Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 21.02.2003, Az.: 74 IN 114/01
Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Anforderungen an einen Schuldenbereinigungsplan
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 21.02.2003
- Aktenzeichen
- 74 IN 114/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 32671
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2003:0221.74IN114.01.0A
Rechtsgrundlagen
- § 152 InsO
- § 208 InsO
- § 209 InsO
- § 211 InsO
- § 218 Abs. 2 InsO
Fundstellen
- DZWIR 2003, 260-261 (Volltext mit amtl. LS)
- EWiR 2003, 935 (Volltext mit amtl. LS)
- InVo 2003, 236-238
- NZI 2003, 512
- NZI 2003, 268-269
- Rpfleger 2003, 528-529 (Volltext mit red. LS)
- ZIP 2003, 590-592 (Volltext mit amtl. LS)
- ZInsO 2003, 289-291 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Für die Entscheidung über die Entlassung eines Insolvenzverwalters gem. § 59 InsO und die Bestellung eines neuen Insolvenzverwalters ist der Insolvenzrichter zuständig.
- 2.
Ein wichtiger Grund für die Entlassung gem. § 59 InsO liegt vor, wenn der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit den Geschäftsbetrieb fortführt, ohne Neumasseverbindlichkeiten zu befriedigen, Berichte erst nach Festsetzung eines Zwangsgeldes erstattet werden und der von der Gläubigerversammlung beauftragte Insolvenzplan nach fast 18 Monaten noch immer nicht vorliegt.
Gründe
Die Schuldnerin, ein in der Oberliga spielender Fussballverein, stellte am 25.5.2001 wegen Zahlungsunfähigkeit Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und regte die Bestellung des jetzigen Insolvenzverwalters an. Mit Beschl. v. 28.5.2001 wurde der Vorgeschlagene zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet. Aufgrund des Gutachtens v. 29.6.2001 wurde das Insolvenzverfahren am 30.6.2001 eröffnet und der vorläufige Insolvenzverwalter zum endgültigen Insolvenzverwalter ernannt. Für die Aufrechterhaltung des Spielbetriebes v. 29.6.2001 bis zum 30.9.2001 errechnete der vorläufige Insolvenzverwalter einen Bedarf von 417.000 DM, der flüssige Mittel i.H.v. 467.552,58 DM gegenüber gestellt wurden. Gleichzeitig kündigte der vorläufige Insolvenzverwalter die Erstellung eines Insolvenzplanes an, durch den die Schuldnerin entschuldet werden sollte, so dass ihre Fortführung über die laufende Saison hinaus möglich sei.
Das unter dem 16.8.2001 gem. § 152 InsO erstellte Gläubigerverzeichnis weist Forderungen von Insolvenzgläubigern i.H.v. 2,5 Mio. DM aus. In einem unter dem 27.8.2001 erstatteten Bericht führte der Insolvenzverwalter u.a. aus, dass ein Insolvenzplan bereits im Entwurf gefertigt sei, die endgültige Fassung jedoch von einer angestrebten außergerichtlichen Regelung mit einer Drittschuldnerin abhänge. In der Gläubigerversammlung v. 29.8.2001 wurde der bisherige Insolvenzverwalter beibehalten und mit der Erstellung eines Insolvenzplanes beauftragt mit dem Ziel der Unternehmenssanierung. Weiter wurde ihm aufgegeben, halbjährlich über den Verlauf und den Stand des Verfahrens zu berichten.
Mit Schreiben v. 29.1.2002 wandte sich das Insolvenzgericht an den Insolvenzverwalter und bat unter Hinweis auf die Vorschrift des § 218 Abs. 2 InsO um Sachstandsmitteilung. Mit Schreiben v. 1.2.2002 teilte der Insolvenzverwalter mit, dass die Finanzierung des Insolvenzplanes nicht sicher gestellt sei, es stellten sich erhebliche Finanzierungsprobleme, um deren Lösung er bemüht sei. Mit Schreiben v. 13.2.2002 zeigte der Insolvenzverwalter Masseunzulänglichkeit gem. § 208 InsO an. Mit Schreiben v. 14.2.2002 gab das Insolvenzgericht dem Insolvenzverwalter auf, die Masse weiter zu verwalten und zu verwerten, die Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 209 InsO zu berichtigen und nach Verteilung der Masse dies unverzüglich anzuzeigen, damit der Einstellungsbeschluss gem. § 211 InsO erlassen werden kann.
