Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.06.2004, Az.: 13 K 482/02

Rückforderung von Kindergeld; Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld; Grenzwert für die Gewährung von Kindergeld; Frage der Beendigung des Studiums mit Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit; Folgen einer Nichtteilnahme oder einer nur beschränkten Teilnahme an den von einer Universität angebotenen Lehrveranstaltungen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
22.06.2004
Aktenzeichen
13 K 482/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 20641
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2004:0622.13K482.02.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 17.11.2004 - AZ: VIII R 56/04

Fundstelle

  • DStRE 2005, 83-84 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Ein Kind kann sich auch nach Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit in Berufsausbildung (hier: Studium) befinden.

Redaktioneller Leitsatz

Die Ausbildung eines Studenten an der Universität endet nicht automatisch dadurch, dass er ohne Absolvierung der Abschlussprüfung eine Vollerwerbstätigkeit annimmt, dabei aber weiter eingeschrieben bleibt. Allein die Nichtteilnahme oder beschränkte Teilnahme an angebotenen Lehrveranstaltungen der Universität führt noch nicht zu der Annahme, dass die Ausbildung beendet ist. Um den Schluss einer Beendigung der Ausbildung zu ziehen, bedarf es der Dokumentation des Beendigungswillens gegenüber dem Ausbilder, also der Hochschule.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte berechtigt ist, Kindergeld das der Kläger für seine Tochter X von Januar bis September 2001 erhalten hat, zurückzufordern. Die am 3. August 1977 geborene Tochter des Klägers - X - studierte nach einer Ausbildung als Werbekauffrau ab Wintersemester 2000/2001 an der Universität Hamburg.

2

X war als Studentin vom Wintersemester 2000/2001 bis zum Wintersemester 2002/2003 als Studentin eingetragen. Ob X darüber hinaus als Studentin eingetragen war, ist dem Gericht nicht bekannt und konnte in der mündlichen Verhandlung auch nicht geklärt werden.

3

X hat seit Studienbeginn eine Teilzeitarbeit bei einer Werbefirma ausgeübt und in den Monaten Januar bis September 2001 brutto 8.406,75 DM verdient. Ab Oktober arbeitete X voll und erzielte für diese drei Monate Einkünfte in Höhe von 15.800,00 DM.

4

Das beklagte Arbeitsamt sah die Tochter des Klägers im gesamten Jahr 2001 als auszubildendes Kind an und hob mit Bescheid vom 18. Juli 2002 die gewährte Kindergeldfestsetzung wegen Überschreitung des Grenzbetrags der eigenen Einkünfte von X in Höhe von 14.040,00 DM auf und forderte das für 2001 und Januar 2002 gezahlte Kindergeld zurück.

5

Hiergegen erhob der Kläger Klage.

6

Der Kläger akzeptiert die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung für die Monate Oktober bis Dezember 2001 und Januar 2002. Nicht jedoch akzeptiert der Kläger die Aufhebung und Rückforderung des Kindergeldes für die Monate Januar bis September 2001.

7

Der Kläger meint, mit der Aufnahme eines Vollzeiterwerbes habe X trotz weiterhin erfolgter Immatrikulationen ihre Ausbildung beendet. Der Vollzeiterwerb überlagere die Immatrikulation. Entsprechend seien nur für die Monate der Ausbildung zu prüfen, ob X Einkünfte und Bezüge die zulässige Grenze überschreiten. Dies sei aber nicht der Fall. Denn in den Monaten Januar bis September 2001 habe X lediglich 8.406,75 DM verdient. Abzüglich eines Werbungskostenpauschbetrages für 9 Monate in Höhe von 1.500,00 DM verbleiben Einkünfte in Höhe von 6.906,75 DM. Der für die Monate Januar bis September zu ermittelnde Grenzbetrag liege aber bei 10.530,00 DM und werde folglich nicht überschritten.

8

Der Kläger beruft sich zur Stützung seiner Rechtsmeinung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. November 2001. Dort habe der BFH ausgeführt, ein Kind sei trotz Immatrikulation nicht in der Ausbildung, wenn es sein Studium noch nicht aufgenommen habe und vollzeiterwerbstätig sei.

9

Der Kläger beantragt,

den Rückforderungsbescheid vom 18. Juli 2002 aufzuheben und die beklagte Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für das Kind X für Januar bis September 2001 in gesetzlicher Höhe festzusetzen.

10

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Der Beklagte meint, dass alle Einkünfte, die X im Jahre 2001 erhalten habe, bei der Frage, ob die Einkünfte und Bezüge von X den Grenzbetragüberschreiten, zu berücksichtigen seien. Denn X habe sich im Jahre 2001 in Ausbildung befunden. Solange X das begonnene Studium nicht abgebrochen habe, befinde sie sich weiter in Ausbildung.

