Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 18.01.2023, Az.: 14 U 51/22
Teilrückzahlung von Werklohn im Zusammenhang mit dem Steuerabzug bei Bauleistungen (Bauabzugsteuer); Einwand treuwidrigen Verhaltens als ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 18.01.2023
- Aktenzeichen
- 14 U 51/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 22714
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 09.03.2022 - AZ: 14 O 213/19
Rechtsgrundlagen
- § 48 Abs. 1 EStG
- § 48c Abs. 2 EStG
- § 242 BGB
- § 273 BGB
Fundstellen
- BauR 2023, 1523-1528
- IBR 2023, 334
- NJW-RR 2023, 999-1002
- NZBau 2023, 660-664
In dem Rechtsstreit
E. GmbH, ...,
Klägerin und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
gegen
S. B.V., ...,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 20. Dezember 2022 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Landgericht ... für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 9. März 2022 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hannover <14 O 213/19> teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 212.289,53 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. Februar 2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits (erster und zweiter Instanz) hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 212.289,53 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Teilrückzahlung von Werklohn im Zusammenhang mit dem Steuerabzug bei Bauleistungen (Bauabzugsteuer).
Die Parteien sind über mehrere Bauverträge miteinander verbunden, aufgrund derer die Beklagte im Jahr 2014 Bauleistungen für die Klägerin erbrachte. Die Klägerin zahlte den Werklohn vollständig an die Beklagte, ohne die Bauabzugsteuer nach § 48 Abs. 1 EStG abzuführen, obgleich die Beklagte keine Freistellungsbescheinigung gemäß § 48b EStG vorgelegt hatte. Die Klägerin hat behauptet, im Jahr 2017 die Bauabzugsteuer in Höhe von insgesamt 212.289,53 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen an die Finanzämter D. und K. gezahlt zu haben. Bis Ende 2019 hätte die Beklagte unstreitig nach § 48c Abs. 2 EStG die Erstattung der Bauabzugsteuer beantragen können; dies ist indes nicht geschehen, wobei die Hintergründe streitig sind.
Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte mit Schreiben vom 13.06.2018 (Anlage K 20), vom 14.06.2018 (Anlage K 22) und mit E-Mail vom 15.06.2018 (Anlage K 23) über die geleistete Bauabzugsteuer informiert zu haben. Die Beklagte hat den Erhalt der Schreiben in Abrede genommen und vorgetragen, die unstreitig an die E-Mail-Adresse der S. GmbH gerichtete E-Mail sei dem Geschäftsführer der Beklagten, der unstreitig auch Geschäftsführer der S. GmbH ist, von der Mitarbeiterin der GmbH nicht zugeleitet worden. Die Beklagte hat außerdem die Einrede der Verjährung erhoben und zu ihrer Verteidigung weiter geltend gemacht, es verstoße gegen Treu und Glauben, mit der im Jahr 2020 zugestellten Klage die Erstattung der Bauabzugsteuer zu verlangen, weil die Beklagte ihrerseits die Erstattung vom Finanzamt wegen Ablaufs der Frist Ende 2019 nicht mehr verlangen könne.
Mit am 09.03.2022 verkündeten Urteil, auf das gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, des Vorbringens der Parteien im Einzelnen und der erstinstanzlichen Anträge Bezug genommen wird, hat das Landgericht nach Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung und Vernehmung des Geschäftsführers der Beklagten als Partei die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt das Landgericht insbesondere aus: Ein Anspruch auf Rückzahlung des Werklohns in Höhe der abgeführten Bauabzugsteuer sei entstanden und nicht verjährt, aber nicht durchsetzbar. Aufgrund der vorgelegten Kontoauszüge sei erwiesen, dass die Klägerin die Bauabzugsteuer für Rechnung der Beklagten an die Finanzämter abgeführt habe. Da die Klägerin unstreitig den Werklohn vollständig an die Beklagte gezahlt habe, stehe ihr ein vertraglicher Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung zu; das Landgericht verweist insofern auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.09.2013 - VI ZR 2/13. Der Anspruch sei nicht verjährt, weil der Erstattungsanspruch erst im Moment der tatsächlichen Abführung der Bauabzugsteuer entstehe, hier also im Jahr 2017. Allerdings sei der Anspruch der Klägerin wegen einer dauerhaften Einrede nach §§ 273, 242 BGB nicht durchsetzbar. