Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 30.01.2023, Az.: 21 UF 124/20

Kein Anspruch auf Feststellung der Vaterschaft eines Verstorbenen bei unzureichender Menge an menschlicher Zellkern-DNA

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
30.01.2023
Aktenzeichen
21 UF 124/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 10672
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2023:0130.21UF124.20.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 26.03.2020 - AZ: 603 F 605/19

Fundstellen

  • FK 2024, 23-24
  • FamRZ 2023, 1132
  • NZFam 2023, 761

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Kann die Abstammung eines Kindes nicht über ein DNA-Abstammungsgutachten festgestellt werden, weil hierfür nicht ausreichendes genetisches Material des verstorbenen und eingeäscherten potentiellen Vaters zur Verfügung steht und andere Verwandte für ein Gutachten (§ 178 Abs. 1 FamFG) nicht zur Verfügung stehen, umfasst die Verpflichtung zur Amtsermittlung nach § 26 FamFG es nicht, nicht näher konkretisierten Behauptungen des Kindes nachzugehen, Kleidungsstücke mit möglichen genetischen Spuren des Verstorbenen befänden sich noch in der Wohnung der Witwe.

  2. 2.

    Einer Beweisaufnahme zur Feststellung der Vaterschaft durch eine genetisch-genealogische Analyse, die unter Verwendung einer genetischen Probe des Kindes durch einen Dienstleister im Ausland durchgeführt werden müsste, steht nach den §§ 1, 12, 13, 17 GenDG ein Beweiserhebungsverbot entgegen.

  3. 3.

    Die Feststellung der Vaterschaft aufgrund der Vermutung nach § 1600d Abs. 2 Satz 1 BGB setzt voraus, dass die Beiwohnung in der gesetzlichen Empfängniszeit zur Überzeugung des Gerichts (§ 37 FamFG) nach einer erfolgten Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen erwiesen ist.

In der Familiensache
betreffend die Abstammungsangelegenheit
von K. V., geboren am ## 1987
Beteiligte:
1.
K. V., geboren am 1987, ##,
Verfahrensbevollmächtigte:
##,
Antragstellerin und Beschwerdeführerin,
2.
##,
Verfahrensbevollmächtigte:
##,
hat der 21. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ##, die Richterin am Oberlandesgericht ## und den Richter am Amtsgericht ## am 30. Januar 2023 beschlossen:

Tenor:

  1. I.

    Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 26. März 2020 wird zurückgewiesen.

  2. II.

    Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

  3. III.

    Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Feststellung, dass der verstorbene W. V. ihr Vater gewesen ist.

Als die Antragstellerin am ## 1987 geboren wurde, war ihre Mutter B., geb. am ## 1951, mit D. V., geb. am ## 1949, verheiratet. Die Antragstellerin wuchs im Glauben auf, dass D. V. ihr Vater sei. Die Ehe zwischen der Mutter und D. V. wurde im Jahr 1997 geschieden. Die Mutter heiratete erneut und nahm den Nachnamen K. an. Sie starb am ## 2010.

Die Beteiligte zu 2 ist die Witwe des am ## 2016 in H. (Region H.) verstorbenen W. V., der ein Halbbruder von D. V. war.

Im Jahr 2017 erzählte D. V. der Antragstellerin, dass er wahrscheinlich nicht ihr Vater sei, weil ihre Mutter vor ihrer Geburt einen Seitensprung mit seinem Halbbruder W. V. gehabt habe. Die Antragstellerin und D. V. führten daraufhin bei der Firma G. GmbH (##) einen DNA-Test durch, der ergab, dass D. V. nicht der Vater der Antragstellerin sein dürfte.

Auf den entsprechenden Antrag der Antragstellerin vom 21. August 2018 stellte das Amtsgericht Hannover nach Einholung eines genetischen Sachverständigengutachtens mit rechtskräftigem Beschluss vom 13. November 2018 fest, dass D. V. nicht der Vater der Antragstellerin ist.

