Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.06.2004, Az.: 6 K 617/02
Voraussetzungen für die Aussetzung eines finanzgerichtlichen Verfahrens; Anforderungen an die Ermessensausübung des Finazgerichts bei der Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens; Folgen der fehlenden Anhängigkeit von Rechtsstreitigkeiten über Grundlagenbescheide auf die Aussetzung eines Rechtsstreits gegen die Folgebescheide
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 18.06.2004
- Aktenzeichen
- 6 K 617/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 29390
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2004:0618.6K617.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 74 FGO
- § 182 Abs. 1 AO 1977
- § 171 Abs. 10 AO 1977
- § 351 Abs. 2 AO 1977
Fundstellen
- DStR 2006, XV Heft 9 (Kurzinformation)
- DStRE 2006, 437-438
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Zu den Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO.
- 2.
Die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens stellt eine Ermessensentscheidung dar; bei der Ermessensausübung hat das FG prozessökonomische Gesichtspunkte einerseits und die Interessen der Beteiligten andererseits gegeneinander abzuwägen.
- 3.
Nur bereits anhängige Rechtsstreite können zu einer Verfahrensaussetzung führen.
- 4.
Sind Rechtsstreite über Grundlagenbescheide noch nicht anhängig und bestehen keine Anhaltspunkte für deren Nichtigkeit, besteht keine Veranlassung, einen Rechtsstreit gegen die Folgebescheide, die auf den Grundlagenbescheiden beruhen, auszusetzen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die im Rubrum genannten Folgebescheide, da die Verwaltungsakte nach ihrer Auffassung auf rechtswidrigen Grundlagenbescheiden beruhten.
Die Klägerin befindet sich in Liqudation. Sie war in den Streitjahren als Komplementärin an den Firmen B GmbH & Co KG und BD GmbH & Co KG beteiligt. Nach Außenprüfungen bei den Kommanditgesellschaften änderten die zuständigen Finanzämter die Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte. Der Beklagte änderte daraufhin die entsprechenden Körperschaftsteuerbescheide und Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und erfasste die anteiligen Einkünfte gemäß der Grundlagenbescheide bei der Klägerin. Die gegen die Änderungsbescheide eingelegten Einsprüche wies der Beklagte als unbegründet zurück.
Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung der Änderungsbescheide. Die zur Änderung der Grundlagenbescheide führenden Geldverkehrsrechnungen der jeweiligen Finanzämter seien wegen zahlreicher Mängel nicht verwertbar, so dass auch die Folgebescheide unrichtig und damit rechtswidrig seien. Im Übrigen sei das Klageverfahren bis zur Entscheidung über die Einsprüche gegen die Grundlagenbescheide auszusetzen. Diese seien wegen der gravierenden Mängel nichtig.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 KStG auf den 31.12.1986 bis 1996 sowie die geänderten Körperschaftsteuerbescheide für die Jahre 1986 bis 1990 und 1992 jeweils vom 03.06.2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.08.2002 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Da die Grundlagenbescheide nicht nichtig seien, würden mit den angefochtenen Verwaltungsakten lediglich die bindenden Feststellungen umgesetzt. Demzufolge sei die Klägerin lediglich zu einer Anfechtung der Grundlagenbescheide befugt.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
1.
Nach § 74 FGO kann das Gericht ein Verfahren aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Die mithin zu fordernde Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtsstreit oder Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung ist u.a. gegeben, wenn im anderen Verfahren eine Frage entschieden wird, die im auszusetzenden Verfahren als Vorfrage zu beantworten ist, und nur eine einheitliche Entscheidung zutreffend sein kann (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Juli 1998 VIII R 84/96, BFH/NV 1999, 318). Dies gilt insbesondere, wenn die angefochtenen Bescheide im Verhältnis von Folge- zu Grundlagenbescheiden i.S. von § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO 1977) stehen (vgl. etwa BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 I R 92/98, BFHE 189, 183, BStBl II 1999, 733).
Trotz Vorgreiflichkeit der Entscheidung im "anderen" anhängigen Rechtsstreit stellt die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens jedoch eine Ermessensentscheidung dar (BFH-Beschluss vom 12. Oktober 1988 VIII B 117/87, BFH/NV 1989, 446). Bei der Ausübung seines Ermessens hat das FG prozessökonomische Gesichtspunkte einerseits und die Interessen der Beteiligten andererseits gegeneinander abzuwägen (BFH-Urteile vom 14. Juli 1992 V R 91/85, BFH/NV 1995, 836; in BFH/NV 1999, 318). Nach § 74 FGO können dabei nur bereits anhängige Rechtsstreite zu einer Verfahrensaussetzung führen (BFH-Beschluss vom 20. Juli 1994 I B 200/93, BFH/NV 1995, 401).
Der Senat sieht von einer Aussetzung des Verfahrens aus prozessökonomischen Gründen ab. Rechtsstreite über die Grundlagenbescheide sind noch nicht anhängig. Die Feststellungsfinanzämter haben vielmehr über die anhängigen Einsprüche noch nicht entschieden. Die von der Klägerin geltend gemachte Nichtigkeit der Bescheide, betrifft hingegen nicht nur das Verfahren gegen die Grundlagenbescheide, sondern auch das vorliegende Klageverfahren, so dass zeitnah über die Bindungswirkung zu entscheiden ist.
2.
Die angegriffenen Grundlagenbescheide entfalteten nach § 182 Abs. 1 AO Bindungswirkung, da sie nicht nichtig waren. Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.
Zwar mag der Einwand der Klägerin zutreffen, dass die Geldverkehrsrechnungen, die mehrmals geändert wurden, nicht richtig sind und deshalb die darauf basierenden Schätzungen jeweils zu unzutreffenden Ergebnissen führten. Aus der Unrichtigkeit des Schätzungsergebnisses allein lässt sich indes lediglich deren Rechtswidrigkeit, nicht jedoch die Nichtigkeit der angegriffenen Verwaltungsakte ableiten.
3.
Bindende Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO) können nur durch Anfechtung des Grundlagenbescheids, nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheids, angegriffen werden (§ 351 Abs. 2 AO). Der Beklagte hat demzufolge die Einsprüche gegen die Folgebescheide, die mit Einwendungen gegen die Grundlagenbescheide begründet wurden, wegen der Bindungswirkung der Grundlagenbescheide zu Recht als unbegründet zurückgewiesen. Aus diesem Grund kann auch die vorliegende Klage keinen Erfolg haben.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.