Sozialgericht Lüneburg
v. 04.06.2014, Az.: S 1 R 18/13

Gewährung einer Witwenrente als Hinterbliebenenversorgung (hier: Versorgungsehe)

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
04.06.2014
Aktenzeichen
S 1 R 18/13
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2014, 22930
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2014:0604.S1R18.13.0A

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Witwenrente.

Die am 04.09.1940 geborene Klägerin schloss mit dem am 22.11.1939 geborenen Versicher-ten Herrn E. (hier: Herr M.) am 20.12.2011 die Ehe. Am 30.03.2012 ist Herr M. verstorben.

Am 20.04.2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Witwenrente. Mit dem Schreiben vom 14.04.2012 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass eine Wit-wenrente gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI ausgeschlossen sei, da die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert habe und die gesetzliche Vermutung, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung zu be-gründen, bislang nicht widerlegt sei. Daraufhin trug die seinerzeitige Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor, dass die Klägerin mit ihrem Sohn bereits am 15.10.1989 zu Herrn M. gezogen sei und sie daher schon 22 Jahre vor der Heirat in einem Haushalt als Familie zusam-mengelebt hätten. Die Klägerin habe sich um den gemeinsamen Haushalt und den Garten, Herr M. um den landwirtschaftlichen Betrieb, in den sie sich im Laufe der Jahre eingearbeitet habe, gekümmert. Zuletzt seien beide Rentner gewesen. Die Klägerin habe eine eigene Rente von ca. 950,00 EUR, Herr M. eine solche von ca. 1000,00 EUR bezogen. Hiervon sei auch der gemeinsame Lebensunterhalt finanziert worden. Als die Klägerin bei Herrn M. 1989 eingezo-gen sei, seien die Möbel und der Hausrat komplett neu angeschafft worden. 1992 habe sich das Paar gemeinsam ein Wohnmobil und im Jahr 1995 eine neue Küche gekauft. Seit 5 Jah-ren habe die Klägerin eine Kontovollmacht über das Girokonto von Herrn M. besessen, der seinerseits eine Vollmacht für das Konto der Klägerin gehabt habe. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sei daher eine Versorgungsehe auszuschließen. Auch die lange Dauer des Zusammenlebens würde gegen eine Versorgungsehe sprechen. Denn es sei 1989 bereits klar gewesen, dass das Paar habe zusammenbleiben wollen. Darüber habe man sich oft unterhal-ten. Im Übrigen habe Herr M. der Klägerin bereits vor 6 Jahren einen Heiratsantrag gemacht. Dieser sei ihr jedoch zu plump gewesen, da er die Ringe einfach unter den Weihnachtsbaum gelegt habe, wo sie diese erst am nächsten Tag zufällig entdeckt habe. Es sei damals nur deshalb nicht zu einer Heirat gekommen, weil sich die Klägerin einen Heiratsantrag romanti-scher vorgestellt habe. Bei der Heirat am 20.12.2011 hätten dann die romantischen Voraus-setzungen für die Klägerin gestimmt. Mit einem so baldigen Tod von Herrn M. habe sie nicht gerechnet.

Aus beigezogenen medizinischen Unterlagen ergab sich allerdings, dass bei Herrn M. im Oktober 2011 ein Sigmakarzinom diagnostiziert wurde. Im Klinikum F. er-folgte daraufhin am 10.10.2011 eine operative Teilentfernung des Mastdarms unter Mitnahme eines Teils des Bauchfells und des Wurmfortsatzes, da während des operativen Eingriffs eine entsprechende Metastasierung festgestellt worden war. Ferner wurde ein künstlicher Darmausgang gelegt. Am 20.11.2011 erlitt Herr M. zudem einen Hirninfarkt und wurde deswegen in der Zeit vom 22.11.2011 in der neurologischen Abteilung des G. behandelt. Dort ergab sich im weiteren Verlauf der stationären Behandlung keine Verbesserung der körperlichen und kognitiven Be-lastbarkeit und des neurologischen Störungsbildes, da die Tumorerkrankung zunehmend das Krankheitsgeschehen beherrschte. Im Entlassungsbericht wurden u. a. folgende Diagnosen angegeben:

