Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 20.11.2003, Az.: 74 IN 377/03
Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Anforderungen an die Erstellung eines Schuldenbereinigungsplans
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 20.11.2003
- Aktenzeichen
- 74 IN 377/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 32717
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2003:1120.74IN377.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 37 AO
- § 29 BGB
- § 4 InsO
- § 57 ZPO
Fundstellen
- DStR 2003, XX Heft 51-52 (amtl. Leitsatz)
- DZWIR 2004, 130-131 (Volltext mit amtl. LS)
- NZI 2004, 10 (Kurzinformation)
- NZI 2004, 38-39 (Volltext mit amtl. LS)
- NZI 2003, VII Heft 12 (amtl. Leitsatz)
- ZInsO 2003, 1107-1108 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Steht der Geschäftsführer einer GmbH unter Betreuung, ist der Betreuer nicht zur Stellung eines (Eigen-)Antrages über das Vermögen der GmbH berechtigt.
- 2.
In diesem Fall kommt aber die Bestellung eines Verfahrenspflegers durch das Insolvenzgericht gem. § 4 InsO i.V.m. § 57 ZPO in Betracht.
- 3.
Bereits mit Eingang des Antrages ist das Insolvenzgericht berechtigt, Sicherungsmaßnahmen zu erlassen.
- 4.
Ist der Geschäftsbetrieb eingestellt und bestehen möglicherweise realisierbare Außenstände, kommt neben der Bestellung eines Sachverständigen die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes in Betracht, ohne dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt werden muss.
Gründe
I.
Mit Schreiben v. 5.10.2003 hat eine Berufsbetreuerin gegenüber dem AG Gifhorn Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit für drei "Firmen" angemeldet. Die Betreuerin ist aufgrund Beschlusses des AG Peine - Vormundschaftsgericht - v. 5.2.2003 zur Betreuerin für Herrn C. H. bestellt worden u.a. mit dem Aufgabenkreis Vermögensvorsorge. Bei einer der "Firmen", der Schuldnerin des vorliegenden Verfahrens, handelt es sich um eine GmbH, die beim Handelsregister des AG Göttingen eingetragen ist. Geschäftsführer ist der Betreute C. H. Dem Antrag beigefügt ist eine von Herrn H. am 18.7.2003 gegenüber der Stadt D. vorgenommene Gewerbeabmeldung. Als Gläubigerforderung ist angegeben die Forderung eines Kreditinstitutes i.H.v. ca. 350.000 EUR.
Aus einem von der Betreuerin zur Akte gereichten, vom FA S. an sie gesandten Schreiben v. 24.10.2003 ergibt sich, dass aufgrund eines Aufhebungsbescheides in einer Grunderwerbsteuersache ein Rückzahlungsanspruch von ca. 25.000 EUR besteht. Auszahlung beansprucht eine Frau C. B. als Einzahlerin. Das FA weist jedoch daraufhin, dass nach Aktenlage auf Rechnung der Schuldnerin gezahlt worden ist, diese somit grds. Erstattungsberechtigte des Guthabens ist (§ 37 AO), und bittet innerhalb von vier Wochen um Stellungnahme, ob die Betreuerin Erstattung des Guthabens beansprucht.
Auf Anschreiben des AG - Insolvenzgericht - Gifhorn hat die Betreuerin Abgabe an das AG Göttingen beantragt und den Erlass von Sicherungsmaßnahmen angeregt. Daraufhin hat das Insolvenzgericht Gifhorn die Akten dem AG Göttingen übersandt.
II.
Das AG Göttingen hat einen Sachverständigen eingesetzt (1.), der Schuldnerin einen Verfahrenspfleger bestellt (2.) und ein allgemeines Verfügungsverbot verhängt (3.).
1.
Die Bestellung eines Sachverständigen erfolgt u.a., um die - nicht feststehende - örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichtes Göttingen gem. § 3 InsO zu überprüfen. Insoweit wird das Insolvenzgericht Göttingen gesondert Rücksprache mit dem Sachverständigen nehmen.
2.
Weiterhin hat das Insolvenzgericht der Schuldnerin einen Verfahrenspfleger gestellt. Der Geschäftsführer der Schuldnerin steht unter Betreuung, der Aufgabenkreis der Betreuerin umfasst die Vermögenssorge. Grds. ist damit der Betreuer antragsberechtigt. Das Antragsrecht besteht, wenn es auf einer persönlichen Haftung des Betreuten beruht, nicht aber, wenn es sich nur aus einer organschaftlichen Stellung wie etwa der eines Geschäftsführers einer GmbH ergibt (MünchKomm-InsO/Schmahl § 15 Rz. 9).
