Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.06.2004, Az.: 4 K 212/98

Einkommensteuerbarkeit der Vereinbarung eines "Reugeldes" für den Fall des Rücktritts von einem Grundstückskaufvertrag; Entschädigungscharakter des "Reugeldes"; Steuerbarkeit von Entschädigungen; Verknüpfung der steuerbarkeit von Entschädigungen mit der steuerbarkeit des ihnen zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts; Abzugrenzung zwischen den Veräußerungsvorgängen und veräußerungsähnlichen Vorgängen im privaten Bereich bei der Ermittlung der sonstigen Einkünfte

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
02.06.2004
Aktenzeichen
4 K 212/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 16990
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2004:0602.4K212.98.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 24.08.2006 - AZ: IX R 32/04

Fundstellen

  • BBV 2004, 6
  • DStR 2004, VI Heft 39 (Kurzinformation)
  • DStRE 2004, 1333-1334 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2004, 1527-1528
  • NWB 2005, 233 (Kurzinformation)
  • V&S 2005, 5

Redaktioneller Leitsatz

Die Zahlung eines "Reugeldes", die für den Fall eines Rücktritts vom Grundstückskaufvertrag vertraglich vereinbart war, stellt keinen einkommensteuerbaren Vorgang dar. Weder führt sie zu Einkünften gem. § 22 Nr. 3 EStG noch zu Einkünften aus einer anderen Einkunftsart. Zwar hat das Reugeld Entschädigungscharakter. Entschädigungen sind aber nur dann steuerbar, wenn das Rechtsgeschäft, auf das sie sich beziehen und für dessen Nichtzustandekommen sie geleistet werden, selbst unter eine der Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 EStG fallen würde.

Tatbestand

1

Streitig ist die Frage, ob ein in Zusammenhang mit dem Rücktritt von einem Grundstückskauf gezahltes "Reugeld" nach§ 22 Nr. 3 EStG steuerpflichtig ist oder ein nicht steuerbares veräußerungsähnliches Rechtsgeschäft darstellt.

2

Die Kläger waren zu je ae Miteigentümer zweier Grundstücke in den neuen Bundesländern, die sie teils im Erbwege, teils durch Schenkung von ihren Eltern übertragen erhalten haben. Den Eltern gehörten die Grundstücke bereits vor Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Flächen wurden bis zum 20. Dezember 1991 an eine LPG bzw. deren Rechtsnachfolgerin verpachtet.

3

Mit notariellem Vertrag vom 21. Dezember 1991 veräußerten die Kläger die beiden Grundstücke an R für 4.054.359,00 DM. Dieser Kaufpreis war nach dem Vertrag zur Hälfte binnen 15 Tagen ab Vertragsschluss auf einem Notaranderkonto einzuzahlen, die andere Hälfte des Kaufpreises sollte fällig werden, sobald gewisse Bedingungen erfüllt waren. Für die Zeit vom Tage der Beurkundung des Kaufvertrages an bis zur Fälligkeit des gesamten Kaufpreises war der noch nicht fällige Kaufpreisteil nach dem Vertrag mit 0,1 % zu verzinsen.

4

In Ziffer IX. des Vertrages heißt es unter derÜberschrift "Rücktrittsrecht des Käufers":

"Der Käufer behält sich das Recht vor, von diesem Vertrag durch einseitige Erklärung zurückzutreten, wenn a) nicht bis zum 31.12.1992 das Vertragsobjekt durch rechtswirksamen Bebauungsplan als Gewerbegebiet im Sinne des § 8 BauNVO ausgewiesen ist.

Die Gemeinde P hat mit Schreiben vom 18.12.1991, welches den Vertragsbeteiligten bekannt ist, bestätigt, dass sich das Vertragsobjekt im Gewerbepark der Kommune P befindet"

5

In Ziffer IV des Vertrages wird bestimmt:

"Dafür, dass der Verkäufer bis zu einem evtl. von dem Käufer erklärten Rücktritt keine Möglichkeit der anderweitigen Veräußerung des Kaufgegenstandes hat, verpflichtet sich der Käufer für den Fall der Ausübung des Rücktrittsrechts, einen Betrag von 10 % des Kaufpreises gleich DM 405.435,90 DM zu zahlen. Sowohl die auf dem Anderkonto anfallenden dem Verkäufer gebührenden Zinsen wie auch die monatlichen Zahlungen (0,1 % des restlichen, nicht auf dem Anderkonto befindlichen Kaufpreisteiles) sind auf diesen Betrag anzurechnen."

