gutachtenstelle dieser Klinik), aufgenommen und ihm den zu begutachtenden Sachverhalt zusammengefasst geschildert. Prof. Dr. S. teilte mir mit, an seiner Klinik würden aufgrund einer Übereinkunft innerhalb der T. keine Gutachten zu strafrechtlichen Fragen angefertigt; diese Art Gutachten würden vom forensischen Institut erstellt (Leitung Prof. U.). Er hat aber, da die Diagnostik bei ADHS-Patienten äußerst komplex sei, eine kombinierte Herangehensweise “dringend vorgeschlagen”, d.h. eine Diagnostik in seinem Haus (Spezialambulanz für Erwachsene mit ADHS) und dann eine disziplinarrechtliche Würdigung der gestellten Diagnosen durch das Institut für forensische Psychiatrie.

Auf meine dahingehende Anfrage hat Prof. Dr. U. mir per E-Mail eine sehr umfassende Antwort erteilt, die ich im Wesentlichen wörtlich wiedergeben möchte:

"Im Hinblick auf Ihren Fall wäre primär zu sagen, dass ADHS eine sehr verbreitete Diagnose ist, und dass Jugendliche mit ADHS oft auch eine dissoziale Entwicklung haben. Ich kenne keine relevante Stimme aus dem Bereich der forensischen Psychiatrie oder der Strafrechtsprechung, die vertreten würde, dass ADHS die Schuldfähigkeit erheblich mindere oder gar aufhebe. ADHS wird eher als Risikoindikator für dissoziales Verhalten und für Rückfallgefahr gesehen, eben auch bei ADHS, das auch noch im Erwachsenenalter persistiert.

Die von Ihnen referierte Aussage, ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom führe in Drucksituationen zu einer fehlenden Impulskontrolle bzw. zwanghaften Handlungen ist nicht stimmig. ADHS ist keine Sache von Drucksituationen, sondern eine habituelle, also durchgängige Aufmerksamkeitsschwäche und motorische Impulsivität, also eine Neigung zu vorschnellem Handeln. Gerade Drucksituationen – erhöhter Stress, erhöhte Aufmerksamkeit – vermindern diese Impulsivität.

Zum zweiten müsste man sich die vorgeworfenen Straftaten genau anschauen, ob die im Sinne von ADHS wirklich als “Flüchtigkeitsfehler” durchgehen können, oder ob sie erkennbar rational intendierte, bewusst durchgeführte Handlungen zum eigenen Vorteil waren, also weder unaufmerksam noch impulsiv-reaktiv begangen. Kurzum: zu erwarten ist ein ziemlich hoher Aufwand zur Beantwortung einer Beweisbehauptung von sehr geringer Erfolgs-Wahrscheinlichkeit.

Zunächst müsste geklärt werden, ob und in welchem Ausprägungsgrad der Proband ADHS hat. Dies könnte in einem Gutachten Prof. Dr. S. abklären.

Wenn er weder ADHS noch sonst eine relevante psychische Krankheit hat, ist der Fall geklärt. Wenn er AD(H)S hat, könnte er auch von mir begutachtet werden zu der Frage, ob hier ausnahmsweise eine spezifische Tatkonstellation vorgelegen hat, in der ADHS schuldfähigkeitsrelevant hat werden können. Dafür bräuchte ich dann vor allem auch die Ermittlungsakten und eben das Gutachten von Prof. S..

Falls der Proband die Kosten für die Begutachtungen selber aufbringen muss, sollte man ihn vielleicht über die geringen Erfolgschancen seines Vorbringens informieren."

Ich habe daraufhin Prof. Dr. S. per E-Mail informiert, dass Prof. Dr. U. den von ihm vorgeschlagenen Weg der „Teilung“ der Gutachten ebenfalls befürworte, ich aber zunächst die weitere Vorgehensweise mit den Beteiligten abklären müsse - auch, weil Prof. Dr. U. auf den hohen Kostenfaktor bei geringen Erfolgschancen hingewiesen habe. Daraufhin hat mir Prof. Dr. S. per E-Mail geantwortet, auch er sei der Auffassung, dass die Argumentation des Beklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht „greifen“ werde/könne.

Vor diesem Hintergrund bitte ich die Beklagtenseite um Überdenken, ob an dem gestellten Beweisantrag festgehalten werden soll Gegebenenfalls könnte es für Ihre Meinungsbildung hilfreich sein, in diesem Zusammenhang nochmals mit dem behandelnden Psychologen R. Kontakt aufzunehmen, und diesen zu bitten, seine nur allgemein gehaltenen Aussagen zur Frage der Impulskontrolle in der Bescheinigung vom 30. Juni 2015 - unter Berücksichtigung der oben zitierten Aussagen - auf die hier inmitten stehende Frage der eingeschränkten Schuldfähigkeit zu fokussieren.“

Mit am 11. Februar 2016 beim Senat eingegangenen Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten erklärt, er habe die Angelegenheit mit dem behandelnden Psychologen R. und dem Beklagten erörtert. Auch Herr R. gehe davon aus, dass die Schuldfähigkeit durch ADS nicht wesentlich herabgesetzt werde. Symptomatisch sei, alles aufzuschieben. Es könne auch sein, dass Spontankäufe oä. getätigt würden. Nicht auszuschließen sei auch, dass einmal spontan in die Kasse gegriffen werde. Dann sei aber die normale Reaktion, dass der Betreffende kurzfristig reumütig werde. Eine Beweisaufnahme hinsichtlich der eingeschränkten oder aufgehobenen Schuldfähigkeit halte man daher nicht mehr für zielführend.

