Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 13.11.2014, Az.: S 2 U 106/12

Grundsätze der Anerkennung einer Berufskrankheit (hier: BK 2108 und BK 2109) in der gesetzlichen Unfallversicherung

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
13.11.2014
Aktenzeichen
S 2 U 106/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 29132
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2014:1113.S2U106.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - AZ: S 2 U 106/12

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit nach den Ziffern 2108 und 2109 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (= BKV) (hier: BK 2108 und BK 2109).

Zur beruflichen Belastungssituation: Der im Jahr 1965 geborene Kläger absolvierte von 1981 bis 1984 eine Lehre zum Fleischer und arbeitete danach von 1984 - 2011 bei unterschiedlichen Schlachtbetrieben als Ausbeiner und Zerleger, zuletzt von 2006 - 2011 bei der Fa. G ... Hinsichtlich der mit den einzelnen Arbeitsverhältnissen einhergehenden Wirbelsäulenbelastungen wird auf den Bericht der Präventionsabteilung der Beklagten vom 18.08.2011 (Bl. 103 ff. der Akte der Beklagten (= BA)) und die Angaben des Klägers in den entsprechenden Erhebungsbögen (Bl. 105 ff. BA) vollinhaltlich Bezug genommen. Nach der Mitteilung der Fa. G. vom 26.04.2011 sei die dortige Tätigkeit nicht mit Heben und Tragen verbunden gewesen. Der Kläger habe lediglich Arbeiten am Band ausgeführt (Bl. 19 der Akte der Beklagten (= BA)). Die Belastungsabschätzung von Herrn Dipl.-Phys. H. vom 25.08.2011 ergab, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2108 vorliegen, nicht jedoch diejenigen der BK 2109. Insoweit sei bei keinem der Betriebe eine gefährdende Tätigkeit ausgeübt worden (Bl. 109 ff. BA). Der Kläger gab jedoch im weiteren Verlauf an, dass er auch Lasten auf den Schulter getragen habe. In der mündlichen Verhandlung hat er ausgeführt, dass er in der Zeit vor 1993 etwa für einen Zeitraum von 10 Jahren Schweine- und Rinderteile auf der Schulter getragen habe. Dies sei insbesondere beim Verladen der Fall gewesen. Nach seiner Einschätzung seien die Verladevorgänge ca. 3 - 4 Tage in der Woche für jeweils mehrere Stunden ausgeübt worden. Nach 1993 habe er keine schweren Lasten mehr auf der Schulter getragen.

Zur Entwicklung der Wirbelsäulenerkrankung: Am 15.05.2002 wurde von der Lendenwirbelsäule (= LWS) des Klägers eine Magnetresonanztomographie (= MRT) angefertigt. Dabei konnten jedoch lediglich ganz diskrete, beginnende Veränderungen in den Segmenten L 3/4 und L 4/5 festgestellt werden. Es wurde ausgeführt, dass an der gesamten LWS kein Diskusprolaps vorliegen würde und auch aufgrund eines Vorunfalls aus dem Jahr 1986 keine posttraumatischen Veränderungen im LWS-Bereich zu erkennen seien.

Am 25.06.2003 zog sich der Kläger eine Prellung der linken Schulter zu, was am 11.09.2003 zu einer Operation führte. Vom 13.05.2004 - 04.06.2004 befand er sich aufgrund der Diagnosen "erhebliche thorakolumbale Dysbalancen, in Fehlstellung verheilter und konsolidierter Fersenbeintrümmerbruch rechts und Impingementsyndrom des linken Schultergelenks bei Zustand nach Schulterprellung" zur stationären Behandlung im Klinikum I. (Bl. 69 BA). Am 26.05.2008 fand bei Dr. J. eine Behandlung der Wirbelsäule statt. Im Bericht vom 13.07.2011 führte er aus, dass der Kläger zuhause beim Heben eines Betonrings verunfallt sei. Es würden belastungsabhängige Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule (= BWS) und eine Interkostalneuralgie bestehen. Am 21.11.2008 hätten jedoch keine objektiven Beschwerden von Seiten des Rückens mehr bestanden (Bl. 72 f. BA).