6

Nachdem die Grundstücksflächen nicht bis Jahresende 1992 als Gewerbegebiet ausgewiesen worden waren, trat R Anfang 1993 vom Kaufvertrag zurück.

7

Im Rahmen einer Abrechnung nach dem Rücktritt einigten sich die Kläger und R auf folgende anzurechnende Beträge:

Den Klägern verbleibender Betrag:405.435,00 DM
./. Zinsen vom Notaranderkonto:71.406,10 DM
./. Zahlungen von 0,1 % auf zweite Kaufpreisrate:16.217,44 DM
./. Vereinnahmte Zinsen nach Auszahlung vom Anderkonto:147.477,32 DM
Restbetrag:170.334,14 DM
8

Die Kläger erklärten zunächst selbst in ihrer Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 1992 das im Zusammenhang mit der Ausübung des Rücktrittsrechts vereinnahmte Entgelt von 405.435,00 DM als Einkünfte gem. § 22 EStG, von dem sie lediglich Rechtsanwaltskosten in Höhe von 18.119,98 DM als Werbungskosten in Abzug brachten. Die Höhe dieser Einkünfte betrug danach (405.435,00 DM ./. 18.120,00 DM =) 387.315,00 DM.

9

Der Beklagte veranlagte die Kläger mit Feststellungsbescheid vom 18. Februar 1994 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, wobei er das erklärte Entgelt als Entschädigung i.S.d. § 24 EStG bei den sonstigen Einkünften ansetzte. Nach einer geringfügigen Herabsetzung der Einkünfte aufgrund nachgereichter Belege über weitere Werbungskosten mit Bescheid vom 6. Oktober 1994 änderte der Beklagte den Feststellungsbescheid mit Datum vom 8. Dezember 1994 erneut gem. § 164 Abs. 2 AO. Dabei stellte er sich auf den Standpunkt, dass es sich bei dem Entgelt um Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG handele und nicht um eine ermäßigt zu besteuernde Entschädigung. Von diesem Betrag zog er jedoch die angerechneten Zinsen von 147.477,00 DM ab, so dass die Höhe der Einkünfte 237.467,00 DM betrug.

10

Ein Feststellungsbescheid für 1993 erging - unter Ansatz weiterer, für dieses Verfahren nicht erheblicher Vermietungseinkünfte - am 30. Januar 1995 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

11

Die Kläger haben gegen den Feststellungsbescheid 1992 Einspruch eingelegt und, nach dessen Zurückweisung, beim Nds. Finanzgericht Klage erhoben (IV 209/97). Nachdem sich das Gericht auf den Standpunkt stellte, dass die Einkünfte im falschen Veranlagungszeitraum erfasst worden seien, änderte der Beklagte den Feststellungsbescheid 1992 antragsgemäß und setzte stattdessen entsprechende Einkünfte unter Änderung des Feststellungsbescheides 1993 nach § 164 Abs. 2 AO durch Änderungsbescheid vom 30. April 1998 an.

12

Dagegen richtet sich die Sprungklage vom 3. Juni 1998, der der Beklagte fristgerecht zugestimmt hat.

13

Die Kläger sind der Auffassung, dass es sich bei dem strittigen Entgelt nicht um ein Entgelt für ein eingeräumtes Nutzungsrecht handele, sondern um eine Entschädigung im Zusammenhang mit einem letztlich nicht zustande gekommenen Grundstückskauf, der für sich nicht steuerpflichtig sei, also um einen veräußerungsähnlichen Vorgang. Sie hätten keine Leistung erbracht, weil das fragliche Entgelt nicht unabhängig vom Bestand des Kaufvertrages zu zahlen gewesen sei. Dies werde bei Vergleich mit der entgeltlichen Einräumung eines Vorkaufsrechts deutlich: dort werde das Entgelt in jedem Falle gezahlt, ob nun das Grundstücksgeschäft zustande komme oder nicht. Der Fall sei deshalb eher mit der Vereinbarung einer Konventionalstrafe zu vergleichen, in der die finanzgerichtliche Rechtsprechung keinen Fall einer sonstigen Leistung erblicke.