In der mündlichen Verhandlung am 22. März 2016 hat der Senat seinen Beweisbeschluss vom 2. Juli 2015 aufgehoben.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 21. März 2014 aufzuheben und die Disziplinarklage abzuweisen,

hilfsweise,

eine mildere Disziplinarmaßnahme zu verhängen,

weiter hilfsweise,

die Zahlung des Unterhaltsbeitrages um ein Jahr zu verlängern.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Frage der Wiedereinsetzung trägt sie vor: Die Verfügung der Wiedervorlage erst für den letzten Werktag vor Fristablauf stelle einen Organisationsmangel dar. Erforderlich sei es wegen der Bedeutung der Sache in solchen Fällen, eine Vorfrist einzutragen. Die Rechtsmittelbelehrung des Urteils sei nicht fehlerhaft, da sie alle notwendigen Informationen erhalte. Sie weise zutreffend darauf hin, in welcher Frist das Rechtsmittel einzulegen sei. Unschädlich sei es hingegen, dass die Rechtsmittelbelehrung in ihrem weiteren Wortlaut nicht dem Wortlaut des § 64 Abs. 1 BDG entspreche. Diese Formulierung eigne sich nicht, die Einlegung des Rechtmittels innerhalb der zutreffenden Frist zu erschweren. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Rechtsmittelbelehrung fehlerhaft sei, könne keine Wiedereinsetzung gewährt werden. Deren Erfolg setze vor allem voraus, dass der Fehler kausal für die Fristversäumnis gewesen sei. Daran fehle es.

In ihrer Erwiderung auf die Berufungsbegründung bleibt die Klägerin bei ihrer Auffassung, dass keine Milderungsgründe vorliegen, und trägt ergänzend vor: Angesichts der sachverständigen Feststellungen im Strafverfahren komme es entscheidend darauf an, in welchem Umfang die seelische Erkrankung des Beklagten zu seinen Gunsten zu berücksichtigen sei. Bedeutsam sei, dass im Strafverfahren gerade keine verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB festgestellt worden sei. Das im Strafverfahren erstellte Gutachten sei zeitnah eingeholt worden; es sei nicht erkennbar, inwiefern nun ein weiteres Gutachten Jahre später weiteren Aufschluss bringen könne. Sie, die Klägerin, erkenne die Erkrankung des Beklagten an, gehe aber davon aus, dass sie für seine Dienstpflichtverletzung nicht so erheblich gewesen sei, dass von der Höchstmaßnahme Abstand genommen werden könne. Durch die Begehung des schweren Dienstvergehens sei ein schwerer Persönlichkeitsmangel des Beklagten deutlich geworden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakten Hefte A-D) und die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft (Beiakte Heft E) Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.

A. Allerdings ist die Berufung zulässig.

Es kann offenbleiben, ob der Beklagte die Berufung am 4. Juni 2014 fristgerecht eingelegt hat, weil die Berufungsfrist nach § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG - danach ist die Berufung bei dem Verwaltungsgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und zu begründen - wegen einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Urteil erst nach Ablauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO (i.V.m. § 3 BDG) endete. Selbst wenn man demgegenüber davon ausginge, diese Unrichtigkeit habe nur zur Folge, dass die in der Rechtsmittelbelehrung genannte längere Berufungsbegründungsfrist an die Stelle der kürzeren gesetzlichen Frist getreten sei und die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO in diesen Fällen nicht gelte, weil der Betroffene insoweit keines Schutzes bedürfe (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 28.9.2012 - OVG 3 N 171.12 -, juris), wäre dem Beklagten jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Nach § 60 Abs. 1 VwGO, der über § 3 BDG auch im gerichtlichen Disziplinarverfahren Anwendung findet (vgl. Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Loseblatt, Stand: Nov. 2015, § 3 Rdnr. 8), ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. § 60 Abs. 2 VwGO sieht vor, dass der Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen ist; die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Diese Voraussetzungen liegen vor; insbesondere war der Beklagte ohne Verschulden gehindert, die Berufungsfrist einzuhalten.

Ein Verschulden im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO ist gegeben, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.6.1995 - 6 C 13.93 -, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 198, u. v. 1.9.2014 - 2 B 93/13 -, juris). Dabei muss sich der Beklagte ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten gemäß §§ 3 BDG, 173 VwGO, 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.3.2004 - DB 17 S 7/04 -, NVwZ-RR 2005, 345, Bay. VGH, Beschl. v. 15.11.2007 - 16b D 07.952 -, juris), nicht dagegen ein Verschulden von Hilfspersonen des Prozessbevollmächtigten.

Ein danach allein maßgebliches Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten liegt hier nicht vor.

Es fehlt an einem zurechenbaren individuellen Fehlverhalten des Prozessbevollmächtigten des Beklagten. Ursächlich für die Fristversäumnis waren - unabhängig voneinander - zum einen das Versehen der Angestellten V. bei Rücklauf der Handakte von der Gewerkschaft (weder zutreffende Eintragung einer Wiedervorlagefrist noch Anlegen der Berufungsakte), zum anderen aber auch die mangelnde Reaktion verschiedener Beteiligter auf die im elektronischen Kalender eingetragene Frist „26. Mai 2014“. Zum letzten Punkt hat der Prozessbevollmächtigte vorgetragen, die Kontrolle dieses Kalenders obliege der Angestellten Q.. Diese prüfe am Werktag (Bürotag) vor Fristablauf, welche Fristen am folgenden Tag abliefen und lege die entsprechenden Akten mit Vermerken über den Fristablauf vor. Allerdings prüfe auch er selbst diesen Kalender fast immer täglich vor Feierabend; es sei ihm nicht erinnerlich, warum er das am 26. Mai 2014 nicht gemacht habe. Hierin liegt jedoch kein zurechenbares individuelles Verschulden des Prozessbevollmächtigten, denn dieser ist nicht verpflichtet, den elektronischen Fristenkalender täglich selbst zu prüfen, wenn er diese Aufgabe - wie hier - einer zuverlässigen Bürokraft übertragen hat; es reicht vielmehr aus, wenn er deren Arbeit durch Stichproben überwacht.

