Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 24.01.2003, Az.: S 16 KR 52/02
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 24.01.2003
- Aktenzeichen
- S 16 KR 52/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 40145
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2003:0124.S16KR52.02.0A
In dem Rechtsstreit
hat die 16. Kammer des Sozialgerichts Lüneburg auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2003 durch ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für ein Therapiedreirad.
Der 1977 geborene Kläger leidet an Adipositas und dem Prader-Willi-Syndrom. Durch die Beklagte wurden dem Kläger bereits zwei Fahrräder zur Verfügung gestellt, die jedoch kaputt sind. Rechnungen für Reparaturen wurden bei der Beklagten nicht eingereicht. Dr. K. verordnete dem Kläger am 23.07.2001 ein Therapiefahrrad. Mit Bescheid vom 27.08.2001 wurde der erneute Antrag abgelehnt. Die Versorgung mit einem Therapiefahrrad für Erwachsene falle nicht in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Es handele sich bei diesem Produkt um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand. Im Widerspruchsverfahren wurde der MDKN eingeschaltet, der mit Stellungnahme vom 11.09.2001 durch Dr. Becker ausführte, daß eine medizinische Indikation für die Verordnung eines Therapiefahrrades nicht ersichtlich sei. Daraufhin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2001 der Widerspruch zurückgewiesen. Das Therapiefahrrad solle nur ein normales Fahrrad ersetzen. Das Fahrradfahren gehöre bei Erwachsenen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den körperlichen Grundfunktionen und nicht zu den Grundbedürfnissen, für deren Sicherstellung die gesetzliche Krankenversicherung einzutreten habe.
Im Klageverfahren verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und meint, sehr wohl einen Anspruch auf Kostenübernahme zu haben In seiner Klagebegründung legt der Kläger eine Rechnung für ein Therapiefahrrad "Ergovelo Trike" in Höhe von 3.014,84 DM vor Rechnung vom 07.11.2001) und führt aus, daß das verordnete Therapiefahrrad für die Bedürfnisse des Klägers erstellt wurde. Der Kläger beziehe sich auf die neue Rechtsprechung des BSG vom 16.09.1999 (B 3 KR 2/99 B), wonach als Hilfsmittel alle ärztlich verordneten Sachen, die die Heilbehandlung sichern oder die Folgen von Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen, erstattungsfähig sind. Dabei reiche es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch aus, wenn nur therapeutische Nebeneffekte erzielt werden könnten (BSG vom 30.01.2001, B 3 KR 6/00 R).
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid vom 27.08.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2001 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger auf die Verordnung des Dr. K. vom 23.07.2001 die Kosten für ein Therapiedreirad entsprechend der Rechnung vom 07.11.2001 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt aus, daß das begehrte Fahrrad nicht zur Sicherung als Folge der Krankenbehandlung erforderlich sei und bezieht sich auf die Stellungnahme des MDKN.
Außer der Gerichtsakte war die Beklagtenakte, den Kläger betreffend, Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung Auf ihren Inhalt wird wegen des weiteren Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 27.08.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2001 den Antrag des Klägers auf Kostenübernahme für das begehrte Therapiefahrrad - Therapiedreirad - abgelehnt.
Da der Kläger bereits mit dem begehrten Therapiefahrrad bzw. -dreirad versorgt ist, kommt als Anspruchsgrundlage hier § 13 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in Betracht. Danach werden die Kosten gem. der vorgelegten Rechnung übernommen, wenn die Krankenkasse u a. eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war. Eine solche Notwendigkeit ist dann anzunehmen, wenn der Kläger gem. § 33 SGB V einen Anspruch auf das verordnete Hilfsmittel hat.