14

Die Kläger beantragen,

unter Änderung des Bescheides über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte 1993 vom 30. April 1998 die sonstigen Einkünfte von 237.467,00 DM zu streichen, so dass lediglich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 6.319,00 DM verbleiben.

15

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

16

Der Beklagte ist der Auffassung, dass der Betrag, der den Klägern nach Ausübung des Rücktrittsrechts verbleiben sollte, zu den sonstigen Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG führe. Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG sei jedes Tun, Unterlassen oder Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein könne und das um des Entgelts willen erbracht werde. Eine Leistung in diesem Sinne liege hier vor. Die Kläger hätten einen Betrag dafür erhalten, dass sie dem Käufer im Grundstückskaufvertrag ein Rücktrittsrecht eingeräumt hätten. Sie hätten dem Käufer damit eine stärkere Rechtsposition verschafft, da dieser sich so einseitig von seinen vertraglichen Bedingungen habe lösen können. Die Vertragspartner hätten auf diese Weise ihr jeweiliges wirtschaftliches Risiko gemindert: Der Käufer habe das Risiko, einen Wertverlust wegen der fehlgeschlagenen Ausweisung als Gewerbegebiet zu erleiden, auf den den Klägern verbleibenden Betrag vermindert; die Kläger hätten zumindest diesen Betrag sicher vereinnahmen können.

17

Es liege auch kein veräußerungsähnlicher Vorgang vor. Das zeige sich, wenn man die Vermögensposition der Kläger vor dem Kauf und nach dessen Rückabwicklung vergleiche. Zu beiden Zeitpunkten hätten die Kläger uneingeschränkte Verfügungsgewalt über das Grundstück gehabt, sie hätten letztlich nichts erhalten, was nicht Gegenstand eines Veräußerungsgeschäfts sein könne. Die Zahlung könne auch nicht als unmittelbar aus dem Kaufvertrag resultierende Vertragsstrafe angesehen werden. Zweck einer Vertragsstrafe sei es, die Erfüllung einer Verbindlichkeit als Druckmittel zu sichern. Eine Vertragsstrafe setze also ein Weiterbestehen des Vertrages und die Vertragsverletzung eines Vertragspartners voraus. Im Streitfall liege keine Vertragsverletzung vor, da nur von einem vertraglich vereinbarten Recht Gebrauch gemacht worden sei.

Gründe

18

Die Klage ist begründet.

19

Die Zahlung des "Reugeldes" stellt keinen einkommensteuerbaren Vorgang dar; sie führt weder zu Einkünften gem. § 22 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG), noch zu Einkünften aus einer anderen Einkunftsart.

20

Sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG sind Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten noch zu den Einkünften des § 22 Nr. 1, 1a, 2 oder 4 gehören, z.B. Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen und aus der Vermietung beweglicher Gegenstände. Unter einer sonstigen Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG ist nach ständiger Rechtsprechung jedes Tun, Dulden oder Unterlassen zu verstehen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann und um des Entgelts willen erbracht wird (BFH Urteil vom 23. Juni 1964 GrS 1/64 S, BFHE 80, 73, BStBl. III 1964, 500; Urteil vom 14. September 1999 IX R 88/95, BFHE 189, 424, BStBl. II 1999, 776; Urteil vom 18. Dezember 2001 IX R 74/98, BFH NV 2002, 643).

21

Abzugrenzen sind die sonstigen Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG gegen Veräußerungsvorgänge oder veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich (BFH Urteil vom 14. September 1999 IX R 88/95, a.a.O.); unter veräußerungsähnlichen Vorgängen werden dabei Vermögenseinbußen verstanden, die nicht im Nutzungsbereich liegen und bei denen kein Wirtschaftsgut auf Dritte übertragen wird (Schmidt, Kommentar zum EStG, § 22 Rn. 150). Derartige Vorgänge sind - sofern nicht im Einzelfall die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 23 oder 17 EStG vorliegen, was hier unbestritten nicht der Fall ist - grundsätzlich nicht steuerbar.