Am 1. Februar 2019 hat die Antragstellerin beim Amtsgericht Hannover beantragt, festzustellen, dass W. V. ihr Vater ist. Hierzu hat sie mitgeteilt, dass sich im Institut für Pathologie des Klinikums ## noch Gewebeproben von W. V. befänden. Am 27. Februar 2019 hat das Amtsgericht beschlossen, durch die Untersuchung dieser Gewebeproben Beweis darüber zu erheben, ob W. V. der Vater der Antragstellerin ist. Mit Beschluss vom 15. März 2019 hat das Amtsgericht Dr. H. vom Institut für Forensische Genetik ## zum Sachverständigen bestellt. Mit Zustimmung des Instituts für Pathologie des Klinikums ## hat der Sachverständige das gesamte noch vorhandene Zellmaterial von W. V. ausgewertet. Im Gutachten vom 18. Oktober 2019 hat der Sachverständige ausgeführt, dass am vorhandenen Probenmaterial nur eine unzureichende Menge an menschlicher Zellkern-DNA nachgewiesen worden sei. Zur Feststellung der Abstammung sei das Probenmaterial daher ungeeignet.

Mit Beschluss vom 26. März 2020 hat das Amtsgericht den Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht auf die sachverständigen Ausführungen verwiesen, dass das vorhandene Material nicht ausreichend sei, um eine Abstammung der Antragstellerin von W. V. festzustellen.

Der Beschluss vom 26. März 2020 ist der Antragstellerin am 13. Mai 2020 zugestellt worden. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. Juni 2020, der an demselben Tag beim Amtsgericht eingegangen ist, hat die Antragstellerin gegen den Beschluss vom 26. März 2020 Beschwerde eingelegt.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass das Amtsgericht D. V. als Zeuge hätte hören müssen. Sollte ein Abstammungsgutachten nicht erstellt werden können, könne die Entscheidung über die Abstammung allein auf die Zeugenaussage gestützt werden. Außerdem sei die Antragstellerin im Besitz weiterer Beweismittel, anhand derer die Abstammung festgestellt werden könne. So habe die Beteiligte zu 2 eine Fleece-Jacke, die W. V. getragen habe, nach dessen Tod D. V. übergeben, der die Jacke wiederum an die Antragstellerin weitergereicht habe. Zudem sei eine Geburtstagskarte vorhanden, die D. V. anlässlich seines 65. Geburtstags am 21. Dezember 2014 von W. V. erhalten habe. Sowohl an der Fleece-Jacke als auch an der Geburtstagskarte könnten sich noch DNA-Spuren von W. V. befinden. Zu erfragen sei schließlich, ob die Hausarztpraxis, in der sich W. V. in ärztlicher Behandlung befunden habe, noch über Gewebeproben verfüge.

Auf Nachfrage des Senats vom 20. Oktober 2020 hat das Standesamt H. mit Schreiben vom 9. November 2020 mitgeteilt, dass weder aus der Sammelakte des Eheregisters noch aus dem Familienbuch Abkömmlinge oder Geschwister von W. V. hervorgingen.

Mit Schriftsatz vom 6. April 2021 hat die Antragstellerin mitgeteilt, dass E. V. als Mutter von W. V. drei Geschwister gehabt hätte. Diese Geschwister hätten insgesamt 10 Kinder gehabt. Bezüglich der Einzelheiten der mitgeteilten verwandtschaftlichen Verhältnisse bezieht sich der Senat auf den als Anlage zum Schriftsatz vom 6. April 2021 zur Akte gereichten Stammbaum, den die Antragstellerin selbst erstellt hat.

Auf Nachfrage des Senats vom 8. April 2021 hat der Sachverständige Dr. H. mit Schreiben vom 24. April 2021 mitgeteilt, dass vor dem Versuch, die Abstammung über die Einbeziehung der Verwandten in die genetische Untersuchung zu klären, zunächst die Fleece-Jacke untersucht werden sollte.

Der Senat hat am 22. September 2021 beschlossen, dass die Fleece-Jacke durch den Sachverständigen Dr. H. auf genetische Spuren untersucht werden soll.

Am 10. August 2022 hat der Sachverständige Dr. H. sein Gutachten vom 1. August 2022 vorgelegt, in dem er ausführt, dass die Fleece-Jacke als Beweismittel für die Abstammung ungeeignet sei, weil aus den Spuren kein konkretes DNA-Profil abgeleitet werden könne. Die noch lebenden Verwandten seien ungeeignet, um zur Klärung der Abstammung der Antragstellerin beizutragen. Weitere Versuche, bei der Hausarztpraxis und anderswo genetisches Material von W. V. zu erlangen, seien erfolglos gewesen. Gegebenenfalls könnte die Frage der Abstammung der Antragstellerin durch Anwendung moderner genetisch-genalogischer Methoden zu klären sein. Dazu müsste die Antragstellerin eine Vergleichsprobe abgeben, die an einen Dienstleister im Ausland zu schicken sei.