Ein für die Fristversäumnis ursächliches Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten ist ebenfalls nicht ersichtlich. Es gehört  zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts in Fristensachen, den Betrieb seiner Anwaltskanzlei so zu organisieren, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hergestellt werden und vor Fristablauf beim zuständigen Gericht eingehen. Der Rechtsanwalt muss Vorkehrungen treffen, die gewährleisten, dass Fristen richtig berechnet werden und der Fristenlauf zuverlässig überwacht wird. Hierfür muss er sicherstellen, dass der Zeitpunkt des Fristablaufs in einem Fristenkalender notiert und dies in der Handakte vermerkt wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.2.2008 - 2 B 6.08 -, juris, u. Beschl. v. 3.12.2002 - 1 B 429.02 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 24,  Czybulka in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, § 60 Rdnrn. 71 ff.). Dabei darf der Prozessbevollmächtigte die Berechnung „einfacher“ und geläufiger Fristen seinem Büropersonal übertragen. Die Berechnung „schwieriger“ oder atypischer Fristen soll aber dem Rechtsanwalt selbst vorbehalten bleiben (vgl. Überblick bei Czybulka in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, § 60 Rdnrn. 72 u. 73). Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte die Fristberechnung danach nicht hätte delegieren dürfen bzw. diese noch einmal gesondert hätte kontrollieren müssen, träfe ihn kein im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags zu berücksichtigendes Verschulden, da es an der Kausalität eines solchen Verschuldens für die Fristversäumnis fehlt (vgl. hierzu Czybulka in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, § 60 Rdnr. 101, m.w.N.). Die Frist für die Einlegung der Berufung war von der Angestellten Q. nämlich zutreffend berechnet und im Fristenkalender vermerkt worden. Auf eine etwaige fehlende Kontrolle kommt es danach nicht an.

Soweit von der Klägerin die mangelnde Verfügung einer Vorfrist beanstandet worden ist (vgl. hierzu nur BVerwG, Beschl. v. 21. Februar 2008 - 2 B 6.08 -, juris), war in diesem Einzelfall aufgrund der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung, wonach Berufungseinlegungs- und Berufungsbegründungsfrist nicht zusammenfielen, gerade keine Eintragung einer Vorfrist geboten.

B. Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Dem Beklagten ist das Ruhegehalt abzuerkennen, weil er als noch im Dienst befindlicher Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen (§ 13 Abs. 2 Satz 2 BDG). Denn der Beklagte hat sich eines schweren Dienstvergehens schuldig gemacht, durch das er das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG). Dem weiteren Hilfsantrag des Beklagten auf Verlängerung der Zahlung des Unterhaltsbeitrags war ebenfalls nicht zu entsprechen.

I. Der Beklagte hat sich eines vorsätzlichen innerdienstlichen Dienstvergehens schuldig gemacht.

Der Senat geht - wie das Verwaltungsgericht - in tatsächlicher Hinsicht von dem Sachverhalt aus, den das Amtsgericht K. in seinem rechtskräftigen Urteil vom 17. September 2010 (………………….) festgestellt und aufgrund dessen es den Beklagten wegen Untreue in 13 Fällen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu jeweils 35 Euro verurteilt hat.

Im Disziplinarverfahren sind das Verwaltungsgericht und der Senat gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG an diese Feststellungen im Strafurteil unter anderem zum Tatablauf und zum vorsätzlichen Handeln des Beklagten gebunden. Lediglich in den Fällen, in denen das für das Disziplinarverfahren zuständige Gericht die Feststellungen des Strafgerichts für offenkundig unrichtig erachtet, hat es gemäß § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG die Möglichkeit, sich durch einen Beschluss von den bindenden strafgerichtlichen Feststellungen zu lösen und eigene Tatsachenfeststellungen zu treffen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, zumal der Beklagte die Taten einräumt.

Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass der Beklagte zur Zeit der Tatbegehung schuldfähig im Sinne des § 20 StGB war. Der Senat legt hier ebenfalls die bindenden Feststellungen des o.g. Strafurteils zugrunde (§ 57 Abs. 1 BDG; vgl. hierzu Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Loseblatt, Stand: Nov. 2015, § 23 Rdnrn. 7 u. 9). Diese Feststellungen sind plausibel. Sie beruhen auf den Ausführungen des Sachverständigen Dr. O., die in sich nachvollziehbar sind. Der Beklagte macht selbst nicht geltend, dass er nicht nach § 20 StGB schuldhaft gehandelt habe; er beruft sich vielmehr nur darauf, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass bei der Maßnahmenbemessung zu seinen Gunsten Milderungsgründe zu berücksichtigen seien.

Durch die Veruntreuungen hat der Beklagte ein einheitliches Dienstvergehen begangen. Er hat schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG), indem er gegen seine Pflichten zu uneigennütziger Amtsführung (§ 61 Abs. 1 Satz 2 BBG; § 54 Satz 2 BBG in der bis zum 11. Februar 2009 gültigen Fassung), zu achtens- und vertrauenswürdigem dienstlichen Verhalten (§ 61 Abs. 1 Satz 3 BBG; § 54 Satz 3 BBG a.F.), und zur Beachtung von Dienstvorschriften (§ 62 Abs. 1 Satz 2 BBG; § 55 Satz 2 BBG a.F.) verstoßen hat.

II. Die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 BDG). Sie ist nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BDG). Diese beurteilt sich nach den objektiven und subjektiven Handlungsmerkmalen der Verfehlung, den besonderen Umständen der Tatbegehung und den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Zudem ist das Persönlichkeitsbild des Beamten einschließlich seines bisherigen dienstlichen Verhaltens angemessen zu berücksichtigen (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BDG). Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit beeinträchtigt hat (§ 13 Abs. 1 Satz 4 BDG). Ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG). Dem Ruhestandsbeamten wird das Ruhegehalt aberkannt, wenn er als noch im Dienst befindlicher Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen (§ 13 Abs. 2 Satz 2 BDG).

1. Danach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens.

Das Bemessungskriterium "Persönlichkeitsbild des Beamten" erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation davon abweicht. Einen Aspekt des Persönlichkeitsbildes stellt auch tätige Reue dar, wie sie durch die freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder die Offenbarung des Fehlverhaltens jeweils noch vor der drohenden Entdeckung zum Ausdruck kommt.

Das Bemessungskriterium "Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit" erfordert eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret ausgeübte Funktion.

