Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.03.2002, Az.: 7 MA 1348/01
Antragsbefugnis; Atomrecht; Beförderungsgenehmigung; Gemeinde; Planungshoheit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 01.03.2002
- Aktenzeichen
- 7 MA 1348/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 42118
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 09.04.2001 - AZ: 1 B 121/01
Rechtsgrundlagen
- Art 28 Abs 2 GG
- § 4 Abs 2 Nr 3 AtG
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 1. Kammer - vom 9. April 2001 in der Fassung vom 11. April 2001 ist unwirksam.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1.). Erstattungsfähig sind ferner die der Beigeladenen zu 2.) im Beschwerdezulassungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten.
Der Streitwert beträgt 50.000,00 DM.
Gründe
I.
Mit Genehmigung vom 15. Dezember 2000 gestattete das Bundesamt für Strahlenschutz der Beigeladenen zu 1.) nach § 4 AtG, im einzelnen bezeichnete Kernbrennstoffe (bestrahlte Uranbrennelemente) vom Kernkraftwerk G. an die deutsch - französische Grenze (zum Weitertransport in die WAA La Hague) zu befördern; der Bahnhof der Antragstellerin diente dafür dem Umschlag auf die Schiene. Die Genehmigung war auf "max. 7" Transporte beschränkt und galt "bis einschließlich 31. August 2001".
Das Verwaltungsgericht lehnte es mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss ab, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die unter dem 5. April 2001 für sofort vollziehbar erklärte Beförderungsgenehmigung wiederherzustellen. Dem § 4 AtG komme keine drittschützende Wirkung zu. Im übrigen liege die beförderungsbedingte Strahlenexposition weit unterhalb der Grenzen, die beispielsweise § 44 StrlSchV für die dort genannten Überwachungsbereiche vorsehe. Was die Beförderungsgefahren betreffe, so werde diesen durch das umfangreiche Regelwerk der Verordnung über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Güter, auf dem die Genehmigung u.a. beruhe, Rechnung getragen.
Nach Erlass des Beschlusses am 9. April 2001 hat die Antragstellerin im Laufe desselben Tages beantragt, die Beschwerde zuzulassen. Am 10. April 2001 wurde ein Brennelementtransport durchgeführt, ohne dass der Senat bis dahin aber eine Entscheidung treffen konnte.
Nach Ergehen des Widerspruchsbescheids hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht am 11. Mai 2001 Klage erhoben - 1 A 151/01 -, über die ersichtlich noch nicht entschieden ist.
Am 22. Mai 2001 hat die Antragstellerin das Aussetzungsverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt, soweit einer der genehmigten Transporte bereits durchgeführt worden sei; die Antragsgegnerin willigte darin unter dem 8. Juni 2001 ein.
Nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der Genehmigung haben die Hauptbeteiligten das Verfahren mit Schriftsätzen vom 5. und 12. November 2001 (auch im übrigen) in der Hauptsache für erledigt erklärt.
II.
Nach den Erledigungserklärungen ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen und nach § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO die Unwirksamkeit des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses auszusprechen.
Nach § 161 Abs. 2 VwGO wird lediglich noch über die Kosten des - gesamten - Verfahrens entschieden. Dem dafür maßgeblichen "billigen Ermessen" entspricht es, diese der Antragstellerin aufzuerlegen. Denn sie wäre bei einer streitigen Entscheidung im Zulassungsverfahren voraussichtlich unterlegen. Da die Beigeladene zu 1.) im erst- wie im zweitinstanzlichen Verfahren und die Beigeladene zu 2.) in letzterem Abweisungsanträge gestellt und sich damit nach § 154 Abs. 3 VwGO einem Kostentragungsrisiko ausgesetzt haben, sind ihre außergerichtlichen Kosten nach § 162 Abs. 3 VwGO in die Erstattungspflicht entsprechend einzubeziehen.
Unterlägen wäre die Antragstellerin im Zulassungsverfahren voraussichtlich deshalb, weil die von ihr nach § 146 Abs. 4 VwGO (a.F.) i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit (des Ergebnisses) des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses nicht bestanden.