Mit Schriftsatz vom 19. September 2022 hat die Antragstellerin mitgeteilt, dass sich auf dem Grundstück der Antragsgegnerin noch Kleidungsstücke, Schuhe oder Handschuhe befinden müssten, die W. V. getragen habe. Mit Schriftsatz vom 23. September 2022 hat die Antragsgegnerin mitgeteilt, dass dies nicht der Fall sei.

Am 25. Januar 2023 hat der Senat D. V. als Zeugen vernommen.

II.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nicht begründet.

Das Amtsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Feststellung, dass W. V. ihr Vater gewesen sei, im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

Der Senat ist nach freier Überzeugungsbildung gemäß § 37 Abs. 1 FamFG nicht davon überzeugt, dass W. V. der Vater der Antragstellerin war. Hierfür müsste der Senat zu einem Grad überzeugt sein, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Die gemäß § 177 Abs. 2 Satz 1 FamFG förmlich durchgeführte Beweisaufnahme hat nicht zu dieser Überzeugung geführt.

1.

Die vom Sachverständigen Dr. H. vorgelegten Gutachten vom 18. Oktober 2019 und 1. August 2022 sind für die Beantwortung der Beweisfrage nicht ergiebig.

a.

Der Sachverständige konnte aufgrund des vorliegenden Probenmaterials keine verlässlichen Feststellungen zur Abstammung der Antragstellerin von W. V. treffen. Aus den für die erste Begutachtung vorliegenden zwei Proben, die das Institut für Pathologie des Klinikums ## ## dem Sachverständigen zur Verfügung gestellt hatte, hat der Sachverständige für eine Untersuchung nur eine unzureichende Menge an menschlicher Zellkern-DNA extrahieren können. Für das Gutachten vom 1. August 2022 konnte der Sachverständige der eingereichten Fleece-Jacke Proben in Bereichen entnehmen, in denen sich nach der Erfahrung des Sachverständigen üblicherweise Zellmaterial des Träger befindet. Diese Bereiche befanden sich am Innenfutter, am Ärmelbündchen sowie am Reißverschluss-Zipper. Außerdem haftete der Fleece-Jacke ein Kopfhaar von 4,5 cm Länge an. Nur in den Proben vom Ärmelbündchen und vom Reißverschluss-Zipper konnte der Sachverständige DNA-Spuren entdecken. Da es sich jedoch hierbei um Mischspuren mit einem Überschuss an weiblicher DNA und ohne einen Hauptverursacher handelte, hat der Sachverständige diese Spuren als ungeeignet für die Abstammungsuntersuchung bewertet.

b.

Hinsichtlich der Möglichkeit, gemäß § 178 FamFG die noch lebenden Verwandten von W. V. in die Untersuchung einzubeziehen und darüber eine verlässliche Aussage zur Abstammung der Antragstellerin zu treffen, hat der Sachverständige ausgeführt, dass keiner der noch lebenden Verwandten für diese Einbeziehung geeignet erscheint. Dies liege daran, dass aufgrund der vorliegenden Daten zur Abstammung der Antragstellerin von D. V. noch nicht einmal geklärt werden könne, ob der Vater der Antragstellerin ein Bruder von D. V. oder mit diesem gar nicht verwandt sei. Zu diesem Schluss komme ein Verwandtschaftsprogramm durch biostatistische Auswertung der durch die Fa. R. für die Antragstellerin und D. V. erhobenen Befunde. Für die Hypothese, dass der leibliche Vater der Antragstellerin ein Bruder von D. V. sei, errechne sich eine Wahrscheinlichkeit von 51,7 %. Für die Hypothese, dass der leibliche Vater nicht mit D. V. verwandt sei, errechne sich eine Wahrscheinlichkeit von 48,3 %. Diese Werte ließen nicht verlässlich auf eine Verwandtschaft zwischen der Antragstellerin und D. V. schließen. Da selbst der genetische Vergleich zwischen der DNA der Antragstellerin und jener des Bruders von W. V. keine verlässlichen Aussagen zur Abstammung ermöglicht, ist vom Vergleich zwischen der DNA der Antragstellerin und jener der Cousins und Cousinen von W. V. kein größerer Erkenntnisgewinn zu erwarten.

c.

Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen ist eine weitere sachverständige Begutachtung des Probenmaterials nicht veranlasst. Der Sachverständige hat sich eigenständig und nachdrücklich um die Vorlage ausreichenden Probenmaterials gekümmert. Dieses Probenmaterial hat er umfassend ausgewertet und die Ergebnisse seiner Auswertung nachvollziehbar und stringent erläutert.

Im Rahmen der Probenentnahme bei der Antragstellerin sind die Vorgaben des § 17 Abs. 1 GenDG i. V. m. Ziffer 4 der Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission für die Anforderungen an die Durchführung genetischer Analysen zur Klärung der Abstammung und an die Qualifikation von ärztlichen und nichtärztlichen Sachverständigen gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 2b GenDG zur Einwilligung, Aufklärung und Identitätssicherung der Antragstellerin eingehalten worden. Der Sachverständige ist gemäß § 17 Abs. 4 GenDG ein auf dem Gebiet der Abstammungsbegutachtung erfahrener nichtärztlicher Sachverständiger mit abgeschlossener naturwissenschaftlicher Hochschulausbildung. Er hat versichert, die Begutachtung entsprechend den Vorschriften des Gendiagnostikgesetzes und den Richtlinien der Gendiagnostikkommission durchgeführt zu haben. Zweifel an der fach- und sachkundigen Durchführung der Untersuchung und Analyse sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

d.

Weitere genetische Untersuchungen sind nicht möglich, weil kein weiteres Probenmaterial vorhanden ist. Der Sachverständige hat das gesamte vorhandene Material ausgewertet. Nachfragen bei der Hausarztpraxis, in der W. V. Patient war, blieben erfolglos.

e.

Nicht weiter aufzuklären ist die zuletzt von der Antragstellerin vorgetragene Vermutung, es müssten sich noch Kleidungsstücke des verstorbenen W. V. bei der Beteiligten zu 2 in der Garage befinden, die der handwerklich tätige W. V. als Schmiede genutzt habe. Bezüglich dieses Vortrags ist die Beteiligte zu 2 ihrer Mitwirkungspflicht gemäß § 27 Abs. 1 FamFG ausreichend nachgekommen, indem sie mitgeteilt hat, dass keine Kleidung oder Handwerksutensilien mehr vorhanden seien. Im Rahmen der Amtsermittlung ist der Senat nicht verpflichtet zu überprüfen, ob diese Mitteilung zutrifft. Gemäß § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Diesem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegen auch Abstammungsverfahren als Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (OLG Celle FamRZ 2022, 1635, Rn. 25; Dürbeck, in: Prütting/Helms, FamFG, 5. Auflage 2020, § 177, Rn. 2). Danach ist das Gericht verpflichtet, im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens alle zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Ermittlungen anzustellen (BGH FamRZ 2010, 720, Rn. 28). Eine Aufklärungs- und Ermittlungspflicht besteht insoweit, als das Vorbringen der Beteiligten und der Sachverhalt als solcher bei sorgfältiger Prüfung hierzu Anlass geben (ebd.). Es braucht aber nicht jeder nur denkbaren Möglichkeit nachgegangen zu werden (ebd.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war der Senat nicht verpflichtet, die Angaben der Antragsgegnerin zu überprüfen, dass keine Kleidungsstücke und Handwerksutensilien von W. V. aus der vormaligen Schmiede mehr vorhanden seien, weil diese mittlerweile als Garage genutzt werde. Die Existenz dieser Gegenstände ist lediglich eine denkbare Möglichkeit. Sechs Jahre nach dem Tod einer Person ist es stets denkbar, dass noch Kleidungsstücke des Verstorbenen vorhanden sind. Es ist jedoch ebenso möglich, dass aufgrund des Zeitablaufs Kleidungsstücke entsorgt worden sind. Auch die Antragstellerin selbst hält es lediglich für möglich, dass diese Kleidungsstücke noch vorhanden sind. Insofern besteht keine Veranlassung, an den Angaben der Beteiligten zu 2 zu zweifeln.

2.