- Hirninfarkt rechts (anterior sowie multiple kleine Mediainfarkte) durch Embolie zerebraler Arterien am 20.10.2011, - höchstgradige Stenose der Arteria carotis interna rechts, Harnwegsinfekt, - Enterokokken als Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind, - stenosierendes siegelringzelliges Sigmaadenokarzinom, - anteriore Rektumresektion, - Peritonealkarzinose, Chemotherapie 13.10.2011, - V. a. Hypophysenmakroadenom, - Anämie infolge Tumorleiden, - Dekubitalgeschwür 3. Grades, sakral, - koronare Herzkrankheit, - arterieller Hypertonus, - inkomplette Hypästhesie der Haut links (Extremitäten), - schlaffe Hemiparese links, - V. a. Polyneuropathie durch sonstige toxische Agenzien (Chemotherapie), - chronische Nierenkrankheit, Stadium 3, passager dekompensiert, - Hyperurikämie, - Vorhandensein eines Ileostomas, - transistorische ischämische Attacke rechts cerebral am 19.10.2011, - Gonarthrose beidseitig.

Am 08.12.2011 erfolgte die Verlegung in das Alten- und Pflegeheim H., wo sich der Gesund-heitszustand von Herrn M. abermals verschlechterte. So wurde nach anhaltendem Erbrechen am 19.12.2011 eine Magensonde angelegt und außerdem der palliative Dienst eingeschaltet. Dem Krankenblatt vom 19.12.2011 zufolge war an diesem Tag eine weitere Verschlechterung des allgemeinen Zustands zu erwarten, da sich herausgestellt hatte, dass die distale Naht am Colon brüchig war. In dem Krankenblatt wurde auch aus-geführt, dass hierüber ein Gespräch mit den Angehörigen geführt wurde. In dieser Situation wurde am 20.12.2011 im Pflegeheim die Ehe geschlossen. Mit dem Bescheid vom 02.07.2012 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Hinterbliebenenrente ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Vermutung des § 46 Abs. 2 a SGB VI nicht widerlegt worden sei.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin geltend, dass der Tod von Herrn M. nicht aufgrund seiner Krebserkrankung, sondern plötzlich und unerwartet aufgrund einer Lungenentzündung eingetreten sei. Die Klägerin habe zusam-men mit ihren Kindern den landwirtschaftlichen Betrieb von Herrn M. weitergeführt, weil dies für ihn sehr wichtig gewesen sei und sie ihm dies stets versprochen habe. Außerdem habe Herr M. schon lange vor dem Auftreten der Erkrankung konkrete Heiratsabsichten gehabt, wobei zwei Motive hierfür wesentlich gewesen seien. Zum einen habe er sich die Betreuung und Pflege durch seine Ehefrau sichern wollen. Zum anderen sei er dabei einer religiösen Ein-gebung gefolgt, da er das starke Gefühl gehabt habe, dass seine Heirat Gottes Wille sei. Die-sem habe er unbedingt nachkommen wollen. Herr M. sei ein sehr gläubiger Mensch gewesen, der jeden Tag auch zusammen mit seinen Kindern gebetet habe. Als seine Krankheit aufge-treten sei, habe sich sein Glaube noch verstärkt. Er habe von der Schöpfungsgeschichte gesprochen, wo geschrieben stehe, dass es nicht gut sein, wenn der Mensch alleine sei. Außerdem habe Gott gesagt, dass man "ein Fleisch nicht trennen könne". Auch die Klägerin habe Herrn M. schon lange heiraten wollen, jedoch auf einen noch romantischeren Heiratsan-trag gewartet und sich die Hochzeit für einen ganz besonderen Moment aufsparen wollen. Darüber, dass einer von ihnen erkranken und bald versterben würde, habe sie nicht nachge-dacht. Die Klägerin habe sich dann für die Heirat entschieden, um den Wunsch ihres Ehe-mannes nachzukommen. Sie habe sich gefreut, nun ihre Liebe zu besiegeln. Sie habe auch gehofft, dass ihm dies Auftrieb in einer schweren Lebensphase geben würde. Genau dies sei auch geschehen, da Herr M. nach der Heirat noch einmal richtig aufgeblüht sei.