Mit Schreiben v. 22.3.2002 teilte der Insolvenzverwalter mit, voraussichtlich Anfang April 2002 werde der Insolvenzplan vorgelegt. Eine gerichtliche Anfrage v. 30.5.2002 blieb unbeantwortet. Mit Schreiben v. 13.8.2002 wurde dem Insolvenzverwalter unter Fristsetzung bis zum 29.8.2002 unter Androhung eines Zwangsgeldes gem. § 58 Abs. 2 InsO i.H.v. 5.000 EUR aufgegeben, mitzuteilen, ob und wann ein Insolvenzplan vorgelegt wird oder welche Hinderungsgründe bestehen, über den Stand des Verfahrens zu berichten unter besonderer Berücksichtigung des Zeitraumes seit Anzeige der Masseunzulänglichkeit, sowie eine Zwischenrechnung per 30.6.2002 vorzulegen. Mit Schreiben v. 29.8.2002 erstattete der Insolvenzverwalter Bericht. Weiter legte er den Entwurf eines Insolvenzplanes vor und führte aus, die Vorlage erfolge, sobald die Erfüllung des Planes gesichert und die Masseunzulänglichkeit behoben sei. Die Deckungslücke für die Saison 2002/2003 sollte durch Zahlung eines Großsponsors geschlossen werden. Mit Schreiben v. 17.9.2002 forderte das Insolvenzgericht ergänzende Erläuterungen zum Zwischenbericht und zur Zwischenabrechnung ein, wies hinsichtlich des Insolvenzplanentwurfes u.a. daraufhin, dass die gem. § 229 InsO erforderliche Vermögensübersicht sowie ein Ergebnis - und Finanzplan fehlten. Unter Fristsetzung zum 10.10.2002 wurde der Insolvenzverwalter zur ergänzenden Stellungnahme aufgefordert.
In der Folgezeit bat der Insolvenzverwalter mit Schriftsätzen v. 25.9.2002, v. 10.10.2002 und v. 17.10.2002 um stillschweigende Fristverlängerungen. Mit Beschl. v. 1.11.2002 setzte das Insolvenzgericht gem. § 58 Abs. 2 InsO gegen den Insolvenzverwalter ein Zwangsgeld i.H.v. 5.000 EUR fest, da die im Schreiben v. 17.9.2002 angeforderte ergänzende Stellungnahme nicht eingereicht worden war. Im Schriftsatz v. 25.11.2002 erstatte der Insolvenzverwalter einen weiteren Bericht und wies u.a. auf nicht eingehaltene Zahlungszusagen von Sponsoren und auf eine erwartete Steuerrückzahlung durch das FA hin. Hinsichtlich des Insolvenzplanes teilte der Verwalter mit, die Massegläubiger sollten vorab befriedigt und vom Insolvenzplan nicht berührt werden. Die Einreichung eines Insolvenzplanes in einer endgültigen Fassung stellte der Verwalter bis spätestens 15.1.2003 in Aussicht.
Mit Schreiben v. 17.9.2002 teilte einer am Insolvenzverfahren beteiligter Sozialversicherungsträger dem Insolvenzgericht mit, dass für vier Arbeitnehmer der Schuldnerin nur für den Zeitraum v. 30.6. - 30.9.2001 Beitragsnachweisungen eingereicht wurden und ab Oktober 2001 Schätzungen erfolgten. Zahlungen durch den Insolvenzverwalter erfolgten nur für den Zeitraum bis zum 31.8.2001. Mit Schreiben v. 16.10.2002 teilte der Sozialversicherungsträger mit, dass inzwischen Beitragsnachweisungen für Oktober 2001 - August 2002 eingereicht wurden und der Beitragsrückstand sich auf ca. 17.500 EUR beliefe.
