Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 30.07.2003, Az.: 6 B 282/03

Cannabis; Drogen; Drogenabhängigkeit; Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnisentziehung; med.-psychol. Gutachten

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
30.07.2003
Aktenzeichen
6 B 282/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48139
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens kann nach § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV auch nach gelegentlicher Einnahme von Cannabis erforderlich sein, wenn früher eine Abhängigkeit von harten Drogen bestanden hat.

Gründe

1

I. Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz dagegen, dass die Antragsgegnerin ihr die Fahrerlaubnis entzogen und die sofortige Vollziehung angeordnet hat.

2

Die im Jahre 1980 geborene Antragstellerin wurde im Februar 1998 wegen einer psychotischen Störung im Rahmen eines Abhängigkeitssyndroms nach Gebrauch verschiedener Drogen (vor allem Ecstasy, Benzodiazepine, Cannabinoide und Amphetamine) im Niedersächsischen Landeskrankenhaus in Königslutter behandelt. Sie ist durch Urteil des Amtsgerichts Braunschweig - Jugendgericht - vom 29.06.1998 des gemeinschaftlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (Ecstasy, LSD und Speed) für schuldig befunden, verwarnt und zu gemeinnütziger Arbeit sowie zum Besuch einer Drogenberatungsstelle verurteilt worden.

3

Im Zuge des von der Antragstellerin im März 2000 gestellten Antrags auf Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B gelang es ihr zunächst nicht, ihre Drogenabstinenz nachzuweisen; ihre im August 2000 bei einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung abgegebene Urinprobe wies einen erhöhten Wert für Cannabinoide auf . Das von der Antragstellerin daraufhin bei der Antragsgegnerin vorgelegte medizinisch-psychologische Gutachten vom 11.11.2002 gelangte zu dem Ergebnis, dass eine Drogenabhängigkeit vorliege, die jedoch hinreichend stabil überwunden sei, da eine Drogenabstinenz zwar nicht durch Drogenscreenings nachgewiesen, aber angesichts der Gesamtbefundlage nicht unglaubhaft sei. Indessen sei zur Absicherung erforderlich, dass die Antragstellerin binnen der nächsten sechs Monate fünf kurzfristig anberaumte Drogenscreenings vorlege.

4

Nachdem die Antragstellerin sich mit den geforderten Nachweisen einverstanden erklärt und die Befähigungsprüfung bestanden hatte, erteilte die Antragsgegnerin ihr unter dem 04.02.2003 die Fahrerlaubnis der Klasse B. 

5

Mit Scheiben vom 11.04.2003 teilte der TÜV Nord, den die Antragstellerin mit der Durchführung des erneuten Drogenscreenings beauftragt hatte, der Antragsgegnerin mit, dass in der von der Antragstellerin am 24.03.2003 abgegebenen Urinprobe Cannabinoide in einer Konzentration von mehr als 95 ng/ml (bei einem Normalwert von weniger als 50 ng/ml) zuverlässig nachgewiesen worden seien und dieser Wert nicht auf die von der Antragstellerin am 23.03.2003 protokollierte Medikamenteneinnahme zurückgeführt werden könne.

6

Mit Schreiben vom 22.04.2003 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf, mit Blick auf das Ergebnis des Drogenscreenings bis zum 22.07.2003 das Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen mit dem die Frage zu klären sei, ob sie trotz des positiven Ergebnisses im medizinisch-psychologischen Gutachten vom 11.11.2002 künftig gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen werde. Dabei wies sie die Antragstellerin darauf hin, dass die Nichtvorlage der Einverständniserklärung bzw. des Gutachtens binnen der dafür gesetzten Frist die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge haben könne.

7

Die Antragstellerin erbat daraufhin eine Fristverlängerung für die Abgabe der Einverständniserklärung, die ihr gewährt wurde, legte aber weder diese noch das geforderte Gutachten vor.

8

Mit Bescheid vom 25.06.2003 entzog die Antragsgegnerin ihr die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Entscheidung an, die sie im Wesentlichen damit begründete, dass der bei der Antragstellerin anzunehmende Drogenmissbrauch es gebiete, ihre weitere Teilnahme als Kraftfahrzeugführerin am Straßenverkehr sogleich zu unterbinden, weil die ansonsten für andere Verkehrsteilnehmer auftretenden Gefahren nicht hingenommen werden dürften.

9

Dagegen hat die Antragstellerin Widerspruch eingelegt und diesen im Wesentlichen wie folgt begründet:

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Sie sei im Februar 2003 stark an Grippe erkrankt und habe im März einen starken Rückfall  erlitten, weil sie die verordneten Antibiotika nicht vollständig eingenommen habe. Die Krankheit habe sich bis zum April hingezogen. Der positive Befund sei dadurch entstanden, dass das Fieber zu Fettablösungen geführt habe. Da die von ihr durchgeführten zwei weiteren Urinproben keinen positiven Befund mehr ergeben hätten, könne ihre Fahreignung nicht bezweifelt werden.

11

Mit dem am 14.07.2003 gestellten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wiederholt die Antragstellerin diese Argumentation und legt dazu zwei ärztliche Bescheinigungen vor, auf die Bezug genommen wird.

