Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 13.11.2014, Az.: S 2 U 87/11

Anerkennung einer Arthrose im Kniegelenk eines Tiefbauarbeiters im Rohrvertrieb als Berufskrankheit

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
13.11.2014
Aktenzeichen
S 2 U 87/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 29222
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2014:1113.S2U87.11.0A

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Für die Anerkennung einer Berufskrankheit gelten in der gesetzlichen Unfallversicherung folgende Grundsätze: Während die gesundheitsschädlichen beruflichen Einflüsse (d.h. die arbeitstechnischen Voraussetzungen) und die geltend gemachte Gesundheitsstörung als solche im Wege des Vollbeweises nachzuweisen sind, ist für die Feststellung des Zusammenhangs zwischen den beruflichen Einwirkungen und dem Gesundheitsschaden (haftungsausfüllende Kausalität) ein hinreichender Grad von Wahrscheinlichkeit erforderlich. Dieser ist allerdings erst dann erreicht, wenn bei einem vernünftigen Abwägen aller Umstände die auf eine berufliche Verursachung hinweisenden Faktoren deutlich überwiegen.

  2. 2.

    Eine Möglichkeit verdichtet sich erst dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden. Die reine Möglichkeit eines solchen Zusammenhangs ist daher für eine Anerkennung nicht ausreichend.

  3. 3.

    Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit (BK) Ziffer 2102 sind nicht erst dann erfüllt, wenn der Versicherte mindestens zu 1/3 jeder Schicht meniskusbelastend tätig war. Es ist ausreichend, wenn die belastenden Tätigkeiten nicht nur hin und wieder, sondern zu einem wesentlichen Anteil der täglichen Arbeitszeit ausgeübt wurden. Nach der Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen im Wege einer Gesamtbetrachtung der kniebelastenden Tätigkeiten hinsichtlich ihrer Art, der täglichen Dauer und der Anzahl der Jahre festzustellen. Sie sind danach bspw. erfüllt, wenn eine über 5 Jahre andauernde kniebelastende Tätigkeit über jeweils 4 Stunden täglich ausgeübt wurde. Die Ausübung von 21.743 Stunden kniebelastende Tätigkeiten während des Arbeitslebens stellt ein wesentliches Indiz dafür dar, dass Tätigkeiten ausgeübt wurden, die eine Schädigung des Meniskus verursachen können.

  4. 4.

    Nach der herrschenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft manifestiert sich der berufliche Meniskusschaden im Wesentlichen am Innenmeniskushinterhorn. Dieses ist dabei häufig ausgewalzt und aufgefasert. Risse in der Übergangszone des Meniskuszwischenstücks (Pars intermedia) zum Hinterhorn sind typisch, auch mit großem Defekt in Form des Korbhenkelrisses. Schäden am Außenmeniskus sind demgegenüber zwar möglich, aber selten. Weiterhin ist für eine Anerkennung erforderlich, dass es sich um einen sog. primären Meniskusschaden handelt, dass also zum Zeitpunkt der Erstmannnifestation nicht bereits arthrotische Umbauvorgänge im Kniegelenk vorhanden sind, die ihrerseits eine Meniskopathie verursachen können.

  5. 5.

    Haben mehrere Ursachen gemeinsam zum Gesundheitsschaden beigetragen, sind sie nebeneinander stehende Teilursachen. Kein Faktor hebt die Mitursächlichkeit des anderen auf. Dabei kann sogar eine verhältnismäßig niedriger zu wertende Bedingung für den Erfolg rechtlich wesentlich sein. Als Faustregel lässt sich dabei festhalten, dass ein Faktor jedenfalls dann noch als wesentlich für den Eintritt des Gesundheitsschadens anzusehen ist, wenn er neben anderen Bedingungen daran mit einem Drittel beteiligt war. Unwesentlich für den Eintritt eines Gesundheitsschadens ist danach eine Bedingung nur dann, wenn sie nur einen Anteil von 10% an der Entstehung erreicht hat.

Tenor:

  1. 1.)

    Der Bescheid der Beklagten vom 20.01.2011 und der Widerspruchs- bescheid vom 09.06.2011 werden teilweise aufgehoben.

  2. 2.)

    Es wird festgestellt, dass beim Kläger eine Berufskrankheit nach der Ziffer 2102 der Anlage 1 zur BKV vorliegt.