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie ihrer aus § 48a Abs. 2 EStG resultierenden Verpflichtung, mit der Beklagten über den Steuerabzug abzurechnen, so rechtzeitig nachgekommen ist, dass die Beklagte den ihr nach § 48c Abs. 2 EStG zustehenden Erstattungsanspruch rechtzeitig geltend machen konnte. Die Klägerin habe nicht bewiesen, dass das Schreiben vom 13.06.2018 dem Geschäftsführer der Beklagten zugegangen sei; sie habe auch nicht bewiesen, dass sie den Geschäftsführer der Beklagten mit dem Schreiben vom 14. oder der E-Mail vom 15.06.2018 in Kenntnis gesetzt habe. Die Klägerin sei zwar unbestritten im Rahmen der Klage ihrer Pflicht zur Abrechnung nachgekommen, nun könne aber die Beklagte ihren Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt nicht mehr geltend machen. Diesen Umstand könne die Beklagte der Klägerin nach § 242 BGB dauerhaft entgegenhalten. Die Klägerin sei nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, ihre sich aus § 48a Abs. 2 EStG ergebende Pflicht so rechtzeitig zu erfüllen, dass die Beklagte ihrerseits in die Lage versetzt würde, ihren Erstattungsanspruch zu verwirklichen. Dies habe die Klägerin nicht getan, wobei es auf ein etwaiges Verschulden nicht ankomme. Darauf, ob die Beklagte daneben auch einen Schadensersatzanspruch hätte, komme es demnach nicht an.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie wendet sich insbesondere gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts und meint außerdem, das Landgericht habe die Beweislast verkannt: Die Beklagte hätte beweisen müssen, dass ihr Geschäftsführer die Schreiben und die E-Mail nicht erhalten hat. Auch lasse sich entgegen der Auffassung des Landgerichts ein treuwidriges Verhalten der Klägerin nicht feststellen. Der Klägerin könne nicht vorgeworfen werden, dass ihre Schreiben die Beklagte (angeblich) nicht erreicht hätten; sie habe darauf vertrauen dürfen, dass die in Rede stehenden Briefe tatsächlich auch ihren Empfänger erreichen würden. Die einseitige Betrachtungsweise des Landgerichts sei rechtsfehlerhaft. Auch ein Schadensersatzanspruch bestehe im Übrigen nicht, weil eine Pflichtverletzung nicht vorliege und auch ein Verschulden nicht festzustellen sei.
Auf die Hinweisbeschlüsse des Senats vom 26. September 2022 (Bl. 418 ff. d.A.) und vom 29. November 2022 (Bl. 484 ff. d.A.) macht die Klägerin zuletzt insbesondere geltend, die E-Mail vom 15. Juni 2018 sei dem Geschäftsführer der Beklagten und damit auch der Beklagten zugegangen. Es sei zuvor über die E-Mail-Adresse korrespondiert worden, die E-Mail sei angekommen, und der Geschäftsführer der Beklagten habe die Möglichkeit gehabt, vom Inhalt der E-Mail Kenntnis zu nehmen. Der Zugang sei auch nicht durch die E-Mail vom 18. Juni 2018 rückgängig gemacht worden.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil des Landgerichts Hannover vom 9. März 2022 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 212.289,53 € nebst 5 % Punkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 14. August 2018 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil gegen die Berufungsangriffe. Insbesondere macht die Beklagte geltend, die Beweiswürdigung des Landgerichts zum streitigen Zugang der Schreiben und der E-Mail sei nicht zu beanstanden. Das Landgericht habe auch nicht die Beweislast verkannt. Sie erhebe weiterhin die Einrede nach §§ 273, 242 BGB. Im Übrigen hätte sie auch einen Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin, weil diese nicht rechtzeitig auf die Erstattungsmöglichkeit hingewiesen habe.
Auf die Hinweisbeschlüsse des Senats vom 26. September und vom 29. November 2022 und in Erwiderung auf das weitere Vorbringen der Klägerin dazu macht die Beklagte neben der Wiederholung und Vertiefung vorherigen Vorbringens insbesondere geltend, die E-Mail vom 15. Juni 2018 sei nicht in den Machtbereich der Beklagten gelangt. Denn die Klägerin habe nicht ihre Vertragspartnerin angeschrieben, sondern eine GmbH. Die E-Mail sei auch nicht an den Geschäftsführer der Beklagten weitergeleitet worden. Es liege kein Zugang im Sinne des § 130 BGB vor, da die falsche juristische Person Adressatin gewesen sei. Dadurch, dass die Klägerin keine weiteren Schritte unternommen habe, habe sie eine Nebenpflichtverletzung begangen, die eine Schadensersatzpflicht auslösen dürfte.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat in der Sache außer hinsichtlich eines Teils des geltend gemachten Zinsanspruchs Erfolg.
