Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 19.01.2023, Az.: 13 U 79/21

Wettbewerbswidrigkeit des Vertriebs ölfreier Trockenluftkompressoren zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung ohne Kennzeichnung als Medizinprodukte mittels CE-Kennzeichen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.01.2023
Aktenzeichen
13 U 79/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 55415
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2023:0119.13U79.21.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 20.10.2021 - AZ: 8 O 19/21

Fundstellen

  • GRUR-Prax 2023, 145 "Trockenluftkompressor"
  • GRUR-RR 2023, 360-364 "Trockenluftkompressor"
  • WRP 2023, 728-735

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ölfreie Trockenluftkompressoren, für die sich aus der Gebrauchsanweisung des Herstellers eine Zweckbestimmung zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung ergibt, stellen Zubehör eines Medizinprodukts im Sinne des Art. 2 Nr. 2 MDR dar.

  2. 2.

    Händler müssen vor dem Bereitstellen eines Produkts auf dem Markt anhand seiner Gebrauchsanweisung prüfen, ob es sich um ein Medizinprodukt bzw. Zubehör zu einem solchen handelt.

  3. 3.

    Wenn es sich bei einem Produkt um ein Medizinprodukt bzw. Zubehör zu einem solchen handelt, müssen Händler vor dem Bereitstellen auf dem Markt prüfen, ob das Produkt eine entsprechende CE-Kennzeichnung trägt und eine EU-Konformitätserklärung nach der MDR ausgestellt wurde.

  4. 4.

    Händler brauchen vor dem Bereitstellen auf dem Markt regelmäßig nicht zu prüfen, ob die aus einer ausgestellten EU-Konformitätserklärung ersichtliche Risikoklassifizierung zutrifft.

  5. 5.

    Bei den Pflichten aus Art. 14 Abs. 2 Satz 1 lit. a, Satz 3 MDR handelt es sich um Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 3a UWG.

In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 20. Dezember 2022 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:

Tenor:

I.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stade vom 20. Oktober 2021 unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1.

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, ölfreie Trockenluftkompressoren mit der Zweckbestimmung zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung, wie in der Anlage K 5 beschrieben, auf dem Markt bereitzustellen, wenn diese nicht als Medizinprodukte mit einem CE-Kennzeichen versehen sind.

2.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die dieser aus der unter Ziffer 1 genannten Handlung bisher entstanden sind und weiter entstehen werden.

3.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang die unter Ziffer 1 beschriebenen Handlungen bisher vorgenommen wurden, insbesondere unter Angabe der Anzahl der in den Verkehr gebrachten Produkte, der Namen und Anschriften der Adressaten sowie der dabei erzielten Umsatzerlöse.

4.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.305,40 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Januar 2021 zu zahlen.

5.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 2.241,78 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. April 2021 zu zahlen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des ölfreien Trockenluftkompressors des Herstellers C., V. N. ..., ... U., I., mit der Kompressor-Nr. ...0.

6.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 36 % und die Beklagte zu 64 %.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung des Unterlassungsanspruchs zu I. 1 durch Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000 € und die Vollstreckung des Auskunftsanspruchs zu I. 3 durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung im Übrigen jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 150.000 € festgesetzt.

V.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Beklagte ist die rechtlich selbständige deutsche Werksvertretung des italienischen Unternehmens C., das Hersteller von sog. ölfreien Trockenluftkompressoren zur Erzeugung von Druckluft ist. Die Beklagte vertreibt die Produkte in Deutschland.

Die Klägerin stellt Medizinprodukte für den Dentalbedarf, insbesondere auch Kompressoren zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung, her und vertreibt diese. Zwischen ihr und der für sie zuständigen deutschen Benannten Stelle war es hinsichtlich der Risikoklassifizierung eines ihrer Trockenluftkompressoren, den sie in die Risikoklasse I eingestuft hatte, zu Meinungsverschiedenheiten gekommen. Aus diesem Grund traf das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte [im Folgenden: BfArM] die Entscheidung, dass es sich bei dem Kompressor der Klägerin um ein Medizinprodukt der Risikoklasse IIa gemäß Anhang IX der Richtlinie 93/42/EWG handele.

Im November 2020 bestellte die Klägerin bei der Beklagten im Wege eines Testkaufs einen Kompressor des Herstellers C. Der Kompressor trug eine einfache CE-Kennzeichnung ohne Angabe der vierstelligen Kennnummer einer Benannten Stelle (Anlage K 4, Anlagenhefter Klägerin). Die zugehörige Konformitätserklärung durch den Hersteller (Anlage K 15) bezieht sich auf die EG-Richtlinie 2006/42 EWG (Maschinenrichtlinie) und nicht auf die VO (EU) 2017/745 (Medizinprodukte-VO, im Folgenden MDR) bzw. die davor geltenden Medizinprodukte-Richtlinie. Dem gelieferten Kompressor war eine Gebrauchsanweisung beigefügt (Anlage K 5).

Die Klägerin mahnte die Beklagte wegen des Fehlens der ihrer Auffassung nach erforderlichen medizinprodukterechtlichen CE-Kennzeichnung nebst vierstelliger Kennnummer einer Benannten Stelle ab und forderte sie zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung auf. Die Beklagte gab keine Unterlassungsverpflichtungserklärung ab.

Anfang des Jahres 2021 führte die Klägerin einen weiteren Testkauf hinsichtlich eines Kompressors aus der Herstellung der Firma C. durch.

Die Klägerin hat gemeint, dass es sich bei beiden Kompressoren um Zubehör für Medizinprodukte handele, da sie ausweislich der Gebrauchsanweisung und den Angaben auf der Internetseite des Herstellers zur Bereitstellung von Druckluft für zahnärztliche Handstücke, zum Betrieb rotierender Instrumente durch den Zahnarzt sowie zum Trocknen der Zubereitungen vor der Zementierung dienten. Sie hat behauptet, der Hersteller habe auf seiner Internetseite im November 2020 von dem "guten Betrieb der Drehinstrumente des Zahnarztes" und der Verwendung der Luft "zur Austrocknung der Zubereitungen vor der Zementierung" gesprochen sowie davon, dass die "so gefilterte und getrocknete Luft als geeignet für die Instrumente und Hygiene in der zahnärztlichen Praxis" gelte (Anlage K 6, Anlagenhefter Klägerin). Da der Kompressor über eine zahnärztliche Druckluftpistole komprimierte Luft direkt an den Patienten abgebe, um Partikel aus dem Mundraum zu entfernen oder Zähne zu trocken, und zur Bereitstellung von Druckluft zum Betrieb rotierender zahnärztlicher Instrumente diene, sei der Kompressor als Medizinprodukt in die Risikoklasse IIa einzuordnen, das entsprechende Konformitätsbewertungsverfahren unter Hinzuziehung einer Benannten Stelle durchzuführen und neben der medizinprodukterechtlichen CE-Kennzeichnung deren vierstellige Kennnummer anzugeben.