  3. 3.)

    Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu vier Fünftel zu erstatten.

  4. 4.)

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Tatbestand

Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit nach den Ziffern 2102 bzw. 2112 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (hier: BK 2102 und BK 2112).

Zur beruflichen Belastungssituation: Der im Jahr 1950 geborene Kläger absolvierte von 1966 - 1969 zunächst eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker und war nach Ableistung seines Wehrdiensts vom 01.10.1971 - 05.04. 1972 als Kfz-Mechaniker tätig (Bl. 9 der Akte der Beklagten (= BA)).

Von 1972 - 21.01.2009 war er als Tiefbauarbeiter im Rohrvortrieb beschäftigt. Nach seinen Angaben im Schriftsatz vom 01.12.2009 habe er häufig auf Baustellen im hydraulischen Rohr-vortrieb in Rohren mit Durchmessern von 80 - 140 cm gearbeitet. Dort seien überwiegend kniende und hockende Tätigkeiten erforderlich gewesen. Im Schriftsatz vom 28.02.2011 konkretisierte er den Umfang der beruflichen Kniebelastung. Daraus ergibt sich auch, dass er allein von 1972 - Juni 1993 insgesamt 105 Monate (= 8,75 Jahre) arbeitstäglich kniende und hockende Tätigkeiten von i. d. R. 8 - 10 Stunden ausgeübt hat. Auf Bl. 163 ff. BA wird insoweit vollinhaltlich Bezug genommen. Die Angaben des Klägers wurden durch seinen Arbeitgeber im Schreiben vom 20.10.2010 im Wesentlichen bestätigt. Darin wurde ausgeführt, dass der Kläger vom 16.02.1972 - 31.07.2006 innerhalb einer 5 Tage-Woche bzw. innerhalb von Dekaden jeweils eine 9 Stundenschicht zu absolvieren hatte und die Arbeiten jeweils in sehr beengter Umgebung hätten verrichtet werden müssen (Bl. 139 ff. BA). Nachdem die Präventionsabteilung der Beklagten zunächst davon ausgegangen war, dass der Kläger keine kniebelastenden Tätigkeiten in wesentlichem Umfang verrichtet habe, gelangte sie in der Stellungnahme vom 24.05.2011 zu dem Ergebnis, dass er während seines Arbeitslebens 21.743 Stun-den kniebelastende Tätigkeiten i. S. der BK 2112 ausgeübt habe (Bl. 193 BA).