Es ist zudem nicht gemäß § 1600d Abs. 2 Satz 1 BGB zu vermuten, dass W. V. der Vater der Antragstellerin war. Danach wird als Vater vermutet, wer der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt hat. Damit die Vermutungswirkung eintritt, muss die Beiwohnung zur Überzeugung des Gerichts feststehen (Staudinger/Rauscher (2011) BGB § 1600d Rn. 44). Unter Beiwohnung ist jede sexuelle Handlung zu verstehen, durch die nach medizinischen Erkenntnissen befruchtungsfähige Spermien in die Scheide gelangen und zu einer Befruchtung führen können (Staudinger/Rauscher (2011) BGB § 1600d, Rn. 49; Wellenhofer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 1600d, Rn. 84).

Der Senat ist auf Grundlage der Aussage des Zeugen D. V. nicht zu der Überzeugung gelangt, dass zwischen der Mutter der Antragstellerin und W. V. eine solche sexuelle Handlung stattgefunden hat. Die Aussage des Zeugen war nicht ergiebig.

Er hat ausgesagt, dass er mit seiner Frau und seinem Bruder im Dezember 1986 in einer Gaststätte gewesen sei. Da seine Frau nach Hause gewollt habe, er jedoch noch habe bleiben wollen, habe sein Bruder angeboten, seine Frau nach Hause zu fahren. Seine Frau sei aber nicht zu Hause gewesen, als er selbst gegen acht Uhr nach Hause gekommen sei. Als sie gegen neun Uhr schließlich heimgekommen sei, habe sie auf Nachfrage gesagt, sie habe sich mit seinem Bruder im Auto verquatscht. Im Februar 1987 habe sie ihm erzählt, sie sei schwanger. Erst ein paar Tage vor der Geburt habe sie ihm gesagt, dass möglicherweise sein Bruder der Vater des Kindes sei. Kurz nach der Geburt habe er seinen Bruder konfrontiert, der zugegeben habe, dass da mehr als nur Gerede gewesen sei. Mehr habe er - der Zeuge - nicht über einen möglichen Geschlechtsverkehr zwischen seiner Frau und seinem Bruder erfahren. Aufgrund dieser Aussage ist zwar anzunehmen, dass zwischen der Mutter der Antragstellerin und W. V. ein intimer Kontakt bestand. Ob dieser Kontakt aber ein sexueller Kontakt in der hier maßgeblichen gesetzlichen Empfängniszeit war, der zu einer Befruchtung führen konnte, ist unklar geblieben.

3.

Weiterhin ist der Senat nicht aufgrund der Gesamtschau der vorliegenden Umstände davon überzeugt, dass W. V. der Vater der Antragstellerin war. Ein derartiger Indizienbeweis setzt voraus, dass die einer Schlussfolgerung zugrundeliegenden tatbestandsfremden Tatsachen oder Hilfstatsachen zur Überzeugung des Senats feststehen und dass nur eine Schlussfolgerung als das den Indizien zu entnehmende Ergebnis ernstlich in Betracht kommt (Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 284, Rn. 25). Als tatbestandsfremde Tatsachen oder Hilfstatsachen sind zu berücksichtigen, dass D. V. nicht der Vater der Antragstellerin ist, dass W. V. und die Mutter der Antragstellerin in der Empfängniszeit einen intimen Kontakt hatten, dass eine Wahrscheinlichkeit von 51,7 % für eine Verwandtschaft zwischen dem leiblichen Vater und D. V. besteht und dass die Mutter der Antragstellerin und W. V. dessen Vaterschaft für möglich hielten. Aus diesen Tatsachen ist jedoch nicht zwingend zu schlussfolgern, dass W. V. tatsächlich der Vater war. Es kommt daneben ernstlich in Betracht, dass die Antragstellerin durch den Geschlechtsverkehr ihrer Mutter mit einem anderen Mann gezeugt worden ist. D. V. hat selbst angegeben, dass er nicht wisse, ob seine Frau mit weiteren Männern intime Kontakte hatte. Außerdem besteht eine Wahrscheinlichkeit von 48,3 % dafür, dass der leibliche Vater nicht mit D. V. verwandt ist, was eine Vaterschaft W. V.s ausschließen würde.

4.