Als maßgebendes Bemessungskriterium ist aber zunächst die Schwere des Dienstvergehens richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Das bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen ist. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 3.5.2007 – 2 C 9.06 –, juris).

Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis - hier maßgeblich als Grundlage für die Aberkennung des Ruhegehalts - setzt voraus, dass der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Ein endgültiger Vertrauensverlust ist eingetreten, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig seinen Dienstpflichten nicht ordnungsgemäß nachkommen oder aufgrund seines Fehlverhaltens sei eine erhebliche, nicht wieder gut zu machende Ansehensbeeinträchtigung eingetreten (grundlegend BVerwG, Urt. v. 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, BVerwGE 124, 252, vgl. zudem BVerwG, Urt. v. 24.5.2007 - 2 C 28.06 -, juris, Senat, Urt. v. 28.4.2009 - 3 LD 4/08 - m. w. N.).

Bei der Unterschlagung bzw. Veruntreuung dienstlich anvertrauter Gelder und damit bei Fehlverhalten im Kernbereich der dienstlichen Aufgaben ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats und der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der Schwere dieser Dienstvergehen (sogen. Zugriffsdelikte) die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis grundsätzlich Richtschnur für die Maßnahmenbestimmung, wenn die veruntreuten Beträge oder Werte die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich übersteigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.1.2007 - 1 D 15.05 -, juris, m. w. N., Urt. v. 11.6.2002 - 1 D 31.01 -, BVerwGE 116, 308, Senat, Urt. v. 26.2.2013 - 3 LD 2/12 -, NVwZ-RR 2013, 849). Hat sich der Beamte bei der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit an Vermögenswerten vergriffen, die als dienstlich anvertraut seinem Gewahrsam unterliegen, ist ein solches Dienstvergehen regelmäßig geeignet, das Vertrauensverhältnis zu zerstören (BVerfG, Beschl. v. 19.2.2003 - 2 BvR 1413/01 -, NVwZ 2003, 1504, BVerwG, Urt. v. 28.5.1997 - 1 D 74.96 -, NVwZ-RR 1998, 506, Urt. v. 5.3.2002 - 1 D 8.01 -, juris, Senat, Urt. v. 26.2.2013 - 3 LD 2/12 -, NVwZ-RR 2013, 849 [OVG Niedersachsen 26.02.2013 - 3 LD 2/12]).

Ein solches Fehlverhalten im Kernbereich der dienstlichen Aufgaben liegt hier aufgrund des Missbrauchs der Vermögensverfügungsbefugnis über den Zeitraum von einem Jahr vor. Dabei ist in disziplinarrechtlicher Hinsicht die Schwelle der Geringfügigkeit, die in Anlehnung an § 248a StGB bei zurzeit etwa 25 - 50 EUR gezogen wird (vgl. hierzu Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 248a Rdnr. 3 a m. w. N.), bei Weitem überschritten. Uneingeschränktes Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit eines Beamten, dem am Schalter der Postbank eine Verfügungsbefugnis über dienstliche Gelder anvertraut ist, war gerade die Voraussetzung für den dem Beklagten übertragenen Aufgabenbereich, zumal dieser bei seiner Tätigkeit keiner ständigen und lückenlosen Kontrolle unterlag.

Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 10. Dezember 2015 - 2 C 6.14 -, juris, klargestellt, dass es seine bisherige Rechtsprechung zu den Zugriffsdelikten aufgebe; bei innerdienstlich begangenen Dienstvergehen sei vielmehr ebenfalls die Ausrichtung der grundsätzlichen Zuordnung eines Dienstvergehens zu einer der gesetzlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen am gesetzlich bestimmten Strafrahmen geboten. Auch bei diesen Dienstvergehen gewährleistete die Orientierung des Umfangs des Vertrauensverlustes am gesetzlichen Strafrahmen eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung der Dienstvergehen. Hiervon ausgehend ergibt sich im Fall des Beklagten aber keine abweichende Beurteilung. Das von dem Beklagen in 13 Fällen verwirklichte Delikt der Untreue (§ 266 StGB) sieht einen Strafrahmen von einer Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vor. Begeht ein Beamter - wie hier - innerdienstlich unter Ausnutzung seiner Dienststellung eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren - hier sind es bis zu fünf Jahre - vorsieht, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, Urt. v. 10.12.2015 - 2 C 6.14 -, juris). (Auch) die in Ausfüllung dieses Rahmens zu treffende Bemessungsentscheidung rechtfertigt die Aberkennung des Ruhegehalts.  Denn insgesamt hat der Beklagte das Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit von Beamten in einem sehr erheblichen Maß enttäuscht und damit das Ansehen des Berufsbeamtentums nachhaltig geschädigt. Besonders ins Gewicht fallen die Anzahl der zu Lasten des Dienstherrn vorgenommenen Untreuehandlungen sowie der lange Zeitraum, über den sich die Taten erstreckten. All diese Umstände geböten - wäre er noch ein aktiver Beamter - seine Entfernung aus dem Dienst als einzig angemessene Maßnahme, weil der Vertrauensverlust bei seinem Dienstherrn und die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wieder gutzumachen wären.

2. Von der Höchstmaßnahme ist abzusehen, wenn sich im Einzelfall aufgrund des Persönlichkeitsbildes des Beamten Entlastungsgründe von solchem Gewicht ergeben, dass die prognostische Gesamtwürdigung den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherrn noch nicht endgültig zerstört. Als durchgreifende Entlastungsgründe kommen die Milderungsgründe in Betracht, die das Bundesverwaltungsgericht ursprünglich zu den Zugriffsdelikten entwickelt hat. Zu diesen Milderungsgründen gehören besondere Konfliktsituationen (Handeln in einer wirtschaftlichen Notlage, in einer psychischen Ausnahmesituation oder in einer besonderen Versuchungssituation) und Verhaltensweisen mit noch günstigen Persönlichkeitsprognosen (freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder Offenbarung des Fehlverhaltens vor Tatentdeckung, Zugriff auf geringwertige Gelder oder Güter (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, NVwZ 2006, 469, Urt. v. 24.5.2007 - 2 C 25.06 -, juris, Urt. v. 29.5.2008 - 2 C 59.07 -, juris). Diese Milderungsgründe stellen jedoch keinen abschließenden Kanon der bei Dienstvergehen berücksichtigungsfähigen Entlastungsgründe dar. Bei der prognostischen Frage, ob gegenüber einem Beamten aufgrund eines schweren Dienstvergehens ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist, gehören zur Prognosebasis außerdem alle für diese Einschätzung bedeutsamen belastenden und entlastenden Ermessensgesichtspunkte, die in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen sind (BVerwG, Urt. v. 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, NVwZ 2006, 469, Urt. v. 24.5.2007 - 2 C 25.06 -, juris, Urt. v. 29.5.2008 - 2 C 59.07 -, juris, Beschl. v. 20.12.2013 - 2 B 35.13 -, ZBR 2014, 170).

