Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.09.2003, Az.: 9 ME 120/03
Abrechnungsfähigkeit; Aufwand; Aufwandsverteilung; Autofreiheit; Außenbereichsgrundstück; Erneuerung; Frontlänge; Fußgängerstraße; Fußgängerzone; Innenbereichsgrundstück; Straßenausbaubeitrag; Straßenausbaubeitragspflicht; Umbau; Vorteil
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.09.2003
- Aktenzeichen
- 9 ME 120/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48599
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 27.03.2003 - AZ: 6 B 1323/02
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs 1 S 1 KAG ND
- § 6 Abs 5 S 1 KAG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Vorliegen eines Beitragstatbestands gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 NKAG indiziert den besonderen wirtschaftlichen Vorteil im Sinne dieser Vorschrift.
2. Bei Fußgängerstraßen sind alle Ausstattungsgegenstände abrechnungsfähig, die im Zusammenhang mit ihren Aufenthalts- und Kommunikationsfunktionen sowie der Autofreiheit stehen und zu ihren charakteristischen Bestandteilen gezählt werden können.
3. Ob Satzungsregelungen, die den umlagefähigen Aufwand nach Frontlängen zwischen Innen- und Außenbereichsgrundstücken vorverteilen, zu einer vorteilsgerechten Aufwandsverteilung führen, hängt von den jeweiligen Umständen im Einzelfall ab.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade – 6. Kammer – vom 27. März 2003 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.104,26 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragsteller ist zulässig, aber unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Überprüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, lässt nicht erkennen, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht von einer Beitragspflicht der Antragsteller ausgegangen ist.
Der Senat lässt offen, ob die sachliche Beitragspflicht bei der Umwandlung einer herkömmlichen Straße in eine Fußgängerzone erst mit der wirksamen Teileinziehung entsteht. Auf die Beantwortung dieser Frage kommt es vorliegend nicht an, weil die Einwände, aus denen die Antragsteller die Teileinziehung der C. -Strandstraße für rechtswidrig halten, nicht greifen:
Dem Beschluss des Verwaltungsausschusses der Antragsgegnerin vom 6. April 2000 lässt sich ebenso wie den Bekanntmachungen vom 4. Dezember 1999 und 14. April 2000 hinreichend deutlich entnehmen, dass die D. -Strandstraße nur noch von Fußgängern und Radfahrern soll genutzt werden dürfen. Dass - wie die Antragsteller rügen - "im Text eine Fußgängerzone vorausgesetzt wird", ist (allenfalls) eine sprachliche Ungenauigkeit, die die Verständlichkeit der getroffenen Regelung nicht beeinträchtigt. § 8 Abs. 3 NStrG ist entgegen der Ansicht der Antragsteller auf Fälle der vorliegenden Art nicht anwendbar, weil die Straßeneigenschaft der D. -Strandstraße durch die Umwidmung zur Fußgängerzone nicht aufgehoben worden ist. Das Bestreiten der Antragsteller "mit Nichtwissen" reicht nicht aus, Zweifel an der - durch die Unterlagen in den Verwaltungsvorgängen und die mit Schriftsatz vom 7. August 2002 vorgelegte Kopie von den Cuxhavener Nachrichten - hinreichend belegten Ordnungsmäßigkeit der erforderlichen Bekanntmachungen entstehen zu lassen. Das Verwaltungsgericht hat schließlich auch zutreffend dargelegt, dass die Wirksamkeit der vom insoweit zuständigen Verwaltungsausschuss beschlossenen Widmung nicht deshalb fraglich ist, weil die D. -Strandstraße in begrenztem Umfang auch anders als durch Fußgänger und Fahrradfahrer genutzt werden darf.
Die Antragsteller bestreiten mit ihrer Beschwerde ferner, durch den Ausbau der D. -Strandstraße besondere wirtschaftliche Vorteile erlangt zu haben. Ihre Grundstücke seien - so machen sie geltend - auch vor dem Ausbau leicht und gefahrlos erreichbar gewesen. Sie würden dadurch benachteiligt, dass ihr Grundstück von der D. -Strandstraße aus nicht mehr mit Kraftfahrzeugen anfahrbar sei.
