Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 30.07.2003, Az.: 6 A 201/01

Gruppenverfolgung; Hassake; Jazirah; kleine Bevölkerungsgruppe; mittelbare Gruppenverfolgung; Syrien; Verfolgungsdichte; Yeziden

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
30.07.2003
Aktenzeichen
6 A 201/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48135
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Ermittlung der Verfolgungsdichte für die Annahme einer (mittelbaren) Gruppenverfolgung sind auch bei kleinen Bevölkerungsgruppen Anzahl und Intensität der Verfolgungsmaßnahmen in Beziehung zu setzen mit der Zahl der Bevölkerungsgruppe in einem Verfolgungsgebiet innerhalb des Verfolgungszeitraums (sog. quantitative und qualitative Betrachtung). Soweit von einzelnen Gerichten entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung hiervon abgewichen wird (z.B. VG Gießen, Urt. vom 02.10.2002, 2 E 4712/00.A), wird dieser Rechtsauffassung nicht gefolgt.

Tatbestand:

1

Die Kläger sind syrische Staatsangehörige yezidischen Glaubens. Sie reisten nach eigenen Angaben auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

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Zur Begründung dieses Begehrens trugen sie vor:

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Sie habe in Syrien einen eigenen Pass besessen, den ihr der Schleuser aber abgenommen habe. Sie hätten im Dorf D. im Kreis Kamishli gelebt. Ihr Ehemann und ein Sohn seien in der Türkei geblieben. Von ihren sechs Kindern befänden sich drei in Deutschland. Eine Schule habe sie nicht besucht. Sie sei Hausfrau gewesen. Um 8.00 Uhr hätten sie mit dem Schleuser Kamishli verlassen. Das Datum des Tages wisse sie nicht. Ihr Mann habe das organisiert. Mit einem Auto seien sie illegal über die Grenze in die Türkei gefahren. Dort seien sie fünf Tage lang geblieben. Danach habe man sie zum Flughafen gebracht. Gegen Mittag seien sie eingestiegen und etwa um 15.15 Uhr in Deutschland geblieben. Wo das gewesen sei, wisse sie nicht. Im Flugzeug seien drei Mädchen und ein junger Mann hin und her gegangen. Sie seien wegen der Muslime aus Syrien gekommen. Die hätten sie bedroht und gefordert, dass sie den Koran lesen und wie die Araber leben sollten. Man habe sie auch geschlagen und gesagt, das ihr Essen verfault sei. Das sei schon lange gegangen. In ihrem Dorf hätten sie 50 Dönem Land gehabt. Das aber nicht ihr eigenes gewesen sei. Ihr Mann habe ein Haus und einen Traktor besessen. Sie wollten einfach raus und zu ihren Kindern nach Deutschland. Der große Sohn lebe schon drei Jahre hier, die anderen seien auch schon länger hier.

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Mit Bescheid vom 18. September 2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag als unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG ebenfalls nicht gegeben seien und die Voraussetzungen des § 53 AuslG nicht vorlägen. Außerdem forderte die Behörde die Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach Unanfechtbarkeit der ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes auf und drohte für den Fall, dass dieser Anordnung nicht fristgerecht nachgekommen werde, die Abschiebung an.

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Gegen den am 21. September 2001 zugestellten Bescheid haben die Kläger am 21. September 2001 Klage erhoben. Zur Begründung der Klage verweisen die Kläger auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gießen vom 2. Oktober 2002 (2 E 4172/00.A), nach der die in Syrien in der Provinz Jazirah lebenden Yeziden nach wie vor einer mittelbaren Gruppenverfolgung ausgesetzt seien.

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Die Kläger beantragen,

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den Bescheid des Bundesamtes vom 18. September 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und außerdem festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise des § 53 AuslG, vorliegen.

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Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid,

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die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin zu 1) ist zu ihren Asylbegehren in der mündlichen Verhandlung ergänzend informatorisch angehört worden; hinsichtlich ihrer Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie auf die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel verwiesen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand des Verfahrens.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG noch auf die Feststellung durch die Beklagte, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG oder des § 53 AuslG vorliegen.

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Es kann dahingestellt bleiben, ob die Kläger tatsächlich auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind. Denn dem Begehren kann aus den nachfolgenden Gründen nicht entsprochen werden.