1. Der Senat hat im Beschluss vom 26. September 2022 unter Ziff. I Folgendes ausgeführt:
"1. Nicht zu beanstanden - und von der Beklagten auch nicht weiter angegriffen - sind zunächst die Ausführungen des Landgerichts zur Entstehung des geltend gemachten Erstattungsanspruchs im Hinblick auf die auch vom Landgericht in Bezug genommene Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.09.2013 - VII ZR 2/13. Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung ausdrücklich festgehalten, dass dem Auftraggeber aus dem abgeschlossenen Bauvertrag ein Erstattungsanspruch in Höhe der Überzahlung zusteht, wenn er unter Berücksichtigung der an das Finanzamt gezahlten Bauabzugsteuer mehr als den dem Unternehmer zustehenden Werklohn bezahlt hat; im Falle einer versehentlichen vollständigen Zahlung des Werklohns trifft den Leistenden eine aus dem Vertragsverhältnis der Parteien resultierende Nebenpflicht, dem Leistungsempfänger den an das Finanzamt abgeführten Betrag zu erstatten (BGH, Urteil vom 26. September 2013 - VII ZR 2/13, Rn. 22, juris).
2. Ebenfalls zutreffend ist die Auffassung des Landgerichts, dass die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede nicht durchgreift; auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil (LGU S. 5) wird verwiesen. Die Beklagte ist dem im Berufungsverfahren nicht entgegengetreten.
3. Demgegenüber bestehen Bedenken gegen die Ausführungen des Landgerichts zur Frage einer Treuwidrigkeit (LGU S. 5ff.).
a) Zunächst erscheint der Ansatz einer Einrede gemäß §§ 273, 242 BGB unrichtig.
Bei dem Einwand treuwidrigen Verhaltens handelt es sich um einen Fall der unzulässigen Rechtsausübung. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben ist im Prozess von Amts wegen zu berücksichtigen (u.a. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 - IV ZR 191/09, Rn. 7 mwN, juris); der Einwand aus § 242 BGB ist keine Einrede (BGH, aaO), sondern der Rechtsmissbrauch begründet eine rechtshindernde oder rechtsvernichtende Einwendung (Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 81. Auflage, § 242 Rn. 41 mwN).
Demgegenüber handelt es sich bei § 273 Abs. 1 BGB um die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts und - was die Beklagte und das Landgericht womöglich im Ausgangspunkt im Blick hatten - insofern um eine Einrede, als der Unternehmer wegen seines nach § 48a Abs. 2 EStG gegebenen, fälligen Anspruchs auf ordnungsgemäße Abrechnung und damit auf Vorlage der unterschriebenen dritten Ausfertigung über den Steuerabzug bei Bauleistungen gegen einen solchen Erstattungsanspruch ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB geltend machen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 2013 - VII ZR 2/13, Rn. 29ff., juris).
b) Wenngleich die Beklagte auf die Treuwidrigkeit abstellen will, ist der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass eine Einrede gemäß § 273 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die Pflichten aus § 48a Abs. 2 EStG (s.o.) nicht durchgriffe, weil die Klägerin jedenfalls im Rahmen des Rechtsstreits unbestritten dieser Pflicht nachgekommen ist (vgl. auch LGU S. 8). Im Übrigen hätte ein Erfolg der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts nach § 273 Abs. 1 BGB auch nur eine Zug-um-Zug-Verurteilung zur Folge, keine Klagabweisung (vgl. § 274 Abs. 1 BGB und so auch im o.g. Fall des BGH, Urteil vom 26. September 2013 - VII ZR 2/13, juris).
c) Ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen treuwidrigen Verhaltens der Klägerin, mit der Folge, dass ihr der geltend gemachte Erstattungsanspruch nach § 242 BGB zu verwehren wäre, dürfte entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht vorliegen. Allein der - jedenfalls nach Beweiswürdigung des Landgerichts - fehlende Zugang der Schreiben vom 13. und 14.06.2018 sowie der E-Mail vom 15.06.2018 dürfte nicht genügen, um eine Treuwidrigkeit der Klägerin anzunehmen.
