Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.03.2016, Az.: 11 ME 35/16

Alkoholeinfluss; Alkoholfahrt; Jagdausübung; Jagdschein; Unzuverlässigkeit; Waffenbesitzkarte; Waffenrecht; Zuverlässigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
22.03.2016
Aktenzeichen
11 ME 35/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43217
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 04.02.2016 - AZ: 6 B 165/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der Transport einer Waffe nebst Munition sowie ihre Aufbewahrung in einem Kraftfahrzeug durch einen Waffenbesitzkarten- und Jagdscheininhaber setzen voraus, dass ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit der Jagdausübung besteht, der Transport und die Aufbewahrung diesem Zweck dienen und der Zusammenhang hiermit nicht wesentlich unterbrochen wird.

2. Das Mitführen einer Waffe nebst Munition während einer Fahrt mit einem Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 Promille kann die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit begründen.

Tenor:

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8.375 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

Der Antragsteller ist Inhaber einer Waffenbesitzkarte, in der noch insgesamt vier Waffen (vgl. Verlängerungsantrag vom 25.3.2013) eingetragen sind, und eines Jagdscheines. Er wendet sich gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. November 2015, mit dem dieser neben weiteren Anordnungen die Waffenbesitzkarte wegen waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit widerrief und den Jagdschein unter Anordnung der sofortigen Vollziehung für ungültig erklärte und einzog. Anlass dafür war der Umstand, dass der Antragsteller in der Nacht vom 15. auf den 16. November 2014 in alkoholisiertem Zustand einen Personenkraftwagen im öffentlichen Verkehrsraum führte und eine Langwaffe im Kofferraum seines Fahrzeugs in einem abgeschlossenen Behältnis sowie Munition im Fahrzeugraum mit sich führte. Mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Lüneburg vom 29. Mai 2015 wurde der Antragsteller wegen fahrlässiger Trunkenheitsfahrt zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt, wobei das Amtsgericht zugunsten des Antragstellers von einem Blutalkoholgehalt von mindestens 1,1 Promille ausging.

Über die gegen den Bescheid des Antragsgegners erhobene Klage des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden. Seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss abgelehnt.

Die dagegen vorgetragenen Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Eine Erlaubnis zum Erwerb und Besitz von Waffen setzt gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG voraus, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit im Sinne von § 5 WaffG besitzt. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 b WaffG sind Personen, die mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren, in diesem Sinn unzuverlässig. Diese Voraussetzungen liegen hier voraussichtlich aus zwei selbständig tragenden Gründen vor.

1. Zum einen folgt die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Antragstellers im genannten Sinn ungeachtet der Ausführungen des Verwaltungsgerichts und des Beschwerdevorbringens des Antragstellers voraussichtlich bereits daraus, dass er als Inhaber eines Jagdscheins eine Langwaffe und die dazu bestimmte Munition in seinem Fahrzeug transportiert hat, obwohl es an dem erforderlichen zeitlichen Zusammenhang mit einer beabsichtigten Jagdausübung oder damit zusammenhängenden Tätigkeiten gefehlt hat. Die Beschränkung des Prüfungsumfangs gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO schließt es mit Blick auf die Ergebnisrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht aus, dass das Beschwerdegericht seine Entscheidung auf andere Gesichtspunkte stützt, sofern sich - wie hier - der Streitgegenstand nicht ändert (vgl. hierzu Jeromin, in: Gärditz, VwGO, 2013, § 146, Rdnr. 37 f. m. w. N.).