Für den Fall eines Gläubigerantrages gegen eine vertretungslose juristische Person ist anerkannt, dass der Gläubiger beim Registergericht entsprechend § 29 BGB die Bestellung eines Notgeschäftsführers beantragen kann oder dass das Insolvenzgericht gem. § 4 InsO i.V.m. § 57 ZPO einen Verfahrenspfleger als besonderen Vertreter bestellen kann (OLG Zweibrücken, ZInsO 2001, 472[OLG Zweibrücken 12.04.2001 - 3 W 23/01] = EWiR 2002, 223; LG Berlin, NZI 2002, 163; Helmschrott, ZIP 2001, 636, 637; FK-InsO/Schmerbach § 14 Rn. 15). Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Eigenantrag. Ob und ggf. wer in diesem Falle beim Registergericht entsprechend § 29 BGB die Bestellung eines Notgeschäftsführers beantragen kann, kann dahinstehen. Dagegen spricht im vorliegenden Fall bereits, dass im Hinblick auf die Außenstände beim FA Spandau dringender Handlungsbedarf besteht. Daher hat das Insolvenzgericht gem. § 4 InsO i.V.m. § 57 ZPO einen Verfahrenspfleger als besonderen Vertreter bestellt. § 57 ZPO regelt zwar nur den Fall, dass eine nicht prozessfähige Partei verklagt werden soll, die ohne gesetzlichen Vertreter ist. § 4 InsO bestimmt jedoch, dass die Vorschriften der ZPO entsprechend anwendbar sind. Daher ist den Besonderheiten des Insolvenzverfahrens Rechnung zu tragen. Im vorliegenden Fall ist die Schuldnerin eine juristische Person, bei der eine Antragspflicht besteht. Ein Antragsberechtigter ist nicht vorhanden. Nur bei Einleitung eines Insolvenzverfahrens können Sicherungsmaßnahmen angeordnet und erhebliche Vermögenswerte für die Gläubigergesamtheit realisiert werden. Daher kommt die Bestellung eines Verfahrenspflegers auch in Betracht, damit ein Eigenantrag gestellt werden kann.
Anerkannt ist auch, dass zunächst die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen möglich ist mit nachfolgender Bestellung eines Notorganes (Henkel, ZIP 2000, 2045, 2046 f.; FK-InsO/Schmerbach, § 14 Rn. 15 a.E.). Daher ist es auch zulässig, zugleich mit der Bestellung eines Notorganes Sicherungsmaßnahmen anzuordnen wie im vorliegenden Fall.
Der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen steht auch nicht entgegen, dass die Zuständigkeit des Insolvenzgerichtes noch nicht feststeht, vielmehr das Insolvenzgericht seine Zuständigkeit prüft (HK-InsO/Kirchhoff, § 21 Rn. 4; Haarmeyer, ZInsO 2001, 203, 204 f., 207 f.; a.A. LG Göttingen, ZIP 1993, 447, 448). Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung beansprucht Zeit, in diesem Zeitraum darf kein rechtsfreier Raum existieren, ansonsten drohen irreparabele Schädigungen (FK-InsO/Schmerbach, § 21 Rn. 16).
3.
In der Sache hat das Insolvenzgericht - neben der Bestellung eines Sachverständigen - ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. ohne gleichzeitige Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Ist der Geschäftsbetrieb eingestellt, muss nicht zwingend ein Verfügungsbefugter über das Vermögen des Schuldners vorhanden sein. Stellt sich heraus, dass einziehbare Forderungen tatsächlich vorhanden sind, kann die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalter noch nachträglich erfolgen (AG Göttingen, NZI 1999, 330, 331; Bräutigam/Goetzsch/Blersch, § 21 Rn. 24). Von der ursprünglich erwogenen Anordnung eines besonderen Verfügungsverbotes gem. § 21 Abs. 1 InsO hat das Insolvenzgericht abgesehen. Ein solches bildet nämlich kein absolutes Verfügungsverbot, das unter § 24 InsO fällt, sondern lediglich ein relatives Veräußerungsverbot gem. § 135 BGB (FK-InsO/Schmerbach, § 21 Rn. 30). Im Hinblick auf § 24 InsO erfolgt auch eine öffentliche Bekanntmachung des allgemeinen Verfügungsverbotes (AG Göttingen, NZI 1999, 330, 331).
Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen ist auch gerechtfertigt, da dargelegt worden ist, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig ist.