Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 19.03.2003, Az.: 74 IN 286/01
Forderungsanmeldung; Insolvenzverfahren; Prozesskostenhilfebewilligung; Rechtsanwaltsbeiordnung; unerlaubte Handlung; Widerspruchseinlegung
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 19.03.2003
- Aktenzeichen
- 74 IN 286/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48614
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 4a Abs 2 S 1 InsO
- § 175 Abs 2 InsO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Für die Einlegung des Widerspruches gegen eine Forderungsanmeldung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung gem. § 175 Abs. 2 InsO kommt die Beiordnung eines Rechtsanwaltes gem. § 4 a Abs. 2 Satz 1 InsO nicht in Betracht (Bestätigung von AG Göttingen, Beschluss vom 17.02.2003 - 74 IK 153/01- ZInsO 2003, 241).
Tenor:
Der Antrag der Schuldnerin vom 06.03.2003 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Verfahrensbevollmächtigten wird zurückgewiesen.
Gründe
Aufgrund eines Gläubigerantrages ist über das Vermögen der Schuldnerin nach Stellung eines Antrages auf Prozesskostenhilfe und Restschuldbefreiung am 16.01.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden; die Verfahrenskosten sind gestundet. Schlusstermin ist noch nicht anberaumt. Mit Schreiben vom 27.02.2003 hat die antragstellende Gläubigerin beim Insolvenzverwalter geltend gemacht, dass ihre Forderung in Höhe von 2.481, 54 Euro aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 266 a StGB herrühre. Die von der Schuldnerin nicht gezahlten Arbeitnehmeranteile sind aufgeschlüsselt nach den einzelnen Monaten. Weiter Angaben enthält der Antrag nicht. Der Rechtspfleger belehrte die Schuldnerin gem. § 175 Abs. 2 InsO durch Übersendung eines Merkblattes, dem die Anmeldung der Gläubigerin in Fotokopie beigefügt war. U. a. heißt es in dem Merkblatt:
"Es wird empfohlen, sich hinsichtlich der o. a. Forderung(en) mit dem Insolvenzverwalter und ggf. Ihrem Anwalt in Verbindung zu setzen und die Sache zu besprechen.
Nur durch das Einlegen eines Widerspruchs können Sie verhindern, dass Sie für die Forderung auch nach Abschluss der Wohlverhaltensperiode weiter haften."
Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 06.03.2003 kündigte die Schuldnerin ihren Widerspruch gegen die Anmeldung der Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung an. Zugleich beantragte sie, ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen. Im Hinblick darauf hat der Rechtspfleger die Akten dem Insolvenzrichter vorgelegt.
Der Antrag ist zurückzuweisen.
§ 4 a Abs. 2 Satz 1 InsO bestimmt, dass im Falle der Stundung der Verfahrenskosten dem Schuldner auf Antrag ein Rechtsanwalt beigeordnet wird, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt trotz der dem Gericht obliegenden Fürsorge erforderlich erscheint.
Im Eröffnungsbeschluss vom 16.01.2002 ist der Schuldnerin zwar Stundung bewilligt worden. Für den Widerspruch gem. § 175 Abs. 2 InsO gegen die Geltendmachung der Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung ist die Beiordnung eines Rechtsanwaltes jedoch nicht erforderlich. Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes kommt in Betracht, wenn sich Schuldner und Gläubiger wie Parteien in einem streitigen Zivilverfahren gegenüberstehen, z. B. bei einem Antrag auf Zustimmungsersetzung gem. § 309 InsO oder einem Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung gem. §§ 290, 296 ff. InsO (BK-Goetsch InsO § 4a Rz. 31; Kübler/Prütting InsO § 4a Rz. 48; MünchKomm-InsO/Ganter § 4a Rz. 10; Uhlenbruck InsO § 4a Rz. 11). Der bloße Widerspruch gegen die Anmeldung einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung begründet keine Beiordnung eines Rechtsanwaltes (a. A. FK-InsO/Kothe § 4a Rz. 39).
