Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 23.06.2003, Az.: 74 IK 185/02
2.000 EURO; Abschlag; Analogie; angemessene Vergütung; Arbeitsaufwand; entsprechende Anwendung; Gläubigeranzahl; Insolvenzverfahren; masseloses Verfahren; Mindestvergütung; Treuhändervergütung; Verachtfachung; Verbraucherinsolvenzverfahren; Vergütungsanspruch; Vermögensverzeichnis; Zuschlag
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 23.06.2003
- Aktenzeichen
- 74 IK 185/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48607
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs 1 S 3 InsVV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Der Treuhänder in IK- Verfahren hat - wie der Insolvenzverwalter in IN-Verfahren - Anspruch auf eine angemessene Vergütung.
2. Masselose IN-Verfahren und IK-Verfahren erfordern regelmäßig denselben Arbeitsaufwand, so dass eine unterschiedliche Vergütung nicht gerechtfertigt ist.
3. Im Anschluss an den Beschluss vom 06.05.2003 - 74 IN 264/02 (ZInsO 2003, 461 = ZIP 2003, 918 = ZVI 2003, 243 = NZI 2003, Heft 7) ist die Mindestvergütung gem. § 13 Abs. 1 S. 3 InsVV zu verachtfachen mit der Folge, dass sich eine Vergütung von 2.000,00 EUR ergibt.
4. Zu- bzw. Abschläge unter Berücksichtigung insbesondere der Zahl der im Vermögensverzeichnis aufgeführten Gläubiger bleiben möglich.
Tenor:
Die Vergütung des Treuhänders wird festgesetzt auf netto 2.000,00 EUR nebst Auslagenpauschale i. H. v. 150,00 EUR, brutto insgesamt 2.494,00 EUR.
Gründe
Aufgrund des Antrages vom 18.12.2002 ist am 27.12.2002 über das Vermögen des Schuldners das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet, der Rechtsanwalt W. zum Insolvenzverwalter bestellt und die Verfahrenskosten gem. § 4 a InsO gestundet worden. Die Einkünfte des Schuldners aus Arbeitslosenhilfe und ergänzender Sozialhilfe sind unpfändbar. Den einzigen Vermögensgegenstand bilden Ansprüche gegen eine ehemalige Arbeitgeberin i. H. v. ca. 28.000,00 EUR, die in Anbetracht der Vermögenslosigkeit der Drittschuldnerin nicht realisierbar sind. Von 42 im Gläubigerverzeichnis aufgeführten Gläubigern mit einer Gesamtforderung von ca. 28.000,00 EUR haben 12 Gläubiger Forderungen i. H. v. ca. 12.700,00 EUR zur Tabelle angemeldet.
Unter Hinweis auf den Beschluss des Amtsgerichtes Göttingen vom 06.05.2003 (74 IN 264/02) hat der Treuhänder eine Grundvergütung von 2.000,00 EUR beantragt. Da die Unterschiede eines durchschnittlichen Verbraucherinsolvenzverfahrens zu einem masselosen IN-Verfahren nur geringfügig seien, hält er die achtfache Grundvergütung des § 13 InsVV für angemessen.
Der Antrag ist begründet. Zur Entscheidung ist der Insolvenzrichter zuständig, da er das Verfahren hinsichtlich der Vergütungsfestsetzung gem. § 18 Abs. 2 Satz 3 RpflG an sich gezogen hat.
§ 13 Abs. 1 InsVV bestimmt, dass der Treuhänder in der Regel 15 v. H. der Insolvenzmasse erhält; die Vergütung soll in der Regel mindestens 250,00 EUR betragen. Gem. 13 Abs. 2 InsVV findet die Vorschrift des § 3 InsVV - die Gewährung von Zu- und Abschlägen - keine Anwendung. § 63 Abs. 1 S. 1 InsO gibt dem Insolvenzverwalter allerdings einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung. In IK-Verfahren ist die Mindestvergütung von 250,00 EUR zu verachtfachen; Differenzierungen nach der Anzahl der Gläubiger oder nach dem Schwierigkeitsgrad sind möglich.