Zur Krankengeschichte: Am 01.03.1977 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall mit einer Verletzung der linken Hüfte. Mit dem Bescheid vom 14.11.1977 gewährte die (Rechtsvorgängerin der) Beklagten ab dem 22.08.1977 eine vorläufige Rente nach einer MdE i. H. v. 20% (Bl. 76 BA). Mit dem Bescheid vom 24.11.1978 wurde die Rente mit Ablauf des 31.12.1978 entzogen (Bl. 83 BA). Auch im Jahr 1984 war der Kläger aufgrund der Hüftbeschwerden in stationärer Behandlung (Bl. 84 BA). - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Am 08.06.1993 erlitt der Kläger während der Arbeit einen weiteren Unfall, als er mit dem linken Knie abrutschte und darin einen stechenden Schmerz verspürte. Im Durchgangsarztbericht vom 21.06.1993 wurde als Diagnose "der Verdacht auf eine Läsion des Innenmeniskus, einen retropatellarer Knorpelschaden und eine Verletzung des vorderen Kreuzbandes" angegeben (Bl. 12 BA). Am 21.06.1993 wurde der Kläger am linken Knie operiert. Im Operationsbericht wurde ausgeführt, dass "ein degenerativer, interkondylär eingeschlagener Riss des Innenmeniskus i. S. eines Korbhenkelrisses" festgestellt worden sei. Der Meniskus sei im Hinterhornbereich stark aufgefasert und bereits völlig zerfleddert gewesen. Die Auffaserung des Außenmeniskus würde bis in die 2. Zone reichen. Es wurde ausgeführt, dass es sich hierbei um einen alten vorbestehenden Schaden handeln würde. Die Knorpelflächen seien demgegenüber intakt gewesen. Der Meniskus wurde bei diesem Eingriff umfangreich reseziert. (Bl. 23 BA). Im Bericht vom 21.07.1993 führte Dr. H. aus, dass es sich bei dem Ereignis vom 08.06.1993 nicht um einen Unfall i.S.d. Gesetzes gehandelt habe (Bl. 22 BA). Mit dem Schreiben vom 04.10.1993 teilte die Rechtsvorgängerin der Beklagten der Krankenkasse des Klägers mit, dass das Ereignis vom 08.06.1993 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde (Bl. 25 BA). - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Am 15.12.2006 ergab eine Magnetresonanztomographie (= MRT) des linken Kniegelenks "erhebliche degenerative Veränderungen am Außen- und Innenmeniskus, Knorpelschäden im Hauptgelenk Grad II - III, eine retropatellare Chondromalazie und ein großes Ganglion im Intercondylenraum". Es wurde ausgeführt, dass es sich bei den Strukturveränderungen im Femur und an der Tibia primär um ausgedehnte Knocheninfarkte handeln würde (Bl. 45 BA). Am 10. Januar 2007 wurde der Kläger erneut am linken Knie operiert (Bl. 40, 65 BA) und am 04.02 2009 sodann mit einer Totalendoprothese (= TEP) am linken Knie versorgt (Bl. 55 BA). Im Zusammenhang mit der Implementierung der TEP wurden am 03.02.2009 Röntgenaufnahmen beider Kniegelenke angefertigt. Dabei zeigten sich linksseitig "eine fortgeschrittenen Arthrose mit weitgehendem Aufbrauch des innenseitigen Gelenkspalts, eine deutliche Verschmälerung des außenseitigen Gelenkspalts sowie multiple Osteophytenbildungen". Auf der rechten Seite ergab sich demgegenüber nur "eine angedeutete Verschmälerung des innenseitigen Gelenkspalts mit leicht vermehrter subchondraler Sklerosierung des darunter liegenden Schienbeinkopfplateaus und eine geringe Ausziehung des innenseitigen Kreuzbandhöckers. Der außenseitigen Gelenkspalts stellte sich als altersentsprechend normal dar" (Bl. 38 der Akte des Sozialgerichts (= SG)).

Seit dem 01.02.2009 erhält der Kläger eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Zum Feststellungsverfahren bezüglich der BK 2102 und BK 2112: Das berufsgenossenschaftliche Feststellungsverfahren wurde am 22.12.2008 durch die Krankenkasse des Klägers mit der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs eingeleitet (Bl. 1 BA). In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 17.10.2009 führte Dr. I. aus, dass eine BK 2112 aufgrund der konkurrierenden Faktoren Übergewicht und Nikotinabusus nicht wahrscheinlich sei. Die medizinischen Faktoren der BK 2102 seien demgegenüber offen. Atypisch sei, dass nur das linke Knie betroffen sei, wobei auffallend sei, dass der Kläger bereits vor 1993 Beschwerden gehabt habe. Nach dem seinerzeit interoperativ festgestellten Befund habe es sich aber um primäre Meniskusschäden gehandelt (Bl. 102 ff., 108 BA).