Der Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 11.12.2012 zurückgewiesen. Darin wurde außerdem darauf hingewiesen, dass aus den Pflegeprotokollen nach der Hochzeit weiterhin die Vergabe von Morphium zur Schmerzlinderung zu entnehmen sei. Zwar habe sich Herr M. ab dem 03.01.2012 in einem gebesserten Allgemeinzustand befunden. Seitens der behandelnden Ärzte und Pflegekräfte sei jedoch von einer langfristig ungünstigen Prog-nose ausgegangen und der palliative Therapieansatz aufrechterhalten worden. Aus den Pfle-geprotokollen würde sich ergeben, dass darüber auch die Klägerin in Gesprächen informiert worden sei. Zwar sei die plötzlich aufgetretene Lungenentzündung ursächlich für den Tod von Herrn M. gewesen. Diese sei aber aufgrund der längeren Immobilisation von Herrn M. ent-standen.

Hiergegen hat die Klägerin durch ihre seinerzeitige Prozessbevollmächtigte am 09.01.2013 beim Sozialgericht (= SG) Lüneburg Klage erhoben und ihr Begehren weiterverfolgt. Im Schrift-satz vom 20.03.2014 hat die jetzige Prozessbevollmächtigte außerdem vorgetragen, dass Herr M. und die Klägerin auch deshalb so spät geheiratet hätten, weil sie sich nicht über den Ehenamen hätten verständigen können. Die Klägerin habe nicht "I." heißen wollen und Herr M. habe sich nicht vorstellen können, einen anderen als seinen Namen zu tragen. Zudem sei die Klägerin im Jahr 2010 selbst an Brustkrebs erkrankt. Erst nach der Überwindung dieser Krankheit hätten sich die Eheleute darauf verständigt, einen Doppelnamen für die Klägerin zu wählen. Außerdem habe sie nach ihrer Krebserkrankung erst wieder richtig auf die Beine kommen wollen, bevor sie heiratet. Durch die Krebserkrankung ihres Ehemannes habe die Hochzeit erneut verschoben werden müssen. Der behandelnde Arzt habe der Klägerin jedoch zu verstehen gegeben, dass ihr Mann mit dieser Erkrankung noch einige Jahre leben könne. Im Übrigen habe Herr M. nicht die Absicht gehabt, im Pflegeheim zu bleiben. Er sei auch sehr optimistisch gewesen, dieses Ziel zu erreichen. Er habe bereits Pläne für die Zukunft gehabt und sei davon ausgegangen, das er bald wieder gesund werden würde, wieder Holzmachen und mit dem Wohnmobil Reisen unternehmen könne. Damit, dass er plötzlich und unerwartet eine Lungenentzündung bekommen habe, habe niemand rechnen können. Die Eheleute hätten eine Liebesheirat vollzogen. Das Zusammenleben sei nicht ohne Trauschein konzipiert gewesen.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,

  1. 1.

    den Bescheid der Beklagten vom 02.07.2012 und den Widerspruchsbescheid vom 11.12.2012 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 01.04.2012 eine große Witwenrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Entscheidung lagen die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten zugrunde. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, da die Klägerin keinen Anspruch auf eine Witwenrente hat.

Gem. § 46 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, u. a. dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Diese Voraussetzungen sind zwar vorliegend erfüllt, da die Klägerin die Witwe des am 30.03.2012 verstorbenen Versicherten Herrn M. ist, der wiederum die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt hatte. Sie hatte im Zeitpunkt des Todes von Herrn M. auch das 45. Lebensjahr vollendet.