Am 18.02.2009 wurde eine MRT der unteren BWS und der LWS durchgeführt. Dabei ergab sich ein "altersentsprechender regelrechter Befund ohne Hinweise auf neurale Kompression oder Bandscheibenvorfälle" (Bl. 76 BA).

Bei einer am 12.01.2010 durchgeführten MRT der Halswirbelsäule (= HWS) wurde "eine multisegmentale Osteochondrose und Uncovertebral-Arthrose mit entsprechenden Anbauten und zusätzlich Protrusion mit z.T. prolapsartigen, präforaminalen Akzentuierungen (Dorsalverlagerungen von Bandscheibengewebe)" festgestellt (Bl. 2 BA). Es wurde ausgeführt, dass daraus vor allem in den Segmenten C 3 - 7 z. T. sehr enge Neuroforamina resultieren würden. Bei einer am 04.11.2010 durchgeführten MRT der HWS wurde gegenüber den Aufnahmen vom Januar 2010 "im Segment C 6/7 rechtsseitig ein neu aufgetretener Prolaps" festgestellt (Bl. 3 BA).

Im Bericht vom 09.05.2011 führte der behandelnde Orthopäde Dr. K. schließlich aus, dass der Kläger im Jahr 2007 eine Zerrung der Schulter erlitten habe und die jetzigen Beschwerden an der HWS und der BWS nach dessen Angaben seit ca. 2,5 Jahren bestehen würden. Derzeit würden ein Hartspann der cervikalen Muskulatur, Myogelosen und eine konzentrische Bewegungseinschränkung der HWS vorliegen. Die Seitdrehung, die Neigung und Reklination der HWS nach links würden ziehende Schmerzen im Dermatom C 6/7 auslösen. Eine auffällig veränderte periphere Neurologie würde jedoch nicht vorliegen (Bl. 22 BA).

Zum berufsgenossenschaftlichen Feststellungs- und Widerspruchsverfahren: Mit dem Schreiben vom 25.03.2011 beantragte der Kläger die Anerkennung einer Berufskrankheit. Darin führte er aus, dass er seit 1984 als Kopfschlachter und Ausbeiner im Akkord tätig sei. Jetzt seien seine Halswirbel kaputt und er habe einen Bandscheibenvorfall. Im Verwaltungsverfahren sollte zunächst Dr. L. ein Gutachten nach Aktenlage erstatten. Dr. L. hat den Auftrag jedoch zurückgegeben, weil er ein Gutachten mit Untersuchung des Klägers erstatten wollte, die Beklagte jedoch nur eine Begutachtung nach Aktenlage für erforderlich gehalten hatte (Bl. 135 BA). In der Stellungnahme vom 09.12.2011 führte die beratende Ärztin der Beklagten, Dr. M., aus, dass im LWS-Bereich keine altersüberschreitenden Befunde und keine bandscheibenbedingte Erkrankung vorliegen würden (Bl. 144 BA). Mit dem Bescheid vom 17.01.2012 wurde die Anerkennung einer BK 2108 und einer BK 2109 abgelehnt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im LWS-Bereich kein altersüberschreitender Befund und keine belastungsadaptiven Faktoren vorliegen würden. Hinsichtlich der BK 2109 seien bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt, da der Kläger nicht in einem Zeitraum von 10 Jahren und in der überwiegenden Anzahl der Schichten Lasten von mindestens 50 kg auf der Schulter getragen habe (Bl. 150 BA). Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch wurde geltend gemacht, dass die Beklagte ihre Entscheidung nicht nur auf eine Begutachtung nach Aktenlage hätte stützen dürfen. Der Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 02.07.2012 zurückgewiesen. (Bl. 161 BA).