Bereits im Beschluss vom 06.05.2003 - 74 IN 264/02 - (ZInsO 2003, 461 = ZIP 2003, 918 = ZVI 2003, 243 = NZI 2003 Heft 7) hat das Insolvenzgericht festgestellt, dass auch in masselosen IN-Verfahren der Insolvenzverwalter Anspruch auf eine angemessene Vergütung hat. Deshalb hat es die Mindestvergütung gem. § 2 Abs. 2 InsVV in einem durchschnittlichen IN-Verfahren - mit 20 Gläubigern - vervierfacht und im entschiedenen Fall im Hinblick auf die Gläubigerzahl gem. § 3 InsVV einen Zuschlag von 20 % gewährt
Daran hält das Insolvenzgericht unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung (AG Hamburg, ZVI 2003, 238; AG Dresden, Beschluss vom 17.06.2003 - 540 IN 2591/99) und Literatur (Blersch ZVI 2003, 193 ff.) fest. Dem AG Hamburg (ZVI 2003, 238, 240) ist zuzugeben, dass es sich bei der zugrundegelegten Zahl von 20 Gläubigern als Durchschnittsanzahl der Gläubiger um eine gegriffene Zahl handelt. Für eine sachgerechte und effiziente Abwicklung der beim Insolvenzgericht Göttingen jährlich zu Hunderten anfallenden Vergütungsanträge ist jedoch eine Schematisierung unverzichtbar, bei der ein Durchschnittswert angenommen wird, von dem ausgehend Abweichungen nach oben und unten zulässig sind. Auch der Gesetzgeber hat bei der Abgrenzung der IN-Verfahren zu den IK-Verfahren § 304 Abs. 2 InsO auf eine "gegriffene" Zahl von 20 Gläubigern zurückgegriffen.
In masselosen IN- wie IK-Verfahren besteht die Hauptaufgabe des Verwalters/Treuhänders darin, die Gläubiger anzuschreiben, zu erfassen und die Berechtigung der Forderungen zu prüfen. Die Anzahl der Gläubiger hat entscheidenden Einfluss auf den Arbeitsaufwand im Büro des Verwalters/Treuhänders.
Ebenso wie die Vergütung des Insolvenzverwalters gem. § 2 Abs. 2 InsVV kann auch die Vergütung des Treuhänders gem. § 13 Abs. 1 S. 3 InsVV erhöht werden. Aus der Tatsache, dass § 13 Abs. 1 S. 3 InsVV ausdrücklich eine Herabsetzungsmöglichkeit auf bis zu 100,00 EUR vorsieht, kann nicht gefolgert werden, dass - umgekehrt - eine Heraufsetzung ausgeschlossen ist. Vielmehr wird eine regelmäßige Vergütungshöhe - i. H. v. 250,00 EUR - festgesetzt. Lediglich die Möglichkeit der Herabsetzung ist begrenzt auf 100,00 EUR. Ein Ausschluss einer Heraufsetzung lässt sich daraus nicht herleiten (OLG Schleswig ZInsO 2001, 180, 182 = ZVI 2002, 429; FK-InsO/Lorenz § 13 InsVV Rz. 9; Blärsch InsVV § 13 Rz. 23 ff.; Haarmeyer/Wutzke/Förster InsVV § 13 Rz. 6; a.A. LG Karlsruhe ZVI 2003, 236). Im Übrigen gewähren §§ 313 Abs. 1 S. 3, 63 Abs. 1 S. 1 InsO dem Treuhänder einen Anspruch auf angemessene Vergütung, so dass § 13 InsVV jedenfalls verfassungskonform auszulegen ist mit der Folge, dass eine Erhöhung möglich ist (Blersch, ZVI 2003, 193, 199).