Nachdem die Klägerin ursprünglich u. a. beantragt hatte, es der Beklagten zu untersagen, solche Kompressoren in den Verkehr zu bringen, hat sie zuletzt beantragt, 1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, ölfreie Trockenluftkompressoren mit der Zweckbestimmung zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung, wie in den Anlagen K 5 und K 6 beschrieben, auf dem Markt bereitzustellen, wenn diese nicht als Medizinprodukte mit einem CE-Kennzeichen samt vierstelliger Kennnummer einer Benannten Stelle versehen sind; 2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die dieser aus der unter Ziffer 1 genannten Handlung bisher entstanden sind und weiter entstehen werden; 3. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang die unter Ziffer 1 beschriebenen Handlungen bisher vorgenommen wurden, insbesondere unter Angabe der Anzahl der in den Verkehr gebrachten Produkte, der Namen und Anschriften der Adressaten sowie der dabei erzielten Umsatzerlöse und Gestehungskosten; 4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.305,40 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Januar 2021 zu zahlen, sowie 5. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Beträge in Höhe von 2.241,78 € sowie 3.604,88 €, jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung der beiden ölfreien Trockenluftkompressoren (Kompressor-Nr. ...0 und ...5) zu zahlen. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Das Landgericht hat die Klage im Wesentlichen abgewiesen; nur dem Antrag auf Zahlung von 2.241,78 € - Kosten für den ersten Testkauf - nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Trockenluftkompressors hat das Landgericht stattgegeben.

Zur Begründung hat das Landgericht u. a. ausgeführt: Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, Satz 1, § 3, § 3a UWG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 lit. a MDR. Art. 14 MDR stelle zwar eine Marktverhaltensregelung dar und ein Verstoß könne die Interessen der Mitbewerber und Verbraucher spürbar beeinträchtigen. Die Beklagte hätte Grund zur Annahme der nicht ordnungsgemäßen Kennzeichnung gehabt, weil die Kompressoren keine medizinprodukterechtlichen Kennzeichen getragen hätten, obwohl die Gebrauchsanweisungen eine medizinische Zweckbestimmung ausgewiesen hätten. Die Beklagte habe nach Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 lit. a MDR überprüfen müssen, ob die Produkte eine medizinprodukterechtliche CE-Kennzeichnung trügen und eine EU-Konformitätserklärung ausgestellt sei, nicht jedoch, ob die Kennzeichnung im Hinblick auf die Risikoklassifizierung zutreffe und das Produkt neben dem CE-Kennzeichen mit der vierstelligen Kennnummer einer Benannten Behörde hätte versehen werden müssen. Daher könne der Beklagten nicht verboten werden, die Kompressoren ohne die vierstellige Kennnummer der Benannten Stelle zu vertreiben. Soweit die Beklagte die Produkte ohne medizinrechtliche Kennzeichnung vertrieben habe, handele es sich bei dem Anspruch auf Unterlassung der Bereitstellung von Medizinprodukten auf dem Markt ohne jegliche medizinprodukterechtliche Kennzeichnung nicht um ein "Minus" hinsichtlich des Klagantrags. Einen entsprechenden Hilfsantrag habe die Beklagte nicht gestellt. Es fehle zudem an der Wiederholungsgefahr. Zwar habe die Beklagte im Zeitpunkt des Testkaufs gegen § 6 Abs. 1 MPG verstoßen. Eine entsprechende Regelung enthalte die MDR jedoch nicht. Dementsprechend habe die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 MDR. Die Klägerin habe gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für den zweiten Testkauf in Höhe von 3.604,88 €, weil bereits der erste Testkauf einen Verstoß gegen § 6 Abs. 1 MPG bestätigt habe. Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten in Höhe von 2.305,40 € aus § 13 Abs. 3 UWG. Zwar sei das zum Zeitpunkt der Abmahnung geltende Recht maßgeblich. Jedoch benenne die Abmahnung die Rechtsverletzung nicht hinreichend unter Angabe der tatsächlichen Umstände (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG). Aus der Abmahnung vom 18. Dezember 2020 gehe nicht hervor, welche Produkte die Klägerin bei den Testkäufen erworben habe und beanstande.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel im Umfang der Klagabweisung weiterverfolgt und ihr Vorbringen vertieft. Das Landgericht habe den Klagantrag zu 1 fehlerhaft ausgelegt. Im Zweifel sei wegen des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör das als gewollt anzusehen, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig sei und der recht verstandenen Interessenlage der Partei entspreche. Danach greife die Klägerin - auch für sich genommen - das vollständige Fehlen einer medizinprodukterechtlichen CE-Kennzeichnung an. Jedenfalls hätte das Landgericht die Klägerin auf seine Auslegung des Klagantrags zu 1 hinweisen müssen. Da Art. 14 MDR eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG darstelle, sei Lauterkeitsrecht anwendbar. Ohne die Möglichkeit, gegen den Wettbewerbsverstoß nach UWG vorzugehen, wären Wettbewerber mangels Antragsbefugnis gegenüber den Behörden rechtsschutzlos gestellt. Die von der Beklagten auf dem Markt bereitgestellten Kompressoren hätten nicht den Anforderungen der MDR entsprochen. Sie seien entgegen der MDR nicht als Zubehör zu Medizinprodukten im Sinne von Art. 2 Nr. 2 MDR und mithin als eigenständige Medizinprodukte eingestuft worden. Darüber hinaus sei fehlerhaft eine Klassifizierung in die Risikoklasse IIa unterblieben. Die Risikoklassifizierung sei nach Art. 51 Abs. 1 MDR obligatorisch und hätte gemäß Regel 9 des Anhangs VIII zur MDR zu einer Zuordnung zur Risikoklasse IIa führen müssen. Mit der fehlenden Einstufung gehe ein erhebliches abstraktes Gefährdungspotential der Kompressoren einher, weil kein medizinprodukterechtliches Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt und daher nicht geprüft worden sei, ob das Produkt grundlegende Sicherheits- und Leistungsanforderungen an Medizinprodukte (Anhang I zur MDR) erfülle. Schließlich liege in der Umgehung der zeit-, kosten- und dokumentationsaufwändigen Beteiligung einer Benannten Stelle eine preisreduzierende, Wettbewerber benachteiligende Wettbewerbsverzerrung. Die MDR habe mit Art. 14 erstmals einen dezidierten Pflichtenkatalog für Händler eingeführt. Der Händler habe die Existenz einer CE-Kennzeichnung zu prüfen. Dazu gehöre auch die in Art. 20 Abs. 5 MDR vorgesehene vierstellige Kennnummer der Benannten Stelle, wenn eine solche in Ansehung der Risikoklasse des Medizinprodukts im Rahmen der Konformitätsbewertung zu beteiligen sei. Außerdem folge die wettbewerbsrechtliche Angreifbarkeit des Verhaltens der Beklagten daraus, dass gemäß Art. 14 Abs. 2 MDR dann, wenn ein Händler Grund zu der Annahme habe, dass das Produkt nicht den Anforderungen der MDR entspreche, er dieses nicht auf dem Markt bereitstellen dürfe, bevor dessen Konformität hergestellt sei. Aufgrund der vom Gericht festgestellten Tatsachen habe die Beklagte Anlass zur Annahme einer unzutreffenden Klassifizierung gehabt. Bei der Beklagten handle es sich um die deutsche Werksvertretung des italienischen Herstellers und damit einen Spezialisten für diese Kompressoren. Jedenfalls hätte die Beklagte spätestens mit Erhalt der Abmahnung der Klägerin vom 18. Dezember 2020 Grund für eine solche Annahme gehabt und Maßnahmen ergreifen müssen, was sie aber unterlassen habe. Die Beklagte habe schuldhaft - mindestens fahrlässig - gehandelt, indem sie die Kompressoren trotz sich aufdrängender Anhaltspunkte für die Nonkonformität weiterhin auf dem Markt bereitgestellt habe. Ein Schaden in Form eines nicht unerheblichen entgangenen Gewinns der Klägerin sei wahrscheinlich. Nach der Lebenserfahrung stehe zu erwarten, dass zumindest einige potentielle Kunden ohne den Wettbewerbsverstoß der Beklagten auf Produkte der Klägerin zurückgegriffen hätten. Zur Bezifferung dieses Schadensersatzanspruches - insbesondere des entgangenen Gewinns - stünden der Klägerin die geltend gemachten Auskunftsansprüche zu. Diese erstreckten sich auf Tatsachen, die der Klägerin eine Prüfung der Vollständigkeit und Richtigkeit der erteilten Auskünfte ermöglichten. Dazu gehörten Namen und Anschriften der Abnehmer. Außerdem könne sie, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dargelegt, nur dann prüfen, ob Kunden ihre Kompressoren statt die der Beklagten gekauft hätten, wenn sie auch Auskunft über die Erlöse bzw. die Margen und Preise erhalte. Bei dem Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten aus § 13 Abs. 3 UWG habe das Landgericht zu hohe Anforderungen an den notwendigen Mindestinhalt der Abmahnung gestellt. Die Typenbezeichnung sei nicht erforderlich gewesen. Lieferschein und Gebrauchsanweisung habe sie nicht beizufügen brauchen. Der Klägerin stehe auch ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für den zweiten Testkauf zu. Der zweite Testkauf sei angesichts der nebulösen Antwort der Beklagten auf die Abmahnung zur Rechtsverfolgung notwendig gewesen.