aa) Treu und Glauben bilden eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung (u.a. BGH, Urteil vom 27. Februar 2018 - VI ZR 109/17, Rn. 20 mwN, juris). Die gegen § 242 BGB verstoßende ,Rechtsausübung' oder Ausnutzung einer ,Rechtslage' ist als Rechtsüberschreitung missbräuchlich und unzulässig (Grüneberg in: Grüneberg, aaO, Rn. 38 mwN). Welche Anforderungen sich im konkreten Fall aus Treu und Glauben ergeben, lässt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entscheiden (Grüneberg in: Grüneberg, aaO, mwN). Beim Rechtsmissbrauch geht es typischerweise darum, dass die Ausübung eines individuellen Rechts als treuwidrig und unzulässig beanstandet wird (Grüneberg in: Grüneberg, aaO, Rn. 40). Eine Rechtsausübung kann unter anderem dann unzulässig sein, wenn dem Berechtigten eine Verletzung eigener Pflichten zur Last fällt. Es gibt allerdings keinen allgemeinen Grundsatz, dass nur derjenige Rechte geltend machen kann, der sich selbst rechtstreu verhalten hat (Grüneberg in: Grüneberg, aaO, Rn. 46 mwN). Nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten führt stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - IV ZR 140/08, Rn. 21, juris). Rechtsverstöße begründen unter den im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen Schadensersatzansprüche und geben dem anderen Teil die Befugnisse aus §§ 273, 320 BGB, führen aber nur ausnahmsweise zu einem Wegfall des Gläubigeranspruchs (Grüneberg in: Grüneberg, aaO, Rn. 46 mwN). Eine Berufung auf den eigenen Anspruch ist dem Gläubiger dann nach Treu und Glauben verwehrt, wenn der Anspruch auf einem erheblichen Verstoß des Gläubigers gegen Pflichten beruht, die in einem inneren Zusammenhang mit seinem Anspruch stehen (BGH, Urteil vom 26. November 2004 - V ZR 90/04, Rn. 28, juris). Eine unzulässige Rechtsausübung kann zu bejahen sein bei eigener erheblicher Vertragsuntreue, grober Pflichtverletzung, im Falle der Berufung auf ein Mitwirkungsrecht bei beharrlicher Verweigerung der eigenen Mitwirkung, Geltendmachung des Bürgschaftsanspruchs, wenn der Gläubiger den Bürgschaftsfall schuldhaft verursacht hat, usw. (vgl. nur die Beispiele mit Rechtsprechungsnachweisen bei Grüneberg in: Grüneberg, aaO, Rn. 48).
bb) Ausgehend davon dürfte nicht anzunehmen sein, dass das Verhalten der Klägerin treuwidrig war bzw. ist mit der Folge, dass ihr der geltend gemachte Anspruch abzusprechen wäre. Denn die Klägerin hat, was die Beklagte ausdrücklich nicht (mehr) in Abrede nimmt (vgl. BE S. 8), zumindest versucht, die Beklagte über die gezahlte Bauabzugsteuer und die Erstattung zu informieren, zudem nicht nur einmalig und außerdem auf verschiedenen Wegen (Briefe, E-Mail, über die Privatanschrift des Geschäftsführers der Beklagten und über deren "Schwestergesellschaft", die S. GmbH). Dafür, dass die Klägerin bewusst oder zumindest grob nachlässig mit der Information so lange gewartet hat oder warten wollte, bis die Beklagte ihren Erstattungsanspruch aus § 48c Abs. 2 EStG nicht mehr geltend machen kann, ist nichts ersichtlich; das macht auch die Beklagte nicht geltend. Die Schreiben und die E-Mail sprechen eindeutig dagegen, zumal ein solches Verhalten ohnehin ausschließlich auf eine Schädigung der Beklagten ohne irgendeinen Gewinn für die Klägerin hinausliefe. Der - streitige - fehlende Zugang der Schreiben und der E-Mail bzw. eine unterlassene Sicherstellung des Zugangs begründet keinen erheblichen, groben Verstoß gegen die Vertragspflichten der Klägerin, der die Inanspruchnahme der Beklagten nunmehr als treuwidrig erscheinen ließe. Auch die Interessenlage der Parteien führt zu keinem belastbaren Ergebnis, denn wie die Beklagte im Hinblick auf § 48c Abs. 2 EStG hätte die Klägerin den Betrag der Bauabzugsteuer bei ungestörtem Verlauf nicht zu tragen gehabt, weil ihr an sich (und insoweit unstreitig) ein vertraglicher Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zustünde (s.o. BGH, Urteil vom 26. September 2013 - VII ZR 2/13, Rn. 22, juris). Berücksichtigt werden kann schließlich auch noch, dass sich die Beklagte um die steuerlichen Belange offenbar nicht weiter gekümmert hat, obgleich gerade sie und ihre Belange von der hier zugrundeliegenden steuerlichen Behandlung der Angelegenheit betroffen sind; aus § 48 Abs. 1 S. 1 EStG folgt, dass eigentlicher - zumindest potenzieller - Steuerschuldner der Leistende ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 2013 - VII ZR 2/13, Rn. 22, juris), mithin hier die Beklagte. Danach ergibt sich zumindest kein klares Bild dergestalt, dass das Verhalten der Klägerin als treuwidrig zu werten und das Interesse der Beklagten demgegenüber als besonders schützenswert anzusehen wäre.
cc) Im Ergebnis dürfte daher die Klägerin nicht nach § 242 BGB gehindert sein, den der Klage zugrundeliegenden Erstattungsanspruch gegen die Beklagte geltend zu machen.
