Sozialgericht Lüneburg
v. 14.10.2014, Az.: S 1 R 360/11

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
14.10.2014
Aktenzeichen
S 1 R 360/11
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2014, 42431
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ab welchem Zeitpunkt dem Kläger eine höhere Altersrente auf Grund eines durchgeführten Versorgungsausgleichs zu gewähren ist.

Dem am 07.03.1942 geborenen Kläger gewährte die Beklagte seit dem 01.04.2007 eine Regelaltersrente i. H. v. 569,55 €/M brutto (Bescheid vom 26.02.2007 - Bl. 48 der Akte der Beklagten <= VA>).

Vom 21.07.1989 – 01.03.2010 war der Kläger mit der Versicherten Dr. E. (im Folgenden: Versicherte) verheiratet. Die Ehe wurde durch das Urteil des Amtsgerichts (= AG) Lüneburg vom 01.03.2010 (Verkündungsdatum) geschieden (Az.: 29 F 109/09). Hinsichtlich der Feststellungen zum Versorgungsausgleich, d. h. hier der von der Versicherten auf das Rentenkonto des Klägers zu übertragenden Anwartschaften, wird vollinhaltlich auf den Tenor dieses Urteils unter der Ziffer II. Bezug genommen (= Bl. 10 der Akte des Sozialgerichts).

Die hiergegen in Bezug auf die Regelungen des Versorgungsausgleichs erhobene Beschwerde der Versicherten wurde mit dem Beschluss des Oberlandesgericht (= OLG) Celle vom 17.05.2010 zurückgewiesen (Az. 17 UF 34/10 - Bl. 103 ff. VA). Nach der Mitteilung des AG Lüneburg vom 04.08.2010 ist die Entscheidung des AG Lüneburg vom 01.03.2010 seit dem 03.08.2010 rechtskräftig (Bl. 107 VA).

Mit dem Bescheid vom 17.08.2010 wurde die Rente des Klägers unter Berücksichtigung der durch den Versorgungsausgleich übertragenen Anwartschaften für die Zeit ab dem 01.09.2010 neu berechnet und ab diesem Zeitpunkt in einer Höhe von 1.375,35 €/M brutto gezahlt (Bl. 109 VA). Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dass die Rente nicht erst ab der Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung, sondern schon ab dem 01.07.2009, hätte erhöht werden müssen. Nach der Entscheidung des Familiengerichts seien die Anwartschaften bezogen auf das Ende der Ehezeit, d. h. den 30.06.2009, übertragen worden. Der Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 19.05.2011 zurückgewiesen. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Entscheidung über den Versorgungsausgleich gem. § 224 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (= FamFG) erst ab dem Eintritt der Rechtskraft wirksam durchgeführt sei (Bl. 142 VA). Da im vorliegenden Fall die Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung über den Versorgungsausgleich erst am 03.08.2010 eingetreten sei, könne die Rente gem. § 101 Abs. 3 S. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB VI) erst ab dem 01.09.2010 erhöht werden.

Hiergegen hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 23.06.2011 beim Sozialgericht (= SG) Lüneburg Klage erhoben. Er hat insbesondere geltend gemacht, dass § 224 Abs. 1 FamFG vom Beklagten unzutreffend interpretiert worden sei, weil auf den Inhalt der familiengerichtlichen Entscheidung abzustellen sei. Eine andere Interpretation würde gegen Art. 3 des Grundgesetzes (= GG) verstoßen, weil es ansonsten vom Zufall und der Bearbeitungsdauer der Gerichte abhängen würde, wann eine Rente unter Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs gezahlt würde.

Der Prozessbevollmächtige des Klägers beantragt,

1.) den Bescheid des Beklagten vom 17.08.2010 und den Widerspruchsbescheid vom 19.05.2011 aufzuheben,

2.) den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die Altersrente unter Berücksichtigung der im Urteil des AG Lüneburg vom 01.03.2010 - 29 F 109/09 S - enthaltenen Feststellungen zum Versorgungsausgleich ab dem 01.07.2009 in Höhe von mindestens monatlich 1.375,35 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage anzuweisen.