Die Klägerin beantragt,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Stade vom 20. Oktober 2021 unter dem Aktenzeichen 8 O 19/21

1.

die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, ölfreie Trockenluftkompressoren mit der Zweckbestimmung zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung, wie in den Anlagen K 5 und K 6 beschrieben, auf dem Markt bereitzustellen, wenn diese nicht als Medizinprodukte mit einem CE-Kennzeichen samt vierstelliger Kennnummer einer Benannten Stelle versehen sind,

hilfsweise:

die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, ölfreie Trockenluftkompressoren mit der Zweckbestimmung zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung, wie in den Anlagen K 5 und K 6 beschrieben, auf dem Markt bereitzustellen, wenn diese nicht als Medizinprodukte mit einem CE-Kennzeichen versehen sind.

2.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die dieser aus der unter Ziffer 1 genannten Handlung bisher entstanden sind und weiter entstehen werden,

3.

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang die unter Ziffer 1 beschriebenen Handlungen bisher vorgenommen wurden, insbesondere unter Angabe der Anzahl der in den Verkehr gebrachten Produkte, der Namen und Anschriften der Adressaten sowie der dabei erzielten Umsatzerlöse und Gestehungskosten,

4.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.305,40 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Januar 2021 zu zahlen, sowie

5.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 3.604,88 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des ölfreien Trockenluftkompressors (Kompressor Nr. ...5) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Art. 14 MDR gelte nur für Produkte, die der Hersteller ausdrücklich als Medizinprodukte in den Verkehr bringe. Dies sei hier nicht der Fall. Der Hersteller habe das betroffene Produkt nicht als Medizinprodukt in den Verkehr gebracht und gekennzeichnet, sondern nur als technisches Gerät. Die Beklagte dürfe sich als Händlerin von technischen Geräten für die Einordnung und Einhaltung der für das Produkt vorgeschriebenen rechtlichen Regelungen auf die Angaben des Herstellers verlassen. Selbst wenn Art. 14 MDR anwendbar wäre, hätte sie sich nur vergewissern müssen, ob ein CE-Kennzeichen angebracht und eine EU-Konformitätserklärung für das Produkt ausgestellt worden sei. Insoweit handle es sich um rein formelle Pflichten ohne inhaltliche Überprüfung der CE-Kennzeichnung, der Konformitätserklärung oder der Kennzeichnungstexte. Außerdem ergebe sich aus Art. 14 MDR nur die Verpflichtung des Händlers, falls er der Auffassung sei oder Grund zu der Annahme habe, dass das Medizinprodukt nicht den Regelungen der MDR entspreche, den Hersteller zu informieren und das Produkt erst dann wieder auf dem Markt bereitzustellen, wenn es MDR-konform sei. Hier habe sie keinen Anlass zur Annahme rechtsverletzender Eigenschaften des Produkts gehabt. Die Beklagte behauptet, sie habe den Hersteller über die Abmahnung der Klägerin informiert und von diesem erneut die Auskunft erhalten, dass es sich nicht um Medizinprodukte handle. Sie meint, dass es sich bei den streitgegenständlichen Produkten nicht um Zubehör zu einem Medizinprodukt handle, weil es an der Zweckbestimmung des Herstellers fehle, speziell die Verwendung eines Medizinprodukts zu ermöglichen oder die medizinische Funktion eines Medizinprodukts gezielt und unmittelbar zu unterstützen. Wenn es sich doch um Zubehör handeln sollte, wären die Kompressoren jedenfalls nicht nach der Regel 9, sondern allenfalls nach der Regel 13 - dann in die Klasse I - einzustufen. Die MDR enthalte im Übrigen eine umfassende Rechtsfolgenregelung; für eine wettbewerbsrechtliche Durchsetzung verbleibe kein Raum. Die Beklagte behauptet außerdem, dass im Jahr 2019 das Gewerbeaufsichtsamt L. tätig geworden und nach Übersendung angeforderter Informationen und Beantwortung von Fragen zu dem Schluss gekommen sei, dass es sich nicht um Medizinprodukte handle und keine Einwände gegen den Verkauf bestünden (Anlagen B 3 bis B 5, Bl. 220, 221-224, 225 d. A.). Daraus habe die Beklagte geschlossen und schließen dürfen, dass die Angaben des Herstellers zur Verkehrsfähigkeit der Produkte zuträfen.

Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg.

1.

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch besteht nur im Umfang des Hilfsantrags.

a)

Haupt- und Hilfsantrag zu 1 sind zulässig.

aa)

Mit ihrem Hauptantrag will die Klägerin der Beklagten untersagen lassen, die Kompressoren mit der streitgegenständlichen Zweckbestimmung auf dem Markt bereitzustellen, wenn der CE-Kennzeichnung keine medizinprodukterechtliche Konformitätserklärung zugrunde liegt und bei der CE-Kennzeichnung die Kennnummer der Benannten Stelle fehlt.

Anträge der Parteien sind der Auslegung fähig und die zur Auslegung materiell-rechtlicher Rechtsgeschäfte entwickelten Regeln sind entsprechend heranzuziehen. Es ist dementsprechend auch die dem Antrag beigegebene Begründung zu beachten. Bei einer vom Gericht vorgenommenen Auslegung ist von dem Grundsatz auszugehen, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (Musielak/Voit/Musielak, 19. Aufl. 2022, ZPO § 308 Rn. 3 mit Nachweisen).

Die Annahme des Landgerichts, dass die Beklagte Grund zur Annahme gehabt habe, dass zwar die streitgegenständlichen Kompressoren nicht ordnungsgemäß gekennzeichnet seien, da sie keine medizinprodukterechtliche Kennzeichnung getragen hätten, aber der Anspruch auf Unterlassung der Bereitstellung von Medizinprodukten auf dem Markt ohne jegliche medizinprodukterechtliche Kennzeichnung aber nicht als "Minus" im Klageantrag enthalten gewesen sei, widerspricht dem wohlverstandenen Interesse der Klägerin. Dagegen spricht auch, dass es in der Klagebegründung heißt, ein Verstoß liege bereits deshalb vor, weil die Medizinprodukte ausweislich der Konformitätserklärung des Herstellers überhaupt keine medizinprodukterechtliche Kennzeichnung trügen. Jedenfalls hat die Klägerin durch den nunmehr gestellten Hilfsantrag klargestellt, dass sie nicht nur die Bereitstellung der Kompressoren ohne CE-Kennzeichnung und ohne vierstellige Kennnummer einer Benannten Stelle, sondern auch eine Bereitstellung zwar mit CE-Kennzeichnung aber ohne zugrundeliegende Konformitätserklärung nach der MDR, angreift.

bb)

Bei den Anträgen ist die Zweckbestimmung "zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung" hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Damit wird die Entscheidung darüber, was der Beklagten verboten ist, nicht in das Vollstreckungsverfahren verlagert. Jedenfalls aufgrund der Bezugnahme auf die Anlagen K 5 und K 6 wird deutlich, worin die Zweckbestimmung der Kompressoren zur Verwendung für die medizinische Behandlung liegt und in welchen Fällen die Beklagte ölfreie Trockenluftkompressoren nicht ohne CE-Kennzeichen (mit Kennnummer der Benannten Stelle) und medizinprodukterechtliche Konformitätserklärung auf dem Markt bereitstellen soll.

Dementsprechend richtet sich der Unterlassungsantrag gegen die konkrete Verletzungsform, dem Bereitstellen der Kompressoren, denen jeweils die Gebrauchsanweisung Anlage K 5 beigefügt war, ohne dass der CE-Kennzeichnung eine medizinprodukterechtliche Konformitätserklärung (mit oder ohne Kennnummer einer Benannten Stelle) zugrunde lag.

b)

Der Unterlassungsantrag ist im Umfang des Hilfsantrags begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte aus § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG ein Anspruch darauf zu, Kompressoren, die nach dem Inhalt ihrer Gebrauchsanweisung "zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung" bestimmt sind, nicht bereitzustellen, wenn eine medizinprodukterechtliche Konformitätserklärung für die CE-Kennzeichnung fehlt. Nicht beanspruchen kann die Klägerin hingegen, dass die Beklagte vor der Bereitstellung die Einstufung der Kompressoren in eine bestimmte Risikoklasse und damit die Notwendigkeit der Angabe der vierstelligen Kennnummer einer Benannten Stelle inhaltlich prüft.

Da der Unterlassungsanspruch auf Wiederholungsgefahr gestützt ist, ist die Klage nur begründet, wenn das beanstandete Verhalten der Beklagten sowohl nach dem zur Zeit seiner Vornahme geltenden Recht als auch nach dem Recht zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung rechtswidrig war. Dies ist der Fall.

aa)

Der Unterlassungsanspruch hat zunächst in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Satz 1 MPG bestanden.

Nach dieser Vorschrift, die bis zum 25. Mai 2021 gültig war, durften Medizinprodukte - mit bestimmten, hier nicht einschlägigen Ausnahmen - in Deutschland nur in den Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, wenn sie mit einer CE-Kennzeichnung nach Maßgabe des Abs. 2 Satz 1 und des Abs. 3 Satz 1 versehen waren. Nach Abs. 2 Satz 1 durften Medizinprodukte mit der CE-Kennzeichnung nur versehen werden, wenn die Grundlegenden Anforderungen nach § 7, die auf sie unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung anwendbar waren, erfüllt waren und ein für sie vorgeschriebenes Konformitätsbewertungsverfahren nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 37 Abs. 1 durchgeführt worden war. Nach Abs. 3 Satz 1 durfte der Hersteller, wenn für das Medizinprodukt zusätzlich andere Rechtsvorschriften als die des MPG galten, deren Einhaltung durch die CE-Kennzeichnung bestätigt wurde, das Medizinprodukt nur dann mit der CE-Kennzeichnung bestätigen, wenn auch diese anderen Rechtsvorschriften erfüllt waren.

(1)

§ 6 Abs. 1 Satz 1 MPG stellt eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG dar (Ebert-Weidenfeller in Götting/Nordemann, UWG, 3. Auflage 2016, UWG § 3a Rn. 79 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 9. Juli 2009 - I ZR 193/06 - CE-Kennzeichnung, juris Rn. 16; Urteil vom 12. Mai 2010 - I ZR 185/07 - One Touch Ultra, juris; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/v. Jagow, 5. Aufl. 2021, UWG § 3a Rn. 94; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 3a Rn. 1.205; MüKoUWG/Schaffert, 3. Aufl. 2020, UWG § 3a Rn. 273).