Zum Klageverfahren: Hiergegen hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers am 25.07.2012 beim Sozialgericht (= SG) Lüneburg Klage erhoben. Das Klageverfahren konzentrierte sich im weiteren Verlauf zunächst ausschließlich auf die Anerkennung einer BK 2109. Es wurde insbesondere geltend gemacht, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht ordnungsgemäß ermittelt worden seien, weil der Kläger keine Gelegenheit gehabt habe, der Gutachterin zu demonstrieren, in welcher Weise er die Schweinehälften, Rinderviertel und Kisten bewegt habe, nämlich unter Einsatz seines Oberkörpers im Halsbereich. Ein Gutachten nach Aktenlage sei daher entsprechend den Ausführungen von Dr. L. nicht ausreichend gewesen. Im Übrigen sei die Tätigkeit als Ausbeiner per se hws-belastend. Daher sei zu vermuten, dass die Schäden an der HWS durch die berufliche Tätigkeit entstanden seien.

Demgegenüber hat die Beklagte eingewandt, dass der Einsatz des Oberkörpers im Halsbereich nicht als belastende Tätigkeit i. S. der BK 2109 angesehen werden könne. Erforderlich hierfür sei vielmehr ein Tragen der Lasten auf den Schultern. Das Anheben von Rinderkeulen vom Zerlegeband würde durch ein Tragen der Lasten vor dem Körper erfolgen. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers ein Tragen auf der Schulter annehmen würde, werde insoweit eine Nettotragezeit von einer Stunde/Schicht nicht erreicht. Der Prozessbevollmächtigte hat daraufhin wiederum entgegnet, dass eine hws-schädigende Tätigkeit von 2 Stunden/Schicht festgestellt werden könne, wenn der Kläger einem Gutachter die Tragevorgänge und die Auswirkungen auf die HWS demonstrieren könne. Im Übrigen habe der Kläger bis 1993 Lasten in erheblichem Umfang auf der Schulter getragen.

Schließlich hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass im Fall des Klägers auch der Unterlassungstatbestand nicht erfüllt sei. Da die HWS-Beschwerden erstmals im Jahr 2007 aufgetreten seien, hätten die Veränderungen der HWS für das tatsächliche Unterlassen der Tragetätigkeit auf der Schulter keine Rolle gespielt.

In der mündlichen Verhandlung hat Dr. N. ein Gutachten erstellt, nachdem er den Kläger zuvor am 14.10.2014 untersucht hatte. Auch er ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Unterlassungstatbestand nicht erfüllt ist, weil seit 1993 keine schweren Lasten mehr auf der Schulter getragen worden seien und Hinweise auf HWS-Beschwerden frühestens erst seit dem Jahr 2007 existieren würden. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS sei im Übrigen erstmalig im Jahr 2010 magnetresonanztomographisch gesichert worden. Die große zeitliche Differenz seit 1993 würde daher einen Kausalzusammenhang nicht als wahrscheinlich erscheinen lassen. Außerdem seien im Bereich der HWS keine belastungsadaptiven Faktoren vorhanden. Eine BK 2108 könne ebenfalls nicht anerkannt werden, da an der LWS kein alters-vorauseilender Befund vorliegen würde.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,

  1. 1.)

    den Bescheid der Beklagten vom 17.01.2012 und den Widerspruchsbescheid vom 02.07.2012 aufzuheben,

  2. 2.)

    festzustellen, dass beim Kläger eine Berufskrankheit nach den Ziffern 2108 und/oder 2109 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Entscheidung lagen die Gerichtsakten sowie die Akten der Beklagten zugrunde. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig (§ 54 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nrn. 1, 3 SGG); sie ist jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, da eine BK 2108 bzw. BK 2109 nicht festgestellt werden kann.

Für die Anerkennung einer Berufskrankheit gelten in der gesetzlichen Unfallversicherung folgende Grundsätze: Während die gesundheitsschädlichen beruflichen Einflüsse (d. h. im konkreten Fall die arbeitstechnischen Voraussetzungen) und die Erkrankung als solche mit Gewissheit bewiesen werden müssen, ist für die Feststellung des Zusammenhangs zwischen den beruflichen Einwirkungen und dem Gesundheitsschaden (haftungsausfüllende Kausalität) ein hinreichender Grad von Wahrscheinlichkeit erforderlich. Dieser ist nach der Rechtsprechung erst dann erreicht, wenn bei einem vernünftigen Abwägen aller Umstände die auf eine berufliche Verursachung hinweisenden Faktoren deutlich überwiegen (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38). Eine Möglichkeit verdichtet sich erst dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar, § 8 SGB VII, Rz. 10 ff.). Die reine Möglichkeit eines solchen Zusammenhangs ist daher für eine Anerkennung nicht ausreichend (BSG, Urt. v. 27.06. 2000 - B 2 U 29/99 R, S. 8 f.; Urt. v. 02.05.2001 - B 2 U 16/00 R, S. 7 m. w. N.; Landessozialgericht (= LSG) Niedersachsen, Urt. v. 25.07.2002 - L 3/9/6 U 12/00, S. 6).