4. In Betracht kommt allerdings ein der Beklagten zustehender Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB, den diese ihrer Inanspruchnahme durch die Klägerin im Wege des dolo-agit-Einwands (s. hierzu u.a. Staudinger/Looschelders/Olzen (2019) BGB § 242, Rn. 279ff. mit Rechtsprechungsnachweisen) entgegenhalten könnte.
a) Mit dem Bundesgerichtshof (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 2013 - VII ZR 2/13, Rn. 26ff., juris) ist anzunehmen, dass die Klägerin aufgrund von § 48a Abs. 2 EStG verpflichtet gewesen ist, gegenüber der Beklagten über den Steuerabzug abzurechnen, um dieser die Erstattung gemäß § 48c Abs. 2 EStG zu ermöglichen (vgl. BGH, aaO, Rn. 27 mwN, juris); dem Leistenden, mithin hier der Beklagten, steht ein Abrechnungsanspruch zu (vgl. BGH, aaO, Rn. 30, juris). Es handelt sich danach um eine Vertragspflicht i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB, deren Verletzung eine Schadensersatzpflicht nach § 280 Abs. 1 BGB zur Folge haben kann.
b) Es dürfte im Hinblick auf die in § 48c Abs. 2 EStG enthaltene Frist zur Beantragung der Erstattung darüber hinaus anzunehmen sein, dass der Leistungsempfänger die Verpflichtung zur Abrechnung aus § 48a Abs. 2 EStG so rechtzeitig erfüllen muss, dass der Leistende noch innerhalb der Frist des § 48c Abs. 2 EStG die Erstattung vom Finanzamt beantragen kann. Eine Abrechnung nach Ablauf dieser Frist wäre zwecklos, weil der Leistende die Erstattung vom Finanzamt nicht mehr mit Erfolg beantragen könnte.
c) Zu klären wäre daher, ob die Klägerin ihre Pflicht zur Abrechnung innerhalb der unstreitig bis Ende 2019 laufenden Frist des § 48c Abs. 2 EStG verletzt hat. Im Rahmen von § 280 Abs. 1 BGB trägt der Gläubiger des Schadensersatzanspruchs die Beweislast für die Pflichtverletzung (vgl. nur Grüneberg in: Grüneberg, aaO, § 280, Rn. 34f. mwN). Danach müsste hier die Beklagte beweisen, dass die Schreiben und die E-Mail nicht zugegangen sind bzw. ihr Geschäftsführer davon keine Kenntnis erlangt hat. Das Landgericht hat zur Frage des Zugangs der Schreiben vom 13. und 14.06.2018 und der E-Mail vom 15.06.2018 Beweis erhoben durch Vernehmung der Mitarbeiterin der Beklagten, Frau M., als Zeugin sowie des Geschäftsführers der Beklagten als Partei (vgl. Hinweis- und Beweisbeschluss Bl. 12.03.2021, Bl. 190ff. d.A., dort Ziff. V., sowie Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.05.2021, Bl. 238ff. d.A.). Allerdings hat das Landgericht die Beweiserhebung im Zusammenhang mit der Frage der Treuwidrigkeit durchgeführt und die Beweislast für den Zugang bei der Klägerin gesehen (Letzteres wohl zu Unrecht, wie auch die Klägerin in der Berufungsbegründung geltend macht, weil die Beweislast für das Vorbringen, das eine Anwendung des § 242 BGB rechtfertigen könnte, diejenige Partei trifft, die dadurch begünstigt wird [vgl. nur Grüneberg in: Grüneberg, aaO, § 242, Rn. 21 mwN], hier also die Beklagte). Zudem geht aus den Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht eindeutig hervor, ob das Landgericht den fehlenden Zugang für erwiesen hält oder ob es eine Beweislastentscheidung getroffen hat. Für ersteres könnte sprechen, dass das Landgericht die Angaben der Zeugin und des Geschäftsführers der Beklagten für glaubhaft erachtet hat (vgl. LGU s. 5f.); für Letzteres könnten Formulierungen sprechen wie: "die Klägerin hat nicht bewiesen, dass ..." (LGU S. 5), "ein anderweitiger Zugangsnachweis existiert nicht" (LGU S. 6), "es ist schon nicht nachgewiesen, dass der postalische Brief die S. GmbH überhaupt erreicht hat" (LGU S. 6) usw.
