Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.03.2002, Az.: 7 MA 1350/01

Anlieger; Atomrecht; Beförderungsgenehmigung; Drittschutz

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
05.03.2002
Aktenzeichen
7 MA 1350/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 42119
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 09.04.2001 - AZ: 1 B 120/01

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG und die dort in Bezug genommenen Beförderungsvorschriften vermitteln Anliegern der Transportstrecke keine wehrfähige Rechtsposition. Etwas anderes gilt grundsätzlich auch nicht bei atypischer physischer Befindlichkeit. Die Beförderungsgenehmigung schließt Umladevorgänge ein.

Gründe

I.

1

Mit Genehmigung vom 15. Dezember 2000 - geändert unter dem 3. April 2001 - gestattete das Bundesamt für Strahlenschutz der Beigeladenen zu 1.) nach § 4 AtG, bestrahlte Uranbrennelemente vom Kernkraftwerk G. zur deutsch-französischen Grenze (zum Weitertransport in die WAA L. H.) zu befördern. Der Bahnhof G. war darin als Platz des Umschlags auf die Schiene vorgesehen. Die Genehmigung beschränkte sich auf "maximal 7" Transporte und galt "bis einschließlich 31. August 2001". Der Antragsteller wohnt in einem Einfamilienhaus, dessen Nutzgarten an das Bahnhofsgelände grenzt. Er leidet an chronischer Leukämie.

2

Das Verwaltungsgericht lehnte es mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss ab, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 19. Februar 2001 gegen die unter dem 5. April 2001 für sofort vollziehbar erklärte Beförderungsgenehmigung wiederherzustellen. Dem § 4 AtG komme keine drittschützende Wirkung zu. Im übrigen liege die beförderungsbedingte Strahlenexposition weit unterhalb der Grenzen, die etwa § 44 StrlSchV für die dort aufgeführten Bereiche vorsehe. Den Sicherheitsrisiken beim Transport werde durch die Bestimmungen der Verordnung über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Güter Rechnung getragen.

3

Nach Erlass des Beschlusses am 9. April 2001 hat der Antragsteller am selben Tag beantragt, die Beschwerde zuzulassen. Am folgenden Tag wurde ein Brennelementtransport durchgeführt, ohne dass sich der Senat noch in der Lage gesehen hat, bis dahin eine Entscheidung zu treffen.

4

Am 23. Mai 2001 hat der Antragsteller das Aussetzungsverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt, soweit einer der genehmigten Transporte bereits durchgeführt worden sei; die Antragsgegnerin willigte darin unter dem 12. Juni 2001 ein.

5

Nachdem der Widerspruchsbescheid ergangen war, hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht unter dem 11. Juni 2001 Klage erhoben, über die ersichtlich noch nicht entschieden ist.

6

Nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der Genehmigung haben Antragsteller und Antragsgegnerin das Verfahren mit Schriftsätzen vom 5. und 12. November 2001 (auch im übrigen) in der Hauptsache für erledigt erklärt.

II.

7

Nach den Erledigungserklärungen der Hauptbeteiligten ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen und ist nach § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO die Unwirksamkeit des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses auszusprechen.

8

Nach § 161 Abs. 2 VwGO muss lediglich noch über die Kosten des - gesamten - Verfahrens entschieden werden. Dem dafür maßgeblichen "billigen Ermessen" entspricht es, diese dem Antragsteller aufzuerlegen, weil seine Beschwerde bei streitiger Entscheidung voraussichtlich nicht zugelassen worden wäre. Da die Beigeladene zu 1.) im Aussetzungs- wie im Zulassungsverfahren und die Beigeladene zu 2.) in letzterem Abweisungsanträge gestellt und sich damit nach § 154 Abs. 3 VwGO einem Kostentragungsrisiko ausgesetzt haben, sind ihre außergerichtlichen Kosten nach § 162 Abs. 3 VwGO in die Erstattungspflicht entsprechend einzubeziehen.

9

Unterlegen wäre der Antragsteller voraussichtlich deshalb, weil die von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe ersichtlich nicht gegeben waren.

10

1.) An der Richtigkeit des (Ergebnisses des) verwaltungsgerichtlichen Beschlusses bestanden nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel, § 146 Abs. 4 VwGO (a.F.) i.V.m. § 124 Abs. 1 VwGO.