a) Der Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf einen der "klassischen" Milderungsgründe berufen.

aa) Die Voraussetzungen des Milderungsgrundes eines Handelns in einer unverschuldet entstandenen, ausweglosen existenziellen wirtschaftlichen Notlage zur Tatzeit liegen nicht vor, selbst wenn man unterstellt, dass die Überschuldungssituation, die den Beklagten nach seinem Vorbringen zu dem Dienstvergehen veranlasst hat, aufgrund seiner Erkrankung (ADS) unverschuldet entstanden ist. Denn zum einen hat der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Beklagte zur Tatzeit in einer ausweglosen existenziellen wirtschaftlichen Notlage befand. Die Annahme einer solchen Notlage ist nicht bereits bei jeder Überschuldungssituation gerechtfertigt, in der das entwendete Geld im Wesentlichen zur Schuldentilgung verwendet wird. Anhaltspunkte dafür, dass es sich hier um Verbindlichkeiten gehandelt hat, deren Nichterfüllung den Beklagten von den für den notwendigen Lebensbedarf erforderlichen Leistungen abgeschnitten hätte, bestehen nicht (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 6.6.2003 - 1 D 30.02 -, juris). Zum anderen setzt dieser Milderungsgrund voraus, dass der Zugriff auf dienstlich erlangtes oder anvertrautes Geld vorübergehend sowie in zeitlicher Hinsicht und im Hinblick auf die Anzahl der Zugriffshandlungen eng begrenzt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.8.2009 - 1 D 1.08 -, NVwZ 2010, 713, u. v. 23.10.2002 - 1 D 5.02 -, juris, Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, § 13 Rdnr. 41). Er ist auf eine ausweglose Konfliktsituation zugeschnitten. Diese Voraussetzungen liegen hier angesichts des Zeitraums von einem Jahr und der Anzahl der Vorfälle (13) nicht vor. Der Beklagte hat sich durch die Taten in diesem Zeitraum gleichsam ein zusätzliches Einkommen verschafft, um seine Schulden zu begleichen. Solche Fälle sind nach dem Sinn und Zweck dieses Milderungsgrundes von diesem nicht erfasst.

bb) Zur Tatzeit befand sich der Beklagte nicht in einer (schockartig ausgelösten) psychischen Ausnahmesituation. Eine solche Situation wird in aller Regel hervorgerufen durch den plötzlichen, unvorhergesehenen  Eintritt eines Ereignisses, das gemäß seiner Bedeutung für die besonderen Lebensverhältnisse des Beamten bei diesem einen seelischen Schock auslöst, der seinerseits kausal zu der Begehung des Dienstvergehens führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2001 – 1 D 22.00 –, BVerwGE 114, 240, Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, § 13 Rdrn. 44). Die Klägerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die schwierige Lebenssituation des Beklagten (Eheschwierigkeiten, Scheidung, finanzielle Schwierigkeiten, psychische Erkrankung) sich über einen langen Zeitraum hingezogen haben und diese Umstände allein keine Basis für diesen Milderungsgrund bieten, weil es an der erforderlichen durch ein plötzliches Ereignis ausgelösten „Schocksituation“ fehlt (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 26.9.2001 - 1 D 32.00 -, juris). Darüber hinaus sprechen gegen die Annahme auch dieses Milderungsgrundes der lange Tatzeitraum und die Vielzahl der Taten (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.2002 - 1 D 5.02 - juris).

cc) Aus den gleichen Gründen scheidet auch der Milderungsgrund einer unbedachten, einmaligen persönlichkeitsfremden Augenblickstat in einer Versuchungssituation aus. Dieser Milderungsgrund ist ebenfalls auf Situationen zugeschnitten, die sich - aus welchen Gründen auch immer - derartig aus dem Alltäglichen abheben, dass das aus ihnen erwachsene Unrecht in einem milderen Licht erscheint („Gelegenheitstat“/„Versuchungssituation“). Davon kann jedenfalls keine Rede mehr sein, wenn über einen Zeitraum von einem Jahr 13 Verfehlungen begangen werden. An einer „Versuchungssituation“ fehlt es ebenfalls. Der Beklagte hatte jederzeit (also auch schon vor der ersten Verfehlung) Gelegenheit, die Buchungen in der erfolgten Weise zu seinen Gunsten vorzunehmen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschl. v. 9.10.2014 - 2 B 60.14 -, juris, Urt. v. 11.6.2002 - 1 D 31.01 -, BVerwGE 116, 308, u. v. 24.4.1991 - 1 D 48.90 -, juris). Deshalb bedarf es an dieser Stelle keiner Klärung, ob die Taten, wie der Beklagte meint, sich aufgrund seiner Erkrankung als „persönlichkeitsfremd“ darstellen.

dd) Der Milderungsgrund der tätigen Reue/Offenbarung/Schadenswiedergutmachung liegt ebenfalls nicht vor. Er setzt in allen Varianten voraus, dass entsprechende Handlungen vor der Entdeckung der Tat vorgenommen werden. Hieran fehlt es. Insbesondere ersetzt eine Wiedergutmachung des Schadens nach Entdeckung der Tat nicht das Fehlen einer freiwilligen Offenbarung (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 25.8.2009 - 1 D 1/08 -, juris).