(2)

Bei den ölfreien Trockenluftkompressoren des Herstellers C. handelte es sich um Zubehör zu Medizinprodukten im Sinne des MPG. Das MPG galt für Medizinprodukte und deren Zubehör (§ 2 Abs. 1 Satz 1 MPG). Medizinprodukte waren u. a. alle Apparate, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen zum Zwecke der Behandlung von Krankheiten zu dienen bestimmt waren und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel oder durch Metabolismus erreicht wurde (§ 3 Nr. 1 lit. a MPG). Zubehör für Medizinprodukte waren Gegenstände, die selbst keine Medizinprodukte nach Nr. 1 waren, aber vom Hersteller dazu bestimmt waren, mit einem Medizinprodukt verwendet zu werden, damit dieses entsprechend der von ihm festgelegten Zweckbestimmung des Medizinprodukts angewendet werden kann (§ 3 Nr. 9 MPG). Nach § 3 Nr. 10 MPG war Zweckbestimmung die Verwendung, für die das Medizinprodukt in der Gebrauchsanweisung nach Angaben des in Nr. 15 genannten Personenkreises - in erster Linie Hersteller - bestimmt war.

Nach der Gebrauchsanweisung für "ölfreie Trockenluftkompressoren 1-2-3 Zylinder" des Herstellers (Anlage K 5), die den beiden Kompressoren jeweils beilag, waren sie in erster Linie dazu bestimmt, mit einem Medizinprodukt, nämlich einer zahnmedizinischen Behandlungseinheit, angewendet zu werden.

Im einleitenden Teil auf Seite 8 heißt es: "Wenn saubere, hygienische, sterile oder medizinische Luft benötigt wird, ist der Kompressor trocken (ohne Öl) mit Luftfilterungs- und Lufttrocknungsanlage zu betrieben. Es ist bekannt, dass die von einem normalen Kompressor erzeugte aus Wasser und Öl bestehende Emulsion schädlich für die rotierenden Instrumente des Zahnarztes sind. Da die Luft auch zum Trocknen der Zubereitungen vor der Zementierung verwendet wird, ist offensichtlich, dass auch geringe Spuren einer solchen Emulsion die Zementierung beeinträchtigen können. Das Thema wird noch delikater, wenn die Luft in sterilen Bereichen verwendet wird, denn ein Sterilfilter kann nur bei trockener Luft verwendet werden. ..."

Zur Auswahl des Modells und des Verteilungsnetzes führt der Hersteller auf Seite 11 aus: "Die Auswahl des ölfreien Kompressors hängt von den rotierenden Instrumenten des Zahnarztes oder vom allgemeinen Druckluftbedarf der Praxis, der Klinik oder des Krankenhauses ab [...]. Ein Zylinder des Kompressors erzeugt ungefähr 60 l/Min mit einem Druck von 5 bar, während die im Dauerbetrieb laufenden Instrumente des Zahnarztes normalerweise einen Verbrauch von 50/60 l/Min Luft mit einem Druck von 2/3 bar nicht überschreiten. Folglich reicht normalerweise ein Zylinder pro Behandlungsstuhl aus. [...] Die vom Hersteller gelieferten Verkleidungen und Schallschutzvorrichtungen sind nicht nur Abdeckungen, die die Schallvibrationen verringern, sondern sind auch nützlich, um Explosionen und Brand (selten vorkommend, aber nicht auszuschließen] vorzubeugen. [...]"

Die Empfehlungen des Herstellers für den Technikraum auf Seite 12 lauten u. a.: "Kompressor und Saugmaschine werden in einem Raum untergebracht, zu dem Patienten, Unbefugten und auch nicht speziell ausgebildetem Praxispersonal der Zugang untersagt ist. [...] Eine regelmäßige Kontrolle des Gerätes programmieren. Diese Kontrolle trägt nicht nur dazu bei, einen Stillstand des Behandlungsstuhls oder der Praxis zu vermeiden, sondern ist auch ein Mittel, um Unfällen vorzubeugen."

Für die außerordentliche Wartung empfiehlt der Hersteller auf Seiten 14 u. a.: "Für eine Praxis, die an fünf Tagen der Woche acht Stunden am Tag arbeitet und in der die Maschinen auch durch das für die ordentliche Wartung zuständige Praxispersonal überwacht werden, reicht eine Kontrolle durch den Techniker alle sechs oder zwölf Monate aus. [...] Die Maschine, Leitungen und Behandlungsstühle auf eventuelle Lecks überprüfen. [...]"

[Hervorhebungen durch Unterstreichen vom Senat]

Der CE-Kennzeichnung der Kompressoren hätte daher - was mit dem tenorierten Verbot "wenn diese nicht als Medizinprodukte mit einem CE-Kennzeichen versehen sind" zum Ausdruck kommt - jeweils eine medizinprodukterechtliche Konformitätserklärung zugrunde liegen müssen, was nicht der Fall war. Die vorhandene Konformitätserklärung bezieht sich lediglich auf die Maschinenrichtlinie.

(3)

Mit den Lieferungen an die beiden Testkäufer brachte die Beklagte die Kompressoren dennoch jeweils in den Verkehr (§ 3 Nr. 1 MPG). Auf ein Verschulden der Beklagten kommt es nicht an.

(4)

Diese Verstöße waren auch geeignet, die Interessen sowohl von Mitbewerbern der Beklagten als auch von sonstigen Marktteilnehmern (Inhabern von Zahnarztpraxen als Kunden) und Verbrauchern (Patienten) im Sinne von § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen.

Die Interessen von Zahnärzten und Patienten waren dadurch spürbar beeinträchtigt, dass die Kompressoren kein medizinprodukterechtliches Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen hatten und daher nicht sichergestellt war, dass im Rahmen zahnärztlicher Behandlungen keine Gefahr von ihnen ausging.

(5)

Für eine Wiederholungsgefahr streitet eine tatsächliche Vermutung. Bislang hat die Beklagte diese mangels Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung nicht widerlegt.

bb)

Auch nach dem Inkrafttreten der MDR ist der Unterlassungsanspruch im Umfang des Hilfsantrags nach § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG in Verbindung mit Art. 14 MDR gegeben.

(1)

Auch bei Art. 14 MDR handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG.

(a)

Eine Marktverhaltensregelung liegt dann vor, wenn die Vorschrift (zumindest) auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Dieser Zweck braucht weder der einzige noch der primäre zu sein. Ob ein entsprechender Normzweck vorliegt, ist durch Auslegung der Norm zu ermitteln (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 3a Rn. 1.61).

Als Marktverhalten ist jede Tätigkeit auf einem Markt anzusehen, die objektiv der Förderung des Absatzes oder Bezugs dient und durch die ein Unternehmer auf Mitbewerber, Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer einwirkt (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 3a Rn. 1.62).