11

a.) Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass § 4 Abs. 2 AtG keine individualisierenden Tatbestandsmerkmale in Bezug auf einen abgrenzbaren Personenkreis enthält, von denen die Transportgenehmigung abhinge und die dem Antragsteller eine wehrfähige Rechtsposition einräumen würden (vgl. zu § 5 Nr. 1 BImSchGBVerwG, Urt. v. 22.10.1982 - 7 C 50.78-, NJW 1983, 1507). In Frage käme insoweit nur § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG i.V.m. den für den jeweiligen Verkehrsträger geltenden Rechtsvorschriften über die Beförderung gefährlicher Güter. Diese sind über § 3 des Gefahrgutbeförderungsgesetzes in der Gefahrgutverordnung Eisenbahn - GGVE - und der Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter - RID - zu finden. Nach RdNrn. 703 Nr. 3a), 12 d) , 712 Abs. 4 b) der Anlage dazu ist als höchstzulässige Dosisleistung an der Oberfläche der Versandstücke und der Transportfahrzeuge ein Wert von max. 2 mSv/h bestimmt.  In einem Abstand von 1 m zur Oberfläche des Versandstücks und von 2 m zur Oberfläche des Fahrzeugs beträgt die höchstzulässige Dosisleistung  0,1 mSv/h. Der Antragsteller ist zu Unrecht der Auffassung, dass diese Grenzwertbestimmungen nicht auch für die Verladung, Umladung und Zwischenlagerung gelten. Vielmehr ist dies nach den RdNrn. 2712, 2714 sowie 712 und 714 der Anlagen ausdrücklich bestimmt. Keiner der genannten Vorschriften ist jedoch zu entnehmen, dass sie den Schutz bestimmter Anlieger der Transportstrecke bezwecken. Vielmehr stellen die Grenzwerte auf die Verhältnisse unmittelbar an den Versandstücken und Fahrzeugen ab, und zwar auf einen Raum von max. 2 m Abstand. Allenfalls in diesem Bereich ließe sich ein Schutz Dritter annehmen. Der Antragsteller hielt oder hält sich in diesem Bereich jedoch nicht auf. Zwischen Eisenbahnwaggon und seiner Grundstücksgrenze beträgt der Abstand nach Lageplan ca. 24 m, zwischen Straßenfahrzeug und Grundstücksgrenze ca. 14 m. Auch wenn er als an der Umladestation Wohnender von dem Beförderungsvorgang faktisch stärker berührt ist als etwa ein Anwohner, der im gleichen Abstand zu einer reinen Durchfahrstrecke lebt, unterscheidet ihn dies doch nicht in gesetzlich herausgehobener Weise von der "Allgemeinheit", die durch die aufgeführten Transportvorschriften auch an Umladestellen (lediglich) mittelbar und nicht im Einzelnen abgrenzbar geschützt wird.

12

b.) Eine Antragsbefugnis bestand auch nicht nach § 4 Abs. 2 Nr. 3, 2. Alt., AtG i.V.m. den §§ 44 und 45 StrlSchV. Abgesehen davon, dass diese hier schon nach ihren tatbestandlichen Voraussetzungen nicht einschlägig waren, beziehen sich die Schutzvorschriften der §§ 29 ff. Strahlenschutzverordnung nicht auf die Beförderung radioaktiver Stoffe. § 12 Abs. 1 S. 2 AtG nimmt § 1 Nr. 2 AtG, der den Schutz von Leben und Gesundheit vor den Gefahren der Kernenergie beinhaltet, nicht in Bezug. Für Beförderungsvorgänge ist der Erlass von Schutzvorschriften im Sinne des § 1 Nr. 2 AtG deshalb nur auf der Grundlage von § 3 Gefahrgutbeförderungsgesetz möglich (Kramer/Zerlett, Strahlenschutzverordnung, 3. Aufl., S. 102 - Amtl. Begr. -).

13

c.) Rechtsvorschriften des Europarechts, insbesondere die Richtlinie 96/29/EURATOM vom 13.5.1996 (ABlEG 1996, L 159 S.1), hätten dem Antragsteller ebenfalls kein Antragsrecht nach § 42 Abs. 2 VwGO vermittelt. Art. 6 der Richtlinie gewährt keine subjektiven Rechte, sondern enthält eine allgemein gefasstes Programm in Gestalt des Abwägungsgebots. Art. 6 Abs. 2 sieht ein Ermessen der Mitgliedstaaten über das Ob eines Einschreitens vor. Er richtet sich also an den nationalen Gesetzgeber, ohne den Bürgern Individualrechte einzuräumen (vgl. Beschl. des Senats v. 10.4.2001 - 7 MA 1334/01 -, BA Bl. 4).

14

d.) Die Berufung auf das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG hätte dem Antragsteller ebenfalls keinen Verfahrenserfolg gebracht. Trifft der Gesetzgeber - wie hier - in Erfüllung seiner Schutzpflichten Regelungen und setzt damit die Maßstäbe, so konkretisieren diese den Grundrechtsschutz (BVerfG, Beschl. v. 26.1.1988 - 1 BvR 1561/82 -, BVerfGE 77, 381<404>). Der Umstand, dass die einfachgesetzliche Vorschrift dem Einzelnen keine einklagbaren Rechte gewährt, eröffnet deshalb noch nicht den direkten Rückgriff auf Grundrechte.