Gem. § 33 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer dauernden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Diese Voraussetzung ist im Falle des Klägers nicht erfüllt. Zur Überzeugung der Kammer hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Versorgung mit dem beantragten Therapiefahrrad bzw. -dreirad. Zwar kann man dem Kläger insoweit noch zustimmen, daß es sich bei dem streitigen Therapiefahrrad/-dreirad nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt, weil es speziell für die Bedürfnisse behinderter Menschen konstruiert worden ist und nur von Behinderten eingesetzt wird (siehe Foto des begehrten Trikes Seite 102 Gerichtsakte) Es ist zudem nicht durch die von § 34 Abs. 4 SGB V erlassene Rechtsverordnung von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist es jedoch nicht erforderlich, den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern bzw. eine Behinderung auszugleichen Zwar können nach der vom Kläger zit. Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.10.2001, B 3 KR 6/00 R) auch Mittel, die zur therapeutischen Beeinflussung eingesetzt werden, Hilfsmittel i.S. von § 33 SGB V sein, jedoch nur dann, wenn sie erforderlich sind, bestimmte therapeutische Ziele zu erreichen und eine kostengünstigere Alternative nicht zur Verfügung gestellt werden kann. Das ist bei dem Kläger jedoch nicht der Fall. Zutreffend hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers ausgeführt, daß aus der Verordnung des Herrn Dr. K. die Diagnosen Adipositas und Prader-Willi-Syndrom hervorgehen (kindliche Erkrankung mit Schwachsinn, Adipositas, Minderwuchs, Diabetes bei myatonischer Anamnese mit verzögerter Entwicklung der statischen Funktionen, Akromikrie, meist auch Hypogenitalismus, Kryptorchismus - siehe Pschyrembel/Klinisches Wörterbuch). Hieraus folgt nicht, daß die Bewegungsorgane des Klägers, insbesondere die Wegefähigkeit, eingeschränkt ist. Auch geht aus den in der mündlichen Verhandlung überreichten Schreiben des Herrn B. vom N., wo der Kläger wohngruppenmäßig untergebracht ist, nicht hervor, aus welchen therapeutischen Gründen dem Kläger ein Fahrrad zur Verfügung gestellt werden muß. Zwar führt der Wohngruppenleiter aus, daß der Kläger am bewegungstherapeutischen Angebot, so an Ausflügen, kleinen Zwischenspazierfahrten usw. nicht teilnehmen kann und er dann wegen vorhandener Stimmungsschwankungen sehr negativ durch Schreien und Weinen reagiert Auch sei es für die Einrichtung eine außergewöhnliche Belastung, daß immer ein Betreuer für den Kläger zusätzlich abgestellt werden müsse. Aus diesen Äußerungen lassen sich jedoch therapeutische Maßnahmen, die speziell aufgrund des Krankheitsbildes des Klägers erforderlich sind, genauso wie aus dem Attest des Herrn K. nicht erkennen. Mit dem MDKN ist das Gericht deshalb zu dem Ergebnis gekommen, daß eine medizinische Notwendigkeit nicht besteht.
Da somit therapeutische Zwecke, die nur über die Zurverfügungstellung eines Fahrrads erreicht werden könnten - wie im Urteil des BSG vom 30.01.2001 ausgeführt - hier nicht ersichtlich sind und weder vom behandelnden Arzt noch von dem Wohngruppenleiter vorgetragen wurden, konnte hier eine Kostenübernahme nicht in Betracht kommen.
Insbesondere hielt die Kammer deshalb auch weitere Sachverhaltsaufklärung nicht für erforderlich. Zwar gibt der Prozeßbevollmächtigte des Klägers an, daß der Kläger nunmehr auch an Osteoporose leidet, für die eine Bewegung an der frischen Luft unter Sonneneinstrahlung wichtig ist und auch ein geringes Lungenvolumen und eine Muskelschwäche vorliegen. Medizinisch bestätigt wurde dies durch Dr. K. nicht. Im übrigen können therapeutische Zwecke hier durch Bewegungen, Spazierengehen, Gymnastik im Freien insbesondere kostengünstiger erreicht werden.
"Um eine Behinderung auszugleichen", ist das Therapiefahrrad bzw. -dreirad ebenfalls nicht erforderlich. Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist allein die medizinische Rehabilitation obliegt, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen und schließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben zu führen, um die Anforderungen des Alltags meistern zu können, konnte hier die Klage keine Aussicht auf Erfolg haben. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation, die die Versorgung mit einem Hilfsmittel umfassen kann, ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (vgl. hierzu BSG vom 23.07.2002, B 3 KR 3/02 R, und vom 21.07.2002, B 3 KR 8/02 R). Die Förderung der Selbstbestimmung des behinderten Menschen und seiner gleichberechtigten Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft durch Versorgung mit Hilfsmitteln fällt danach nur dann in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung nicht nur einem bestimmten Lebensbereich (Beruf, Gesellschaft, Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu diesen Grundbedürfnissen gehören die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraumes wie auch die Aufnahme von Informationen, Kommunikation mit anderen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens umfaßt (BSG vom 23.07.2001). Als Grundbedürfnis in diesem Sinne hat das BSG auch die Bewegungsfreiheit anerkannt. Ist diese durch eine Behinderung beeinträchtigt, so richtet sich die Notwendigkeit eines Hilfsmittels in erster Linie danach, ob dadurch der Bewegungsradius in diesem Umfang erweitert wird, den ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß erreicht. Zu einer solchen Einschränkung wurde nichts ausgeführt, insbesondere ist nicht davon auszugehen, daß die Bewegungsfähigkeit des Klägers eingeschränkt ist, denn eine solche Einschränkung gehört nicht zu dem Krankheitsbild des Prader-Willi-Syndroms.
Somit ist der Kläger auf andere Sozialversicherungssysteme bzw. auf die Reparatur der bereits zur Verfügung gestellten Fahrräder zu verweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).