Das Verbot, Medizinprodukte oder deren Zubehör als Händler auf dem Markt bereitzustellen, wenn die in Art. 14 Abs. 2 MDR genannten Anforderungen nicht erfüllt sind oder wenn der Händler Grund zu der Annahme hat, das ein Produkt nicht den Anforderungen der Verordnung entspricht, stellt eine Marktverhaltensregelung dar, weil die Durchführung eines medizinprodukterechtlichen Konformitätsbewertungsverfahrens mit anschließender CE-Kennzeichnung des Zubehörs zu Medizinprodukten der Sicherheit, Eignung und Leistung der Medizinprodukte und damit der Gesundheit und dem Schutz der mit ihnen in Kontakt kommenden Personen, hier namentlich der Zahnärzte und ihrer Patienten dient (vgl. zu § 6 MPG: BGH, Urteil vom 9. Juli 2009 - I ZR 193/06 - CE-Kennzeichnung, juris Rn. 16). Sie dient zugleich dazu, für die Wirtschaftsakteure (auch die Händler) im Binnenmarkt gleiche Bedingungen herzustellen. Dies ergibt sich aus den Erwägungsgründen 2, 27 und 40 der MDR sowie aus dem Zusammenspiel der Art. 10 Abs. 6, Art. 19 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Art. 20 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5, Abs. 6 MDR, für die Händler insbesondere aus Art. 14 Abs. 2 lit. a MDR.

(b)

Dabei schließen die Regelungen der MDR zur Marktüberwachung durch staatliche Stellen die wettbewerbsrechtliche Verfolgung von Verstößen durch Mitbewerber nicht aus. Ein auf §§ 3, 3a UWG gestütztes lauterkeitsrechtliches Vorgehen ist grundsätzlich auch dann möglich, wenn die gesetzliche Vorschrift - hier die Regelungen der MDR - spezifische Durchsetzungsmöglichkeiten durch die Behörden vorsehen. Eine andere Beurteilung kann dann angezeigt sein, wenn sich aus der gesetzlichen Vorschrift durch Auslegung entnehmen lässt, dass die Rechtsfolgenregelung abschließend sein soll (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 3a Rn. 1.33 f.). Das ist hier aber nicht der Fall. Insbesondere sieht Art. 24 MDR ("freier Verkehr") nur vor, dass die Mitgliedsstaaten die Bereitstellung auf dem Markt oder die Inbetriebnahme von Produkten, die den Anforderungen der MDR entsprechen, nicht ablehnen, untersagen oder beschränken dürfen, was im Umkehrschluss nahelegt, dass Einschränkungen bei nicht MDR-konformen Produkten möglich sein sollen (vgl. Schmidt, WRP 2020, 700, 705). Die MDR enthält Vorgaben für die Tätigkeit der nationalen Überwachungsbehörden, um insoweit einen bestimmten Mindeststandard zu gewährleisten und einem Vollzugsdefizit entgegenzuwirken (vgl. Erwägungsgrund 80). Es ist nicht ersichtlich, dass damit zivilrechtliche Ansprüche von Mitbewerbern ausgeschlossen sein sollen. Im Gegenteil trägt die Verfolgung von Rechtsverstößen durch die Mitbewerber zur Einhaltung der Vorgaben der MDR bei.

(2)

Bei den streitgegenständlichen Trockenluftkompressoren des Herstellers C. handelt es sich um Zubehör zu Medizinprodukten im Sinne von Art. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 12 MDR. Auch insoweit kommt es auf die Angaben des Herstellers in der Gebrauchsanweisung (Anlage K 5) an.

(3)

Mit Lieferungen wie bei den beiden Testkäufen stellt die Beklagte solche Kompressoren auf dem Markt bereit (Art. 2 Nr. 27 MDR). Nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 lit. a MDR hat sie als Händlerin vor dem Bereitstellen zu überprüfen, ob die Kompressoren die CE-Kennzeichnung tragen und eine EU-Konformitätserklärung für die Kompressoren ausgestellt wurde. Nach Satz 3 darf sie, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass die Kompressoren nicht den Anforderungen der MDR entsprechen, die Kompressoren nicht auf dem Markt bereitstellen, bevor die Konformität der Kompressoren hergestellt ist. Dabei hat die Beklagte als Händlerin nach Art. 14 Abs. 1 MDR im Rahmen ihrer Tätigkeiten die geltenden Anforderungen mit der gebührenden Sorgfalt zu berücksichtigen.

Der Begriff der gebührenden Sorgfalt bezieht sich auf die Anstrengungen, die eine mit normaler Umsicht handelnde oder vernünftige Person unternimmt, um unter Berücksichtigung der Umstände Schaden von anderen abzuwenden. Beim Händler gehört dazu das Wissen, welche Produkte mit der CE-Kennzeichnung zu versehen sind, welche Unterlagen (z. B. EU-Konformitätserklärung) das Produkt begleiten müssen, welche sprachlichen Anforderungen an die Etikettierung, Gebrauchsanweisungen bzw. andere Begleitunterlagen bestehen und welche Umstände eindeutig für die Nichtkonformität des Produkts sprechen. Er muss vor der Bereitstellung formell prüfen, dass das Produkt mit der/den erforderliche/-n Konformitätskennzeichnung/-en versehen ist (z. B. der CE-Kennzeichnung) (Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Produktevorschriften der EU 2016 [im Folgenden: Blue Guide], S. 35 unter "3.4. Händler"). Die Händler müssen auch über ein Grundwissen bezüglich der gesetzlichen Anforderungen verfügen - einschließlich der Kenntnis darüber, für welche Produkte die CE-Kennzeichnung und die Begleitunterlagen vorgeschrieben sind - und sollen in der Lage sein zu erkennen, welche Produkte eindeutig nicht konform sind (Blue Guide, S. 148 unter Anhang VII).

Die formelle Prüfung, ob ein Produkt mit der erforderlichen Konformitätskennzeichnung versehen ist, setzt Grundkenntnisse darüber voraus, welche Produktarten eine solche Konformitätskennzeichnung nebst Konformitätserklärung benötigen und ob das Produkt dazu gehört.

Als Händlerin muss die Beklagte daher bei Anwendung der gebührenden Sorgfalt wissen, welche Produkte mit der CE-Kennzeichnung zu versehen sind und einer medizinprodukterechtlichen Konformitätserklärung bedürfen. Sie muss insoweit in der Lage sein, Medizinprodukte und deren Zubehör anhand ihrer Gebrauchsanweisung zu erkennen. Sie muss sich dann vor dem Bereitstellen vom Hersteller eine EU-Konformitätserklärung nach der MDR vorlegen lassen. Diesen Maßstäben ist die Beklagte nicht gerecht geworden.