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Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte haben politisch Verfolgte (Art. 16 a Abs. 1 GG). Dieses Individualgrundrecht kann in Anspruch nehmen, wer bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland politische Verfolgung (erneut oder erstmals) zu befürchten hat. Politische Verfolgung liegt vor, wenn dem Einzelnen durch den Heimatstaat oder durch Maßnahmen Dritter, die diesem Staat zurechenbar sind, in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden oder unmittelbar drohen, die ihn nach ihrer Intensität und Schwere aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (BVerfG, Beschl. vom 10.07.1989, BVerfGE 80, 315, 333). Dabei beschränkt sich der asylrechtliche Schutz nicht auf die Rechtsgüter Leib und Leben, sondern erfasst auch Einschränkungen der persönlichen Freiheit; die hierin eingeschlossenen Rechte der freien Religionsausübung und ungehinderten beruflichen und wirtschaftlichen Betätigung lösen einen Asylanspruch indessen nur aus, wenn deren Beeinträchtigung nach ihrer Intensität und Schwere zugleich die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Herkunftsstaates allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, Beschl. vom 24.06.1992 - 2 BvR 176/92 u.a., S. 12 f. des Abdrucks unter Hinweis auf BVerfGE 76, 143, 158). Die Gefahr eigener politischer Verfolgung kann sich auch aus gegen Dritte gerichteten Verfolgungsmaßnahmen ergeben, wenn der Asylbewerber sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und auch im Übrigen vergleichbaren Lage befindet, so dass seine (etwaige) Nichtbetroffenheit von ausgrenzenden Rechtsverletzungen eher als zulässig anzusehen ist (BVerfG, Beschl. vom 23.01.1991, BVerfGE 83, 216, 230). Eine solche sog. mittelbare Gruppenverfolgung liegt danach typischerweise vor bei Massenausschreitungen (Pogromen), die das ganze Land oder große Teile desselben erfassen, aber etwa auch dann, wenn unbedeutende oder kleine Minderheiten mit solcher Härte, Ausdauer und Unnachsichtigkeit verfolgt werden, dass jeder Angehörige dieser Minderheit sich ständig der Gefährdung an Leib, Leben oder persönlicher Freiheit ausgesetzt sieht, wobei allerdings nicht ein ganzes Land gewissermaßen flächendeckend erfasst sein muss (BVerfG, Beschl. vom 23.01.1991, BVerfGE 83, 216, 232). Auch ohne Pogrome und diesen vergleichbare Massenausschreitungen liegt eine mittelbare Gruppenverfolgung immer dann vor, wenn die Verfolgungsschläge, von denen die Angehörigen einer Gruppe betroffen werden, so dicht und eng gestreut fallen, dass für jedes Gruppenmitglied die Furcht begründet ist, in eigener Person Opfer der Übergriffe zu werden (BVerwG, Beschl. vom 24.09.1992, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 156; Urt. vom 05.07.1994, BVerwGE 96, 200, 203). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. vom 02.08.1983, BVerwGE 67, 317 m. w. N.) wird eine solche von nichtstaatlicher Seite, insbesondere von Privatpersonen oder nichtstaatlichen Organisationen ausgehende Verfolgung dem Staat zugerechnet, wenn dieser die Verfolgung billigt oder fördert, ferner wenn er nicht willens oder - trotz vorhandener Gebietsgewalt - nicht in der Lage ist, die Betroffenen gegen Übergriffe Privater zu schützen. Dabei besteht die Zurechenbarkeit begründende Schutzunfähigkeit oder Schutzunwilligkeit nicht bereits dann, wenn in dem zu beurteilenden Einzelfall effektiver staatlicher Schutz nicht geleistet worden ist. Kein Staat vermag einen schlechthin perfekten lückenlosen Schutz zu gewährleisten und sicherzustellen, dass Fehlverhalten, Fehlentscheidungen oder "Pannen" sonstiger Art bei der Erfüllung der ihm zukommenden Aufgaben der Wahrung des öffentlichen Friedens nicht vorkommen. Deshalb schließt weder Lückenhaftigkeit des Systems staatlicher Schutzgewährung überhaupt noch die im Einzelfall von dem Betroffenen erfahrene Schutzversagung als solche schon staatliche Schutzbereitschaft oder Schutzfähigkeit aus. Vielmehr sind Übergriffe Privater dem Staat als mittelbare Verfolgung dann zuzurechnen, wenn er gegen Verfolgungsmaßnahmen Privater grundsätzlich keinen effektiven Schutz gewährt. Umgekehrt ist eine grundsätzliche Schutzbereitschaft des Staates zu bejahen, wenn die zum Schutz der Bevölkerung bestellten (Polizei-) Behörden bei Übergriffen Privater zur Schutzgewährung ohne Ansehen der Person verpflichtet und dazu von der Regierung auch landesweit angehalten sind, vorkommende Fälle von Schutzverweigerung mithin ein von der Regierung nicht gewolltes Fehlverhalten der Handelnden in Einzelfällen sind (BVerwG, Urt. vom 05.07.1994, InfAuslR 1995, 24 [BVerwG 05.07.1994 - BVerwG 9 C 1.94]).

