Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 30.10.2003, Az.: 74 IN 364/02
Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Anforderungen an die Wertermittlung durch einen Insolvenzverwalter
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 30.10.2003
- Aktenzeichen
- 74 IN 364/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 32713
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2003:1030.74IN364.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 153 Abs. 2 InsO
- § 18 Abs. 2 S. 3 RPflG
- § 4c Nr. 1 InsO
Fundstellen
- NZI 2004, 47-48 (Volltext mit amtl. LS)
- NZI 2003, VII Heft 12 (amtl. Leitsatz)
- NZI (Beilage) 2004, 41 (amtl. Leitsatz)
- StuB 2004, 144
- ZInsO 2003, 1053 (Volltext mit amtl. LS)
- ZVI (Beilage) 2004, 8-9 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eine unterbliebene Erklärung i.S.d. § 4c Nr. 1 InsO liegt auch dann vor, wenn der Schuldner keine Angaben über den Verbleib von sicherungsübereigneten Fahrzeugen macht.
- 2.
Nicht erforderlich ist, dass diese Angaben kausal für eine Stundungsbewilligung geworden sind; dieser Gesichtspunkt ist vielmehr aus dem Rahmen der Ermessensentscheidung über den Widerruf der Stundung zu berücksichtigen.
- 3.
Bei der Ermessensentscheidung ist das gesamte Verhalten des Schuldners während des Verfahrens zu berücksichtigen.
Gründe
Im Oktober 2002 stellte das Finanzamt gegen den Schuldner Insolvenzantrag wegen Abgabenrückständen i.H.v. ca. 210.000 EUR. Im Rahmen des Eröffnungsverfahrens ermittelte der Sachverständige Fahrzeuge, die auf den Schuldner zugelassen sind und ihm nicht bekannt gegeben worden waren. In einem Anhörungstermin berief sich der Schuldner darauf, er habe die drei Fahrzeuge für eine Darlehensforderung zur Sicherheit übereignet. Nachdem er abredewidrig nicht den Darlehensvertrag und die Sicherungsübereignungsverträge vorgelegt hatte, erging gegen ihn Haftbefehl. Vor Vollzug legte der Schuldner die Unterlagen vor. Nachdem der Schuldner Antrag auf Stundung und Restschuldbefreiung gestellt hatte, wurde das Verfahren am 25.3.2003 eröffnet und dem Schuldner Stundung bewilligt.
Im Bericht v. 5.6.2003 schlug der Insolvenzverwalter vor, den Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 153 Abs. 2 InsO zu laden, da er den Standort der Fahrzeug nicht mitgeteilt hatte. Eine Besichtigung sieht der Insolvenzverwalter zur Wertermittlung und möglichen Verwertung der Fahrzeuge für erforderlich an. Ergänzend führte er aus, dass ihm schuldnerseits angeboten wurde, auf der Grundlage eines Gesamtverkehrswertes aller Fahrzeuge von 2.400 EUR den 9 %igen Massekostenanteil zu entrichten. Im Anhörungstermin v. 8.7.2003 versicherte der Schuldner an Eides statt, dass sich die Fahrzeug in E., Am A., bei der Firma R. befinden. Unmittelbar nach dem Anhörungstermin stellte der Insolvenzverwalter fest, dass die Fahrzeug sich nicht dort befanden. Nachfragen nach dem Verbleib der Fahrzeuge beantwortete der Schuldner nicht.
Mit Schreiben v. 17.9.2003 forderte das Insolvenzgericht den Schuldner zur Stellungnahme binnen zwei Wochen zum Verbleib der Fahrzeuge und zur Mitteilung auf, wann die Fahrzeuge entfernt worden waren. Weiter wurde der Schuldner darauf hingewiesen, dass bei Nichtbeantwortung die gewährte Stundung widerrufen werden kann mit der Folge, dass das Verfahren voraussichtlich mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse einzustellen wäre und Restschuldbefreiung nicht mehr erteilt werden kann. Eine Antwort des Schuldners ist nicht eingegangen.