Selbst wenn eine Mitarbeiterin des Gewerbeaufsichtsamts L., wie die Beklage in der Berufungserwiderung behauptet, im Juli 2019 telefonisch erklärt haben sollte, dass "aus ihrer Sicht" die Kompressoren des Herstellers C. keine Medizinprodukte seien, käme es darauf - abgesehen davon, dass der neue Vortrag gemäß § 531 Abs. 2 ZPO ohnehin nicht zuzulassen ist - für den verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch nicht an. Die Rechtsauffassung der Verwaltungsbehörde ist für die Beurteilung, ob das Verhalten der Beklagten objektiv rechtswidrig und damit unlauter ist, nicht maßgeblich (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2015 - I ZR 10/03 -, juris Rn. 21).

Ebenso wenig hätte die - streitige - Auskunft des Herstellers nach der Abmahnung im Dezember 2020, es handle sich nicht um ein Medizinprodukt, eine eigene Prüfung der Beklagten ersetzen können.

Eine inhaltliche Bewertung einer vom Hersteller beigebrachten EU-Konformitätserklärung einschließlich der Klassifizierung solcher Kompressoren in eine der Risikoklassen gehört hingegen nicht zu dieser von der Beklagten vorzunehmenden formellen Prüfung. Indem der Hersteller die EU-Konformitätserklärung erstellt, übernimmt er die Verantwortung dafür, dass das Produkt allen geltenden Rechtsvorschriften der Union entspricht (Art. 19 Abs. 3 MDR).

Zwar haben neben dem Hersteller auch die Händler eine wichtige Funktion bei der Gewährleistung MDR-konformer Produkte. Sie haben gemäß Art. 14 Abs. 1 MDR im Rahmen ihrer Tätigkeiten die "geltenden Anforderungen" zu berücksichtigen. Damit können angesichts des begrenzten Pflichtenkatalogs der Händler jedoch nicht generell sämtliche produktbezogenen Anforderungen der MDR gemeint sein. Der Händler muss nur diejenigen Bestimmungen der MDR kennen, die zur Erfüllung seiner Pflichten nach Art. 14 Abs. 2 - 6 MDR zu beachten sind (vgl. Handorn, Die Medizinprodukte-Verordnung (EU) 2017/745, Ein Leitfaden für Wirtschaftsakteure zur MDR, 1. Auflage 2021, S. 141). Die Klassifizierungsregeln selbst gehören nicht dazu. Den Händlern sind die technischen Dokumentationen, die einer Klassifizierung zugrunde liegen, nicht zugänglich (vgl. Ulmer, MPR 2019, 184, 187). Sie können sie folglich auch nicht selbst prüfen.

2.

Soweit die Beklagte - wie vorstehend ausgeführt - rechtswidrig gehandelt hat, ist auch der zulässige Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht zulässig und begründet.

a)

Die Klägerin hat ein Interesse an der Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten nach § 256 Abs. 1 ZPO, da die Berechnung eines etwaigen Schadens von der Auskunft der Beklagten abhängt und da die Schadensentwicklung im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgeschlossen gewesen ist.

b)

Anspruchsgrundlage ist § 9, § 3, § 3a UWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 MPG bzw. Art. 14 MDR.

aa)

Das im Klagantrag zu 1 beschriebene Bereitstellen von Kompressoren ohne medizinprodukterechtliche Konformitätserklärung stellt - wie ausgeführt - eine nach § 3, § 3a UWG unzulässige geschäftliche Handlung dar.

bb)

Die Beklagte hat dabei jedenfalls fahrlässig gehandelt. Im Lauterkeitsrecht ist an die Sorgfaltspflicht grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen. Schuldhaft handelt, wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt und deshalb mit einer von seiner Einschätzung abweichenden Beurteilung der Zulässigkeit seines Verhaltens rechnen muss. Beim Wettbewerbsverstoß durch Rechtsbruch (§ 3a) muss sich das Verschulden auf den Gesetzesverstoß beziehen. Der Handelnde muss also wissen, dass er gegen das Gesetz verstößt, oder darüber fahrlässig in Unkenntnis sein. Fahrlässigkeit ist dann anzunehmen, wenn er es unterlässt, sich über die geltenden Bestimmungen zu unterrichten und in Zweifelsfällen Rechtsrat einzuholen (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 9 Rn. 1.18, 1,19). Das ist hier von Anfang an der Fall gewesen sein.

Soweit die Beklagte in der Berufungserwiderung behauptet, dass das Gewerbeaufsichtsamt L. den in Rede stehenden Vorgang gekannt, aber nicht weiterverfolgt habe und dass eine Mitarbeiterin des Landkreises in einem Telefonat gegenüber der Beklagten erklärt habe, dass "aus ihrer Sicht" die Produkte keine Medizinprodukte darstellten und daher keine Einwände gegen den Verkauf bestünden, handelt es sich um neuen Vortrag in der Berufungsinstanz, der nicht zuzulassen ist, weil die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Im Übrigen dürfte eine solche Auskunft, wenn sie erfolgt wäre, nicht ausreichen, um das berechtigte Vertrauen der Beklagten zu begründen, weil eine verbindliche Entscheidung der Behörde offenbar gerade nicht ergangen ist.

c)

Für die Feststellung der Einstandspflicht genügt die nicht entfernt liegende, nur theoretische Möglichkeit eines Schadenseintritts. Eine gewisse (nicht einmal hohe) Wahrscheinlichkeit eines Schadens reicht aus. Das ist der Fall, wenn nach der Lebenserfahrung der Eintritt eines Schadens zumindest denkbar und möglich ist, wobei ein großzügiger Maßstab anzulegen ist. Das ist bei Wettbewerbsverstößen grundsätzlich zu bejahen (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 38. Aufl. 2020, UWG 12 Rn. 2.55).

Im Streitfall erscheint der Eintritt eines Schadens der Klägerin durch den Verkauf von Kompressoren ohne medizinprodukterechtliche Konformitätserklärung seitens der Beklagten jedenfalls möglich. Für ölfreie Trockenluftkompressoren, die als Medizinprodukte einzuordnen sind, gibt es nur relativ wenige Anbieter am deutschen Markt. Es ist daher durchaus wahrscheinlich, dass zumindest einige der potentiellen Kunden auf solche Kompressoren der Klägerin zurückgegriffen hätten, wenn die Beklagte das wettbewerbswidrige Inverkehrbringen der Kompressoren unterlassen hätte.

3.

Die Klägerin kann von der Beklagten aus § 242 BGB die geltend gemachte Auskunft - mit Ausnahme der Angaben zu den Gestehungskosten - beanspruchen.

a)

Es ist gewohnheitsrechtlich anerkannt, dass aus § 242 BGB ein Auskunftsanspruch folgen kann (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 38. Aufl. 2020, UWG 9 Rn. 4.5 mit Nachweisen). Dieser setzt voraus, dass die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, er sich die zur Vorbereitung und Durchsetzung seines Anspruchs notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann und der Verpflichtete sie unschwer, d. h. ohne unbillig belastet zu sein, zu geben vermag.