12

Wegen des weitergehenden Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

13

Dem Gericht hat die vom Beklagten für den Kläger geführte Kindergeldakte unter dem Aktenzeichen ... vorgelegen.

Entscheidungsgründe

14

Die Klage ist unbegründet.

15

Zu Recht hat der Beklagte die Kindergeldgewährung für den streitigen Zeitraum von Januar bis September 2001 aufgehoben (a) und das für diese Zeitraum geforderte Kindergeld zurückgefordert (b).

16

Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld. Dies ergibt sich aus § 63 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) in Verbindung mit § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a und § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Nach diesen Vorschriften besteht nur dann ein Anspruch auf Kindergeld für ein über 18-jähriges Kind, wenn dieses für einen Beruf ausgebildet wird und die Einkünfte und Bezüge dieses Kindes 14.040,00 DM im Jahr nicht überschreiten.

17

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen für das Streitjahr nicht vor.

18

Die am 3. August 1977 geborene Tochter des Klägers befand sich während des gesamten Jahres 2001 in Berufsausbildung und hatte im gesamten Jahr 2001 unstreitig Einkünfte und Bezüge, die nach Abzug des Werbungskostenpauschbetrags über dem Grenzwert von 14.040,00 DM lagen.

19

X befand sich während des gesamten Jahres 2001 in Berufsausbildung. Denn X war ab Wintersemester 2000/2001 an der Universität Hamburg als Studentin immatrikuliert und hat ab Beginn ihres Studiums neben einer Teilzeitarbeit an der Universität Hamburg studiert. Da sie auch in 2001 weder einen Abschluss in einem der von ihr gewählten Studienfächern erbracht hat noch das Studium abgebrochen hat, sieht der Senat in der Aufnahme der Vollzeiterwerbstätigkeit keine Beendigung des Studiums und damit kein Ende ihrer Ausbildungszeit. Dabei geht der Senat davon aus, dass abgesehen von dem Ende der universitären Ausbildung durch Ablegung einer Abschlussprüfung die Beendigung einer Ausbildung durch eine Handlung des Auszubildendem dem Ausbilder gegenüber (hier Universität Hamburg) dokumentiert werden muss. Eine einseitige nicht dem Ausbilder gegenüber mitgeteilte Entscheidung des Auszubildenden berührt das bestehende Ausbildungsverhältnis nicht und der "Ausbildungsvertrag" bleibt bestehen. Allein die Nichtteilnahme oder beschränkte Teilnahme an angebotenen Lehrveranstaltungen der Universität führt ebenfalls nicht zu der Annahme, dass die Ausbildung beendet ist. Denn aus der Nichtteilnahme oder beschränkten Teilnahme an von der Universität angebotenen Lehrveranstaltungen ergibt sich nicht zwingend der Schluss einer Beendigung der Ausbildung.

20

Da die Tochter des Klägers nicht nur in 2001 sondern auch in der Folgezeit jedenfalls bis Wintersemester 2002/2003 an der Universität Hamburg eingeschrieben war, befand sich die Tochter des Klägers ab Wintersemester 2000/2001 fortlaufend in Ausbildung.

21

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf das Urteil des BFH vom 23. November 2001 (VI R 77/99 BStBl II 2002, 484) berufen. Zwar hat der BFH in jenem Verfahren trotz Immatrikulation ein vollzeiterwerbstätiges Kind als nicht in der Ausbildung befindlich angesehen. Doch war der Sachverhalt in jenem Verfahren anders gelagert als vorliegend. Denn die Tochter des Klägers in jenem Verfahren hatte die Ausbildung noch nicht begonnen. Vorliegend aber hat die Tochter des Klägers nach ihrer Immatrikulation bereits mit dem Studium begonnen.

22

Die Tochter des Klägers war somit im gesamten Jahr 2001 in Ausbildung. Da die Tochter unstreitig in 2001 über den Grenzbetrag liegende Einkünfte und Bezüge erhalten hat, war sie hinsichtlich des Kindergeldes nicht mehr als Kind zu berücksichtigen. Die Aufhebung der Kindergeldbewilligung für den streitigen Zeitraum war somit rechtmäßig.

23

Die Berechtigung des Beklagten das zu Unrecht gezahlte Kindergeld zurückzufordern, ergibt sich aus § 37 Abs. 2 Abgabenordnung.

24

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.

25

Der Senat hat im Hinblick auf die Ausführungen des BFH im oben genannten Urteil (BStBl II 202 Seite 485, letzter Absatz) die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.