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Da das Asylgrundrecht auf dem Zufluchtgedanken beruht und von seinem Tatbestand her grundsätzlich den Ursachenzusammenhang von Verfolgung/Flucht/Asyl voraussetzt (BVerfG, Beschl. vom 26.11.1986, BVerfGE 74, 51, 60; Beschl. vom 10.07.1989, BVerfGE 80, 344), ist ferner von maßgeblicher Bedeutung, ob der Asylbewerber vorverfolgt oder unverfolgt ausgereist ist. Ist der Asylsuchende wegen erlittener oder unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung ausgereist und war ihm auch ein Ausweichen innerhalb seines Heimatstaates wegen Fehlens einer inländischen Fluchtalternative unzumutbar, ist er als Asylberechtigter anzuerkennen, sofern die fluchtbegründenden Umstände im maßgeblichen Zeitpunkt fortbestehen. Er ist ferner anzuerkennen, wenn diese zwar entfallen sind, aber an seiner Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ernsthafte Zweifel bestehen. Hat der Asylsuchende seinen Heimatstaat hingegen unverfolgt verlassen, kann er nur dann anerkannt werden, wenn ihm politische Verfolgung aufgrund eines asylerheblichen Nachfluchttatbestandes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerfG, Beschl. vom 26.11.1986, aaO., 64 f.; Beschl. vom 10.07.1989, aaO., 344; BVerwG, Urt. vom 20.11.1990, BVerwGE 87, 152; Urt. vom 23.07.1991, DVBl. 1991, 1089). Für die Annahme einer drohenden Verfolgung ist entscheidend, ob aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat unzumutbar erscheint (BVerwG, Urt. vom 05.11.1991, BVerwGE 89, 162, 169). Die dazu erforderliche Zukunftsprognose hat auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) und muss auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein (BVerwG, Urt. vom 03.12.1985, EZAR 202 Nr. 6). Sie hat die vom Asylbewerber geschilderten Ereignisse zu würdigen und insbesondere auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahme festzustellen (§§ 15, 25, 74 Abs. 2 AsylVfG). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es, dass die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, Urt. vom 23.11.1982, BVerwGE 66, 237). Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG, Urt. vom 12.11.1985, EZAR 630 Nr. 13).