Diese Argumentation beruht auf einer Verkennung des Vorteilsbegriffs i.S. von § 6 Abs. 1 NKAG. Mit seiner Hilfe sollen die beitragspflichtigen Grundstückseigentümer, denen durch die ausgebaute Anlage Gebrauchsvorteile vermittelt werden, von den nicht beitragspflichtigen Mitgliedern der Allgemeinheit abgegrenzt werden (vgl. Urt. d. Senats vom 25.6.1997 - 9 L 1491/94 - sowie Beschl. d. Senats vom 1.7.1998 - 9 L 6474/96 -). Wird eine Straße im Sinne von § 6 Abs. 1 NKAG erneuert, erweitert oder verbessert, so indiziert bereits dieser Umstand regelmäßig den besonderen wirtschaftlichen Vorteil für die Eigentümer der angrenzenden Grundstücke, ohne dass es noch auf deren subjektive Einschätzung ankäme. Diese Gleichstellung von Beitragstatbestand und Vorteilsbegriff rechtfertigt sich aus der Erwägung, dass sich wegen der engen Beziehung zwischen Straße und Grundstück, insbesondere der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Straße vom Grundstück aus, der Wert eines Grundstücks automatisch mit der Qualität der Straße erhöht (vgl. Beschl. d. Senats vom 19.2.1998 - 9 M 4866/97 - und vom 1.7.1998 - 9 L 6474/96 -).
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die Antragsgegnerin nicht im Einzelnen darlegen muss, in welcher Hinsicht sich der Ausbau der D. -Strandstraße für die Anlieger vorteilhaft auswirkt. Der Vorteil im Sinne von § 6 Abs. 1 NKAG liegt bereits darin, dass der Ausbau der D. -Strandstraße nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Beitragstatbestand der Verbesserung erfüllt. Diese mit Zulassungsrügen nicht angefochtene Ansicht des Verwaltungsgerichts trägt dem Umstand Rechnung, dass die D. -Strandstraße nach ihrem Umbau von einer herkömmlich ausgebauten Straße in eine Fußgängerstraße besser geeignet ist, die ihr neu zugewiesene Aufenthalts- und Kommunikationsfunktion im Wesentlichen ohne störenden Autoverkehr zu erfüllen (vgl. insoweit Urt. d. Senats vom 14.5.2002 - 9 LB 178/02 -, vom 28.11.2001 - 9 L 4412/00 - und vom 13.8.1996 - 9 L 7747/94 - NSt-N 1997, 120). Bereits aus dieser Verbesserung folgt für die Anlieger der eine Beitragserhebung rechtfertigende Vorteil i.S. von § 6 Abs. 1 NKAG, der auch durch etwaige Nachteile, wie eine fehlende Anfahrbarkeit der Grundstücke, nicht kompensiert werden kann. Als Folge der Gleichstellung von Beitragstatbestand und Vorteil können sich Fragen der Kompensation beim Vorteilsbegriff nämlich nicht stellen (vgl. Beschl. d. Senats vom 19.2.1998 - 9 M 4866/97 -). Vielmehr könnte der als nachteilig bezeichnete Umstand allenfalls das Vorliegen einer beitragsfähigen Verbesserungsmaßnahme ausschließen, was hier aber wegen der veränderten Funktionsbestimmung ersichtlich nicht der Fall ist.
Den Antragstellern kann nicht in ihrer Ansicht gefolgt werden, dass die Kosten für Sitzbänke, Papierkörbe und Poller bei einer Fußgängerzone nicht beitragsfähig seien. Beim Ausbau eines bestimmten Straßentyps sind alle Maßnahmen beitragsfähig, von denen die Gemeinde in sachgerechter Ausübung ihres Ausbauermessens annehmen darf, dass sie einer funktionsgerechten Inanspruchnahme des jeweiligen Straßentyps dienlich sind. Abrechnungsfähig sind damit bei einer Fußgängerzone alle Ausstattungsgegenstände, die im Zusammenhang mit ihren Aufenthalts- und Kommunikationsfunktionen sowie der Autofreiheit stehen und zu ihren charakteristischen Bestandteilen gezählt werden können (vgl. die Nachweise aus der Rechtsprechung bei Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: Januar 2003, § 8 Rdnr. 320). Demnach ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin in § 4 ihrer Sondersatzung über die Erhebung von Beiträgen für die Fußgängerzone "D. -Strandstraße" vom 17. März 1999 auch die Kosten einer attraktiven Gestaltung und Ausstattung der D. -Strandstraße und namentlich - neben Ausstellungsvitrinen, Brunnenanlagen und Bepflanzungen - u.a. auch Sitzbänke, Poller und Papierkörbe als beitragsfähig bezeichnet.