Die Gewährung einer Witwenrente scheitert hier jedoch an § 46 Abs. 2a SGB VI, der mit Wir-kung vom 01.01.2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz vom 21.03.2001 (BGBl I 403) eingeführt worden ist und für alle seit dem 01.01.2002 geschlossenen Ehen gilt (vgl. § 242a Abs. 3 SGB VI). Danach ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umstän-den des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Da die Ehe zwischen der Klägerin und Herrn M. weniger als ein Jahr gedauert hat, nämlich vom 20.12.2011 bis 30.03.2012, ist der Tatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 1 SGB VI erfüllt.

Im vorliegenden Fall liegen aber keine besonderen Umstände vor, aufgrund derer trotz der kurzen Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwie-gende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Anknüpfung an die Ehedauer von weniger als einem Jahr enthält hierbei die gesetzliche Vermutung, dass beim Tod innerhalb dieses Zeitraums die Erlangung der Versorgung regel-mäßig das Ziel der Eheschließung war (vgl. BT-Drucksache 14/4595 S. 44). Sie kann wider-legt werden, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungs-ehe schließen lassen, was nach der Gesetzesbegründung zum Beispiel bei einem Unfalltod angenommen wird. Das Merkmal "besondere Umstände" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der von den Rentenversicherungsträgern und den Sozialgerichten mit Inhalt ausgefüllt werden muss und der vollen richterlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BSG, Urt. v. 05.05.2009 - B 13 R 55/08 R, m. w. N.). Darunter fallen alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Es kommt auf die Beweggründe, d.h. Motive und Zielvorstellungen, beider Ehegatten an. Die Annahme einer Versorgungsehe ist nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbe-trachtung und Abwägung der Beweggründe beider Eheleute für die Heirat ergibt, dass andere Beweggründe als die Versorgungsabsicht insgesamt den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind (vgl. Thüringer LSG, Urt. v. 29.10.2013 - L 6 R 1610/10).

In der o. g. Entscheidung hat das BSG die Vorschrift als verfassungskonform angesehen und darüber hinaus Folgendes ausgeführt: "Ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versor-gungsehe sprechender besonderer (äußerer) Umstand i. S. des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten, hinsichtlich dessen bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt war, unvermittelt ("plötzlich" und "unerwartet") eingetreten ist. Denn in diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, dem Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen. In der Gesetzesbegründung wird als ein Beispiel hierfür der "Unfalltod" genannt (BT-Drucks 14/4595 S 44). Hingegen ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichti-ger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war. Dementsprechend steigt mit dem Grad der Lebens-bedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zwei-fels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme ("Vermutung") einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jah-res nach Eheschließung angeführt werden." Die besonderen Umstände müssen außerdem nach § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 292 der Zivilprozessordnung (ZPO) mit Vollbeweis belegt werden (vgl. BSG, Urt. v. 03.09.1986 - 9a RV 8/84).

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist zunächst festzustellen, dass Herrn M. seit Oktober 2011 nicht nur an einer Darmkrebserkrankung litt. Vielmehr traten sich in der Folgezeit meh-rere gravierende Probleme hinzu, wie sie in der eindrucksvollen Liste der Diagnosen im Ent-lassungsbericht des J. vom 08.12.2011 aufgeführt sind (z. B. Hirninfarkt am 22.11.2011; Nie-reninsuffizienz, koronare Herzkrankheit, Enterokokkeninfektion etc.). Daraufhin wurde Herr M. am 08.12.2011 in das Pflegeheim verlegt, wo sich nach den Pflegeprotokollen der Zustand weiter verschlechterte und insbesondere durch anhaltendes Erbrechen geprägt war. Dies führte zur Einschaltung des palliativen Dienstes und am 19.12.2011 zur Anlegung einer Ma-gensonde. Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, dass es sich bereits allein bei der diag-nostizierten Darmkrebserkrankung, zumal bereits eine Metastasierung festgestellt worden war, um eine potentiell lebensbedrohliche Krankheit handelt, bei der mit einem möglichen Tod von Herrn M. gerechnet werden musste. Durch das Hinzutreten der weiteren Gesundheitsstörung ist jedoch im Dezember 2011 eine Situation mit einer Vielzahl von lebensbedrohlichen Parametern entstanden, die an Dramatik kaum zu überbieten war. Bei einem derart gravie-renden, lebensbedrohlichen und multimorbiden Krankheitsbild musste bei lebensnaher Be-trachtungsweise die Klägerin daher jederzeit damit rechnen, dass weitere Komplikationen auftreten, an denen Herr M. auch versterben hätte können. Sie selbst hat sogar eingeräumt, dass sein Körper bereits so geschwächt war, dass er die später hinzugekom-mene Lungen-entzündung nicht mehr bekämpfen konnte. Das Vorbringen, dass sie nicht mit dem Tod ihres Mannes gerechnet habe, hält die Kammer daher für abwegig. Dementsprechend ist nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen die Messlatte für die Widerlegung der Rechtvermutung im vorliegenden Fall extrem hoch.