Gem. § 174 Abs. 2 InsO hat ein Gläubiger bei der Anmeldung u. a. die Tatsachen anzugeben, aus denen sich nach seiner Einschätzung ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Schuldners zugrunde liegt. In der Praxis bezeichnen die Gläubiger (fast ausnahmslos Sozialversicherungsträger) die Höhe der Forderung und den Zeitraum, in dem sie entstanden ist. Weiter wird kurz erwähnt, woraus die vorsätzliche unerlaubte Handlung folgen soll (z. B. Nichtabführen der Arbeitnehmerbeiträge an Sozialversicherungsträger). So verhält es sich auch im vorliegenden Fall. Nähere Angaben, die beispielsweise die weiteren Voraussetzungen des § 266 a StGB (z. B. Leistungsfähigkeit) betreffen, werden in der Praxis nicht gemacht. Sie sind auch nicht erforderlich, da eine inhaltliche Prüfungspflicht des Insolvenzgerichtes nicht besteht (Kehe/Meyer/Schmerbach ZInsO 2002, 615, 616 und 660, 664). Der Schuldner wird lediglich darüber informiert, dass der Gläubiger sich eines Anspruches aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung berühmt. Zugleich wird er gem. § 175 Abs. 2 InsO durch das Insolvenzgericht ausführlich auf die Rechtsfolgen des § 302 InsO hingewiesen und die Möglichkeit des Widerspruches belehrt. Dies ist auch im vorliegenden Fall geschehen. Dem Schuldner soll durch die frühzeitige Information durch den Gläubiger u. a. eine Entscheidung darüber ermöglicht werden, ob er das Restschuldbefreiungsverfahren tatsächlich durchführen will. Eine endgültige Klärung, ob die Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung stammt, wird jedoch nicht im Insolvenzverfahren getroffen. Vielmehr muss der Gläubiger bei Widerspruch des Schuldners eine Feststellungsklage erheben.
Allein aufgrund der Anmeldung des Gläubigers ist eine umfassende Prüfung für den Schuldner weder möglich noch erforderlich. Er kann sich darauf beschränken, Widerspruch zu erheben und abzuwarten, ob der Gläubiger auf Feststellung klagt. In einem Klageverfahren kommt für den Schuldner die Bewilligung von Prozesskostenhilfe durchaus in Betracht. Der Schuldner ist bei dieser Vorgehensweise auch nicht einem unzumutbaren Kostenrisiko ausgesetzt. Fordert der Gläubiger vor Erhebung der Feststellungsklage vor dem zuständigen Prozessgericht den Schuldner nicht unter schlüssiger Darlegung der Voraussetzungen einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung zu einem Anerkenntnis bzw. zu einer Zurücknahme des Widerspruches gem. § 175 Abs. 2 InsO auf, kann der Schuldner den Feststellungsantrag anerkennen mit der Folge, dass der Gläubiger gem. § 93 ZPO die Kosten des Rechtsstreites zu tragen hat (vgl. Kehe/Meyer/Schmerbach ZInsO 2002, 660, 666).
Daran ändert nichts die in dem Merkblatt ausgesprochene Empfehlung an den Schuldner, sich mit dem Insolvenzverwalter und ggf. mit seinem Anwalt in Verbindung zu setzen und die Sache zu besprechen. In dem Merkblatt kommt eindeutig zum Ausdruck, dass und bis zu welchem Zeitpunkt ein Widerspruch eingelegt sein muss und welche Wirkungen er hat. Aus einer bloßen Empfehlung des Insolvenzgerichtes an den Schuldner, sich ggf. mit seinen Anwalt in Verbindung zu setzen, folgt nicht, dass die Beiordnung eines Anwaltes gem. § 4 a Abs. 2 Satz 1 InsO erforderlich ist (vgl. auch LG Bochum ZInsO 2003, 89, 91). Es ist jedoch zu überlegen, ob für zukünftige Fälle in dem Merkblatt der Belehrung nach § 175 Abs. 2 InsO ein klarstellender Zusatz angebracht wird.