Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.03.2016, Az.: 13 ME 12/16

Feststellung des Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit von Amts wegen; Ausgestaltung der Eintragung zum Staatsangehörigkeitserwerb im Geburtsregister als Hinweis

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.03.2016
Aktenzeichen
13 ME 12/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 17256
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2016:0309.13ME12.16.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 14.01.2016 - AZ: 5 B 387/15

Fundstellen

  • AUAS 2016, 91-92
  • InfAuslR 2016, 188-189
  • NVwZ-RR 2016, 555-556
  • NdsVBl 2016, 5
  • StAZ 2016, 347
  • ZAR 2016, 154

Amtlicher Leitsatz

Durch den im Geburtsregister eingetragenen Hinweis zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erwirbt ein Ausländer weder konstitutiv die deutsche Staatsangehörigkeit, noch kommt diesem Hinweis in anderer Weise Rechtsverbindlichkeit hinsichtlich des Erwerbs oder Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit zu.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 5. Kammer - vom 14. Januar 2016 geändert.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 14. Januar 2016 hat Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11. November 2015 wiederhergestellt.

3

In formeller Hinsicht begegnet die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Feststellung, dass die Antragstellerin nicht die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt nach § 4 Abs. 3 StAG erworben hat, keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere die schriftliche Begründung genügt den sich aus § 80 Abs. 3 VwGO ergebenden Anforderungen. Erforderlich für das Vorliegen einer schriftlichen Begründung im Sinne dieser Bestimmung ist eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen oder des überwiegenden privaten Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem von ihm angegriffenen Verwaltungsakt verschont zu werden (Kopp/Schenke: VwGO, 21. Aufl. 2015, § 80, Rdnr. 85 m.w.N.). Dem Begründungserfordernis ist nicht erst dann Genüge getan, wenn ein überwiegendes privates Interesse an der sofortigen Vollziehung tatsächlich vorliegt; ausreichend ist vielmehr - wie bei der Begründung eines Verwaltungsakts nach § 39 Abs. 1 Satz 2 VwVfG -, dass die Behörde die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitteilt, die sie im konkreten Einzelfall zu der Annahme des Vorliegens eines besonderen Vollzugsinteresses und damit zur Anordnung der sofortigen Vollziehung bewogen haben. Das ist hier der Fall. Der Antragsgegner hat in seiner Anordnung vom 11. November 2015 eine auf den Einzelfall abgestellte, substantiierte und nicht lediglich formelhafte Begründung des besonderen Vollzugsinteresses vorgenommen. Dazu reicht es aus, dass der Antragsgegner auf die an die deutsche Staatsangehörigkeit geknüpften Rechte und die dadurch bedingte Gewährung von Leistungen verweist. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der konkreten Möglichkeit der Verfestigung des Aufenthaltsstatus der Mutter der Antragstellerin. Ob diese Darlegungen des Antragsgegners zutreffend sind und die Anordnung der sofortigen Vollziehung inhaltlich rechtfertigen, ist im Rahmen der formellen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO ohne Bedeutung.

4

In materieller Hinsicht kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wiederherstellen, wenn die im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse oder ein überwiegendes Interesse eines Dritten an der Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsaktes hinter das Interesse des Adressaten an einem Aufschub des Vollzugs desselben zurücktritt. Das ist der Fall, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann kein vorrangiges öffentliches Interesse bestehen. Umgekehrt ist der Rechtsschutzantrag abzulehnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist und zusätzlich ein gesteigertes öffentliches Interesse an seiner Vollziehung besteht, das über das Interesse hinausgeht, das den Erlass des Verwaltungsaktes selbst rechtfertigt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11. Mai 2007 - 2 BvR 2483/06 - , Rdnr. 31 f.). Davon ist bei einem gesetzlichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung regelmäßig auszugehen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens bei summarischer Beurteilung des Sachverhalts hingegen offen, so entscheidet eine reine Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen, die für oder gegen die Dringlichkeit der Vollziehung sprechen, über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Maßgebend dabei sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.

5

Nach der im vorliegenden Eilverfahren allein gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erweist sich die angefochtene Feststellung als offensichtlich rechtmäßig.