Mit dem Bescheid vom 20.01.2011 stellte die Beklagte fest, dass ein Anspruch auf Leistungen aufgrund der Kniebeschwerden nicht bestehen würde. Es sei geprüft worden, ob eine BK 2102 oder BK 2112 vorliegen würde. Hierfür seien jeweils die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Kläger habe keine kniende oder hockende Tätigkeit mehrjährig und in überdurchschnittlichem Ausmaß ausgeübt (Bl. 158 BA). Dabei war die Beklagte aufgrund der Stellungnahme ihrer Präventionsabteilung zur Arbeitsplatzexposition vom 23.11. 2010 zunächst noch davon ausgegangen, dass der Kläger im Laufe seines Arbeitslebens nur 7.653,8 Stunden kniebelastende Tätigkeiten i. S. einer BK 2112 ausgeübt hat (Bl. 147 ff. BA). Obwohl sie im Widerspruchsverfahren die Stundenzahl der kniebelastenden Tätigkeiten auf 21.743 Stunden korrigiert hat (Bl. 193 BA), wurde der Widerspruch ohne weitere medizinische Ermittlungen mit dem Widerspruchsbescheid vom 09.06.2011 zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 27.06.2011 beim SG Lüneburg Klage erhoben. Im Schriftsatz vom 06.07.2011 hat die Beklagte mitgeteilt, dass die BK 2112 in einem gesonderten Verfahren geprüft werde (Bl. 13 SG-Akte). Daraufhin wurde mit dem Beschluss vom 17.11.2011 das Ruhen des sozialgerichtlichen Verfahrens angeordnet. In der Stellungnahme vom 08.03.2012 führte der beratende Arzt der Beklagten, Dr. J., aus, dass die medizinischen Voraussetzungen für BK 2112 nicht vorliegen würden. Ursache der Gonarthrose sei eine primäre Meniskopathie. Die Arthrose habe sich daraus sekundär entwickelt. Gegen eine berufsbedingte Arthrose würde auch der fehlende Schaden am rechten Kniegelenk sprechen, da i. d. R. eine beidseitige Belastung stattfinden würde. Daraufhin hat die Beklagte am 02.04.2012 die Wiederaufnahme des sozialgerichtlichen Verfahrens beantragt.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zunächst darauf hingewiesen, dass er während der Arbeit in den Röhren das linke Knie stets mehr belastet habe als das rechte. Rechts neben ihm sei meistens eine Lore zum beladen gestanden, so dass er sein rechtes Knie immer nach hinten oder seitlich habe ausstrecken müssen, um ausreichend Bewegungsfreiheit zu haben. Außerdem sei zu beachten, dass er nicht auf ebenem Boden, sondern in den Rohren gearbeitet habe und aufgrund deren Rundung die einseitige Belastung des linken Knies nicht zu vermeiden gewesen sei.

In der mündlichen Verhandlung hat außerdem Dr. K. ein Gutachten erstattet, nachdem er den Kläger zuvor am 14.10.2014 untersucht hatte. Darin ist er zu dem Ergebnis gelangt, dass eine BK 2112 nicht mit der ausreichenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne. Die Arthrose im linken Knie sei nicht auf die berufliche Belastung, sondern auf die im Jahr 1993 vorgenommene Resektion des Meniskus zurückzuführen. Eine BK 2102 könne ebenfalls nicht festgestellt werden. Zwar seien die die arbeitstechnischen Voraussetzungen hierfür erfüllt. Als konkurrierende Ursache für die Meniskuserkrankung sei jedoch zum einen die zentrale Luxation der linken Hüfte anzusehen, die auch eine Fehlbelastung des Kniegelenkes nach sich ziehen könne. Zum anderen wäre als Folge einer beruflichen Belastung auch eine Degeneration des Außenmeniskus im Hinterhornbereich zu erwarten gewesen. Zwar sei in Anbetracht der Erläuterungen des Klägers eine einseitige Belastung des linken Knies und somit eine zeitlich frühere Schädigung des entsprechenden Meniskus plausibel. Gleichwohl sei der lange Zeitraum von 18 Jahren auch unter Berücksichtigung dieser Ausführungen schwer zu erklären. Außerdem sei gerade bei einer einseitigen Belastung zum Beleg einer beruflich bedingten Meniskusschädigung auch ein Schaden am Außenmeniskushinterhorn zu fordern; dies auch insbesondere deshalb, weil der Innenmeniskus schon weitgehend reseziert gewesen sei. Eine Aussage darüber, wie sich der Knieschaden entwickelt hätte, wenn die Operation im Jahr 1993 nicht durchgeführt worden wäre, könne er nicht treffen.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,

  1. 1.)

    den Bescheid der Beklagten vom 20.01.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 09.06.2011 aufzuheben,

  2. 2.)

    festzustellen, dass beim Kläger eine Berufskrankheit nach den Ziffern 2102 und 2112 der Anlage 1 zur BKV vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Entscheidung lagen die Gerichtsakten sowie die Akten der Beklagten zugrunde. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig. Zur Klarstellung wird jedoch darauf hingewiesen, dass nur die Anerkennung einer BK 2102 und einer BK 2112 zum Streitgegenstand gehören und nicht mögliche Folgen aus den vom Kläger erlittenen Unfällen. Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nur eine BK 2102 und 2112 geprüft worden sei.