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Dies setzt voraus, dass der Asylbewerber die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorträgt. Hierzu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung eine politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerwG, Beschl. vom 18.09.1989, InfAuslR 1989, 350 [BVerwG 18.09.1989 - BVerwG 9 B 308.89] m.w.N.). Dazu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen. Ein im Laufe des Asylverfahrens sich widersprechendes oder sich steigerndes Vorbringen kann die Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden in Frage stellen. Ändert der Asylsuchende in seinem späteren Vortrag sein früheres Vorbringen, so muss er überzeugende Gründe darlegen, weshalb sein früheres Vorbringen falsch gewesen ist, will er nicht den Eindruck der Unglaubwürdigkeit erwecken (BVerwG, Beschl. vom 26.10.1989, InfAuslR 1990, 38 [BVerwG 26.10.1989 - BVerwG 9 B 405.89]; Beschl. vom 21.07.1989, Buchholz 402.24 § 1 AsylVfG Nr. 113). Zwar spricht nicht jede Widersprüchlichkeit im Vortrag eines Asylbewerbers zugleich auch gegen seine Glaubwürdigkeit; vielmehr ist bei der Wertung seiner Aussage zu berücksichtigen, dass sich Missverständnisse aus Verständigungsproblemen ergeben haben können und dass zwischen Asylantragstellung, der Anhörung im Verwaltungsverfahren, der schriftlichen Klagebegründung sowie ggf. der persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor Gericht jeweils größere Zeiträume liegen können. Auch dürfen die besonderen Schwierigkeiten, denen Asylbewerber aus anderen Kulturkreisen bei der Darstellung ihrer Verfolgungsgründe besonders dann ausgesetzt sind, wenn sie über einen geringen Bildungsstand verfügen, nicht außer Acht gelassen werden. Grundlegende, für das Verlassen des Heimatlandes und den Asylantrag maßgebende Umstände im individuellen Lebensweg des Asylbewerbers bleiben jedoch im Normalfall zumindest in ihren wesentlichen Einzelheiten in Erinnerung. Widersprüche und Ungereimtheiten, die sich hierauf beziehen, machen das Vorbringen des Asylbewerbers zu seinem persönlichen Verfolgungsschicksal in der Regel insgesamt unglaubwürdig. Vor allem für diejenigen Umstände, die den eigenen Lebensbereich des Asylbewerbers betreffen, ist ein substantiierter, im Wesentlichen widerspruchsfreier Tatsachenvortrag zu fordern. Dabei ist die wahrheitsgemäße Schilderung einer realen Verfolgung erfahrungsgemäß gekennzeichnet durch Konkretheit, Anschaulichkeit und Detailreichtum.

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Die Kläger haben das Heimatland nicht wegen einer bereits erlittenen oder unmittelbar bevorstehenden Gefahr der individuellen Verfolgung aufgrund der yezidischen Glaubenszugehörigkeit verlassen. Das Gericht geht davon aus, dass die Glaubensverschiedenheit zu den arabischen und kurdischen Mitbewohnern in der Vergangenheit allenfalls den Grad von bloßen Belästigungen und nicht von asylrechtlich relevanten Übergriffen erreicht hatten. Den Angaben der Klägerin zu 1) ist zu entnehmen, dass die geschilderten Streitigkeiten zwischen der muslimischen und yezidischen Bevölkerung und die Versuche der muslimische Dorfbewohner, die Yeziden zu der Aufgabe ihrer Glaubenshaltung zu bewegen, nach der Intensität und Schwere der Behelligungen keine Eingriffe in die vom Asylrecht umfassten Freiheitsrechte und Schutzgüter darstellen. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass in einem Maße in die Menschenwürde eingegriffen worden ist, das über dasjenige hinausgeht, was die Bewohner des syrischen Staates auf Grund der dort herrschenden Verhältnisse allgemein hinzunehmen haben. Sofern bei den Streitigkeiten tatsächlich auch Drohungen geäußert worden sein sollten, sind diese Behelligungen als nicht ernst zu nehmende Einschüchterungsversuche zu begreifen. Auf Nachfragen nach den konkreten Behelligungen und nach der damit von den arabischen Mitbewohnern verfolgten Absicht hat die Klägerin zu 1) lediglich angegeben, dass manchmal ihr Joghurteimer umgestoßen und sie manchmal beleidigt worden sei.

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An der Auffassung, dass die Angehörigen der yezidischen Glaubensgemeinschaft in Syrien keiner unmittelbaren oder mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, hält die Kammer weiterhin fest und teilt insoweit die ganz überwiegende Rechtsprechung anderer Gerichte (Urt. vom 21.03.2002, 6 A 111/01; OVG Lüneburg, Beschl. vom 19.02.2003, 2 LA 5/02 m.w.N.). Die Kammer sieht nach Prüfung der Erkenntnismittellage, insbesondere nach einer Auswertung des von dem Kulturforum der yezidischen Glaubensgemeinschaft e.V. in Oldenburg erstellten Gutachtens vom 19. November 2000 sowie des Gutachtens des Sachverständigen Maisel vom 30. November 2000 und seiner ergänzenden Stellungnahmen vom 8. Februar und 24. April 2001 keine Veranlassung, von dieser Rechtsauffassung abzuweichen. Selbst wenn nach dem vom Kulturforum in Oldenburg zusammengestellten Zahlenmaterial innerhalb des Zeitraumes von 1990 bis 1999 insgesamt 77 asylrechtlich relevante Verfolgungsschläge im Nordosten Syriens (Distrikt Hassake) vorgefallen sein sollten, lässt sich daraus nicht die für die Annahme einer mittelbaren Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte herleiten. Bei einer quantitativen Betrachtung der Relation von ermittelten Yeziden, die sich im Jahr 2000 noch im Nordosten Syriens befunden haben sollen (ca. 4000), und der aus insgesamt 77 Verfolgungsschlägen abgeleiteten Zahl von etwa acht Vorfällen jährlich ergibt sich, dass von den Verfolgungsschlägen auf jedes Jahr bezogen nur 0,2 v.H. der im Nordosten Syriens lebenden Yeziden betroffen waren. Auch wenn man an Stelle der Gesamtzahl yezidischer Personen in diesem Raum lediglich die Zahl der Yezidenfamilien zugrunde legt, in denen die Einzelpersonen als Verband gelebt haben, führt die Zahl der jährlichen Verfolgungsschläge, die zudem seit Mitte der 90-iger Jahre (mit Ausnahme der Landwegnahmen) rückläufig sind, ebenfalls nur zu einem Prozentsatz von etwas mehr als 1,2 v.H.. Ungeachtet der Frage, ob die vom Kulturforum in Oldenburg ermittelten Übergriffe auf Yeziden sämtlich nach ihrer Intensität ein asylrechtlich relevantes Maß erreicht hatten oder ob ihnen überhaupt asylrechtlich relevante Motive zugrunde gelegen haben, lässt sich bei einer quantitativen Betrachtungsweise nicht der Schluss ziehen, dass die Verfolgungsschläge derart dicht und eng gestreut fallen, dass für jeden Yeziden die aktuelle Gefahr besteht, selbst das Opfer eines Übergriffs von arabischen Mitbewohnern zu werden.

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Eine nach qualitativen Gesichtspunkten vorgenommene Betrachtung nach der Art und Intensität der im Gutachten des Kulturforums in Oldenburg aufgeführten Übergriffe rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme, dass jeder im Nordosten Syriens lebende Yezide befürchten muss, selbst ein Opfer von Verfolgungsmaßnahmen zu werden. Dies ergibt eine Gesamtwürdigung der Zahl der besonders schweren Verfolgungsschläge nach ihrer Art und Intensität sowie die Feststellung, dass die in dem Gutachten des Kulturforums in Oldenburg aufgelisteten Vorfälle nicht in einem eng umgrenzten Bereich des Nordostens, sondern sich an teilweise weit verstreut liegenden Orten zugetragen haben. Der Umstand, dass vor allem die besonders schweren Übergriffe in den Jahren nach 1997 abgenommen haben, deutet zudem darauf, dass mit der Anzahl der in den letzten Jahren aus Syrien ausgereisten Yeziden der Verdrängungswettbewerb zwischen den Bevölkerungsgruppen als häufig vorgetragene Motivation für die Übergriffe nachgelassen zu haben scheint. Auch die Zahl der Yeziden, die das Land verlassen haben und nach Deutschland gekommen sind, hat nach dem Jahr 2001 deutlich abgenommen. Das Gericht teilt nicht die hiervon abweichende Auffassung des VG Gießen (Urt. vom 02.10.2002, 2 E 4712/00.A). Soweit dieses Gericht auf der Grundlage der vom VG Magdeburg in dem Verfahren 8 A 4971/98 MD gewonnenen Erkenntnisse meint, die erforderliche Verfolgungsdichte für die Annahme einer mittelbaren Gruppenverfolgung annehmen zu können, ohne eine konkrete Quantifizierung der vorkommenden Übergriffe vornehmen zu müssen, entspricht diese Rechtsauffassung nicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Nach dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Beschl. vom 23.12.2002, 1 B 42.02 m.w.N.), die die Kammer teilt, müssen zur Ermittlung der Verfolgungsdichte bei der Feststellung, ob eine (mittelbare) Gruppenverfolgung vorliegt, die Angehörigen der fraglichen Bevölkerungsgruppe in einem Verfolgungsgebiet innerhalb des Verfolgungszeitraums in Beziehung gesetzt werden mit Anzahl und Intensität der Verfolgungsmaßnahmen (sog. quantitative und qualitative Betrachtung). Dieser grundsätzlich heranzuziehende abstrakte Maßstab für die Feststellung der erforderlichen Verfolgungsdichte ist auch bei kleinen Bevölkerungsgruppen anzulegen (BVerwG, Beschl. vom 23.12.2002, aaO.). Die Voraussetzungen, unter denen das Bundesverwaltungsgericht in einem konkreten Einzelfall wegen der besonders geringen Zahl der Angehörigen einer Gruppe (syrisch-orthodoxe Christen im Tur Abdin / Beschl. vom 22.05.1996, 9 B 136.36 <juris>) „eine weitere Quantifizierung der Verfolgungsschläge“ für entbehrlich gehalten hat, liegen hier ersichtlich nicht vor. Die vom VG Gießen in seiner Entscheidung vom 2. Oktober 2002 (aaO.) der Feststellung zu Grunde gelegten Erkenntnisse, dass die Yeziden aus der Provinz Jazirah (Distrikt Hassake) in Syrien einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt seien, waren auch Grundlage des Urteils des OVG Magdeburg vom 27. Juni 2001 (A 3 S 482/98), dessen Feststellungen das Bundesverwaltungsgericht im Revisionsverfahren nicht beanstandet hat. Nach diesen Feststellungen sind die den Yeziden im Distrikt Hassake drohenden Verfolgungsmaßnahmen selbst bei Zugrundelegung der „günstigen“ Zahlen des yezidischen Kulturforums nicht so dicht und eng gestreut, dass für jeden Gruppenangehörigen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, selbst Opfer eines derartigen asylrelevanten Übergriffs zu werden. Hiervon ist nach der Auffassung der Kammer auch gegenwärtig und für einen absehbaren Zeitraum weiter auszugehen.

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Die Kläger erfüllen auch nicht die Voraussetzungen eines Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG.

21

Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Der Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 AuslG betrifft neben den Fällen der politischen Verfolgung i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG auch solche Fälle, in denen eine Anerkennung als Asylberechtigter nach den §§ 26a und 27 AsylVfG ausgeschlossen ist oder wegen selbst geschaffener (subjektiver) Nachfluchtgründe scheitert (§ 28 AsylVfG). Indem diese Regelung voraussetzt, dass der Ausländer im Herkunftsland von einer der genannten Rechtsgutverletzungen bedroht ist, lässt sie erkennen, dass eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dieser Rechtsgutverletzung bestehen muss und eine bloße, selbst durch Präzedenzfälle bestätigte Möglichkeit solcher asylerheblicher Nachteile nicht ausreiche (BVerwG, Beschl. vom 13.08.1990, Buchholz 402.25, § 28 AsylVfG Nr. 18).

22

Eine derartige beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine politische Verfolgung bei einer Rückkehr in das Heimatland besteht aus den bereits dargelegten Gründen nicht.

23

Schließlich sind auch Abschiebungshindernisse i.S.d. § 53 AuslG nicht ersichtlich. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erfasst allgemeine Gefahren i.S.d. § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG auch dann nicht, wenn sie den einzelnen Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen. Lediglich dann, wenn dem einzelnen Ausländer kein Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1 bis 4 und Abs. 6 Satz 1 AuslG zusteht, er aber gleichwohl nicht abgeschoben werden darf, weil die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wegen einer extremen Gefahrenlage die Gewährung von Abschiebungsschutz unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach den §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG gebieten, ist § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass eine Entscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht ausgeschlossen ist (BVerwG, Urt. vom 17.10.1995, NVwZ 1996, 199 [BVerwG 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9/95]). Es ist jedoch nicht wahrscheinlich, dass die Kläger sich bei einer Rückkehr nach Syrien in einer solchen extremen Gefahrenlage befinden würden.

24

Da das Bundesamt die Kläger zu Recht nicht als Asylberechtigte anerkannt hat und sie keine Aufenthaltsgenehmigung besitzen, hatte die Behörde sie gemäß den §§ 34 f. AsylVfG zur Ausreise aufzufordern und die Abschiebung anzudrohen.

25

Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b Abs. 1

26

AsylVfG abzuweisen. Die Nebenentscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.