ee) Dem Beklagten kommt auch der „anerkannte“ Milderungsgrund der „Entgleisung während einer negativen, inzwischen überwundenen Lebensphase“ (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2015 - 2 C 6.14 -, juris) nicht zugute. Die Überwindung einer im Zeitpunkt der Pflichtverletzung bestehenden negativen Lebensphase kann sich mildernd bei der Maßnahmebemessung auswirken, wenn davon ausgegangen werden kann, dass sich die Lebenssituation des Beamten inzwischen gefestigt hat und er sich künftig - ggf. in einem anderen Amt - pflichtgemäß verhalten wird (vgl. Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, § 13 Rdnr. 45). Erforderlich ist dabei, dass außergewöhnliche Verhältnisse vorlagen, die den Beamten zeitweilig aus der Bahn geworfen haben. Hinzukommen muss, dass er die negative Lebensphase in der Folgezeit überwunden hat (BVerwG, Beschl. v. 9.10.2014 - 2 B 60.14 -, juris, u. v. 20.12.2013 - 2 B 35/13 -, juris). Die Aberkennung des Ruhegehalts hängt von der (fiktiven) Entlassungswürdigkeit des Beamten ab, wäre er noch im aktiven Dienst.

Hier fehlt es bereits an einer zugespitzten „negativen Lebensphase“, die für die Begehung der Taten unmittelbar und maßgeblich ursächlich gewesen wäre. Die belastenden Umstände (Eheschwierigkeiten, Scheidung, finanzielle Schwierigkeiten, psychische Erkrankung) traten im Fall des Beklagten nicht zugespitzt, sondern sukzessive über eine Zeitspanne von etwa 9 Jahren auf. Die schwierige finanzielle und persönliche Lage sowie psychische Schwierigkeiten setzten schon etwa im Jahr 2000 ein und verstärkten sich 2004/2005 (vgl. Entlassungsbericht der Reha-Klinik P. vom 3. Januar 2007). Auslöser für die hier in Rede stehenden Taten war dann wohl eine Verschlimmerung der finanziellen Probleme, wie der Beklagte geltend macht, allerdings ist diese Lage allein nicht von so einem solchen Gewicht, dass sie die über einen langen Zeitraum begangenen Zugriffe auf das Vermögen der Klägerin in einem deutlich milderen Licht erscheinen ließe. Es handelte sich um eine zweifelsohne sehr belastende aber gleichwohl „normale“ Überschuldungssituation. Nicht jede Überschuldungssituation - sei sie auch krankheitsbedingt entstanden - lässt einen Zugriff auf das Vermögen des Dienstherrn in einem milderen Licht erscheinen, jedenfalls dann nicht, wenn der Zugriff - wie hier - in einem erheblichen Maße und über einen langen Zeitraum erfolgt. Dabei ist zwar nicht zu verkennen, dass es für den Beklagten aufgrund seiner Erkrankung weitaus schwieriger als für einem gesunden Menschen gewesen sein mag, sich aus der Überschuldung einen Ausweg zu schaffen. Es ist aber nicht erkennbar, dass die Lage für ihn deswegen geradezu aussichtslos erschien. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass seine Erkrankung gesichert diagnostiziert war, der Beklagte sich in Behandlung befand und auch durchaus eigene Schritte unternommen hat, um seiner Situation Herr zu werden. Er war also gerade nicht „völlig hilflos“. Zweifelhaft ist im Übrigen auch, ob von einer „überwundenen“ negativen Lebensphase ausgegangen werden kann. Der Beklagte steht nach wie vor unter Betreuung und hat sich im Privatinsolvenzverfahren bemüht, seine Verhältnisse zu ordnen, ist aber nach Einschätzung des Senats derzeit lediglich auf dem Weg, seine früheren Schwierigkeiten zu überwinden. Gleiches gilt hinsichtlich seiner Erkrankung, wie die Angaben in der Bescheinigung des Diplom-Psychologen R. vom 30. Juni 2015 zeigen.

ff) Die Voraussetzungen einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB liegen nicht vor. Ist - wie hier - die Frage der Schuldunfähigkeit mit bindender Wirkung im Strafurteil verneint worden, bleibt es Sache des erkennenden Gerichts, für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme festzustellen, ob ein Fall verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB gegeben ist und welchen Grad die Minderung gegebenenfalls erreicht. Auf Feststellungen, die für diese Frage Bedeutung haben, erstreckt sich die Bindungswirkung des Strafurteil nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.5.2008 - 2 C 59.07 -, juris). Eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte. Die daran anknüpfende Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung "erheblich" war, ist eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte ohne Bindung an die Einschätzung Sachverständiger in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise. Die Erheblichkeitsschwelle liegt umso höher, je schwerer das in Rede stehende Delikt wiegt. Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.5.2008 - 2 C 59.07 -, juris. m.w.N.). Das erkennende Gericht (Urt. v.14.11.2012 - 19 LD 10/10 -, juris) hat in der Vergangenheit im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hervorgehoben, dass angesichts dessen eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit bei Zugriffsdelikten und diesen gleichgestellten Delikten nur in Ausnahmefällen erreicht werde. Insbesondere gelte dies dann, wenn es um die Verletzung einer leicht einsehbaren innerdienstlichen Kernpflicht gehe. In einem derartigen Fall müsse nämlich von dem Beamten gerade im Hinblick auf die Bedeutung dieser Kernpflicht für das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis erwartet werden, dass er trotz der verminderten Schuldfähigkeit noch genügend Widerstandskraft gegen eine Verletzung dieser Pflicht im Dienst aufbringe. Diese Gesichtspunkte gelten auch angesichts der Lösung des Bundesverwaltungsgerichts von einer schematischen Behandlung der Zugriffsdelikte bei der Zuordnung eines Dienstvergehens zu einer der gesetzlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen, soweit darauf abgestellt worden ist, dass der Beamte gegen die Verletzung einer leicht einsehbaren innerdienstlichen Kernpflicht trotz der verminderten Schuldfähigkeit noch genügend Widerstandskraft aufbringen können muss, die Erheblichkeitsschwelle in solchen Fällen also höher liegt, als bei anderen Pflichtverletzungen.