6

Dabei ist zunächst festzuhalten, dass im vorliegenden Fall § 35 StAG, der die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung nur unter engen Voraussetzungen vorsieht, der Möglichkeit der Feststellung nach § 30 StAG nicht entgegensteht, dass die deutsche Staatsangehörigkeit von Anfang an gar nicht erst erworben worden ist.

7

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass ein öffentliches Interesse für die Feststellung des Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit von Amts wegen nach § 30 Abs. 1 Satz 3 StAG besteht. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den vorgelegten Verwaltungsvorgängen auch entnommen, dass die Antragstellerin die deutsche Staatsangehörigkeit nicht nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG erworben hat. Auf die zutreffenden Ausführungen auf den Seiten 2 und 3 des angefochtenen Beschlusses wird insoweit verwiesen.

8

Durch den im Geburtsregister eingetragenen Hinweis zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit der Antragstellerin hat diese weder konstitutiv die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, noch kommt diesem in anderer Weise Rechtsverbindlichkeit bzgl. des Erwerbs oder Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit der Antragstellerin zu. Denn die Eintragung nach § 4 Abs. 3 Satz 2 StAG setzt den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG voraus und begründet ihn nicht. Dem entspricht es, wenn die Eintragung zum Staatsangehörigkeitserwerb im Geburtsregister nach § 21 Abs. 3 Nr. 4 PStG lediglich als Hinweis ausgestaltet ist, der gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 PStG nicht an der Beweiskraft des Geburtsregisters teilnimmt. Selbst in diesem Falle ist nach § 54 Abs. 3 PStG der Nachweis der Unrichtigkeit jederzeit möglich. Mit der Eintragung zum Erwerb der Staatsangehörigkeit im Geburtsregister gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 StAG wird lediglich das Ergebnis der Prüfung des Standesbeamten niedergelegt, ohne dass diese Eintragung oder der Prüfungsvermerk die Staatsangehörigkeit selbst (konstitutiv) begründen könnten oder diesen Vorgängen im Rechtsverkehr Verbindlichkeit zukäme (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 05.10.2009 - 3 Bf 48/08.Z -, , Rdnr. 16; Marx in: GK-Staatsangehörigkeitsrecht, Stand November 2015, § 4 Rdnr. 356 - 363, 370 - 374; so auch Manhart, NZFam, 2015, 442, 443). Eine rechtsverbindliche Klärung der Staatsangehörigkeit ist dem Verfahren nach § 30 StAG vorbehalten.

9

Es besteht auch ein gesteigertes Interesse an der Vollziehung der Feststellung des Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit der Antragstellerin. Vieles spricht dafür, dass die Feststellung des Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund der an die deutsche Staatsangehörigkeit anknüpfenden mannigfältigen Folgewirkungen bereits für sich genommen die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigt. Jedenfalls gilt dies aber im vorliegenden Fall. So hat die vermeintliche Staatsangehörigkeit der Antragstellerin bereits dazu geführt, dass deren Mutter eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erteilt worden ist und sich auf diese Weise deren Aufenthaltssituation gegenüber dem zuvor nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilten Aufenthaltstitel verfestigt hat. So kann die Mutter der Antragstellerin bereits nach drei Jahren unter den Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 AufenthG eine Niederlassungserlaubnis erhalten und unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 StAG hat diese ihrerseits- anders als bei einem Titel nach § 25 Abs. 5 AufenthG - auch einen Anspruch auf Einbürgerung. Es ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung, ob die Mutter der Antragstellerin tatsächlich beabsichtigt, einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder auf Einbürgerung zu stellen. Bereits die beschriebenen weitreichenden statusrechtlichen Folgewirkungen rechtfertigen die Anordnung der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides, um auf diese Weise den Rechtsschein der deutschen Staatsangehörigkeit der Antragstellerin zu beseitigen.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und Nr. 42.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keine Halbierung des Streitwerts für das Hauptsacheverfahren in Anlehnung an Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vorzunehmen. Nach Auffassung des Senats ist dem Umstand, dass es sich nicht um eine Hauptsacheentscheidung handelt, bereits dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Gebührensätze des Gerichtskostengesetzes geringer sind als in Hauptsacheverfahren. Einer zusätzlichen Herabsetzung des Streitwertes bedarf es nicht.

11

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).