15

aa.) Ein Rückgriff wäre nicht deshalb erforderlich gewesen, weil die Umladung auf dem Bahnhofsgelände für den Antragsteller konkrete Gefahren hervorgerufen hätte, denen das Gesetz nicht Rechnung trug. Die Antragsgegnerin hat in plausibler Weise dargelegt, dass etwa die in § 44 StrlSchV festgelegten Grenzwerte am Wohnort des Antragstellers sicher unterschritten wurden, und dies selbst dann, wenn man den niedrigeren Dosisgrenzwert der Richtlinie 96/29/EURATOM von 1,0 mSv/Jahr zugrunde legte. Auch bei Durchführung aller sieben Transporte, einer angenommenen Standzeit von jeweils sechs Stunden in zehn Metern Abstand zur Grundstücksgrenze und einem Daueraufenthalt des Antragstellers an dieser Grenze ergab sich eine Dosisbelastung von lediglich maximal 0,840 mSv, die in der Praxis zudem nicht einmal ausgeschöpft wird. Bei Zugrundelegung der tatsächlichen Entfernungen und durchschnittlichen Verweildauern reduzierte sich der Belastungswert nämlich effektiv auf 0,0336 mSv, also auf etwa 4 % des Wertes von 1 mSv/Jahr.

16

bb.) Der Antragsteller hätte auch daraus nichts für sich herleiten können, dass, wie 1998 bekannt geworden ist, es bei Transporten nach Frankreich an den Brennelementbehältern Oberflächenkontaminationen gegeben hat. Insoweit sind inzwischen umfangreiche Abhilfemaßnahmen erarbeitet worden und in die Nebenbestimmungen der Genehmigung eingeflossen (NB V.), welche solche Kontaminationen künftig voraussehbar ausschließen.

17

cc.) Zu einem Aufhebungs- bzw. Aussetzungsanspruch hätte auch nicht der Umstand führen können, dass der Antragsteller noch an den Folgen einer Leukämie leidet. Abgesehen davon, dass die Zusammenhänge zwischen dem Strahlenfeld bei der Umladung und dieser Erkrankung auch nach dem Kuni - Gutachten vom 21.9.2000 unklar sind ("Vorverlegung des Ausbruchs um 11 Tage", Bl. 17), brauchen die Schutzvorschriften, denen der Transport zu genügen hat, atypische physische Befindlichkeiten einzelner Personen nicht zu berücksichtigen. Als Anknüpfungspunkt kann insoweit nur die "durchschnittliche" Disposition der Bevölkerung oder einzelner Bevölkerungsgruppen dienen (vgl. OVG Berlin, Urt. v. 5.10.1990 - 2 B 15.88 -, Ule/Laubinger, Bundes-Immissionsschutzgesetz, Rechtsprechung, § 22 Nr. 40; Jarass, BImSchG, 4. A., Rn. 36 zu § 3).

18

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Beigeladene zu 1.) dem Antragsteller wegen seiner Erkrankung "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" angeboten hatte, ihm die Kosten für einen Aufenthalt an einer weiter entfernt gelegenen Stelle während der Umladung zu ersetzen (Schriftsatz an das VG Würzburg v. 6.4.2001, Bl. 5, GA Bl. 91).

19

2.) Die Beschwerde hätte auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung, §§ 146 Abs. 4 (a.F.), 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO deshalb zugelassen werden müssen, weil das Verwaltungsgericht nach Auffassung des Antragstellers durch die Verneinung der Antragsbefugnis die Bedeutung des grundgesetzlichen Gesundheitsschutzes verkannt hätte. Abgesehen davon, dass das Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO in aller Regel nicht der Ort ist, um grundsätzliche Rechtsfragen zu klären, hat das Verwaltungsgericht sich auch in der Sache mit den Gefahren des Transports befasst. Dass der Antragsteller das dabei gewonnene Ergebnis nicht billigt, hätte keine allgemein klärungsbedürftigen Rechts- oder Tatsachenfragen aufgeworfen.

20

3.) Nicht nachvollziehbar wäre schließlich gewesen, weshalb die Beschwerde, wie behauptet, auch wegen eines Verstoßes gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nach den §§ 146 Abs. 4 (a.F.), 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen gewesen wäre. Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat noch am Tag des Eingangs der vom Verwaltungsgericht Würzburg übersandten Akten entschieden, dass es eine Aussetzung nicht gewähren könne, weil der Antragsteller nicht klagebefugt, eine Ausnahme hiervon nicht erkennbar und die Genehmigung ersichtlich auch objektiv rechtmäßig sei. Dass es wegen der hohen Eilbedürftigkeit nicht auf alle umfangreich vorgetragenen Einwände des Antragstellers eingehen konnte (und dies für seine Entscheidung auch nicht brauchte), liegt auf der Hand und wäre unter keinem denkbaren Verfahrensgrundsatz zu beanstanden gewesen.

21

Die der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung folgende Streitwertbemessung beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 14 Abs. 3, Abs. 1 S. 1, 13 Abs. 1 S.1 GKG, wobei nach § 73 Abs. 1 S. 1 GKG noch keine Angabe in Euro erfolgt (a.A. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 7.1.2002 - 13 S 2155/01 -, VBlBW 2002, 81).

22

Dieser Beschluss ist unanfechtbar