Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.06.2004, Az.: 13 K 507/00
Zulässigkeit der Außenprüfung zur Erforschung der Verhältnisse Dritter; Zulässigkeit der Durchsicht von Geschäftsunterlagen eines Steuerpflichtigen nach steuererheblichen Verhältnissen Dritter; Ermittlung der Namen und Anschrift von Saalmietern einer Gaststätte zur Ermöglichung von Auskunftsbegehren gegenüber den Mietern; Verwertung rechtswidrig erlangten Kontrollmaterials durch die Finanzbehörde; Bestehen eines Verwertungsverbots bezüglich rechtwidrig erlangter Informationen über Dritte; Zulässigkeit einer Hinzuschätzung aufgrund des Kontrollmaterials
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 22.06.2004
- Aktenzeichen
- 13 K 507/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 17558
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2004:0622.13K507.00.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 04.10.2006 - AZ: VIII R 53/04
Rechtsgrundlagen
- § 194 Abs. 1 S. 1 AO
- § 194 Abs. 3 1. Alt. AO
Fundstellen
- DStR 2004, X Heft 38 (Kurzinformation)
- DStRE 2004, 1240-1243 (Volltext mit amtl. LS)
- DStZ 2004, 626 (Volltext)
- EFG 2004, 1419-1420
- NWB 2005, 3298 (Kurzinformation)
- b&b 2004, 444-445
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Eine Außenprüfung darf nicht zu dem Zweck durchgeführt werden, die Verhältnisse Dritter zu erforschen. Die Geschäftsunterlagen eines Steuerpflichtigen dürfen weder gezielt unter Anlegung eines vorgegebenen Rasters noch "ins Blaue hinein" nach steuererheblichen Verhältnissen Dritter durchforstet werden.
- 2.
Überprüft die Finanzverwaltung im Rahmen von Außenprüfungen bei verschiedenen Gaststätten die Ausrichter von Familienfeiern mit Namen und Anschrift und werden dann an die so ermittelten Personen Auskunftsbegehren gerichtet, in denen u.a. nach Namen und Vergütung der Musikkapelle gefragt wird, die auf der jeweiligen Familienfeier gespielt hat, ist die Ermittlung der Namen und Anschriften der Mieter im Rahmen der Außenprüfung bei den Saalbetrieben rechtswidrig. Das rechtswidrig erlangte Kontrollmaterial unterliegt einem Verwertungsverbot. Eine Hinzuschätzung aufgrund des Kontrollmaterials ist unzulässig.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Hinzuschätzungen für die Jahre 1995 bis 1998.
Die Klägerin ist eine Tanzkapelle in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, bestehend aus zwei bzw. drei (199x) Mitgliedern. Die Gewinnfeststellungsbescheide für die Streitjahre ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Auf Aufforderung des Beklagten reichte die Klägerin für jedes Jahr eine Aufstellung über die absolvierten Auftritte ein.
Der Beklagte bezweifelte die Vollständigkeit der angegebenen Einnahmen und bat die Klägerin in einer Anlage zum Gewinnfeststellungsbescheid 1996 vom xx.xx.1997 um Überprüfung. In der Folgezeit (November 1997 bis Oktober 1998) wurden mehrere Saalbetriebe zur Außenprüfung vorgeschlagen. Die in der Meldung genannten Gründe für die Prüfungswürdigkeit bezogen sich nicht auf die Tanzkapelle. Im Rahmen der Außenprüfungen bei den Saalbetrieben ermittelten die Außenprüfer, dass die Gastwirte in keinen unmittelbaren Rechtsbeziehungen zu den Tanzkapellen standen. Vielmehr beauftragten die jeweiligen Mieter der Säle die Kapellen. Daraufhin erfassten die Außenprüfer die Mieter mit Name und Anschrift.
In den Jahren 1998 und 1999 richtete der Beklagte Auskunftsbegehren an die Mieter der Säle. Es wurde danach gefragt, welche Musikkapelle aufgetreten sei und welcher Preis für die Kapelle gezahlt worden sei. Das Begehren wurde auf § 93 Abgabenordnung (AO) gestützt. Den Angeschriebenen wurde mitgeteilt, dass die Auskünfte nicht für die eigene Besteuerung benötigt würden. In den Akten befinden sich über 40 Auskunftsbegehren, die später der Klägerin zugeordnet wurden.