Diese Unklarheit und die andere Beweislastverteilung sprechen dafür, die Beweisaufnahme zur Klärung des Vorliegens einer Pflichtverletzung i.S.v. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB vor dem Senat noch einmal durchzuführen (zumal auch die Angriffe der Klägerin in der Berufungsbegründung gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts jedenfalls zum Teil nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen sind).
Die Beklagte hatte erstinstanzlich vorgetragen, dass das Schreiben vom 14.06. und die E-Mail vom 15.06.2018 (Anlagen K 22, 23) ihrem Geschäftsführer nicht zur Kenntnis gelangt seien, und sich dazu auf das Zeugnis der Frau M. berufen. Soweit sie sich außerdem auf das Zeugnis ihres Geschäftsführers berufen hat, kommt dies prozessual nicht in Frage; allerdings dürfte dies als Antrag nach § 447 ZPO auszulegen sein, der eigene Vernehmungsantrag der Klägerin (vgl. Schriftsatz vom 22.12.2020) als Einverständnis i.S.v. § 447 ZPO. Unabhängig davon wäre der Geschäftsführer der Klägerin informatorisch zu befragen.
Die Beklagte hatte außerdem erstinstanzlich vorgetragen, ihr Geschäftsführer habe auch das Schreiben vom 13.06.2018 (Anlage K 20) nicht erhalten. Nach verständiger Würdigung des Vortrags der Beklagten unter Berücksichtigung der Beweislastverteilung, wie dargelegt, geht der Senat davon aus, dass sich die Beklagte auch insofern auf die Vernehmung ihres Geschäftsführers zum Beweis berufen hat bzw. will, das Schreiben vom 13.06.2018 (Anlage K 20) sei ihrem Geschäftsführer nicht zugegangen.
d) Nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB trägt der Schuldner die Beweislast für das Nichtvertretenmüssen, mithin ein fehlendes Verschulden (vgl. auch Grüneberg in: Grüneberg, aaO, § 280, Rn. 34 mwN). Diesen Beweis hätte die Klägerin wohl nicht geführt, weil sie jedenfalls auf die E-Mail der Zeugin M. vom 18.06.2018 nichts weiter unternommen hat, was nach dem Inhalt der E-Mail jedoch wohl nahegelegen hätte; jedenfalls ist insofern nichts weiter vorgetragen.
e) Kausalzusammenhang und Schaden dürften schließlich unproblematisch sein, insbesondere entspricht der Schaden der Höhe nach der Forderung der Klägerin, da diese dem Betrag entspricht, den die Beklagte bei rechtzeitigem Antrag nach § 48c Abs. 2 EStG erstattet erhalten hätte.
(...)"
2. Im Beschluss vom 29. November 2022 hat der Senat die Parteien auf Folgendes hingewiesen:
"1. Soweit es die Frage eines treuwidrigen Verhaltens anbelangt, hält der Senat auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Beklagten zum Hinweisbeschluss vom 26. September 2022 an der mitgeteilten Auffassung fest.
2. Im Ansatz bleibt es zudem dabei, dass hier ein Schadensersatzanspruch in Betracht kommt. Allerdings verweist die Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 25.10.2022 zu Recht darauf, dass in Bezug auf die E-Mail vom 15.06.2018 anzunehmen ist, dass diese dem Geschäftsführer der Beklagten zugegangen i.S.v. § 130 BGB ist. Diese Vorschrift findet auf geschäftsähnliche Handlungen, wie hier die Mitteilung aufgrund von § 48a Abs. 2 EStG, Anwendung. Die E-Mail ist in den Bereich des Geschäftsführers der Beklagten gelangt, so dass dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte. Die Möglichkeit der Kenntnisnahme genügt. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme, die hier im Streit steht, kommt es für den Zugang i.S.v. § 130 BGB nicht an. Dass es sich um das E-Mail-Postfach der GmbH handelte, ist unschädlich, weil Rechtsanwalt H. im Vorfeld mit dem Geschäftsführer der Beklagten über diese E-Mail-Adresse korrespondiert hatte und Personenidentität bei den Geschäftsführern der GmbH und der B.V. besteht bzw. jedenfalls seinerzeit bestand. Zu Recht weist die Klägerin schließlich darauf hin, dass ein Zugang nicht nachträglich beseitigt werden kann, hier also durch die E-Mail vom 18.06.2018.
Vor diesem Hintergrund scheidet ein Schadensersatzanspruch im Ergebnis aus, weil es an einer Pflichtverletzung fehlt.
3. Demzufolge ist eine Beweisaufnahme zur Frage der Kenntnisnahme entbehrlich.
(...)"