Weiterhin ist zu beachten, dass nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht jede Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt werden kann. Gem. § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB VII) sind Berufskrankheiten vielmehr nur solche Krankheiten, welche in der Anlage 1 zur BKV im Einzelnen bezeichnet sind und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeiten erleiden (sog. Listenerkrankungen). Streitgegenständlich sind hier nur eine BK 2108 und eine BK 2109.

Als BK 2108 sind anerkennungsfähig:

"Bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlim- merung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können."

Bei Anwendung der o. g. Kriterien kann hier keine BK 2108 anerkannt werden. Dies ergibt sich aus der überzeugenden Stellungnahme von Dr. M. und dem Gutachten von Dr. N ... Danach kann bereits eine bandscheibenbedingte Erkrankung des LWS nicht im Vollbeweis gesichert werden. Dr. N. hat schlüssig dargelegt, dass erstmals im Jahr 2002 kernspintomographische Untersuchungen der LWS durchgeführt wurden und dabei weder belastungs-typische Umbaureaktionen, noch eine Verschmälerung der Bandscheibenzwischenräume geschweige denn ein Bandscheibenvorfall festgestellt werden konnten. Entsprechendes ergibt sich aus der MRT vom 18.02.2009. Die entsprechenden Beschwerden des Klägers lassen sich vielmehr zwanglos den Veränderungen an der BWS zuordnen, die jedoch nicht im Rahmen der BKV versichert ist.

Nach der Ziffer 2109 sind anerkennungsfähig:

"Bandscheibenbedingte Erkrankungen der HWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten auf den Schultern, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können."

Auch eine BK 2109 kann nicht anerkannt werden. Dabei kann es dahinstehen, ob im vorliegenden Fall die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind. Allerdings ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass das BSG im Urteil vom 04.07.2013 (B 2 U 11/12 R) nochmals ausdrücklich bestätigt hat, dass die Anerkennung einer BK 2109 das langjährige Tragen von schweren Lasten auf der Schulter erfordert, wobei dies zusätzlich mit einer Zwangshaltung einhergehen muss. Für die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen können daher nur solche Arbeitsvorgänge berücksichtigt werden, bei denen schwere Lasten auf der Schulter getragen wurden. Eine analoge Anwendung der Vorschrift für andere Zwangshaltung der HWS ist daher nicht möglich (vgl. hierzu auch das Urt. des Bayerischen LSG vom 06.06.2012 - L 18 U 375/09).

Zwar hat der Kläger vorgetragen, dass er in der Zeit vor 1993 etwa für einen Zeitraum von 10 Jahren die Teile der Schweine und Rinder insbesondere bei Verladevorgängen ca. 3 - 4 Tage in der Woche für jeweils mehrere Stunden auf der Schulter getragen hat. Unter Berücksichtigung der o. g. Entscheidung des BSG, in der darauf hingewiesen wurde, dass sich eine Mindestbelastungszeit/Arbeitsschicht weder aus den Materialien, noch aus dem Merkblatt zur BK 2109 noch aus sonstigen Hinweisen zur Auslegung des Tatbestands der BK 2109 entnehmen lässt (Rz. 18 - 20), könnten daher beim Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen theoretisch erfüllt sein. Selbst bei Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen existiert aber nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Vermutung dafür, dass eine im Einzelfall vorliegende bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS allein ursächlich oder wesentlich mitursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist (vgl. BSG, Urt. v. 18.11.1997 - 2 RU 48/96 = SGb 1999, 39 - 41; LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 26.08. 2008 - L 9 U 61/06, m. w. N.). Es sind insbesondere nicht die Grundsätze des Anscheinsbeweises anzuwenden (BSG, a. a. O.). Zur Begründung der Ursächlichkeit im Rechtssinne bedarf es vielmehr eines über die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen hinausreichenden positiven Nachweises einer überwiegenden berufsbedingten Verursachung im konkreten Einzelfall. Dieser kann nicht bereits dadurch erbracht werden, dass Umstände, die gegen eine Verursachung sprechen oder diese gar ausschließen, nicht vorliegen. Das bloße Fehlen solcher "Negativ-Kriterien" kann die Verursachung immer nur i. S. einer neutralen Beweislage zwar möglich, nicht aber wahrscheinlich machen (LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 26.08.2008 - L 9 U 61/06).