Die Antworten wurden teilweise schriftlich, zumeist aber telefonisch erteilt. Sie wurden bei einer telefonischen Auskunft handschriftlich dokumentiert, häufig ohne Datum und Namenszeichen. Die Auswertung der Auskünfte ergab, dass die Klägerin Auftritte teilweise überhaupt nicht erfasst hatte bzw. teilweise niedrigere Einnahmen erfasst hatte, als ihr nach den Angaben der Mieter zugeflossen waren.
Daraufhin fand bei der Klägerin eine Außenprüfung statt. Es wurde ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Mitglieder der Klägerin eingeleitet. Der Außenprüfer wertete die Auskünfte der Saalmieter aus und schätzte einen Unsicherheitszuschlag hinzu:
in DM | nicht erfasst | Hinzuschätzung | Summe (nach Rundung) |
---|---|---|---|
1995 | 10.xxx | 13.xxx | 24.xxx |
1996 | 17.xxx | 14.xxx | 31.xxx |
1997 | 10.xxx | 15.xxx | 28.xxx |
1998 | 5.xxx | 3.xxx | 8.xxx |
Dementsprechend erhöhte der Beklagte mit nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheiden vom xx.xx.2000 den Gewinn der Klägerin. Der hiergegen erhobene Einspruch wurde mit Einspruchsbescheid vom xx.xx.2000 zurückgewiesen. Mit am xx.xx.2000 erhobener Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Das der Schätzung zugrunde liegende Kontrollmaterial unterliege einem Verwertungsverbot. Der Beklagte habe systematisch Saalbetriebe geprüft, um in einem Massenverfahren Daten und Erkenntnisse über Musikkapellen zu erlangen. Den Außenprüfern sei es nur gestattet,"anlässlich" einer Außenprüfung festgestellte Verhältnisse Dritter im Wege der resortinternen Amtshilfe mitzuteilen. Eine Außenprüfung dürfe nicht eigens zu dem Zweck durchgeführt werden, um Verhältnisse anderer Personen zu erforschen. Zwischen den Musikkapellen und dem jeweiligen Saalbetrieben hätten keinerlei Rechtsbeziehungen bestanden. Rechtsbeziehungen hätten nur zwischen dem Ausrichter der Familienfeiern und der Kapelle bestanden. Die Verhältnisse der Kapelle lägen außerhalb des Wirkungskreises der gegen die Saalwirte erlassenen Prüfungsanordnung. Die Außenprüfung sei rechtswidrig zur Beschaffung von Adressdaten missbraucht worden.
Die Betriebsprüfung überschreite ihre Befugnisse, wenn sie ohne sachlichen Zusammenhang mit der Prüfung gezielt nach Kontrollmaterial suche. Würden "anlässlich" einer Betriebsprüfung Verhältnisse Dritter festgestellt werden, so sei die Auswertung der Feststellungen zwar zulässig. Der Begriff "anlässlich" sei aber nicht nur zeitlich zu verstehen, sondern erfordere einen sachlichen Zusammenhang.
Der Umfang des Kontrollmaterials lasse unweigerlich den Schluss zu, dass Betriebsprüfungen nur zum Zwecke der Fertigung von Kontrollmaterials erfolgt seien. Dies seien Ermittlungen "ins Blaue hinein". Zuerst seien die Gaststätten geprüft worden, dann die Auskunftsersuchen an die Mieter der Säle gestellt worden und erst dann habe die Außenprüfung bei der Klägerin stattgefunden.
Nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AO solle ein Auskunftsersuchen erst an "andere Personen" gestellt werden, wenn eine Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führe. Dies setze voraus, dass bekannt sei, wer Beteiligter sei. Bei den vorliegenden Auskunftsersuchen sei dies nicht der Fall gewesen, weil die Tanzkapellen erst durch die Auskunftsersuchen ermittelt werden sollten. Wenn die Beteiligten unbekannt seien, finde § 93 Abs. 1 Satz 3 AO keine Anwendung.
Sämtliche auf § 93 AO gestützte Auskunftsersuchen an dritte Personen seien vorgenommen worden, ohne die Klägerin an der Sachverhaltsaufklärung zu beteiligen. Das durchgeführte Auskunftsverfahren sei ermessensfehlerhaft.