Dem Schuldner ist die bewilligte Stundung zu widerrufen. Die Entscheidungsbefugnis hat der Insolvenzrichter gem. § 18 Abs. 2 Satz 3 RPflG an sich gezogen (vgl. Nerlich/Römermann/Becker, InsO, § 4c Rn. 9; FK-InsO/Schmerbach, § 2 Rn. 24).
Der Schuldner hat entgegen § 4c Nr. 1 InsO zumindestens grob fahrlässig eine vom Gericht verlangte Erklärung über seine Verhältnisse nicht abgegeben. Er hat die Frage nach dem endgültigen Verbleib der Fahrzeuge nicht beantwortet.
Unter den Begriff der Verhältnisse i.S.d. § 4c Nr. 1 InsO fallen Angaben, die das Vermögen des Schuldners und seinen Verbleib betreffen. Dies gilt auch dann, wenn die Gegenstände - jedenfalls nach den Abgaben des Schuldners - zur Sicherheit an Dritte übereignet sind. In diesem Fall besteht ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters (§ 166 Abs. 1 InsO) mit der Folge, dass der Masse ein Kostenbetrag zusteht (§ 171 InsO).
Eine Kausalität zwischen dem Unterlassen der Angaben des Schuldners und einer Entscheidung des Gerichtes ist nicht erforderlich (Kübler/Prütting/Wenzel, InsO, § 4c Rn. 19). Sogar unerhebliche Abweichungen des gerichtlichen Kenntnisstandes von der Wahrheit machen die Stundung aufhebbar (Nerlich/Römermann/Becker, InsO, § 4c Rn. 18). Beachtlich ist diese Frage erst im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung (ders., a.a.O.).
Das Verhalten des Schuldner ist zumindestens als grob fahrlässig zu werten, da er die vom Gericht verlangte Erklärung nicht abgegeben hat (vgl. Kübler/Prütting/Wenzel, InsO, § 4c Rn. 21; Uhlenbruck, InsO, § 4c Rn. 2).
Das Insolvenzgericht übt das ihm eingeräumte Ermessen dahin aus, die Stundung aufzuheben. Zu berücksichtigen ist dabei die Schwere der Schuld (Uhlenbruck, InsO, § 4c Rn. 2), wobei vertreten wird, dass es erheblicher Gründe bedarf, um von einer Aufhebung der Stundung abzusehen (Kübler/Prütting/Wenzel, InsO, § 4c Rn. 45). Zu bedenken sind auch die existentiellen Folgen der Aufhebungsentscheidung (FK-InsO/Grote, § 4c Rn. 35).
Im vorliegenden Fall der unterlassenen Erklärung ist das Verhalten des Schuldners zwar nicht kausal geworden für die Bewilligung der Stundung. Dies ist jedoch - wie ausgeführt - auch nicht erforderlich, jedoch im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Nach den Angaben des Schuldners dem Sachverständigen gegenüber soll sich der Wert der drei Fahrzeuge auf 3.500 EUR belaufen, sodass sich bei einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter eine Verwertungskostenpauschale von 315 EUR ergäbe. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass der Schuldner zunächst im Eröffnungsverfahren gar keine, danach falsche und gar keine Angaben mehr über die Fahrzeuge gemacht hat. Dies rechtfertigt begründete Zweifel an dem von ihm angegebenen Wert der Fahrzeuge. Weiter ist zu bedenken, dass seit der Bewilligung der Stundung und der Eröffnung des Verfahrens dort nicht einmal ein Jahr vergangen und die Restschuldbefreiung noch nicht angekündigt worden ist. Im Ergebnis wiegt das Verhalten des Schuldners so schwer, dass es nicht gerechtfertigt ist, von einer Aufhebung der Stundung abzusehen. Schließlich war die Anfrage an den Schuldner auch hinreichend konkret und er auf die Rechtsfolgen einer Fristversäumung hingewiesen worden (vgl. FK-InsO/Grote, § 4c Rn. 13).