Die Antragstellerin ist als juristische Person des öffentlichen Rechts in ihrer Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO erheblich eingeschränkt. So kann sie sich weder auf Grundrechte - wie das Eigentum - berufen noch Rechte ihrer Bürger gleichsam in Prozessstandschaft geltend machen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. A., Rn 137 zu § 42 m.w.N.). Alle darauf bezogenen Einwände gegen die Transportgenehmigung waren ihr deshalb von vornherein verwehrt. Eine Klage- bzw. Antragsbefugnis konnte sich vorliegend allenfalls aus der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, Art. 28 Abs. 2 GG, ergeben, die vor allem die Planungshoheit umfasst. Diese wird beeinträchtigt, wenn ein Vorhaben eine hinreichend bestimmte Planung nachhaltig stört, wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren Planung entzieht oder wenn kommunale Einrichtungen durch das Vorhaben erheblich beeinträchtigt werden (BVerwG, Urt. v. 16.12.1988 - 4 C 40.86 -, BVerwGE 81, 95,<106>; Urt. v. 27.3.1992 - 7 C 18.91 -, BVerwGE 90, 96 <100>).
Die Antragstellerin hat weder vorgetragen noch war dies sonst ersichtlich oder auch nur wahrscheinlich, dass maximal sieben Brennelementtransporte über ihren Bahnhof im ersten Halbjahr 2001 bestimmte gemeindliche Planungen nachhaltig gestört hätten.
Sie hat allerdings - wenn auch nur in allgemeiner Form - behauptet, dass "infolge der radioaktiven Verseuchung wesentlicher Teile des Gemeindegebiets" der Zwang eintreten könne, "zahlreiche kommunale Einrichtungen zu schließen oder zu verlagern" (Schriftsatz an das VG Würzburg v. 5.2.2001, Bl. 29). Dies hätte eventuell eine Antragsbefugnis begründen können, wenn ein derartiges Szenario als Folge der genehmigten Transporte im Bereich des konkret Möglichen gelegen hätte.
Das war ganz offenkundig aber nicht der Fall.
Die Sicherheit der Transporte wurde durch die von der Antragsgegnerin überprüfte Zulassung als Typ B (U) Versandstück nach den Bestimmungen des Gefahrgutrechts gewährleistet, § 4 Abs. 2 Nr. 3, 1. Alt., AtG i.V.m. § 3 des Gefahrgutbeförderungsgesetzes i.V.m. § 11 Abs. 1 GGVE und GGVS sowie den Anlagen dazu. Diese Vorschriften fordern eine Auslegung der Behälter, die auch bei schweren Unfallereignissen einen sicheren Einschluss des Inventars sowie die Einhaltung der Unterkritikalität sicherstellen. Die von der Antragstellerin dagegen ins Feld geführten Bedenken zeigten keine möglichen Fehlanwendungen dieser Vorschriften auf, sondern bewegten sich im Bereich der Spekulation. Auch soweit die Antragstellerin auf die im April 1998 bekannt gewordene Überschreitung von Grenzwerten für nicht-festhaftende Kontaminationen an Behältern und Eisenbahnwaggons bei Transporten in die W. L. H. u. S. hingewiesen hat, sind inzwischen umfangreiche Abhilfemaßnahmen erarbeitet worden und in die Nebenbestimmungen der Genehmigung eingeflossen, welche solche Kontaminationen voraussehbar ausschließen, so dass die Einwendungen der Antragstellerin dagegen ohne konkreten Bezugspunkt waren. Selbst die in anderem Zusammenhang angeführte abweichende Auffassung Kunis zur strahlenbiologischen Wirksamkeit von Neutronen führte zu keiner gesundheitlichen relevanten Belastung von Anwohnern durch inkorporierte Partikel, wenn gleichwohl noch Oberflächenkontaminationen auftreten sollten.
Unklar wäre schließlich erschienen, weshalb die Beschwerde, wie behauptet, auch wegen eines Verstoßes gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nach §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO hätte zugelassen werden müssen. Das Verwaltungsgericht hat noch am Tag des Eingangs der vom Verwaltungsgericht Würzburg übersandten Akten mit einer auch auf den Fall der Antragstellerin zugeschnittenen vertretbaren Begründung entschieden. Dass es wegen der Eilbedürftigkeit dabei nicht auf alle umfangreich vorgetragenen Einwände der Antragstellerin eingehen konnte, liegt auf der Hand und wäre unter keinem denkbaren Verfahrensgesichtspunkt zu beanstanden gewesen.
Die Streitwertentscheidung beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 14 Abs. 3, Abs. 1 S. 1, 13 Abs. 1 S. 1 GKG, wobei nach § 73 Abs. 1 S. 1 GKG noch keine Angabe in Euro stattfindet (a.A. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 7.1.2002 - 13 S 2155/01 -, VBlBW 2002, 81). Die Bemessung der Höhe des Streitwerts orientiert sich an Nr. II. 4.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 605); angesichts der im Vergleich zu Klagen bzw. Anträgen gegen stationäre kerntechnische Anlagen geringeren Bedeutung der Sache erscheint dabei eine Halbierung des dort vorgeschlagenen Betrags ermessensgerecht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.