Die Klägerin beantragt,
die Herabsetzung der Besteuerungsgrundlagen
für 1995 | von DM 39.xxx auf DM 15.xxx |
---|---|
für 1996 | von DM 45.xxx auf DM 14.xxx |
für 1997 | von DM 47.xxx auf DM 19.xxx |
für 1998 | von DM 54.xxx auf DM 46.xxx |
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
mit der Einschränkung, dass aus den Feststellungsbescheiden die Umsatzsteuer gewinnmindernd herauszurechnen ist.
Der Beklagte habe die Saalbetriebe nicht geprüft, um Daten über Musikkapellen zu erlangen. Es habe keine diesbezüglichen Anweisungen gegeben. Die Veranlagungen der Saalbetriebe seien zum Teil bereits seit 1994 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung durchgeführt worden, da eine Außenprüfung beabsichtigt gewesen sei. Die letzten Prüfungen der Gaststätten hätten in den Jahren 1987 bis 1993 stattgefunden. Die Meldungen zur Betriebsprüfung seien zu unterschiedlichen Zeiten und aus unterschiedlichen Gründen erfolgt. Es habe sich um Gründe gehandelt, die üblich für die Durchführung von Betriebsprüfungen gewesen seien, wie das Vorliegen von Kontrollmaterial, hohe Nachzahlungen, hohe Privatentnahmen, schwankende Gewinne, zu niedrige Aufschlagsätze etc. Die Prüfungen hätten dann in den Jahren 1998 und 1999 stattgefunden. Es seien verschiedene Außenprüfer mit den Prüfungen beauftragt worden. Die Prüfungen hätten in allen Fällen zu Mehrergebnissen geführt, die zum Teil erheblich gewesen seien.
Nach § 194 Abs. 3 AO sei das Anfertigen von Kontrollmaterial zulässig, wenn eine Außenprüfung nicht allein zu diesem Zweck durchgeführt werde. Die Feststellungen bezüglich der Mieter der Säle seien bloße Nebenprodukte der Prüfungen gewesen. Eine Ermittlung "ins Blaue hinein" liege nicht vor. Bereits in der Vergangenheit sei festgestellt worden, dass Musikgruppen ihre Einnahmen aus Auftritten nicht in voller Höhe versteuert hätten. Auch bei anderen Musikgruppen seien in den Jahren 1999 und 2000 Steuerverkürzungen festgestellt worden. Da die Möglichkeit einer Steuerverkürzung bestanden habe, hätten die Namen der Mieter der Säle zur Auswertung festgehalten werden dürfen.
Die Auskunftsersuchen hätten nicht im Zusammenhang mit der Klägerin gestanden, sondern im Zusammenhang mit Außenprüfungen bei anderen Musikkapellen. Sämtliche Auskunftsersuchen seien durchgeführt worden, weil die Sachverhaltsaufklärung durch die beteiligten Musikkapellen und deren Mitglieder nicht zum Ziel geführt habe. Aufgrund der Antworten der Auskunftspflichtigen sei Kontrollmaterial für andere Musikkapellen, wie auch der Klägerin, angefallen. Daher sei eine Auswertung des Kontrollmaterials zulässig gewesen.
Gründe
Die Klage ist begründet.
I.
Der Beklagte durfte das Kontrollmaterial nicht verwerten, weil es rechtswidrig erlangt wurde und einem Verwertungsverbot unterliegt. Der Beklagte durfte auch keine Hinzuschätzung aufgrund des Kontrollmaterials vornehmen.
1.
Die Ermittlung der Namen und Anschriften der Mieter im Rahmen der Außenprüfungen bei den Saalbetrieben war rechtswidrig.
a)
Gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 AO dient die Außenprüfung der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen. Nach § 194 Abs. 3 Alternative 1 AO ist die Auswertung von Feststellungen bezüglich anderer Personen als den geprüften Steuerpflichtigen zulässig, soweit die Verhältnisse Dritter "anlässlich" der Außenprüfung festgestellt werden und die Kenntnis für die Besteuerung der anderen Person von Bedeutung ist. Nach der Rechtsprechung des BFH verlangt das Wort "anlässlich" mehr als einen bloß zeitlichen Zusammenhang zwischen der Außenprüfung und den drittbezogenen Feststellungen. Zwischen der Außenprüfung und der Feststellung steuerrelevanter Verhältnisse Dritter muss vielmehr ein sachlicher Zusammenhang in der Weise bestehen, dass bei einer konkreten und im Aufgabenbereich des Prüfers liegenden Tätigkeit ein Anlass besteht, solche Feststellungen zu treffen (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 4. November 2003 VII R 28/01, BFH/NV 2004, 549). Ein besonderer Anlass, etwa ein solcher, der zwingend den Verdacht einer Steuerverkürzung des Dritten erweckt, ist nicht erforderlich. Es genügt vielmehr, dass die vom Prüfer gesichteten Geschäftsunterlagen des Steuerpflichtigen Hinweise auf die Verhältnisse dritter Personen geben, die bei objektiver Betrachtung für deren Besteuerung von Bedeutung sein können (BFH-Beschluss vom 2. August 2001 VII B 290/99, BStBl II 2001, 665).