Die Klägerin als (potentiell) Geschädigte kann nicht aus eigener Wahrnehmung wissen, ob und ggf. wie viele solcher Kompressoren ohne ausgestellte medizinprodukterechtliche Konformitätserklärung die Beklagte an Dritte geliefert hat. Die Beklagte hingegen ist unschwer in der Lage, anhand ihrer Buchhaltung betroffene Lieferungen zu ermitteln.

b)

Damit die Klägerin einen etwaigen Schaden benennen kann, muss die Beklagte Auskunft über die im Tenor genannten Tatsachen erteilen. Für die Berechnung des Schadens der Klägerin ist demgegenüber eine Auskunft über die "Gestehungskosten" der Beklagten oder der Herstellerin nicht erforderlich. Der Schadensersatzanspruch ist nicht auf eine Gewinnabschöpfung gerichtet.

4.

Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten der Abmahnung vom 18. Dezember 2020 in Höhe von 2.305,40 € (nebst Zinsen) zu ersetzen. Der Anspruch ergibt sich aus § 13 Abs. 3, Abs. 2 UWG.

a)

Die Abmahnung war berechtigt, weil der geltend gemachte Unterlassungsanspruch bestand, wenn auch nicht in vollem Umfang (§ 13 Abs. 3 UWG).

b)

Diese Abmahnung hat den formalen und inhaltlichen Anforderungen, insbesondere § 13 Abs. 2 Nr. 4 UWG, entsprochen.

Nach § 13 Abs. 2 Nr. 4 UWG ist der Sachverhalt, der den Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens begründen soll, genau anzugeben und der darin erblickte Verstoß so klar und eindeutig zu bezeichnen, dass der Abgemahnte die gebotenen Folgerungen ziehen kann. Der Abmahnende muss daher (nur) die begangene Verletzungshandlung in tatsächlicher Hinsicht so detailliert schildern, dass dem Abgemahnten deutlich wird, was der Abmahnende konkret beanstandet und was der Abgemahnte abstellen oder künftig unterlassen soll. Es reicht aus, dass die Abmahnung dem Schuldner einen Weg weist, wie er sich verhalten soll, damit ein Prozess vermieden wird (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2021 - I ZR 17/18 - Berechtigte Gegenabmahnung, juris Rn. 26).

Diesen Anforderungen hat die Abmahnung der Klägerin vom 18. Dezember 2020 (Anlage K 7) genügt. Darin hat sie der Beklagten vorgeworfen, dass sie "Kompressoren zur Erzeugung von Druckluft" "der C., V.. N. ..., ... U., I." "in Deutschland unter Missachtung der regulatorischen Vorgaben für die Verkehrsfähigkeit derartiger Produkte in den Verkehr [bringe]". Nach der diesen Produkten beiliegenden Gebrauchsanwendungen sowie Anwenderinformationen des Herstellers besäßen diese Kompressoren in mehrfacher Hinsicht "eine medizinische Zweckbestimmung"; konkret dienten diese dazu, durch Bereitstellung von Druckluft den Betrieb rotierender Instrumente in der Zahnarztpraxis zu ermöglichen und der Präparation am Zahn vor Einbringung der Füllung in Form des "Trockenblasens" von Kavitäten zu dienen. Aufgrund dieser Zweckbestimmung handle es sich um Medizinprodukte des MPG. Die Klägerin gehe außerdem davon aus, dass die Kompressoren der Risikoklasse IIa, evtl. sogar der Risikoklasse IIb zuzuordnen seien. Das Typenschild weise jedoch nur eine einfache CE-Kennzeichnung ohne Nennung einer vierstelligen Kennnummer einer Benannten Stelle auf. Sie könne zudem nicht ausschließen, dass sich die vorhandene CE-Kennzeichnung nicht auf die Konformität mit der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte beziehe, sondern lediglich mit anderen europäischen Sekundärakten. In jedem Falle liege ein Verstoß gegen § 6 Abs. 1 MPG vor. Damit hat die Klägerin der Beklagten aufgewiesen, dass sie die Kompressoren künftig nur mit einer CE-Kennzeichnung mit einer vierstelligen Kennnummer einer Benannten Stelle in den Verkehr bringen dürfe, sich mindestens aber vergewissern müsse, dass es sich um eine medizinprodukterechtliche CE-Kennzeichnung handelt, bevor sie die Kompressoren in den Verkehr bringt.

Aufgrund des Hinweises, dass es sich um Kompressoren des Herstellers C. mit einer bestimmten - (zahn)medizinischen - Zweckbestimmung handle, bedurfte es weder der genauen Produktangabe (Typenbezeichnung) noch einer Vorlage der Gebrauchsweisung oder des Lieferscheins. Die Beklagte hätte auch ohne diese Unterlagen überprüfen können, ob sie solche Produkte überhaupt im Sortiment führte und ggf. mit welcher Kennzeichnung und welcher zugrundeliegenden Konformitätserklärung sie diese in den Verkehr brachte.

c)

Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13. Januar 2021 schuldet die Beklagte der Klägerin aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB infolge der Zahlungsaufforderung zum 12. Januar 2021.

5.

Hingegen hat die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 3.604,88 € (nebst Zinsen) Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des zweiten Kompressors. Es handelt sich dabei nicht um erforderliche Kosten der Rechtsverfolgung der Klägerin.

Nach § 249 Abs. 1 BGB sind (nur) diejenigen adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten zu ersetzen, die aus Sicht des Schadensersatzgläubigers zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren.

Angesichts der Reaktion der Beklagten auf die Abmahnung vom 18. Dezember 2020 durfte die Klägerin einen weiteren Testkauf nicht zur Wahrnehmung und Durchsetzung ihres Unterlassungs- und Schadensersatzanspruches für erforderlich und zweckmäßig halten. Mit dem ersten Testkäufer und den Kaufunterlagen hatte sie ausreichend Beweismittel in der Hand, um ggf. gerichtlich erfolgreich gegen die Beklagte vorgehen zu können.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung entspricht der Angabe in der Klageschrift und der von den Parteien nicht beanstandeten Festsetzung der ersten Instanz.

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen. Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung, weil sie im Hinblick auf die Reichweite der in Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 MDR geregelten Pflichten des Händlers von Medizinprodukten und Zubehör entscheidungserhebliche und klärungsbedürftige Rechtsfragen aufwirft, die sich über den vorliegenden Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen können und deshalb für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind.

IV.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 12. Januar 2023 gibt keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.