Schusswaffen und Munition sind nach § 36 WaffG grundsätzlich in besonders gesicherten Behältnissen - insbesondere in Waffenschränken in Gebäuden - aufzubewahren. Für Inhaber eines gültigen Jagdscheins gelten besondere Vorschriften des Transports von Waffen und Munition, die auf ihre Bedürfnisse im Zusammenhang mit der Jagd zugeschnitten sind und sie insoweit gegenüber anderen Waffenbesitzern privilegieren. So dürfen Jäger nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 WaffG Jagdwaffen zur befugten Jagdausübung oder zum Training im jagdlichen Schießen ohne Erlaubnis führen und mit ihnen schießen. Nach § 12 Abs. 3 Nr. 2 WaffG dürfen sie diese auch nicht schussbereit und nicht zugriffsbereit befördern, sofern der Transport der Waffe zu einem von seinem Bedürfnis umfassten Zweck oder im Zusammenhang damit erfolgt. Auch ist in § 13 Abs. 11 AWaffV eine besondere Form der Aufbewahrung von Waffen oder Munition im Zusammenhang mit der Jagdausübung vorgesehen, wenn die vom Grundsatz her vorgeschriebene Aufbewahrung in einem sicheren Behältnis in der Wohnung nicht möglich ist. In diesem Fall haben die Waffenbesitzer Waffen oder Munition unter angemessener Aufsicht aufzubewahren oder durch sonstige erforderliche Vorkehrungen gegen Abhandenkommen oder unbefugte Ansichnahme zu sichern. Diese eng auszulegenden Ausnahmevorschriften tragen dem Umstand Rechnung, dass die strengen Anforderungen an die Aufbewahrung von Waffen und Munition in der Wohnung ausnahmsweise vorübergehend nicht eingehalten werden können, weil die Waffen zur Ausübung der Jagd im Revier benötigt werden und deshalb von dem sicheren Aufbewahrungsort in der Wohnung in eine weniger sichere Aufbewahrungssituation verbracht werden müssen. Diese Notwendigkeit kann sich etwa bei einer weiter entfernten Jagd während eines Hotelaufenthalts, am Ort der Jagdausübung oder in Jagdpausen ergeben. Aber auch während des Transports der Waffe zur Jagd kann es erforderlich sein, diese kurzfristig im Fahrzeug zurückzulassen, zum Beispiel bei einem Tankstopp, einem Halt vor einem Geldinstitut oder auch zur Einnahme eines Mittagessens. Beispiele hierfür sind bereits in Ziffer 12.3.3.2 und Ziffer 36.2.15 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz - WaffVwV - enthalten. Erforderlich ist jedoch in all diesen Fällen, dass der Transport der Waffe und die weniger gesicherte Aufbewahrung der Waffe einem jagdrechtlichen Bedürfnis entsprechen. Dies setzt voraus, dass ein unmittelbarer, auch zeitlicher Zusammenhang mit der privilegierten Jagdausübung besteht, dass der Transport und die Aufbewahrung diesem Zweck dienen und der Zusammenhang hiermit auch nicht unterbrochen worden ist (vgl. hierzu etwa VG Minden, Urt. v. 23.6.2015 - 8 K 3010/14 -, juris; VG Karlsruhe, Beschl. v. 14.10.2014 - 4 K 2472/14 -, juris; VG Düsseldorf, Urt. v. 10.5.2013 - 22 K 7560/11 -, juris; Bay. VGH, Beschl. v. 30.3.2010 - 21 Cs 10.392 -, juris; Heller/Schoschinka, Waffenrecht, 3. Aufl. 2013, Rdnr. 1425).

Im vorliegenden Fall fehlt bereits ein solcher unmittelbarer zeitlicher und sachlicher Zusammenhang des Transports der Waffe und der Munition in dem Fahrzeug mit der Jagdausübung oder damit in Verbindung stehenden Tätigkeiten (vgl. hierzu Heller/ Soschinka,  a. a. O., Rdnr. 1412 f.). Der Antragsteller hat selbst nicht vorgetragen, dass er sich bei der Kontrolle durch die Polizei am 16. November 2014 um 00.05 Uhr auf dem Weg von der oder zur Jagdausübung oder sonstigen damit in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten befunden hat. Nach seinem Vorbringen hat er vielmehr an diesem und am Vortage als langjähriger Anzeigenleiter eines Verlages für jagdliche Fachzeitschriften Kunden des Verlages in einem Jagdhaus betreut und war auf dem Nachhauseweg in die Polizeikontrolle geraten. Daher spricht Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller die Waffe und die Munition entgegen § 13 Abs. 1 AWaffV nicht nur an diesen Tagen mit sich geführt, sondern ständig in seinem Fahrzeug - wenn auch getrennt - aufbewahrt hat. Diese Verhaltensweise stellt einen Aufbewahrungsverstoß dar, der seine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit begründet.

Aber selbst das Mitführen und Aufbewahren der Waffe und der Munition in seinem Fahrzeug nur an den beiden genannten Tagen während seines Aufenthaltes im Jagdhaus ohne angemessene Aufsicht stellt einen Verstoß gegen die Aufbewahrungspflichten dar, der seine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit begründet. Nach Ziffer 36.2.15 WaffVwV ist es lediglich bei einem kurzfristigen Verlassen des Fahrzeugs in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit den genannten jagdlichen und damit einhergehenden Nebenzwecken ausreichend, wenn Waffe und Munition im verschlossenen Fahrzeug so aufbewahrt werden, dass keine Rückschlüsse auf die Art des Inhalts möglich sind (vgl. hierzu Heller/Soschinka, a. a. O., Rdnr. 1425).

Auch auf dieser Grundlage ist die von dem Verwaltungsgericht angestellte Prognose gerechtfertigt, gegen die der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung weder hinsichtlich der abstrakten Voraussetzungen noch hinsichtlich der Anforderungen in seinem Einzelfall Einwände erhoben hat. Dass es durch den festgestellten Verstoß zu einer konkreten erheblichen Gefahr für bestimmte Personen oder die Allgemeinheit gekommen oder gar ein Schaden eingetreten sein muss, ist nicht Voraussetzung für die Annahme einer negativen Prognose. Der Schutz der Allgemeinheit vor von Waffen ausgehenden Gefahren (Zweck) soll gerade auch durch die geltenden Aufbewahrungsvorschriften (Mittel) erreicht werden. Dementsprechend berührt jeder Verstoß gegen die Aufbewahrungsvorschriften zugleich die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit, jedenfalls im Sinne einer abstrakten Gefährdung. Dabei ist der Grad der "Zweckverfehlung", also die Größe der Gefahr oder gar des Schadens, kein Indikator zur Beurteilung der Schwere des vorgelagerten "Mittelverstoßes". Denn der Grad der "Zweckverfehlung" hängt häufig allein von Zufälligkeiten ab, aus denen für die Beurteilung der Schwere des Aufbewahrungsverstoßes offensichtlich nichts hergeleitet werden kann. Angesichts des überragenden Stellenwerts der Einhaltung von Aufbewahrungsvorschriften im Interesse der Sicherheit der Allgemeinheit ist die unterbliebene Aufbewahrung im Waffenschrank oder in einem anderen sicheren Behältnis während der berufsbedingten Anwesenheit im Jagdhaus als gravierendes Fehlverhalten des Antragstellers einzustufen.

2. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Antragstellers zu Recht daraus hergeleitet, dass dieser eine Waffe bei einer Autofahrt in stark alkoholisiertem Zustand mit sich geführt hat.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass vorsichtig und sachgemäß mit Waffen nur umgeht, wer sie in nüchternem Zustand gebraucht und so sicher sein kann, keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen zu erleiden, die zur Gefährdung Dritter führen können (BVerwG, Urt. v. 22.10.2014 - BVerwG 6 C 30.13 -, NJW 2015, 1127, juris, Rdnr. 19 ff.). Der Antragsteller hat die Schusswaffe zwar nicht in alkoholisiertem Zustand in Gebrauch gehabt. Gerade mit Blick auf das besondere Gefahrenpotential kann aber auch das bloße Mitführen einer Waffe sowie von Munition bei einer Autofahrt in stark alkoholisiertem Zustand die Prognose rechtfertigen, dass der Waffenbesitzer unzuverlässig i. S. d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 b WaffG ist. Im Rahmen der Zuverlässigkeitsregelungen enthält das Waffengesetz zwar - anders als bei der persönlichen Eignung (vgl. hierzu § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG) - keine ausdrücklichen Vorschriften in Bezug auf Alkoholgenuss. Gleichwohl begründet auch das Mitführen einer Waffe bei einer Autofahrt mit einer Blutalkoholkonzentration im Hinblick auf die daraus resultierenden Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer eine Unzuverlässigkeit im waffenrechtlichen Sinn. Anders als im Straßenverkehrsrecht bedarf es hierbei keines festen Grenzwertes. Denn der Maßstab für die waffenrechtliche Zuverlässigkeit in § 5 Abs. 1 Nr. 2 b WaffG deckt sich nicht mit dem straßenverkehrsrechtlichen Sorgfaltsmaßstab, der in § 24 a StVG normiert ist. Der Senat tritt der Auffassung des Verwaltungsgerichts bei, dass jedenfalls ab einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 Promille, wie sie hier im Raum steht, die waffenrechtliche Zuverlässigkeit bei dem Transport einer Waffe und von Munition in einem Kraftfahrzeug nicht mehr gegeben ist. Hierzu verhält sich der Antragsteller in der Begründung seiner Beschwerde nicht. Sein Beschwerdevorbringen richtet sich lediglich gegen die weiteren, nicht entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts („Im Übrigen“) zu der Frage, ob die Erkenntnisse aus der Untersuchung des Blutkuchens, die auf einen Wert einer Blutalkoholkonzentration von über deutlich 1,1 Promille hinweisen, verwertet werden dürfen.

Der Beschwerdeeinwand des Antragstellers, auch im Verwaltungsverfahren sei zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass eine Blutalkoholkonzentration von „deutlich unter 1,6 Promille“ vorgelegen habe, rechtfertigt daher kein anderes Ergebnis. Entgegen der Darstellung des Antragstellers im Beschwerdeverfahren kann auch nicht von einer Blutalkoholkonzentration von unterhalb 1,1 Promille ausgegangen werden, zumal er erstinstanzlich „nicht in Abrede genommen“ hat, als Kraftfahrzeugführer eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille gehabt zu haben.

Der abschließende Hinweis des Antragstellers in seiner Beschwerdebegründung auf sein erstinstanzliches Vorbringen genügt nicht dem Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO (vgl. dazu Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 146, Rdnr. 79) und ist daher unbeachtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und Nr. 1.5, 20.3, 50.2 und 50.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11). Bei dem Widerruf einer Waffenbesitzkarte bringt der Senat als Streitwert den Auffangwert in Höhe von 5.000 EUR in Ansatz. In diesem Auffangwert ist zugleich die erste eingetragene Waffe mit enthalten. Für alle weiteren Waffen - hier: drei - sind jeweils 750 EUR anzusetzen. Zusätzlich ist für in Waffenbesitzkarten eingetragene Munitionserwerbsberechtigungen unabhängig von der Anzahl der Berechtigungen ein Streitwert von 1.500 EUR festzusetzen. Mithin ergibt sich hier als Zwischenergebnis ein Streitwert in Höhe von 8.750 EUR (5.000 EUR + 2.250 EUR + 1.500 EUR). Für die Einziehung des Jagdscheines ist der Streitwert mit 8.000 EUR in Ansatz zu bringen. Der Gesamtbetrag von 16.750 EUR ist in dem vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.