Dagegen darf eine Außenprüfung nicht zu dem Zweck durchgeführt werden, die Verhältnisse dritter Personen zu erforschen (BFH-Beschluss vom 2. August 2001 VII B 290/99, BStBl II 2001, 665; BFH-Beschluss vom 25. Juli 2000 VII B 28/99, BStBl II 2000, 643 (zu § 208 AO); BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 VIII R 33/95, BStBl II 1997, 499; vgl. auch Beschluss des Schleswig-Holsteinischen FG vom 28. November 2000 V 288/00, EFG 2001, 182). Weder dürfen die Geschäftsunterlagen des Steuerpflichtigen gezielt unter Anlegung eines vorgegebenen Rasters noch andererseits "ins Blaue hinein", d.h. als beliebige Stichprobe, nach steuererheblichen Verhältnissen Dritter durchforstet werden (BFH-Beschluss vom 2. August 2001 VII B 290/99, BStBl II 2001, 665; vgl. auch Beschluss des Schleswig-Holsteinischen FG vom 28. November 2000 V 288/00, EFG 2001, 182). Diese Einschränkung des § 194 Abs. 3 AO ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Fehlt es an einem hinlänglichen Anlass für die Feststellungen der Verhältnisse Dritter, handelt der Prüfer außerhalb der ihm durch den Prüfungsauftrag verliehenen Befugnisse. Eine solche unmittelbar und ausschließlich auf die steuerlichen Verhältnisse Dritter gerichtete Prüfungshandlung ist rechtswidrig (BFH-Urteil vom 4. November 2003 VII R 28/01, BFH/NV 2004, 549; vgl. auch Urteile des FG Baden-Württemberg vom 28. März 2003 3 K 72/99, EFG 2003, 1139 und 3 K 240/98, EFG 2003, 1140).
b)
Nach diesen Grundsätzen war die Erfassung der Namen und Anschriften der Mieter im Rahmen der Außenprüfungen bei den Saalbetrieben rechtswidrig. Sie erfolgten in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse der Saalwirte. Für die steuerliche Überprüfung der Saalbetriebe waren die Namen und Adressen der Mieter bedeutungslos. Die Mieterdaten wurden auch nicht erfasst, weil die von den Prüfern gesichteten Geschäftsunterlagen Hinweise ergaben, die für die Besteuerung der Mieter der Säle von Bedeutung sein könnten. Die Daten wurden ausschließlich zusammengetragen, damit spätere Ermittlungen gegen die Musikkapellen vorgenommen werden konnten. Damit wurde die Außenprüfung dazu genutzt, um zielgerichtet steuerliche Verhältnisse Dritter festzustellen und so erst einen Anlass für Ermittlungsmaßnahmen zu schaffen. Ein derartiges Vorgehen liegt außerhalb der durch den Prüfungsauftrag verliehenen Befugnisse und verstößt gegen § 194 Abs. 3 AO (BFH-Urteil vom 4. November 2003 VII R 28/01, BFH/NV 2004, 549). Denn anders als die Steuerfahndung hat die Betriebsprüfung nicht die Aufgabe, unbekannte Steuerfälle aufzudecken und zu ermitteln. Ihr fehlt eine dem § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO entsprechende Aufgabenzuweisung (BFH-Beschluss vom 4. September 2000 I B 17/00, BStBl II 2000, 648; vgl. auch Beschluss des FG Schleswig-Holstein vom 28. November 2000 V 288/00, EFG 2001, 182).