Der Senat geht davon aus, dass die psychische Erkrankung des Beklagten schon nicht im Sinne des § 21 StGB geeignet war, die Einsicht in das Unrecht der Taten herabzusetzen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Er folgt dem im Strafverfahren eingeholten Gutachten des Dr. O. vom 22. Juli 2010, das sich mit der Frage, ob der die Voraussetzungen des § 21 StGB vorlagen, dezidiert befasst und sie nachvollziehbar verneint hat. Dr. O. hat ausgeführt, dass weder von einem ADS noch von der darüber hinaus diagnostizierten akzentuierten Persönlichkeitsentwicklung mit ängstlich-vermeidenden und abhängigen Persönlichkeitsanteilen eine Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit in das Unrecht der begangenen Taten zu erwarten sei und sich - bezüglich der Frage der Steuerungsfähigkeit - für einen impulshaften Handlungsanteil keine Hinweise ergäben. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass die Formulierung in der Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie L. vom 26. Oktober 2011, dass der Beklagte in der Lage sei, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Beeinträchtigung zu bilden, er aber nicht immer in der Lage sei, danach zu handeln, auf die Erledigung von „Schreibtischaufgaben“ bezogen ist und deshalb für die Annahme, der Beklagte sei zur Tatzeit krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, sich vom „Griff in die Kasse“ abzuhalten, keine durchgreifenden Anhaltspunkte bietet.

Die Richtigkeit dieser Schlussfolgerung wird durch die im Berufungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr bestätigt. Zwar hat der Dipl. Psychologe R. in seiner Bescheinigung vom 30. Juni 2015  ausgeführt, dass der Beklagte „zu Beginn der Behandlung (…) bei psychischem Druck zusätzlich die für viele ADS-Patienten typischen Störungen im Bereich der Impulskontrolle [gezeigt habe], die einerseits zu spontanen Handlungsdurchbrüchen führen können, es dem jeweiligen Patienten aber gleichzeitig schwer machen, im Moment der Handlung die Folgen seines Verhaltens realitätsangemessen zu bewerten.“ Mit am 11. Februar 2016 beim Senat eingegangenem Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten jedoch erklärt, er habe die Angelegenheit mit dem behandelnden Psychologen R. erneut erörtert. Auch Herr R. gehe davon aus, dass die Schuldfähigkeit durch ADS nicht wesentlich herabgesetzt werde. Darüber hinaus hat der von der Berichterstatterin zwecks der Erstellung eines Sachverständigengutachtens kontaktierte Prof. Dr. U. unaufgefordert darauf hingewiesen, dass er keine relevante Stimme aus dem Bereich der forensischen Psychiatrie oder der Strafrechtsprechung kenne, die vertreten würde, dass ADHS die Schuldfähigkeit erheblich mindere oder gar aufhebe. Außerdem sei die Aussage, ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom führe in Drucksituationen zu einer fehlenden Impulskontrolle bzw. zwanghaften Handlungen nicht stimmig; letzteres hat er ausführlich und nachvollziehbar begründet. Der ebenfalls kontaktierte Prof. Dr. S. hat mitgeteilt, auch er sei der Auffassung, dass die Argumentation des Beklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht „greifen“ werde/könne. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Beklagte in den mündlichen Verhandlungen nicht überzeugend darstellen konnte, dass er aufgrund seiner Erkrankung daran gehindert war, die Einsicht in das Unrecht der Taten herabzusetzen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Selbst wenn eine solche Minderung der Einsichtsfähigkeit bzw. eine Hinderung, nach dieser Einsicht zu handeln, vorgelegen haben sollte, war dies mit Blick auf die oben dargestellten Grundsätze aber jedenfalls nicht von einer solchen Erheblichkeit, dass die Voraussetzungen des Minderungsgrundes des § 21 StGB erfüllt wären.

b) Bei der gebotenen gesamtprognostischen Betrachtung sind sonstige durchgreifende Entlastungsgründe, die ein Absehen von der Höchstmaßnahme rechtfertigen könnten, ebenfalls nicht zu erkennen.

Zwar spricht zu Gunsten des Beklagten seine langjährige und beanstandungsfreie Dienstausübung als Postbeamter; dieser Umstand hat aber nicht ein solches Gewicht, dass er den durch das schwere Dienstvergehen eingetretenen endgültigen Vertrauensverlust aufwiegen könnte. Dies gilt insbesondere im Fall der hier vorliegenden Verletzung einer leicht einsehbaren Kernpflicht. Dass der Beklagte in straf- und disziplinarrechtlicher Hinsicht unbelastet ist, stellt keine entlastend wirkende Besonderheit, sondern den Normalfall dar, so dass dies im Fall der Verwirkung der Höchstmaßnahme nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden kann. Auch seine inzwischen aufgenommene ehrenamtliche Tätigkeit rechtfertigt kein Absehen von der Höchstmaßnahme. Zu Gunsten des Beklagten kann sich angesichts der Länge des Zeitraums und der Anzahl der Zugriffe auf das Vermögen seines Dienstherrn auch nicht auswirken, dass er diese etwa 5 Monate vor seiner Entdeckung eingestellt hatte. Ursache dafür war nicht - dies hat der Beklagte auch selbst nicht geltend gemacht - eine Einsicht in das Unrecht seiner Taten, sondern augenscheinlich, dass der Beklagte zu diesem Zeitpunkt (zunächst) wieder über ausreichende Geldquellen verfügte. Denn ausweislich der Untersuchungen im Strafverfahren hatte der Beklagte am 26. Februar 2009 von der Postbank Niederlassung M. eine Gehaltszahlung in Höhe von 3660,39 Euro und eine „Restauszahlung Mitarbeiterkredit“ in Höhe von 9.384,97 Euro erhalten. Am 29. Juni 2009 hatte der Beklagte eine Gehaltszahlung von 5.507,93 Euro erhalten.