22

Der Senat wertet die Vereinbarung des "Reugeldes" als nicht steuerbaren Vorgang im Vermögensbereich. Er ist nicht der Auffassung des Beklagten, dass die im Streitfall getroffene Vereinbarung - Einräumung eines über das Regelstatut des § 433 BGB hinausgehenden Rücktrittsrechts gegen Entgelt - isoliert von dem Grundstückskaufvertrag vom 21. Dezember 1991 gesehen werden kann.

23

Das Entgelt, das die Vertragspartner in dem Grundstückskaufvertrag für den Fall vereinbart haben, dass das vertragliche Rücktrittsrecht ausgeübt wird, soll nach Ziffer IV. des Vertrages Gegenleistung dafür sein, dass die Kläger nicht in der Lage waren, die Grundstücke anderweitig zu veräußern. Das "Reugeld" hat damit Entschädigungscharakter; es wird der Nachteil ausgeglichen, den die Kläger dadurch erlitten haben, dass sie die für den Verkauf von Gewerbegrundstücken günstige Zeitspanne unmittelbar nach der Wiedervereinigung nicht wirtschaftlich nutzen konnten. Entschädigungen sind jedoch nur dann steuerbar, wenn das Rechtsgeschäft, auf das sie sich beziehen und für dessen Nichtzustandekommen sie geleistet werden, selbst unter eine der Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 EStG fallen würde (BFH-Urteil vom 16. Dezember 1960 IV 139/58 U, BFHE 72, 266, BStBl. III 1961, 100). Die Veräußerung der Grundstücke, wenn sie denn Bestand gehabt hätte, wäre aber für sich nicht steuerbar gewesen. Damit fällt auch das "Reugeld" unter keinen Steuertatbestand.

24

In diesem Zusammenhang ist entscheidend, dass die Vereinbarung des "Reugeldes" an den Grundstückskaufvertrag, der den Vermögensbereich betrifft, gebunden ist. Eine Vereinbarung des "Reugeldes" ohne Abschluss eines Grundstückskaufvertrages ist der Sache nach nicht möglich; die entsprechende Vertragsklausel hat keinen eigenen wirtschaftlichen Gehalt, sondern stellt eine bloße Folgevereinbarung für den Fall dar, dass der Grundstückskaufvertrag nicht wie geplant Bestand hat. Damit unterscheidet sich der Streitfall in einem wesentlichen Punkt von den Fällen der entgeltlichen Bestellung eines Vorkaufsrechts oder der Abgabe eines bindenden Verkaufsangebotes gegen Entgelt, in denen der BFH jeweils vom Vorliegen sonstiger Leistungen ausgegangen ist (Urteil vom 10. August 1994 X R 42/91, BFHE 175, 362, BStBl. II 1995, 57 bzw. Urteil vom 26. April 1977 VIII R 2/75, BFHE 122, 271, BStBl II 1977, 631): Dort sind die Vereinbarungen getroffen worden, ohne dass es (zunächst) zum Abschluss eines Grundstückskaufvertrages kam; der in diesen Fällen vereinbarte Leistungsaustausch war unabhängig von der Frage, ob zeitlich nachfolgend ein Kaufvertrag abgeschlossen wurde oder nicht.

25

Der Fall wäre anders zu beurteilen, wenn der Grundstückserwerber das Grundstück in der Phase bis zur Ausübung des Rücktritts wirtschaftlich genutzt hätte; in diesem Falle wäre das den Klägern verbleibende Entgelt Ausgleich für die durch den Erwerber gezogenen Nutzungen. Das war hier aber nicht der Fall, vielmehr hat das Grundstück nach Ende der Verpachtung an die LPG brach gelegen.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

27

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 712 ZPO.

28

Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO; fraglich ist, ob die gewählte Vertragsgestaltung nicht wirtschaftlich vergleichbar ist mit jener eines befristeten bindenden Kaufangebotes gegen Entgelt, für die der BFH Einkünfte nach§ 22 Nr. 3 EStG angenommen hat (Urteil vom 26. April 1977 VIII R 2/75, BFHE 122, 271, BStBl. II 1988, 631).