Aus den vorgelegten Akten ist nicht ersichtlich, dass die Prüfungsfeststellungen bei den Saalbetrieben konkrete Anhaltspunkte für eine unvollständige Versteuerung der Einnahmen durch die Tanzkapellen erbracht haben. Die Erfassung der Mieternamen erfolgte vielmehr aufgrund der allgemeinen Vermutung, dass Tanzkapellen nicht alle Einnahmen versteuern würden. Diese Mutmaßung reicht ebenso wenig aus, wie der Hinweis des Beklagten, dass sich bereits in der Vergangenheit erwiesen habe, dass Musikgruppen ihre Einnahmen und Auftritte nicht in voller Höhe versteuern würden. Deshalb wurden die Mieternamen nicht "anlässlich" der Außenprüfungen bei den Saalbetrieben festgehalten, sondern nur "bei Gelegenheit".
Der Einwand des Beklagten, dass die Saalbetriebe - ausweislich der Meldungen zur Außenprüfung - aus anderen Gründen geprüft worden seien, greift nicht durch. Nach den Gesamtumständen des Falls verfolgten die Prüfer mit ihren Prüfungshandlungen von vornherein (auch) das Ziel, die steuerlichen Verhältnisse der Tanzkapellen zu erforschen. Nach dem Vortrag des Beklagten wurden verschiedene Amtsbetriebsprüfer mit den Prüfungen beauftragt. Dennoch wurde bei allen Außenprüfungen nach den Rechtsbeziehungen zwischen den Saalwirten und den Musikkapellen gefragt. Als sich herausstellte, dass keine Rechtsbeziehungen bestanden, wurden bei allen Außenprüfungen die Namen und Anschriften der Mieter herausgeschrieben. Es erscheint kaum vorstellbar, dass sich verschiedene Außenprüfer ohne vorherige Abstimmung in dieser Art und Weise verhalten. Die Vorgehensweise deutet vielmehr darauf hin, dass von vornherein zielgerichtet auch die Tanzkapellen überprüft werden sollten. Damit geht einher, dass der Beklagte bereits vor den Außenprüfungen Zweifel an der Vollständigkeit der erklärten Einnahmen der Klägerin äußerte und die Meldungen der Saalbetriebe zur Außenprüfung in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit diesen geäußerten Zweifeln standen.
2.
Der Senat kann offen lassen, ob auch die Auskunftsverlangen gegenüber den Mietern der Säle rechtswidrig waren. Insoweit wäre zu prüfen, ob Auskunftsersuchen nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AO dazu verwandt werden können, noch unbekannte Steuerfälle aufzudecken. Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass im Zeitpunkt des Auskunftsersuchens noch gar nicht feststand, wer überhaupt Beteiligter in dem Verfahren war. Der Senat hat Zweifel, ob mit Hilfe von massenhaft versandtem Auskunftsersuchen potenzielle Steuerfälle ermittelt werden dürfen. Die Rechtsprechung hat solche Ersuchen bislang nur im Anwendungsbereich des § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO und bei einem hinreichenden Anlass anerkannt (BFH-Beschluss vom 21. März 2002 VII B 152/01, BStBl II 2002, 495; BFH-Urteil vom 17. März 1992 VII R 122/91, BFH/NV 1992, 791). Dies braucht jedoch nicht entschieden zu werden, weil bereits die rechtswidrige Erlangung der Adressen der Mieter zu einem Verwertungsverbot für das erlangte Kontrollmaterial führt.
a)
Die Verwertung der rechtswidrig ermittelten Erkenntnisse ist nicht schon deshalb zulässig, weil die Klägerin die den Ermittlungsmaßnahmen zugrunde liegenden Verwaltungsakte (Prüfungsanordnung gegenüber den Saalwirten, ggf. Mitwirkungsverlangen gegenüber den Saalwirten) nicht angefochten hat (zur grundsätzlichen Notwendigkeit einer solchen Anfechtung: BFH-Urteil vom 25. November 1997 VIII R 4/94, BStBl II 1998, 461; BFH-Urteil vom 20. Februar 1990 IX R 83/88, BStBl II 1990, 789; BFH-Urteil vom 23. Februar 1984 IV R 154/82, BStBl II 1984, 512). Die Klägerin war nicht Adressatin dieser Verwaltungsakte. Sie hatte von deren Existenz keine Kenntnis. Die gegen die Klägerin ergangene Prüfungsanordnung stand in keinem Zusammenhang mit den rechtswidrigen Ermittlungshandlungen und brauchte deshalb von der Klägerin nicht angefochten zu werden. Das Verwertungsverbot kann unmittelbar im Verfahren gegen die geänderten Steuerbescheide geltend gemacht werden (vgl. BFH-Urteil vom 25. November 1997 VIII R 4/94, BStBl II 1998, 461; BFH-Urteil vom 20. Februar 1990 IX R 83/88, BStBl II 1990, 789).
