Landgericht Göttingen
Beschl. v. 10.03.1999, Az.: 10 T 16/99

Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe; Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
10.03.1999
Aktenzeichen
10 T 16/99
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1999, 30075
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:1999:0310.10T16.99.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - 10.02.1999 - AZ: 74 IK 12/99

Fundstellen

  • BRAK-Mitt 1999, 240
  • EWiR 1999, 715
  • KTS 1999, 468
  • MittRKKöln 1999, 237-238
  • NJW 1999, 2286-2287 (Volltext mit amtl. LS)
  • NZI 1999, 204-205
  • WM 1999, 1229-1230 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZIP 1999, 890-891 (Volltext mit red. LS)
  • ZInsO 1999, 294-295
  • ZInsO 1999, 603 (red. Leitsatz)

Gründe

1

Am 29. 1. 1999 hat die Antragstellerin zu Protokoll der Geschäftsstelle des AG den Antrag gestellt, über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren zu eröffnen, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu untersagen bzw. einzustellen und die Restschuldbefreiung zu erteilen. Für das Verfahren hat die Antragstellerin PKH beantragt.

2

Die Antragstellerin hat dem Antrag u.a. beigefügt eine Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs, ein Vermögensverzeichnis, ein Gläubiger- und Schuldnerverzeichnis und einen Schuldenbereinigungsplan. Die Antragstellerin hat 16 Schuldner, die Forderungen i.H.v. insgesamt 119 976,48 DM haben.

3

Mit Beschl. v. 10. 2. 1999 hat das AG den Antrag auf Bewilligung von PKH für das gerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren zurückgewiesen. Zur Begründung hat das AG ausgeführt, der Antrag sei unzulässig. Ein derart mittelloser Schuldner, der nicht einmal die vom Gesetzgeber gering gehaltenen Kosten des Verfahrens aufbringen könne, sei durch die Pfändungsschutzbestimmungen der ZPO ausreichend geschützt. Für einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit dem Ziel der Restschuldbefreiung bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis. Darüber hinaus sei der Antrag wegen fehlender Erfolgsaussicht auch unbegründet. Es bestehe keine positive Aussicht, daß der von der Antragstellerin eingereichte Schuldenbereinigungsplan von den Gläubigern angenommen werde. Die Gläubigerin, die die höchsten Forderungen, nämlich i.H.v. insgesamt 69.583,25 DM habe, habe den außergerichtlichen Einigungsversuch abgelehnt. Dieser Gläubigerin stünden nach dem Schuldenbereinigungsplan monatlich 83,69 DM zu. Es sei zu vermuten, daß diese Gläubigerin auch dem gerichtlichen Schuldenbereinigungsplan nicht zustimme. Da diese Gläubigerin die Summenmehrheit habe, könne ihre fehlende Zustimmung auch nicht ersetzt werden gem. § 309 InsO.

4

Gegen diesen Beschluß wendet sich die Antragstellerin mit der Beschwerde.

5

Die Beschwerde ist gem. § 4 InsO, § 127 Abs. 2 ZPO zulässig, sie ist auch begründet.

6

Entgegen der Auffassung des AG ist der Antrag der Schuldnerin auf Bewilligung von PKH zulässig. Zwar hat die Schuldnerin in ihrem Antrag nicht ausdrücklich dargelegt, daß sie zunächst nur PKH für das gerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren begehrt. Das AG hat jedoch den Antrag der Schuldnerin dahin ausgelegt, daß die Bewilligung von PKH für das gerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren ihr vorrangiges Ziel ist. Dies ist nicht zu beanstanden. Das Verbraucherinsolvenzverfahren ist in mehrere, zwar zusammenhängende, jedoch gesondert zu behandelnde Verfahrensabschnitte unterteilt. Entsprechend den für die PKH geltenden Vorschriften (§ 119 Satz 1 ZPO) kommt deshalb PKH nur für den jeweiligen Verfahrensabschnitt in Betracht und muß deshalb für jeden Verfahrensabschnitt gesondert beantragt und es muß über den Antrag jeweils gesondert entschieden werden (vgl. hierzu AG Köln, ZIP 1999, 147; AG München, NZI 1999, 31 = ZInsO 1999, 46 mit zustimmender Anmerkung Pape). Die PKH-Vorschriften der §§ 114 ff. ZPO sind auch für das Verbraucherinsolvenzverfahren anwendbar. Den ablehnenden Stellungnahmen (vgl. Bork, ZIP 1998, 1209; Busch/Graf-Schlicker, InVo 1998, 269; AG Köln, NZI 1999, 83) stehen eine Vielzahl von bejahenden Stellungnahmen, die von der Anwendbarbeit der PKH-Vorschriften ausgehen, gegenüber (vgl. AG München, NZI 1999, 31; Funke, ZIP 1998, 1708 ff.; Pape, Rpfleger 1997, 237; AG Göttingen, Beschl. v. 5. 2. 1999 - 74 IK 12/99). Die Kammer schließt sich dieser zustimmenden Auffassung ausdrücklich an. Bei dem Verbraucherinsolvenzverfahren handelt es sich um eine justizförmliches Verfahren, für das dem Schuldner Kostenhilfe gewährt werden muß, wenn er die Verfahrenskosten nicht aufbringen kann. Dies entspricht der Intention des Gesetzgebers, wie sich aus einer Stellungnahme des amtierenden Staatssekretärs im BMJ Pick v. 18. 12. 1998 ergibt (abgedr. in NZI 1999, 58). Staatssekretär Pick hat in einer Beantwortung der Frage eines Bundestagsabgeordneten eindeutig erklärt, daß die Bundesregierung sich genötigt sehe, eine gesetzliche Klarstellung vorzunehmen, sofern sich in der Rechtsprechung die Tendenz verfestigen würde, Schuldnern, die die Verfahrenskosten nicht aufbringen könnten, PKH zu versagen und damit gerade den "ärmsten Schuldnern" die Möglichkeit genommen würde, Restschuldbefreiung zu erlangen.