3. Ausgehend davon bejaht der Senat den mit der Klage geltend gemachten Rückzahlungsanspruch der Klägerin. Die hiergegen erhobenen Einwände der Beklagten greifen nicht durch.
a) Unstreitig zahlte die Klägerin der Beklagten den Werklohn vollständig, ohne die Bauabzugssteuer abzuführen. Nach den Feststellungen des Landgerichts, an die der Senat gemäß § 529 ZPO gebunden ist, führte die Klägerin später die Bauabzugssteuer in Höhe der Klagforderung an das Finanzamt ab. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 26. September 2013 - VII ZR 2/13) ist die Beklagte daher aufgrund einer aus dem Vertragsverhältnis der Parteien resultierenden Nebenpflicht verpflichtet, der Klägerin den an das Finanzamt abgeführten Betrag zu erstatten.
b) Die dagegen erhobenen Einwände greifen nicht durch.
aa) Die Verjährungseinrede greift nicht durch; auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil (LGU S. 5) wird verwiesen. Die Beklagte ist dem im Berufungsverfahren nicht entgegengetreten.
bb) Ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen treuwidrigen Verhaltens der Klägerin, mit der Folge, dass ihr der geltend gemachte Erstattungsanspruch nach § 242 BGB zu verwehren wäre, liegt nicht vor. Auf die Ausführungen hierzu im Hinweisbeschluss vom 26. September 2022 wird verwiesen. Der weitere Vortrag der Beklagten führt zu keiner anderen Bewertung. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten liegt vielmehr kein treuwidriges Verhalten der Klägerin vor, da diese die Vorlage der Freistellungsbescheinigung lediglich "aus den Augen verloren bzw. nicht beachtet" hat (Schriftsatz vom 18.10.2022, dort S. 2), ein "Versäumnis, sich um die Steuerpflicht nach § 48a EStG zu kümmern" (aaO), die Klägerin den Einbehalt "schlicht und einfach vergessen hat" (aaO S. 3). Die der Klägerin danach von der Beklagten vorgeworfenen Fehler begründen keine Treuwidrigkeit der Klägerin, zumal sich auch die Beklagte vorwerfen lassen muss, sich insofern nicht um ihre Belange gekümmert zu haben. Dass es sich um eine niederländische Gesellschaft handelt, ändert entgegen der Ansicht der Beklagten nichts, weil sie in der Bundesrepublik Tätigkeiten entwickelt hat und daher auch die steuerlichen Belange beachten muss; zudem war ihr Geschäftsführer zugleich auch Geschäftsführer der "Schwestergesellschaft", einer deutschen GmbH.
cc) Der Beklagten steht auch kein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zu, den sie ihrer Inanspruchnahme durch die Klägerin im Wege des dolo-agit-Einwands entgegenhalten könnte.
(1) Wie im Beschluss vom 26. September 2022 ausgeführt, war die Klägerin verpflichtet, gegenüber der Beklagten über den Steuerabzug abzurechnen, um dieser die Erstattung gemäß § 48c Abs. 2 EStG zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 2013 - VII ZR 2/13, Rn. 27 mwN, juris). Wie ebenfalls dargelegt, handelt es sich insofern um eine Vertragspflicht i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB, deren Verletzung eine Schadensersatzpflicht nach § 280 Abs. 1 BGB zur Folge haben kann. Zudem hatte der Senat erklärt, dass im Hinblick auf die in § 48c Abs. 2 EStG enthaltene Frist zur Beantragung der Erstattung anzunehmen sei, dass der Leistungsempfänger die Verpflichtung zur Abrechnung aus § 48a Abs. 2 EStG so rechtzeitig erfüllen muss, dass der Leistende noch innerhalb der Frist des § 48c Abs. 2 EStG die Erstattung vom Finanzamt beantragen kann.
(2) Nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin (vgl. Schriftsatz vom 08.07.2020, dort S. 2, und Klagschrift S. 11; Schriftsatz vom 21. Juli 2020, dort S. 2) war der E-Mail vom 15. Juni 2018 die zu fordernde Abrechnung über die Bauabzugssteuer beigefügt. Die E-Mail ist dem Geschäftsführer der Beklagten und damit der Beklagten am 15. Juni 2018 zugegangen.
(aa) Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr jedenfalls in dem Fall, dass sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Denn damit ist die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 6. Oktober 2022 - VII ZR 895/21 -, Rn. 19, juris).