b)
Die Frage eines Verwertungsverbots stellt sich nicht nur, wenn eine Prüfungsanordnung rechtswidrig ist. Auch einzelne rechtswidrige Aufklärungsmaßnahmen der Außenprüfung können ein Verwertungsverbot auslösen (BFH-Beschluss vom 11. Juli 1979 I B 10/79, BStBl II 1979, 704; Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung, vor § 193 Rz. 25)
c)
Welche rechtlichen Folgen sich für die Steuerfestsetzung aus einer verfahrensrechtlich nicht ordnungsgemäßen Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen im Rahmen einer Außenprüfung ergeben, ist in der AO nicht geregelt. Der Gesetzgeber hat die Entwicklung des Verwertungsverbots der richterlichen Rechtsfortbildung überlassen. Der BFH hat sich grundsätzlich für ein formelles oder verfahrensrechtliches Beweisverwertungsverbot entschieden (BFH-Urteil vom 7. Juni 1973 V R 64/72, BStBl II 1973, 716; BFH-Urteil vom 27. Juli 1983 I R 210/79, BStBl II 1984, 285). Zugleich hat auch immer die Überlegung eine Rolle gespielt, ob jeglicher Verstoß gegen Ordnungs- oder Formvorschriften zwangsläufig zu einem Verwertungsverbot führen muss.
Die Rechtsprechung nimmt im Ergebnis eine Abwägung zwischen dem Interesse an einer gesetzmäßigen und gleichmäßigen Steuerfestsetzung und dem Interesse des Steuerpflichtigen an einem formal rechtmäßigen Verfahren vor. Dabei wird berücksichtigt, ob der Verfahrensverstoß eher dem Bereich der Ordnungs- oder Formvorschriften zuzuordnen ist oder ob geschützte Individualinteressen beeinträchtigt worden sind (BFH-Urteil vom 25. November 1997 VIII R 4/94, BStBl II 1998, 461; vgl. auch Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung, vor § 193, Rz. 23).
Im vorliegenden Fall ist bei der Abwägung einerseits zu berücksichtigen, dass die Klägerin nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht sämtliche Einnahmen erklärt hat. Teilweise sind Auftritte überhaupt nicht erklärt worden, teilweise weichen die erklärten Einnahmen erheblich von den Angaben der Mieter ab. Es besteht - auch vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) - ein erhebliches Interesse an der zutreffenden (höheren) Steuerfestsetzung (vgl. § 85 Satz 1 und 2 AO).
Andererseits handelt es sich bei dem Verstoß des Beklagten gegen § 194 Abs. 3 AO nicht um einen - unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 127 AO - unbeachtlichen Verfahrensfehler. Vielmehr begrenzt § 194 Abs. 3 AO in individualschützender Weise den Umfang der Befugnisse des Außenprüfers. § 194 Abs. 3 AO verhindert Ermittlungsmaßnahmen, die einer "Rasterfahndung" entsprechen. Würde der Verstoß gegen § 194 Abs. 3 AO ohne Sanktion für den Beklagten bleiben, könnte der Beklagte zukünftig Ermittlungsmaßnahmen wählen, die eine flächendeckende Überprüfung von Steuerpflichtigen ohne konkreten Anlass ("ins Blaue hinein") ermöglichten. Anschaulich hat der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass der Beklagte bei einem fehlenden Verwertungsverbot die Möglichkeit hätte, beispielsweise im Rahmen einer Außenprüfung bei einer Druckerei sämtliche Kunden herauszuschreiben, die Anzeigen für eine Familienfeier haben drucken lassen. Diese könnten dann später zu der Tanzkapelle befragt werden, die auf der Familienfeier gespielt hat. Solche Ermittlungshandlungen sind von der Abgabenordnung im Rahmen einer Außenprüfung nicht vorgesehen. Sie sind rechtsstaatlich bedenklich. Ohne eine Sanktion böte die Verfahrensordnung keinen Schutz gegen solche "Rasterfahndungen". Daher führt der vorliegende Verstoß gegen § 194 Abs. 3 AO zu einem Verwertungsverbot (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung, § 196 Rz. 37; aA Urteil des FG Baden-Württemberg vom 28. März 2003 3 K 240/98, EFG 2003, 1140: Vorrang der gleichmäßigen Besteuerung).