In der Sache bestehen zwischen masselosen IN-Verfahren und (regelmäßig masselosen) IK-Verfahren nur geringfügige Unterschiede, worauf der Treuhänder in seinem Vergütungsantrag zutreffend hinweist. Nach Eröffnung des Verfahrens findet eine Erstbesprechung mit dem Schuldner statt, indem u.a. das zur Akte gegebene Vermögensverzeichnis besprochen und ggf. aktualisiert wird, sowie etwaige Anfechtungsansprüche geprüft werden. Auch wenn der Treuhänder gem. § 313 Abs. 2 S. 1 InsO zur Anfechtung nicht berechtigt ist, ist eine Überprüfung von Anfechtungsmöglichkeiten angezeigt, damit der Treuhänder ggf. die Gläubiger informieren und sich gem. § 313 Abs. 2 S. 3 InsO mit der Anfechtung beauftragen lassen kann. Auch die Anlage 5 K des amtlichen Vordruckes sieht vor, dass Schenkungen und entgeltliche Veräußerungen vom Schuldner anzugeben sind. Im Vergleich dazu entfällt (nach der beim Insolvenzgericht Göttingen gängigen Praxis) bei einem IN-Verfahren regelmäßig eine Erstbesprechung, da dort vor Eröffnung bereits ein Sachverständigengutachten eingeholt wird, in dem der spätere Insolvenzverwalter diese Punkte mit dem Schuldner bereits abgeklärt hat.
Der Aufwand der Prüfung der angemeldeten Forderungen ist in beiden Verfahrensakten gleich. Regelmäßig wird in beiden Verfahrensarten das schriftliche Verfahren angeordnet (zur Zulässigkeit in masselosen IN-Verfahren siehe Beschluss des AG Göttingen vom 04.03.2002 ZInsO 2002, 292 = RPfleger 2002, 479 = ZVI 2002, 80 = EWiR 2002, 443); Berichts- und Prüfungstermin werden einheitlich durchgeführt (§ 312 Abs. 1 S. 2 InsO, § 29 Abs. 2 InsO).
Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung werden zwar nach der Gesetzesänderung zum 01.12.2001 regelmäßig nur in IN-Verfahren durch Sozialversicherungsträger (gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB) angemeldet. Ein inhaltliches Prüfungsrecht steht dem Insolvenzverwalter jedoch nicht zu (Kehe/Meyer/Schmerbach ZInsO 2002, 615, 618). Im Wesentlichen beschränkt sich die Aufgabe des Insolvenzverwalters an die Weiterleitung der Anmeldung an das Insolvenzgericht. Hingegen können auch IK-Verfahren schwierige Rechtsfragen zu prüfen seien, wie beispielsweise das Bestehen von Aussonderungsansprüchen (vgl. Beschluss des AG Göttingen vom heutigen Tage in der Sache 74 IK 112/02).
Schließlich ist zu bedenken, dass die Abgrenzung zwischen IN- und IK-Verfahren auch von dem Zufall abhängen kann, ob noch Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen (§ 304 Abs. 2 S. 2 InsO). Über den tatsächlichen Arbeitsaufwand beim Insolvenzverwalter/Treuhänder geben sie keine verlässliche Auskunft. Daher ist eine unterschiedliche Behandlung beider Verfahrensarten nicht geboten.
Als Faustformel ergeben sich für (masselose) IN- und IK-Verfahren folgende Sätze:
1 - 10 Gläubiger | 1.000,00 EUR (zwei- bzw. vierfacher Satz) |
10 - 19 Gläubiger | 1.500,00 EUR (drei- bzw. sechsfacher Satz) |
20 Gläubiger | 2.000,00 EUR (vierfacher bzw. achtfacher |
Satz). |
Bei mehr als 20 Gläubigern kann der letztgenannte Satz weiter erhöht werden.
Abzustellen ist nicht auf die Anzahl der anmeldenden Gläubiger, sondern auf die im Vermögensverzeichnis enthaltenen Gläubiger. Bereits diese sind anzuschreiben. Regelmäßig meldet nur ein Teil von ihnen Forderungen zur Tabelle an. Würde man auf die Zahl der anmeldenden Gläubiger abstellen, müsste man diese in Relation setzen zur Zahl der im Vermögensverzeichnis aufgeführten Gläubiger. Dies würde umfangreiche Berechnungen erforderlich machen.
Folglich steht dem Treuhänder eine Grundvergütung von 2.000,00 EUR nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer, insgesamt 2.494,00 EUR zu.