Die Antragsteller kritisieren ferner, dass gemäß § 6 Abs. 2 der Sondersatzung vom 17. März 1999 eine Vorverteilung des beitragsfähigen Aufwands nach Frontlängen und nicht nach den "Grundstücksflächen oder tatsächlichen Grundstücksnutzungen" vorgenommen werde. Auch insoweit vermag ihr Vorbringen ihrer Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Der Senat hat Vorverteilungsregelungen der vorliegenden Art, in denen der beitragsfähige Aufwand entsprechend den doppelten und einfachen Frontlängen auf die Bau- und Gewerbegrundstücke einerseits und die Außenbereichsgrundstücke andererseits aufgeteilt wird, in seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung (seit Urt. vom 25.3.1981 - 9 A 87/80 - KStZ 1991, 137 = DVBl 1982, 80 [OVG Niedersachsen 25.03.1981 - 9 OVG A 87/80]) als mit dem Vorteilsprinzip des § 6 Abs. 5 Satz 1 NKAG vereinbar angesehen. In jüngster Zeit sind solche Regelungen wiederholt in die Kritik geraten (vgl. dazu Driehaus, aaO, § 8 Rdnr. 480a). Die teilweise berechtigte Kritik kann allerdings nicht dazu führen, Vorverteilungsregelungen der genannten Art allgemein, also ohne Rücksicht auf eine Bewertung ihrer beitragsrechtlichen Folgen im konkreten Abrechnungsfall, als schlechthin ungeeignetes Instrument zur sachgerechten Verteilung des umlagefähigen Aufwands zwischen Innen- und Außenbereichsgrundstücken anzusehen. Unter Beachtung des straßenausbaubeitragsrechtlichen Grundsatzes der regionalen Teilbarkeit (vgl. OVG Lüneburg, Urt. vom 25.10.1978 - IX A 68/77 - OVGE 34, 463; Driehaus, aaO, § 8 Rdnr. 442) muss vielmehr speziell im Blick auf die jeweilige Abrechnung geprüft werden, ob ein Abstellen auf die Frontlängen im Einzelfall zu einer vorteilsgerechten Aufwandsverteilung führt oder ob nur die Bildung von Nutzungsfaktoren auch für Außenbereichsgrundstücke (dazu Driehaus, aaO, § 8 Rdnr. 480a) die gesetzlichen Vorgaben des § 6 Abs. 5 Satz 1 NKAG zu erfüllen vermag.
Im vorliegenden Beschwerdeverfahren ist nicht erkennbar, dass die nach § 6 Abs. 2 der Sondersatzung vom 17. März 1999 anzuwendende herkömmliche Vorverteilungsregelung zu einer vorteilswidrigen Aufwandsverteilung führt. Die Grundstückssituation an der D. -Strandstraße wird dadurch geprägt, das sich auf der gesamten Südseite zahlreiche bebaute Innenbereichsgrundstücke befinden, während auf der Nordseite nur ein einziges - soweit hier von Interesse - unbebautes Grundstück liegt, das sich über die gesamte Ausbaulänge (380 m) erstreckt und als Deich- sowie Strandfläche genutzt wird. Die Vorverteilung nach Frontmetern führt dazu, dass etwa 2/3 des umlagefähigen Aufwands auf die bebauten Innenbereichsgrundstücke und das restliche Drittel auf das nördlich gelegene Außenbereichsgrundstück entfällt. Anhaltspunkte dafür, dass diese Verteilung ungeeignet ist, den Umfang der (ganzjährigen) Inanspruchnahme der ausgebauten Straße einerseits von der Deich- und Strandfläche her und andererseits von den bebauten Innenbereichsgrundstücken aus vorteilsgerecht wiederzuspiegeln, werden von den Antragstellern nicht substantiiert aufgezeigt und sind auch bei Berücksichtigung der Aktenlage nicht erkennbar. Die von den Antragstellern im Schriftsatz vom 16. Juli 2002 gewünschte Verteilung nach Grundstücksflächen, aber "ohne Verdoppelung" würde die wahrscheinlichen Vorteile vom Ausbau der D. -Strandstraße nicht sachgerechter wiedergeben, weil auch ihr die nutzungsbezogene Komponente fehlt, die von den Kritikern der herkömmlichen Vorverteilungsregelung gerade gefordert wird.
Soweit die Antragsteller mit der Beschwerde rügen, der Cuxhavener Deichverband hätte stärker beteiligt werden müssen, der Anliegeranteil von 75 % sei überhöht und das Aufstellen von 22 Straßenleuchten sei nicht notwendig gewesen, wiederholen sie ihr erstinstanzliches Vorbringen im Schriftsatz vom 16. Juli 2002, das vom Verwaltungsgericht zutreffend beschieden worden ist. Der Senat verweist daher gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert ergibt sich aus den §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).