Mit Beschl. v. 9.1.2003 beraumte das Insolvenzgericht eine außerordentliche Gläubigerversammlung auf Mittwoch, den 19.2.2003, an, u.a. mit den Tagesordnungspunkten evtl. Wahl eines anderen Insolvenzverwalters, Einsetzung eines Gläubigerausschusses und Erörterung eines Insolvenzplanes. Mit Schreiben v. 30.1.2003 teilte ein weiterer Sozialversicherungsträger mit, dass der Insolvenzverwalter die fälligen Sozialversicherungsbeiträge nicht zahle.
In der Gläubigerversammlung v. 19.2.2003 stellte der Vertreter des FA einen Antrag auf Entlassung des bisherigen Insolvenzverwalters mit der Begründung, dass dieser seine steuerlichen Erklärungs- und Zahlungsverpflichtungen nicht in vollem Umfang nachkomme und selbst nach erklärter Masseunzulänglichkeit neue Masseverbindlichkeiten begründe. Für die Abwahl des Insolvenzverwalters sprachen sich ca. 80 % der Gläubiger - bezogen auf die Forderungshöhe - aus. Auf Antrag räumte der Rechtspfleger dem Insolvenzverwalter eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme bis Freitag, den 21.2.2003, 12:00 Uhr, ein, während der Insolvenzverwalter erklärte, dass er eine Frist bis zum 24.2.2003, 12:00 Uhr, benötige. Danach wurde die Sitzung auf den 12.3.2003, 9:45 Uhr, vertagt. Nach Schluss der Sitzung hat der vorläufige Insolvenzverwalter einen Insolvenzplan zur Akte gereicht.
Gem. § 59 Abs. 1 InsO ist der Insolvenzverwalter sowohl auf Antrag der Gläubigerversammlung als auch von Amts wegen aus wichtigem Grund aus seinem Amt zu entlassen (II). Ein milderes Mittel steht nicht zur Verfügung (III). Zugleich hat das Insolvenzgericht einen neuen Insolvenzverwalter ernannt (IV). Zuständig für die Entscheidung ist der Insolvenzrichter (I).
I.
Für die Ernennung des Insolvenzverwalters ist gem. § 27 Abs. 1 Satz 1 InsO der Insolvenzrichter zuständig. Diesem ist gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG das Verfahren bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag unter Einschluss der Ernennung des Insolvenzverwalters vorbehalten. Diese Regelung wirkt fort für eine auch nach Eröffnung des Verfahrens zu treffende Entscheidung über die Entlassung eines Insolvenzverwalters und die Ernennung eines neuen Insolvenzverwalters (vgl. FK-InsO/Schmerbach, § 2 Rn. 20; Nerlich/Römermann/Delhaes, InsO, § 59 Rn. 10). Bei Ernennung eines neuen Insolvenzverwalters hat der Insolvenzrichter genau wie bei der Ernennung des ursprünglichen Insolvenzverwalters eine Eignungsprüfung vorzunehmen. Daraus folgt, dass der Insolvenzrichter für die Ernennung des neuen Insolvenzverwalters zuständig ist. Bei der Entlassung eines vom Insolvenzrichter ernannten Insolvenzverwalters wird spiegelbildlich gesehen eine negative Eignungsprüfung vorgenommen. Dies und die Tatsache, dass auch die Ernennung durch den Insolvenzrichter erfolgt ist, spricht dafür, dass auch die Entlassung aus wichtigem Grund vom Insolvenzrichter auszusprechen ist.
Die gegenteilige Auffassung (FK-InsO/Kind, § 59 Rn. 14; MünchKomm/Graeber, InsO, § 59 Rn. 25 und 44; Uhlenbruck, InsO, § 59 Rn. 19) ist daher abzulehnen. Sie läuft darüber hinaus Gefahr, dass ein unzuständiges Organ der Rechtspflege, nämlich der Insolvenzrechtspfleger, eine Entscheidung trifft, die wegen Verstoßes gegen die Zuständigkeitsvorschriften gem. § 8 Abs. 4 Satz 1 RPflG unwirksam ist mit möglichen weitreichenden Folgen. Umgekehrt ist die Entscheidung des Richters gem. § 8 Abs. 1 RPflG wirksam, auch wenn der Rechtspfleger zuständig ist.