Der Entscheidung lagen die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten zugrunde. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, da der Kläger keinen Anspruch darauf hat, dass seine Altersrente schon vor dem 01.09.2010 unter Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs zu zahlen ist.

Nach § 101 Abs. 3 S 1 SGB VI wird die Rente der leistungsberechtigten Person von dem Kalendermonat an um Zu- oder Abschläge an Entgeltpunkten verändert, zu dessen Beginn der Versorgungsausgleich durchgeführt ist. Die §§ 24 und 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB X) sind dabei nicht anzuwenden. Gem. § 52 Abs. 1 S. 3 SGB VI ist ein Versorgungsausgleich durchgeführt, wenn die Entscheidung des Familiengerichts wirksam ist. Entscheidungen über den Versorgungsausgleich werden erst mit dem Eintritt ihrer Rechtskraft wirksam (§ 224 Abs. 1 FamFG). Die Rechtskraft tritt ein, wenn das Verfahren nach Ablauf der Rechtsmittelfrist abgeschlossen wurde (formelle Rechtskraft nach § 45 FamFG). Außerdem ist zu beachten, dass eine Entscheidung über den Versorgungsausgleich nicht vor der Rechtskraft des Scheidungsausspruchs wirksam wird (§ 148 FamFG). Daraus ergibt sich, dass der Versorgungsausgleich erst dann durchgeführt ist, wenn die entsprechende Entscheidung rechtskräftig ist. Dieses Datum ist wiederum der Entscheidung des Rentenversicherungsträgers bei der Anwendung des § 101 Abs. 3 S. 1 SGB VI zugrunde zu legen. Da nach der Mitteilung des AG Lüneburg die Entscheidung vom 01.03.2010 seit dem 03.08.2010 rechtskräftig ist, war die Rente des Klägers deshalb ab Beginn des Folgemonats unter Berücksichtigung der Zuschläge aus dem Versorgungsausgleich (vgl. § 76 SGB VI) zu zahlen.

Es sei darauf hingewiesen, dass über die hier streitigen Rechtsfragen das Bundessozialgericht (= BSG) im Wesentlichen bereits im Jahre 1991 entschieden hat (BSG SozR 3-2200, § 1304b Nr. 1). Diese Rechtsprechung wurde inzwischen vom BSG auch für das derzeit geltende Rentenrecht bestätigt (BSG, Urt. v. 22.04.2008 - B 5a R 72/07 R).

Für die vom Kläger beanspruchte frühere Rentenerhöhung findet sich weder in den allgemeinen rentenrechtlichen Bestimmungen noch in speziellen Vorschriften eine Anspruchsgrundlage. § 76 SGB VI enthält nur Regelungen darüber, wie der Rentenversicherungsträger die Übertragung von Rentenanwartschaften durch den Versorgungsausgleich in der Rentenberechnung umzusetzen hat, aber keine Aussage zum Zeitpunkt der sich daraus gegebenenfalls ergebenden Rentenerhöhung. Ebenso wenig treffen die familienrechtlichen Vorschriften der §§ 1587 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (= BGB) eine Bestimmung über den Zeitpunkt, zu dem die Übertragung von Anwartschaften auf laufende Renten zu berücksichtigen ist.