Die Klage ist teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 20.01.2011 und der Wider-spruchsbescheid vom 21.07.2004 sind rechtswidrig und waren aufzuheben, soweit darin eine BK 2102 für das linke Kniegelenk abgelehnt wurde.

Zur BK 2102:

Als BK 2102 sind anerkennungsfähig:

"Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten." Für die Anerkennung einer Berufskrankheit gelten in der gesetzlichen Unfallversicherung folgende Grundsätze: Während die gesundheitsschädlichen beruflichen Einflüsse (d.h. die arbeitstechnischen Voraussetzungen) und die geltend gemachte Gesundheitsstörung als solche im Wege des Vollbeweises nachzuweisen sind, ist für die Feststellung des Zusammenhangs zwischen den beruflichen Einwirkungen und dem Gesundheitsschaden (haftungsausfüllende Kausalität) ein hinreichender Grad von Wahrscheinlichkeit erforderlich. Dieser ist nach der Rechtsprechung allerdings erst dann erreicht, wenn bei einem vernünftigen Abwägen aller Umstände die auf eine berufliche Verursachung hinweisenden Faktoren deutlich überwiegen (vgl. Bundessozialgericht (= BSG)SozR 2200 § 548 Nr. 38). Eine Möglichkeit verdichtet sich insbesondere erst dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar, § 8 SGB VII, Rz. 10., m.w.N.). Die reine Möglichkeit eines solchen Zusammenhangs ist daher für eine Anerkennung nicht ausreichend (vgl. BSG, Urt. v. 27.06.2000 - B 2 U 29/99 R, S. 8 f.; Urt. v. 02.05.2001 - B 2 U 16/00 R, S. 7 m.w.N.; LSG Niedersachsen, Urt. v. 25.07.2002 - L 3/9/6 U 12/00, S. 6.).

Bei Anwendung dieser Kriterien liegen die Voraussetzungen für eine BK 2102 hinsichtlich des linken Kniegelenks vor. Es sind insbesondere die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt. In diesem Zusammenhang wird zunächst darauf hingewiesen, dass diese Voraussetzungen nicht erst dann erfüllt sind, wenn ein Versicherter mindestens zu 1/3 jeder Schicht meniskusbelastend tätig war (vgl. SG Lüneburg, Urt. v. 10.06.2004 - S 2 U 80/01; LSG Berlin-Branden-burg, Urt. v. 21.01.2010 - L 2 U 272/07; Sächsisches LSG, Urt. v. 11.09.2008 - L 2 U 148/07). Gerade in dem zuletzt genannten Urteil wurde eingehend dargestellt, dass nicht ersichtlich ist, weshalb eine belastende Tätigkeit nur gegeben sein soll, wenn kniebelastende Tätigkeiten mit mindestens 30% der täglichen Arbeitszeit durchgeführt wurden, und klargestellt, dass ein derartiger allgemeiner Erfahrungssatz nicht existiert. Nach der Auffassung des BSG ist es vielmehr ausreichend, wenn die belastenden Tätigkeiten nicht nur hin und wieder, sondern zu einem wesentlichen Anteil der täglichen Arbeitszeit ausgeübt wurden (BSGE 8, 245, 246 [BSG 21.11.1958 - 5 RKn 33/57]). Nach der Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen im Wege einer Gesamtbetrachtung der kniebelastenden Tätigkeiten hinsichtlich ihrer Art, der täglichen Dauer und der Anzahl der Jahre festzustellen. Sie sind danach bspw. erfüllt, wenn eine über 5 Jahre andauernde kniebelastende Tätigkeit über jeweils 4 Stunden täglich ausgeübt wurde (LSG Niedersachsen, Urt. v. 20.05.1998 - L 6 U 344/98, S. 11). Beim Kläger lag die berufliche Kniegelenksbelastung jedoch weit darüber. Er arbeitete im Wesentlichen auf Baustellen im hydraulischen Rohrvortrieb, wobei der Durchmesser der Rohre oft nur 80 bis 140 cm betrug. Die Arbeiten konnten daher zwangsläufig im Wesentlichen nur in einer knienden und/oder hockenden Position verrichtet werden. Die Angaben des Klägers wurden auch durch seinen Arbeitgeber im Schreiben vom 20.10.2010 im Wesentlichen bestätigt. Letztlich hat auch die Präventionsabteilung der Beklagten in der Stellungnahme vom 24.05.2011 eingeräumt, dass der Kläger während seines Arbeitslebens 21.743 Stunden kniebelastende Tätigkeiten ausgeübt habe (Bl. 193 BA). Diese Einschätzung bezog sich zwar nur auf eine Kniebelastung i. S. der BK 2112. Eine derartig hohe Stundenzahl stellt jedoch ein wesentliches Indiz dafür dar, dass auch Tätigkeiten ausgeübt wurden, die eine Schädigung des Meniskus verursachen können. Hierunter fallen Tätigkeiten im Knien, bei denen das Knie um mehr als 120° gebeugt wird und so die Menisken in die sog. Knorren-zange geraten, wie z.B. die Kniehocke und der Fersensitz (vgl. hierzu auch Ludolph, Schürmann, Hierholzer, Berufskrankheit 2102 "Meniskusschäden", Die BG 1991, S. 86 ff., 87)). Weiterhin wird gefordert, dass die Tätigkeiten in einer Dauerzwangshaltung bei gleichzeitiger Kraftaufwendung ausgeübt werden. Solche Tätigkeiten hat der Kläger nach der Überzeugung der Kammer auch verrichtet, da in den beengten räumlichen Verhältnissen entsprechende Dauerzwangshaltungen nicht zu vermeiden waren und häufig eine rechts neben ihm stehende Lore zu beladen war. Auch nach den Ausführungen von Dr. K. sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK 2102 erfüllt. Entscheidend für die weiteren Überlegungen ist nun, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen bereits im zum Zeitpunkt des Unfalls vom 08.06.1993 deutlich erfüllt waren. Aus den glaubhaften Angaben des Klägers im Schriftsatz vom 28.02.2011 ergibt sich, dass er allein von 1972 bis Juni 1993 in einem Zeitraum von insgesamt 105 Monaten (= 8,75 Jahre) arbeitstäglich kniebelastende Tätigkeiten von i. d. R. 8 - 10 Stunden ausgeübt hat (Bl. 163 ff. BA). Selbst wenn dabei nicht sämtliche knieenden oder hockenden Tätigkeiten als gefährdend i. S. der BK 2102 angesehen werden sollten, so geht die Kammer davon aus, dass der Kläger auch vor 1993 zu einem Großteil der täglichen Arbeitszeit im Hinblick auf das geschädigte linke Kniegelenk Dauerzwangshaltungen einnehmen und gleichzeitig bei den zu verrichtenden Arbeiten Kraft aufwenden musste.