12

Die Antragstellerin beantragt,

13

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs und einer eventuell nachfolgenden Anfechtungsklage gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 25.06.2003 wiederherzustellen.

14

Die Antragsgegnerin tritt dem entgegen und beantragt,

15

den Antrag abzulehnen.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin Bezug genommen.

17

II. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg. Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung der mit dem angegriffenen Bescheid vom 25.06.2003 verfügten Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig angeordnet.

18

Die Anordnung sofortiger Vollziehung ist formell ordnungsgemäß erfolgt. Die Antragsgegnerin hat insbesondere in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (vgl. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).

19

Auch aus materiell-rechtlichen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Widerspruchs wiederherzustellen.

20

Die Anordnung sofortiger Vollziehung ist rechtmäßig, wenn das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Maßnahme die privaten Interessen des von der Vollziehungsanordnung Betroffenen überwiegt. Das ist der Fall, wenn schon bei der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung die Rechtmäßigkeit des Fahrerlaubnisentzuges eindeutig zu erkennen ist oder wenn sich die Zweifel an der Fahreignung des Betroffenen so weit verdichtet haben, dass die dringende Besorgnis besteht, der Betroffene werde andere Verkehrsteilnehmer bei einer weiteren Teilnahme am Straßenverkehr ernsthaft gefährden (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn 1273 m. w. Nw.). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

21

Die hier allein mögliche summarische Prüfung der Sachlage ergibt, dass die Antragsgegnerin die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen hat. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) hat die Straßenverkehrsbehörde die Fahrerlaubnis (zwingend) zu entziehen, wenn sich der Inhaber der Fahrerlaubnis als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. Von einer fehlenden Fahreignung ist insbesondere dann auszugehen, wenn ein Mangel nach den Anlagen 4 oder 5 zu den §§ 11,13 und 14 FeV vorliegt, durch den die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV). Ein solcher Mangel entsteht regelmäßig mit der Einnahme von Betäubungsmitteln nach dem Betäubungsmittelgesetz; allgemeine Besonderheiten gelten insoweit nur für die Einnahme von Cannabis (Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11,13 und 14 FeV). Weigert sich der Betroffene, einer rechtmäßigen Untersuchungsanordnung nachzukommen, die dies abklären soll, darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung schließen, wenn sie darauf bei der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens hingewiesen hat (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV).

22

Nach diesen Grundsätzen hat die Antragsgegnerin gemäß §§ 3 Abs. 1 StVG, 46 Abs. 1 FeV i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 4, § 11 Abs. 8 FeV zu Recht angenommen, dass die Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet ist; sie durfte aus der grundlosen Weigerung, das zu Recht geforderte medizinisch-psychologische Gutachten beizubringen, schließen, dass die Antragstellerin Eignungsmängel verbirgt und gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung der Antragstellerin schließen.

23

Die Anordnung der Antragsgegnerin vom 22.04.2003, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, war rechtmäßig. Nach § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn eine gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen. Dies ist hier offensichtlich der Fall.

24

Die Antragstellerin hat auch in der relevanten letzten Vergangenheit zumindest gelegentlich Cannabis konsumiert. Dies ergibt sich bereits aus der positiven Urinprobe vom 24.03.2003, in der unstreitig Cannabinoide in einer erheblich über den Normalwert hinausreichenden Konzentration gefunden worden sind. Selbst wenn es sich hierbei um einen Befund handeln sollte, der infolge des von der Antragstellerin im Übrigen nicht hinreichend nachgewiesenen Fiebers und der dadurch bedingten Auslösung von im Fettgewebe eingelagerter Cannabinoide entstanden sein sollte (eine medikamentöse Beeinflussung behauptet die Antragstellerin selbst nicht), spräche dies nicht gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung. Denn auch wenn der von der Antragstellerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 23.07.2003 gefolgt und angenommen würde, dass selbst vier Monate nach dem letzten Cannabiskonsum infolge Fiebers eine „Resorption von THC aus dem Fettgewebe möglich“ ist, die (was sich der Bescheinigung schon nicht mehr entnehmen lässt) zudem den festgestellten relativ hohen Wert erreichte, könnte nur angenommen werden, dass die Antragstellerin Cannabis noch im Dezember 2002 konsumiert hat. Dies wäre zwar noch vor dem Erhalt der Fahrerlaubnis gewesen. Es würde jedoch die im Gutachten vom 11.11.2002 gestellte Prognose in Zweifel ziehen.  Und nur darum geht es.

25

Die im Falle der Antragstellerin unstreitige frühere Drogenabhängigkeit, zumindest aber ihr Missbrauch von harten Drogen, gebieten es als „weitere Tatsachen“ im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV geradezu, die Fahreignung der Antragstellerin nach (unstreitig) fortgesetztem Drogenkonsum in der vorgenommenen Weise anzuzweifeln und eine erneute medizinisch-psychologische Untersuchung zum Ausschluss der anders nicht zu überwindenden Zweifel zu fordern.

26

Der Antrag ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

27

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG und entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kammer, die sich der regelmäßigen Streitwertannahme des Nds. Oberverwaltungsgerichts (Nds. VBl. 1995, 116) anschließt und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes den für ein Hauptsacheverfahren maßgeblichen Streitwert (hier: 4000 Euro für die Fahrerlaubnis der Klasse B) halbiert.