Der Beklagte litt zwar zur Tatzeit und auch heute noch an einer psychischen Erkrankung (ADS); dieser Umstand rechtfertigt es aber nicht, von der Höchstmaßnahme abzusehen. Letztlich mag die Erkrankung (mit) ursächlich für die Entstehung der Überschuldung des Beklagten gewesen sein, die ihrerseits wiederum (jedenfalls ein wesentlicher) Auslöser für die Zugriffe auf das Vermögen seines Dienstherrn war. Eine solche Ursachenkette genügt jedoch nicht, um das Ausmaß des eingetretenen Vertrauensverlustes zu mindern. Von einem Beamten in der Position des Beklagten, dem gerade ein besonderes Vertrauen entgegengebracht wird, weil er Zugriff auf das Vermögen seines Dienstherrn nehmen kann, ist zu erwarten, dass er diese Position nicht aufgrund finanzieller Schwierigkeiten ausnutzt.

Die lange Dauer des Disziplinarverfahrens - insbesondere bei der Klägerin - streitet ebenfalls nicht zu Gunsten des Beklagten. Nach ständiger Rechtsprechung kann lediglich eine unterhalb der disziplinarischen Höchstmaßnahme gebotene Disziplinarmaßnahme auch in der Maßnahmenart milder ausfallen, wenn das Straf- und/oder das Disziplinarverfahren übermäßig lange gedauert haben und der Beamte dies nicht zu vertreten hat; das gilt auch für Ruhestandsbeamte (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 8.9.2004 - 1 D 18.03 -, NVwZ-RR 2006, 45, Beschl. v. 1. Juni 2012 - 2 B 123.11 -, juris, Beschl. v. 17. Juli 2013 - 2 B 27.12 -, juris). Wenn hingegen - wie hier - die Höchstmaßnahme verwirkt ist, scheidet eine Berücksichtigung einer überlangen Verfahrensdauer auch unter Berücksichtigung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie der §§ 3 BDG, 173 Satz 1 VwGO, 198 ff. GVG aus (BVerwG, Beschl. v. 10.10.2014 - 2 B 66.14 -, juris, Beschl. v. 22.1.2013 - 2 B 89.11 -, juris, v. 30.8.2012 - 2 B 21.12 -, juris, Urt. v. 29.3.2012 - 2 A 11.10 -, juris, Beschl. v. 16.5.2012 - 2 B 3.12 -, NVwZ-RR 2012, 609, Urt. v. 25.8.2009 - 1 D 1.08 -, juris, Beschl. v. 28.10.2008 - 2 B 53.08 -, juris, BVerfG, Beschl. v. 9.8.2006 - 2 BvR 1003/05 -, juris, Senat, Urt. v. 28.8.2012 - 19 LD 6/10 -, Nds. OVG, Urt. v. 14.11.2012 - 19 LD 4/11 -, juris).

Die Aberkennung des Ruhegehalts infolge des vom Beklagten begangenen schweren Dienstvergehens ist schließlich nicht unverhältnismäßig. Diese Maßnahme ist vielmehr Folge der schuldhaften Dienstpflichtverletzungen des Beklagten, die sich in sozialer Hinsicht ergebenden Folgen beruhen daher allein auf seinem zurechenbaren Verhalten. Deshalb kommt es nicht auf die finanziellen und sozialen Auswirkungen der Disziplinarmaßnahme für den Beamten und seine Angehörigen an. In das Verhältnis zu setzen sind - wie oben bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt - vielmehr die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zum Dienstherrn, zu der das Fehlverhalten des Beamten geführt hat, und die dementsprechend verhängte Disziplinarmaßnahme. Hat ein Beamter durch ein ihm vorwerfbares Verhalten die Vertrauensgrundlage zerstört, ist seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (und die daraus hier folgende Aberkennung des Ruhegehalts) die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Beamtenverhältnis einseitig zu beenden. Die allein darin liegende Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2007 - 2 BvR 1050/07 -, juris, Beschl. v. 19.2.2003 - 2 BvR 1413/01 -, NVwZ 2003, 1504, Nds. OVG, Urt. v. 22.6.2010 - 20 LD 13/08 -, juris, VGH München, Urt. v. 23.3.2011 - 16b D 09.2749 -, juris, jeweils m. w. N.).

3. Dem hilfsweise gestellten Antrag, den Zeitraum für die Zahlung des Unterhaltsbeitrages, den das Verwaltungsgericht entsprechend der Regelung des § 12 Abs. 2 Satz 1 BDG bemessen hatte, um ein Jahr zu verlängern, hat der Senat nicht entsprochen, weil der Beklagte die Voraussetzungen für eine solche Verlängerung nicht glaubhaft gemacht hat. Nach §§ 12 Abs. 2 Satz 2, 10 Abs. 3 Satz 3 BDG kann die Gewährung eines Unterhaltsbeitrags über sechs Monate hinaus verlängert werden, soweit dies notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden; der Beamte hat die Umstände glaubhaft zu machen. Diese Ausnahmeregelung ist eng auszulegen. Eine unbillige Härte lässt sich nur dann bejahen, wenn durch das Auslaufen der Unterhaltsgewährung nach sechs Monaten für den Beamten besonders schwere, kaum reparable Nachteile entstünden (vgl. Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Band 1, Loseblatt, Stand: Nov. 2015, § 10 Rdnr. 17). Das ist hier nicht ersichtlich. Der Beklagte hat sich auf keine Umstände berufen, die eine unbillige Härte begründen könnten. Im Übrigen musste dem Beklagten seit der Einleitung des Disziplinarverfahrens, spätestens aber bei Erhebung der Disziplinarklage im Januar 2013, bewusst sein, dass er möglicherweise finanziell Vorsorge für einen Zeitraum würde treffen müssen, in dem er kein Ruhegehalt mehr und noch keine Rente erhält. Der Beklagte hatte - mit anderen Worten - über einen langen Zeitraum Gelegenheit, sich auf diese Situation einzurichten.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 77 Abs. 1 Satz 1 BDG, 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollsteckbarkeit des Urteils beruht auf § 3 BDG i. V. m. § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.