Es kann insbesondere auch nicht zu Gunsten des Klägers auf die Zeitpunkte der Beschlussfassung durch das AG Lüneburg, der Zustellung dieses Beschlusses oder einen noch früheren Zeitpunkt abgestellt werden. Der Beschluss des AG Lüneburg hatte vor Eintritt der Rechtskraft nämlich noch keine rechtsgestaltende Wirkung, so dass die zu übertragenden Anwartschaften vor Eintritt der Rechtskraft nicht dem Konto der Kläger gutgeschrieben werden konnten. Auf einem Versicherungskonto (noch) nicht vorhandene Entgeltpunkte können für eine Rentengewährung nicht berücksichtigt werden. Aus § 224 FamFG ergibt weiterhin sich – ebenso wie aus der vorangehenden, inhaltsgleichen Vorschrift des § 53 g Abs. 1 des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit (= FGG) –, dass das rentenrechtliche Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten erst mit dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung durch die Übertragung (zusätzlicher) Werte auf das Rentenkonto der Kläger wirksam umgestaltet werden kann. Vor der Wirksamkeit dieser rechtsbegründenden - konstitutiven - Entscheidung über den Versorgungsausgleich hatte der Kläger eine neue, für ihn günstigere Rechtsposition nicht erlangt; erst mit ihrer Wirksamkeit wurde die Beklagte verpflichtet, den Zuschlag an Entgeltpunkten bei der bereits bewilligten Rente zu berücksichtigen. Maßgeblicher Zeitpunkt, ab dem die durch den Versorgungsausgleich eingetretenen neuen Verhältnisse in Form eines Rentenzuschlags zu berücksichtigen sind, kann daher nur der Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung über den Versorgungsausgleich sein (BSG, Urt. v. 22.04.2008 - Az. B 5a 72/07 R zu § 53 g Abs. 1 FGG).

Für die Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers, den durchgeführten Versorgungsausgleich rentenrechtlich umzusetzen, ist es auch grundsätzlich unerheblich, aus welchen Gründen es zu einer Verzögerung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich gekommen ist. Eine andere Betrachtung würde dazu führen, dass im Rahmen des Verfahrens der gesetzlichen Rentenversicherung in eine entsprechende Prüfung eingetreten werden müsste, aus welchen und von wem zu vertretenden Gründen es zu einer Verzögerung der familiengerichtlichen Entscheidung über den Versorgungsausgleich gekommen ist. Dies würde dem Erfordernis nach Rechtsklarheit und Rechtssicherheit über den Zeitpunkt der rechtsgestalteten Wirkung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich zuwiderlaufen. Es ist daher für den Beginn der - höheren - Rente unbeachtlich, ob der Ausgleichsberechtigte selbst zur Verzögerung des familiengerichtlichen Verfahrens beigetragen hat oder andere von ihm nicht zu vertretende Umstände hierfür verantwortlich waren. Das wirtschaftliche Risiko einer Verzögerung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich tragen die früheren Ehegatten selbst. Zu Recht hat das BSG auch die Bedeutung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bei der Gestaltung und Durchführung des Versorgungsausgleichs für alle Beteiligten betont (BSG SozR 3-2200 § 1304b Nr. 1 S. 6). Denn dieser betrifft nicht nur die gegensätzlichen Interessen der geschiedenen Eheleute untereinander, sondern auch des jeweiligen Ehegatten im Verhältnis zu der vom Rentenversicherungsträger repräsentierten Versichertengemeinschaft. Eine Auslegung, die spezielle Härten bei einem Beteiligten zu vermeiden sucht, kann für die anderen daher sehr leicht gesetzlich nicht gerechtfertigte Folgen zeitigen, die wegen der Komplexität des Versorgungsausgleichs nicht gleich erkennbar sind. Insofern hat die Bindung der Rentenerhöhung an das klare und leicht festzustellende Kriterium der Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung über den Versorgungsausgleich großes rechtliches Gewicht (BSG, Urt. v. 22.04.2008 – Az. B 5a 72/07 R).

Schließlich bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, in Fällen dieser Art auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung über den Versorgungsausgleich abzustellen. Die Kammer schließt sich auch insoweit den entsprechenden Ausführungen des BSG im Urteil vom 22.04.2008 - Az. B 5a 72/07 R - nach eigener Urteilsbildung vollinhaltlich an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.