Schließlich kommt eine vergleichende genetisch-genealogische Analyse, die der Sachverständige im Gutachten vom 1. August 2022 als letzte Möglichkeit vorgeschlagen hat, um die Abstammung zu klären, im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens nicht in Betracht.

a.

Dieser Analyse steht ein Beweiserhebungsverbot entgegen. Jede Untersuchung und Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters greift in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Persönlichkeitsrecht, hier in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, ein (BGH NJW 2005, 497 (498)). Dies ist auch bei der Verwertung von Beweisen oder Kenntnissen im gerichtlichen Verfahren zu beachten (BGH, a. a. O., 499). Erst recht gilt dies für die gerichtlich veranlasste Erhebung von Beweisen. Daraus folgt für das Abstammungsverfahren, dass eine Beweiserhebung über die genetische Abstammung nur dann rechtmäßig ist, wenn für das Gericht und die Beteiligten gewährleistet ist, dass für die gesamte Abstammungsuntersuchung die Vorgaben des Gendiagnostikgesetzes gelten und die untersuchende Person diese Vorgaben grundsätzlich einhalten kann. Diese Pflicht des Gerichts, bei seinen Handlungen stets auf die Einhaltung des Gendiagnostikgesetzes zu achten, ergibt sich aus § 1 GenDG. Danach ist Zweck des Gendiagnostikgesetzes, die Voraussetzungen für genetische Untersuchungen und im Rahmen genetischer Untersuchungen durchgeführte genetische Analysen sowie die Verwendung genetischer Proben und Daten zu bestimmen und eine Benachteiligung auf Grund genetischer Eigenschaften zu verhindern, um insbesondere die staatliche Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Würde des Menschen und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu wahren.

Die dem Schutz der informationellen Selbstbestimmung dienenden Vorgaben des Gendiagnostikgesetzes können jedoch bei der vom Sachverständigen vorgeschlagenen genetisch-genealogische Analyse nicht eingehalten werden. Für diese Analyse müsste nach der Mitteilung des Sachverständigen bei der Antragstellerin eine Vergleichsprobe entnommen und an einen Dienstleister im Ausland versendet werden, der über genetische Daten von mehreren Millionen Menschen verfügt. Bei dieser Vorgehensweise kann der untersuchende Sachverständige als verantwortliche Person im Sinne von § 17 GenDG nicht gewährleisten, dass die Dienstleister im Ausland die Vorgaben von § 17 Abs. 5 i. V. m. §§ 12, 13 GenDG zur Aufbewahrung und Vernichtung der Analyseergebnisse sowie zur Verwendung und Vernichtung der Proben beachten. Weiterhin ist in diesen Fällen unklar, ob die gespeicherten genetischen Vergleichsdaten mit Einwilligung der betroffenen Personen erhoben worden sind. Im Übrigen unterläge eine Untersuchung im Ausland ohnehin nicht den Vorgaben des Gendiagnostikgesetzes (Fenger, in: Spickhoff, Medizinrecht, 4. Auflage 2022, § 17 GenDG, Rn. 2; Taupitz, MedR 2013, 1 (5)).

Eine andere Bewertung ergibt sich nicht aus der Vorschrift des § 17 Abs. 8 GenDG, die Erleichterungen für die Untersuchung im Ausland vorsieht. Diese Erleichterungen gelten lediglich für Verfahren nach dem Pass- oder Personalausweisgesetz und Verfahren der Auslandsvertretungen und der Ausländerbehörden zum Familiennachzug nach dem Aufenthaltsgesetz. Da diese Erleichterungen darauf beruhen, dass sich in jenen Fällen die untersuchende Person oft im Ausland aufhält, sind sie auf andere Verfahren, in denen die Untersuchung vollständig in Deutschland erfolgen kann, nicht übertragbar.

b.

Ob dieses Beweiserhebungsverbot zugleich zu einem Verwertungsverbot führt, wenn ein - etwa im Rahmen des § 1598a BGB - von den Beteiligten im Ausland einvernehmlich privat eingeholtes Gutachten gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 FamFG im gerichtlichen Verfahren verwertet werden soll, kann hier dahinstehen, weil lediglich zu entscheiden war, ob der Senat von Amts wegen zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Entscheidung zur Festsetzung des Wertes für das Beschwerdeverfahren auf §§ 47 Abs. 1, 40 FamGKG.

Dr. Schwonberg
Dr. Kraft
Dr. Finke