(bb) Ausweislich der Anlage K 22 und der Anlage zum Schriftsatz vom 21.01.2021 (Anlagenband Beklagte) erfolgte die Übermittlung der E-Mail am 15. Juni 2018 vormittags 10:42 Uhr. Nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien ist sie auf dem Empfänger-Mailserver abrufbar gewesen, wobei der Eingang auf dem Mailserver nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin am 15. Juni 2018 erfolgte. Jedenfalls antwortete die Zeugin M. am 18. Juni 2018 auf die E-Mail vom 15. Juni 2018, so dass letztere jedenfalls am 18. Juni 2018 auf dem Mailserver der S. GmbH abrufbereit zur Verfügung stand.
(cc) Die E-Mail vom 15. Juni 2018 ist damit dem Geschäftsführer der Beklagten i.S.v. § 130 BGB, der auf eine geschäftsähnliche Handlung wie vorliegend Anwendung findet (vgl. nur Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 81. Auflage, Überbl v § 104, Rn. 6 f.), zugegangen. Zwar verweist die Beklagte im Ansatz zu Recht darauf, dass die E-Mail vom 15. Juni 2018 nicht an eine E-Mail-Adresse der Beklagten, sondern an die der S. GmbH gerichtet war; ohne besondere Umstände führt die Zusendung einer E-Mail an eine andere Person als den eigentlichen Empfänger nicht zum Zugang der E-Mail beim Empfänger. Allerdings liegen hier besondere Umstände vor: Nach dem unbestrittenen Vortrag hatte Rechtsanwalt H. im Vorfeld mit dem Geschäftsführer der Beklagten über die E-Mail-Adresse der GmbH korrespondiert, und es bestand Personenidentität bei den Geschäftsführern der GmbH und der B.V. Rechtsanwalt H. durfte danach auch am 15. Juni 2018 die E-Mail-Adresse der GmbH verwenden und durfte davon ausgehen, dass auch die E-Mail vom 15. Juni 2018 den Geschäftsführer der Beklagten erreichen würde. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Geschäftsführer der Beklagten kommt es, wie dargelegt, für den Zugang nicht an.
(dd) Zu Recht hat die Klägerin schließlich darauf verwiesen, dass der Zugang der E-Mail vom 15. Juni 2018 nicht nachträglich, hier durch die E-Mail vom 18. Juni 2018, wieder beseitigt werden konnte.
(3) Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich eine Nebenpflichtverletzung der Klägerin auch nicht daraus herleiten, dass die Klägerin auf die E-Mail vom 18. Juni 2018 nichts weiter unternommen hat. Aus dieser E-Mail ergibt sich ihrem Wortlaut nach gerade nicht, dass die E-Mail vom 15. Juni 2018 den Geschäftsführer der Beklagten nicht erreicht hatte. Denn die Zeugin M. hatte lediglich geschrieben, "...bitte wenden Sie sich bei allen Angelegenheiten direkt an die S. B.V. Vielen Dank." Allerdings hatte die Klägerin die von ihr zu verlangende Abrechnung über die Bauabzugssteuer übermittelt, die E-Mail vom 15. Juni 2018 war der Beklagten zugegangen (s.o.). Die E-Mail vom 18. Juni 2018 ließ ihrem Wortlaut nach nicht darauf schließen, dass die Klägerin die Übermittlung wiederholen müsste. Verpflichtet war sie dazu daher auch nicht.
4. Im Ergebnis kann die Klägerin daher die gezahlten 212.289,53 Euro von der Beklagten zurückverlangen.
5. Die begehrten gesetzlichen Zinsen kann die Klägerin erst ab dem 26. Februar 2020 verlangen. Die Klägerin stützt den Verzugsbeginn auf das Schreiben vom 13.06.2018, dessen Zugang allerdings im Streit steht. Insofern trifft die Klägerin die Beweislast für den Zugang des Schreibens. Der Zugang ist jedoch nicht erwiesen. Die Klägerin kann daher lediglich Prozesszinsen gemäß § 291 BGB verlangen. Das Zustelldatum ist den Akten allerdings nicht zu entnehmen (vgl. Bl. 20 ff. d.A.), mit Schreiben vom 25. Februar 2020 hatte sich Rechtsanwältin W. für die Beklagte legitimiert (vgl. Bl. 30 d.A.). Mangels anderweitiger Informationen kann zu Lasten der beweisbelasteten Klägerin von einer Zustellung der Klagschrift erst am 25. Februar 2020 ausgegangen werden, so dass Prozesszinsen ab dem 26. Februar 2020 zu zahlen sind. Die Zinshöhe folgt aus § 288 Abs. 1 BGB, wie geltend gemacht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
V.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichts abweicht, so dass auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO.
VI.
Die Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren beruht auf § 3 ZPO, § 47 Abs. 1 GKG.