Darüber hinaus sind auch die medizinischen Voraussetzungen der BK 2102 erfüllt. Nach der herrschenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft manifestiert sich der berufliche Meniskusschaden im Wesentlichen am Innenmeniskushinterhorn. Dieses ist dabei häufig ausgewalzt und aufgefasert. Risse in der Übergangszone des Meniskuszwischenstücks (Pars intermedia) zum Hinterhorn sind typisch, auch mit großem Defekt in Form des Korbhenkelrisses. Schäden am Außenmeniskus sind demgegenüber zwar möglich, aber selten (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. S. 633). Weiterhin ist für eine Anerkennung erforderlich, dass es sich um einen sog. primären Meniskusschaden handelt, dass also zum Zeitpunkt der Erstmannnifestation nicht bereits arthrotische Umbauvorgänge im Kniegelenk vorhanden sind, die ihrerseits eine Meniskopathie verursachen können (vgl. hierzu auch Ludolph, Schürmann, Hierholzer, a.a.O.). Betrachtet man nun den Befund, der bei der Operation des linken Knies am 21.06.1993 festgestellt wurde, so entspricht dieser den o. g. Anerkennungskriterien zur Gänze. So war der Innenmeniskus im Hinterhornbereich stark aufgefasert und bereits völlig zerfleddert. Zusätzlich ergab sich ein degenerativer, interkondylär eingeschlagener Riss des Innenmeniskus i. S. eines Korbhenkelrisses, wobei die Operateure davon ausgingen, dass es sich hierbei um einen alten vorbestehenden Schaden handelt. Wie Dr. I. in der Stellungnahme vom 17.10.2009 bestätigt hat, lag beim Kläger auch ein primärer Meniskusschaden vor, da seinerzeit sämtliche Knorpelflächen intakt waren (Bl. 23 BA). Sofern Dr. K. als Folge der beruflichen Belastung im konkreten Fall auch eine Betroffenheit des Außenmeniskus fordert, sei darauf hingewiesen, dass nach der o. g. herrschenden Meinung der medizinischen Wissenschaft Schäden am Außenmeniskus zur Feststellung einer BK 2102 nicht unbedingt erforderlich sind. Gleichwohl sei aber darauf hingewiesen, dass sich aus dem Operationsbericht vom 21.06.1993 auch ergibt, dass seinerzeit eine Degeneration des Ausmeniskus festgestellt worden war (Bl. 23 BA).