II.
Es liegt ein wichtiger Grund für die Entlassung vor.
Ein wichtiger Grund wird u.a. dann bejaht, wenn der Insolvenzverwalter für die Fortsetzung seiner Tätigkeit ungeeignet erscheint z.B. bei schweren Verletzungen seiner Insolvenzverwalterpflichten (FK-InsO/Kind, § 59 Rn. 7). Darüber hinaus wird als wichtiger Grund angesehen, wenn das Verhältnis zwischen Insolvenzverwalter und Insolvenzgericht derartig nachhaltig gestört oder zerrüttet ist, dass an ein gedeihliches Zusammenarbeiten zukünftig nicht mehr zu denken ist (MünchKomm/Graeber, InsO, § 59 Rn. 19). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Der Insolvenzverwalter hat die ihm auferlegte halbjährliche Berichtsfrist nicht eingehalten. Erst auf Aufforderung des Gerichtes hat er Bericht erstattet. Dieser Bericht war nicht vollständig. Erst nach Androhung und (rechtskräftiger) Festsetzung eines Zwangsgeldes von 5.000 EUR hat er eine umfassende Stellungnahme abgegeben.
Weiter ist der Insolvenzverwalter in der ersten Gläubigerversammlung v. 29.8.2001 beauftragt worden, einen Insolvenzplan vorzulegen. Bislang sind nur Entwürfe zur Akte gelangt. Zwar hat der Insolvenzverwalter nach dem Termin v. 19.2.2003 einen Insolvenzplan vorgelegt. Am Schluss des Insolvenzplanes wird erwähnt, dass die (gem. § 230 InsO) erforderliche Zustimmungserklärung des Schuldners anliegt. Dies ist allerdings nicht der Fall.
Darüber hinaus hat der Insolvenzverwalter vor mehr als einem Jahr unter dem 13.2.2002 Masseunzulänglichkeit gem. § 208 InsO angezeigt. Dennoch führt er den Geschäfts- bzw. Spielbetrieb fort, ohne z.B. die Forderungen von Sozialversicherungsträgern zu begleichen.
III.
Auch mildere Mittel als die Entlassung des Insolvenzverwalters kommen nicht in Betracht. Zur Abgabe eines vollständigen Berichtes konnte der Insolvenzverwalter nur durch die Androhung und Festsetzung eines Zwangsgeldes i.H.v. 5.000 EUR veranlasst werden. Dem Insolvenzverwalter ist vor nunmehr fast 1 1/2 Jahren von der Gläubigerversammlung aufgegeben worden, einen Insolvenzplan vorzulegen. Ein formgerechter Insolvenzplan liegt noch nicht vor, auf die inhaltliche Realisierbarkeit muss daher nicht näher eingegangen werden.
IV.
Das Insolvenzgericht hat - in gesondertem Beschluss - sogleich einen neuen Insolvenzverwalter bestellt. Ein Zuwarten mit der Bestellung des neuen Insolvenzverwalters bis zur Rechtskraft des vorliegenden Beschlusses kommt nicht in Betracht. Der laufende Geschäfts- bzw. Spielbetrieb der Schuldnerin muss aufrechterhalten werden.
V.
Schließlich ist die dem Insolvenzverwalter im Termin v. 19.2.2003 v. Rechtspfleger eingeräumte Frist zur Stellungnahme bis zum 21.2.2003 ausreichend bemessen. Spätestens mit Zugang des Beschl. v. 9.1.2003 beim Insolvenzverwalter war für diesen ersichtlich, dass am 19.2.2003 die (Ab-) Wahl eines (anderen) Insolvenzverwalters Gegenstand des Termins war. Er konnte sich darauf vorbereiten. Naheliegend wäre es gewesen, den Themenkomplex in dem mündlichen Termin abschließend zu erörtern. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass dem Insolvenzverwalter vorsorglich die Faxnummer mitgeteilt worden ist, unter dem er bis zum 21.2.2003, 12:00 Uhr, Stellung nehmen konnte. Auch um 12:15 Uhr war noch kein Eingang zu verzeichnen.