Vor diesem Hintergrund kann die Kammer aus dem weiteren Vorbringen der Klägerin keine Umstände entnehmen, welche die Rechtsvermutung widerlegen könnten.

Dabei kann als wahr unterstellt werden, dass sich Herr M. schon lange mit dem Gedanken getragen hat, die Klägerin zu heiraten. Wie ausgeführt, kommt es jedoch auf die Motive von beiden Partnern an. Offensichtlich konnte jedoch das Zusammenleben als Ehepaar in all den Jahren aus unterschiedlichen Gründen nicht realisiert werden, sei es, dass der erste Heirats-antrag von Herrn M. offenbar erst nach 16 Jahren des Zusammenlebens erfolgte, sei es, dass die romantischen Voraussetzungen der Klägerin nicht stimmten, sei es, dass sie sich die Hochzeit für einen ganz besonderen Moment aufsparen wollte oder keine Einigung über den Ehenamen erzielt werden konnte. Das lange eheähnliche Zusammenleben der Klägerin mit Herrn M. vor der Heirat spricht vielmehr eher dafür, das dieses ohne den Rahmen der Ehe konzipiert war und die Hürden für eine Heirat in all den Jahren zu groß waren, um den ent-scheidenden Schritt zu vollziehen. Vor dem Hintergrund des jahrelangen Zusammenlebens in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft bliebe es im Übrigen auch unerfindlich, warum die Klägerin und Herr M. die romantischen Voraussetzungen nicht alsbald nach dem misslungenen Heiratsantrag wahr werden ließen, wenn beiden Partnern so sehr an der Heirat gelegen war. Weiterhin lässt sich das Argument der Klägerin, dass eine Heirat bzw. Hochzeitsfeier nur bei Vorliegen der romantischen Voraussetzungen und einer ausreichenden körperlichen Fitness in Frage kam, auch nicht damit zur Deckung bringen, dass die Ehe gerade zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, als Herr M. - wie oben dargestellt - durch mehrere gravierende Krankheiten schwerst angeschlagen und in extremster Weise gehandicapt im Pflegeheim lag.

Außerdem ist auch nicht davon auszugehen, dass die finanzielle Situation der Klägerin auch ohne die Hinterbliebenenrente völlig gesichert war, da ihr für sich und die Weiterführung des Hofs nach dem Wegfall der Rente von Herrn M. lediglich die eigene Rente i. H. v. nur 950,00 EUR verbleibt.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass dem Umstand, dass sich der Zustand von Herrn M. nach der Eheschließung kurzfristig besserte und er am 30.03.2012 nicht an der Darmkrebser-krankung, sondern an den Folgen einer Lungenentzündung verstorben ist, keine Bedeutung zukommt, da auf die Sachlage und die Motive zum Zeitpunkt der Eheschließung abzustellen ist.

Die Entscheidung konnte durch Gerichtsbescheid erfolgen, da der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten hierzu gehört wurden (§ 105 SGG). Die Beteiligten haben sich mit dieser Ent-scheidungsform auch einverstanden erklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.