7

Soweit die gegenteilige Auffassung meint, aus der Auslegung von § 4 InsO ergebe sich, daß die InsO die Anwendung der §§ 114 ff. ZPO für das gerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren nicht anordne, ist auch dieses Argument nicht überzeugend. Es besteht im Gegenteil keine Veranlassung, ausgerechnet für den Bereich des Verbraucherinsolvenzverfahrens zu verlangen, daß die PKH-Vorschriften - trotz der Generalverweisung des § 4 InsO - ausdrücklich für anwendbar erklärt werden (Funke, ZIP 1998, 1708 ff.).

8

Der Antrag der Schuldnerin auf Bewilligung von PKH für das gerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren ist auch begründet. Die Bewilligung der PKH scheitert hier nicht schon daran, daß die Schuldnerin die nunmehr in § 305 Abs. 1 Satz 1 InsO vorgeschriebene Schriftform des Antrags nicht eingehalten, sondern den Antrag zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt hat. Das AG hat den Antrag der Schuldnerin in dieser Form entgegengenommen und bearbeitet. Die Versagung der PKH hat das AG ebenfalls nicht auf diesen Formmangel gestützt, so daß auch die Kammer keinen Anlaß sieht, PKH wegen der nicht eingehaltenen Form zu versagen.

9

Entgegen der Auffassung des AG kann der Schuldnerin PKH auch nicht mit der Begründung verweigert werden, ihr Antrag biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil nicht davon auszugehen sei, daß die beteiligten Gläubiger den Schuldenbereinigungsplan akzeptierten. Eine Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht im herkömmlichen Sinne findet im gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren nicht statt. Insbesondere ist auch eine Prognose über den möglichen Ausgang des gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens nicht möglich. Die Schuldnerin bietet hier ihren Gläubigern eine Zahlung i.H.v. insgesamt 144,28 DM monatlich an. Zwar ist der außergerichtliche Einigungsversuch auf dieser Basis gescheitert. Dies stellt jedoch keine Prognose für das gerichtliche Verfahren dar und beseitigt nicht die Erfolgsaussicht. Im Verfahren des gerichtlichen Schuldenbereinigungsplans, dessen Vorbild der Prozeßvergleich mit mehreren Beteiligten ist (vgl. BT-Drucks. 12/7303 S. 189), die über den Gegenstand des Verfahrens bestimmen können, hat der Schuldner die Initiativpflicht zur Aufstellung dieses Plans. Nach Stellungnahme der Gläubiger kann der Schuldner diesen Plan ändern oder ergänzen. Der Schuldner ist also Partei im Verfahren mit der rechtlichen Möglichkeit, einen vorteilhaften Plan zu realisieren (vgl. Bindemann, Handbuch Verbraucherkonkurs Rn. 301). Darüber hinaus kann der Schuldner sein Ziel, die Restschuldbefreiung, auch erreichen, wenn der gerichtliche Schuldenbereinigungsplan von den Gläubigern nicht angenommen wird. In diesem Fall kann es zur Verfahrenseröffnung und damit nach Ablauf der Wohlverhaltensfrist gleichwohl zur Restschuldbefreiung kommen. Würde man dem Schuldner für das gerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren PKH versagen, würde ihm die Möglichkeit genommen, diesen Verfahrensabschnitt zu durchlaufen, der jedoch Voraussetzung für die Restschuldbefreiung ist. Dem Schuldner ist deshalb für das gerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren PKH zu bewilligen. Andernfalls würde für das Verbraucherinsolvenzverfahren zwischen Schuldnern differenziert, die die Gerichtskosten aufbringen können und jenen, die hierzu aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage sind. Letztere würden damit von der Restschuldbefreiung von vornherein ausgeschlossen. Der verfassungsrechtlich geschützte Zugang zu den Gerichten (Justizgewährungsanspruch) würde damit in unzulässiger Weise gerade der überwiegenden Gruppe von Schuldnern unmöglich gemacht. Ein derartiges Vorgehen entspricht nicht dem gesetzgeberischen Vorhaben und ist deshalb abzulehnen.