Dieses Ergebnis verhindert auch einen Wertungswiderspruch zu der Rechtsprechung des VII. Senats des BFH zum Mitwirkungsverlangen in derartigen Fällen. In dem Urteil vom 4. November 2003 hat der BFH ein Mitwirkungsverlangen, das nur der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse Dritter dienen sollte, für rechtswidrig erklärt (VII R 28/01, BFH/NV 2004, 549). Es wäre nicht nachvollziehbar, wenn die Ergebnisse einer solchen rechtswidrigen Prüfungshandlung bei der Besteuerung zugrunde gelegt würden, nur weil sich die Saalbetreiber nicht gegen die Erfassung der Mieternamen gewehrt haben.
d)
Die Verwertung ist auch nicht zulässig, weil der Sachverhalt ohne die rechtswidrige Ermittlungsmaßnahme in gleiche Weise hätte ermittelt werden können. Diesen Gesichtspunkt hat die Rechtsprechung bei verfahrensfehlerhaften Prüfungsanordnungen betont, wenn die Steuer erstmalig festgesetzt wurde oder eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO möglich war (BFH-Urteil vom 10. Mai 1991 V R 51/90, BStBl II 1991, 825; BFH-Urteil vom 29. September 1987 X R 15/82, BFH/NV 1988, 333; BFH-Urteil vom 23. August 1994 VII R 93/93, BFH/NV 1995, 572; BFH-Urteil vom 28. April 1998 IX R 24/94, BFH/NV 1998, 1192). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Verwertungsverbot nicht eingreift, wenn die Erforschung des Sachverhalts auch ohne den verfahrensfehlerhaften Akt im Wege der Einzelermittlungsmaßnahmen nach §§ 85, 88, 90 Abs. 1 AO zulässig gewesen wäre.
Auch im vorliegenden Fall waren die ursprünglichen Feststellungsbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen. Der zu entscheidende Sachverhalt ist aber mit den genannten Urteilsfällen nicht vergleichbar. Denn die rechtswidrige Ermittlungsmaßnahme erfolgte nicht im Rahmen der Außenprüfung gegen die Klägerin, sondern im"Vorfeld" im Rahmen der Außenprüfungen bei den Saalwirten. Das Kontrollmaterial beruht auf der rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahme. Ohne die rechtswidrige Erfassung der Namen und Adressen der Mieter hätte der Beklagte weder die Auskunftsersuchen durchführen können noch die Auskünfte erhalten. Der Beklagte wäre auch im Wege einer Einzelermittlungsmaßnahme nach §§ 85, 88, 93 Abs. 1 Satz 3 AO nicht befugt gewesen, von den Saalwirten die Namen und Adressen der Mieter zu verlangen, weil auch diese Aufforderung eine Ermittlung "ins Blaue hinein" ohne konkreten Anlass und zur Erforschung noch unbekannter Steuerfälle gewesen wäre (aA für einen "Bankenfall": Urteil des FG Baden-Württemberg vom 28. März 2003 3 K 240/98 EFG 2003, 1140 unter Berufung auf das BFH-Urteil vom 25. November 1997 VIII R 4/94, BStBl II 1998, 461).
e)
Mit dieser Entscheidung wird dem Beklagten nicht jegliche Überprüfungsmöglichkeit genommen. Der Beklagte hätte die Möglichkeit gehabt, bei der Klägerin eine Außenprüfung durchzuführen und dort konkrete Feststellungen zu treffen. Er hätte auch die Möglichkeit gehabt, anhand der aufgezeichneten Anzahl der Auftritte der Klägerin bei den einzelnen Gaststätten im Wege einer Einzelermittlungsmaßnahme Nachforschungen anzustellen, ob diese konkreten Angaben zutreffend sind (§§ 85, 88 Abs. 1, 93 Abs. 1 Satz 3 AO). Es entfällt lediglich die Möglichkeit einer flächendeckenden Überprüfung ohne konkreten Anlass.
f)
Das Verwertungsverbot umfasst nicht nur das ausgewertete Kontrollmaterial, sondern auch die Hinzuschätzungen, da diese auf den rechtswidrig erhobenen Ermittlungsergebnissen beruhen.
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
III.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO)