Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 28.07.2003, Az.: 6 B 261/03

Antrag gegen eine sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Betäubungsmitteleinfluss und Alkoholeinfluss; Frage einer einzelfallbezogenen Strafverschärfung bei Konsum sogenannter harter Drogen und einer Teilnahme am Straßenverkehr

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
28.07.2003
Aktenzeichen
6 B 261/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 34307
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2003:0728.6B261.03.0A

Verfahrensgegenstand

Entziehung der Fahrerlaubnis
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO -

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 6. Kammer -
am 28. Juli 2003
durch
den Einzelrichter beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2 000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen diese sofortige Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

2

Nachdem der Antragsteller im Jahr 1993 schon einmal unter dem Einfluss von Alkohol (Blutalkoholgehalt: 0,89 Gramm o/oo) am Straßenverkehr teilgenommen hatte und deshalb von der Antragsgegnerin verwarnt worden war, wurde er am 28. Juli 2002 erneut unter Alkoholeinfluss (Blutalkoholgehalt: 1,29 Gramm o/oo) in einem Fahrzeug angetroffen. Die bei ihm durchgeführte Blutuntersuchung ergab außerdem Rückstände eines Konsums von Kokain und Haschisch. Da bei dem Antragsteller Reste von Kokain aufgefunden worden waren, wurde er wegen unerlaubten Besitzes von Kokain durch Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 3. März 2003 zu einer Geldstrafe von 1 250,00 Euro verurteilt. Im Hinblick auf dieses Urteil wurde das gegen den Antragsteller außerdem eingeleitete Strafverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 154 a Abs. 2 StPO eingestellt und der Beschluss des Amtsgerichts vom 24. Oktober 2002, mit dem dem Antragsteller die Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StPO vorläufig entzogen worden war, unter dem 4. März 2003 wieder aufgehoben.

3

Mit Verfügung vom 29. April 2003 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller wegen der bei ihm festgestellten Einnahme von Drogen (Kokain und Haschisch) unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Hiergegen erhob der Antragsteller am6. Mai 2003 Widerspruch, über den -soweit ersichtlich ist- eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde noch nicht getroffen wurde.

4

Am 4. Juli 2003 hat der Antragsteller außerdem beim Verwaltungsgericht Braunschweig um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung trägt er vor:

5

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung sei nicht ausreichend begründet worden. Insbesondere fehle es an einer Darlegung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung der angeordneten Maßnahme. Die Behörde hätte außerdem berücksichtigen müssen, dass er lediglich einmal Kokain bzw. Haschisch konsumiert habe. Aus einem solchen erstmaligen Drogenkonsum könne die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht hergeleitet werden. Bis zur Entziehung der Fahrerlaubnis sei er jahrelang unfallfrei und unauffällig gefahren; auch habe er nicht im Rauschzustand ein Kraftfahrzeug geführt.

6

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung des Antragsgegners über die Entziehung der Fahrerlaubnis vom29. April 2003 wiederherzustellen.

7

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

8

Er entgegnet:

9

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis sei in einer den gesetzlichen Erfordernissen genügenden Weise zutreffend und auf den Einzelfall bezogen begründet worden. Hinsichtlich der Auswirkungen des Konsums von so genannten harten Drogen auf die Fahrerlaubnis werde auf den gerichtlichen Hinweis vom 4.Juli 2003 verwiesen.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

11

Dem Gericht haben außerdem die den Besitz von Betäubungsmitteln betreffenden Strafakten des Amtsgerichts Braunschweig vorgelegen.

12

II.

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafter Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg. Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung vom 29. April 2003 rechtmäßig angeordnet.

13

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell ordnungsgemäß erfolgt. Die Behörde hat insbesondere deutlich gemacht, dass die Fahrerlaubnisentziehung wegen des Konsums so genannter harter Drogen durch den Antragsteller sofort wirksam werden müsse, um damit der bei einer fortgesetzten Teilnahme des Antragstellers am motorisierten Straßenverkehr für andere Verkehrsteilnehmer bestehenden Gefahr, zu begegnen. Damit hat die Antragsgegnerin in ausreichender Weise schriftlich begründet, weshalb das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).

14

Aus materiell-rechtlichen Gründen besteht ebenfalls keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen die Verfügung vom 29. April 2003 erhobenen Widerspruchs wieder herzustellen.

15

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist rechtmäßig, wenn das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Maßname die privaten Interessen des von der Vollziehungsanordnung Betroffenen überwiegt. Dies ist der Fall, wenn schon bei der im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durchzuführenden summarischen Prüfung der Sachlage die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung eindeutig zu erkennen ist oder wenn sich die Zweifel an der Fahreignung des Betroffenen so weit verdichtet haben, dass die dringende Besorgnis besteht, der Betroffene werde andere Verkehrsteilnehmer bei einer weiteren Teilnahme am Straßenverkehr ernsthaft gefährden (Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage RN, 1273 m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

16

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) hat die Straßenverkehrsbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber der Fahrerlaubnis als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. Von einer fehlenden Fahreignung ist insbesondere dann auszugehen, wenn ein Mangel der in den Anlagen 4 oder 5 zur Fahrerlaubnisverordnung aufgeführten Art vorliegt, durch den die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV). Ein solcher Mangel liegt regelmäßig im Falle der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vor; Besonderheiten gelten insoweit nur für die Einnahme von Cannabis (Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV).

17

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 3. März 2003 ist der Antragsteller im Besitz von Kokain gewesen und hat, wie das Gutachten des Rechtsmedizinischen Instituts in Göttingen vom 28. November 2002 ergeben hat, sowohl diese Droge als auch Cannabis konsumiert. Bereits der einmalige Konsum einer harten Droge rechtfertigt (in der Regel) die Annahme, dass der Konsument zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist; nicht erforderlich ist, dass der Fahrerlaubnisinhaber unter der Wirkung des Betäubungsmittels ein Kraftfahrzeug geführt hat (OVG Lüneburg, Beschl. vom 16.06.2003, 12 ME 172/03 m.w.N.; VG Braunschweig, Beschl. vom 04.04.2003, 6 B 68/03). Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Regelung in Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV und wird durch Systematik und Entstehungsgeschichte dieser und der nachfolgenden Vorschriften der Anlage 4 zur FeV bestätigt. Mit dem in den Vorschriften zum Ausdruck kommenden und zwischen der Einnahme von Cannabis und harten Drogen differenzierenden Stufensystem wird verhindert, dass die Fahrerlaubnisbehörde in jedem Einzelfall zu Lasten der Verkehrsicherheit prüfen muss, inwieweit das jeweilige Betäubungsmittel die Fahreignung des betreffenden Fahrerlaubnisinhabers beeinträchtigt. Ob der Antragsteller -wie von ihm behauptet worden ist- tatsächlich lediglich einmalig Drogen konsumiert hat, was in Anbetracht der Gesamtumstände durchaus zweifelhaft ist, kann letztlich offen bleiben.

18

Zwar entfällt die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auch bei einmaligen Konsum harter Drogen nur im Regelfall (Vorbemerkung Nr. 3 Satz 1 der Anlage 4 zur FeV); von einer fortbestehenden Fahreignung kann jedoch nur dann ausgegangen werden, wenn im konkreten Fall besondere Umstände vorliegen, die entgegen den in Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV zu Ausdruck kommenden Erfahrungssätzen ausnahmsweise die Annahme rechtfertigen, dass der Fahrerlaubnisinhaber trotz des Drogenkonsums (wieder) zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Solche Umstände sind hier nicht ersichtlich. Bei dem Antragsteller hat die Blutuntersuchung nicht nur Rückstände der harten Droge Kokain ergeben, sondern es wurden außerdem Abbauprodukte von Cannabis (Haschisch) ermittelt. Überdies hat der Antragsteller zusätzlich zu dem Konsum von Drogen im Sinne des Betäugungsmittelgesetzes erhebliche Mengen Alkohol getrunken, sodass bei ihm eine Blutalkoholkonzentration von 1,29 Gramm o/oo gemessen wurde. Die Kombination dieser Drogen verdeutlicht die Neigung des Antragstellers zum Konsum berauschender Mittel. Angesichts dieser Sachlage und der von fahrungeeigneten Kraftfahrern ausgehenden Gefahren von Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrteilnehmer hat der Antragsteller die mit der sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis verbundenen Beeinträchtigungen grundrechtlicher Freiheiten hinzunehmen.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG und entspricht der ständigen Rechtssprechung der Kammer und des Nds. OVG Lüneburg in Verfahren, in denen eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 im Streit ist; für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Betrag zu halbieren).

Bockemüller