Eine Vertiefung dieser Fragen ist jedoch nicht erforderlich, weil im vorliegenden Fall die Anerkennung einer BK 2109 schon daran scheitert, dass der sog. Aufgabetatbestand nicht erfüllt ist. Nach dem Verordnungstext kann eine Anerkennung nur dann erfolgen, wenn die bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können." Der Versicherungsfall einer Berufskrankheit erst somit erst dann eingetreten, wenn alle der in der entsprechenden Ziffer der BKV genannten belastenden Tätigkeiten vollständig aufgegeben wurden (BSG, Urt. v. 22.08.2000 - B 2 U 34/99; Urt. v. 19.08. 2003 - B 2 U 27/02 R). Nach den vorliegenden medizinischen Erkenntnissen kann eine BK 2109 wiederum nur entstehen, wenn Lasten über 50 kg über einen Zeitraum von mindestens 8 Jahren auf der Schulter getragen werden, wobei der Tragevorgang zusätzlich mit einer Zwangshaltung einhergehen muss (vgl. BSG, Urt. v. 04.07.2013 - B 2 U 11/12 R). Solche Tätigkeiten hat der Kläger aber nach seinem eigenen Vorbringen nur bis 1993 ausgeübt. Zu diesem Zeitpunkt lässt sich jedoch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS nicht i. S. des Vollbeweises feststellen. Ein solcher Nachweis konnte vielmehr erst durch die MRT-Untersuchungen vom 12.01.2010 und vom 04.11.2010 geführt werden. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS hat daher nicht zum Unterlassen einer gefährdenden Tätigkeit gezwungen.

Im Übrigen ist nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. N. aufgrund des langen Zeitraums zwischen 1993 und dem Nachweis der HWS-Schäden im Jahr 2010 deren berufliche Entstehung nicht wahrscheinlich, zumal auch belastungstypische Veränderungen an der HWS nicht vorhanden sind. In diesem Zusammenhang sei nochmals darauf hingewiesen, dass für die Entstehung der BK 2109 nur solche Verrichtungen berücksichtigt werden können, die im Verordnungstext auch genannt sind (= Tragen schwerer Lasten auf der Schulter). Arbeitsvorgänge, die eine vergleichbare Belastung suggerieren mögen, müssen demgegenüber bei der Ursachenzuordnung außen vor bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Es sei jedoch aus gegebenem Anlass darauf hingewiesen, dass gem. § 192 Abs. 4 SGG das Gericht einer Behörde ganz oder teilweise die Kosten auferlegen kann, die dadurch verursacht werden, dass die Behörde erkennbare notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt wurden. Aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens war es in der Tat angezeigt, dass eine ambulante Untersuchung des Klägers durch einen Sachverständigen erfolgt, der die belastenden Tätigkeiten zu dem Schadensbild in Beziehung setzt. Da im vorliegenden Verfahren bezüglich einer solchen Kostenauferlegung kein Hinweis an die Beklagte erfolgte, sieht die Kammer hiervon ab. In Ansehung der extremen Belastungssituation wird jedoch künftig eine solche Kostenauferlegung verstärkt in den Focus geraten, wenn die notwendige Sachverhaltsaufklärung auf die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit abgewälzt wird.