Der Anerkennung einer BK 2102 steht auch nicht entgegen, dass sich der Meniskusschaden nur im linken Knie manifestiert hat. Zwar ist es zutreffend, dass in der Regel eine zweiseitige Betroffenheit zu fordern ist, wobei allerdings nach dem von Dr. K. erwähnten IFA-Report 2/2012 die Belastungen die Kniegelenke nicht unbedingt gleichmäßig treffen und durchaus ein Kniegelenk stärker betroffen sein kann als das andere. Der Kläger hat jedoch in der mündlichen Verhandlung schlüssig dargelegt, dass er aufgrund seiner spezifischen Arbeitssituation in den Röhren das linke Knie immer mehr belastet hat als das rechte. Dies war erforderlich, damit er seine Arbeiten ausführen konnte. Um die neben ihm stehende Lore beladen zu können, musste er bspw. sein rechtes Knie meistens nach hinten oder seitwärts ausstrecken, um ausreichend Bewegungsfreiheit zu haben. Außerdem ist zu beachten, dass er nicht auf ebenem Boden, sondern in den Rohren gearbeitet hat. Aufgrund deren Rundung war daher eine einseitige Belastung des linken Knies nicht zu vermeiden. Eine einseitige Meniskusschädigung ist daher plausibel.

Die von Dr. K. als konkurrierende Ursache angeführte zentrale Hüftluxation kann ebenfalls nicht dazu führen, die Bedeutung der kniebelastenden Tätigkeit in den Hintergrund zu drängen. Gleiches gilt für die von Dr. I. als konkurrierende Ursachen angenommenen Faktoren Übergewicht und Nikotin, wobei die Kammer bei einem Körpergewicht von 74 kg keine Anzeichen für ein Übergewicht erkennen kann. Die Kammer ist vielmehr der Auffassung, dass die außergewöhnlich hohe kniebelastende Tätigkeit, die der Kläger bereits zwischen 1972 und 1993 ausgeübt hat, für die Entstehung des Meniskusschadens zumindest eine wesentliche Teilursache darstellt. Nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung erfordert die Feststellung einer wesentlichen Ursache dabei nicht, dass die schädigende berufliche Einwirkung die alleinige oder überwiegende Bedingung ist. Haben mehrere Ursachen gemeinsam zum Gesundheitsschaden beigetragen, sind sie nebeneinander stehende Teilursachen. Kein Faktor hebt die Mitursächlichkeit des anderen auf. Dabei kann sogar eine verhältnismäßig niedriger zu wertende Bedingung für den Erfolg rechtlich wesentlich sein. Als Faustregel lässt sich dabei festhalten, dass ein Faktor jedenfalls dann noch als wesentlich für den Eintritt des Gesundheitsschadens anzusehen ist, wenn er neben anderen Bedingungen daran mit einem Drittel beteiligt war. Unwesentlich für den Eintritt eines Gesundheitsschadens ist danach eine Bedingung nur dann, wenn sie nur einen Anteil von 10% an der Entstehung erreicht hat (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 25 f., m. w. N). Der Anteil der beruflichen Einwirkungen an der Entstehung des linksseitigen Meniskusschadens ist nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall jedoch deutlich höher einzuschätzen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Unfall vom 01.03.1977, bei dem sich der Kläger die Verletzung der linken Hüfte zugezogen hat, ebenfalls ein Arbeitsunfall war, so dass insoweit ggf. die Grundsätze der Wahlfeststellung zu beachten wären.

Beim Kläger liegt somit bezüglich der Menisken des linken Kniegelenks eine BK 2102 vor. Diese Meniskuserkrankung wurde bereits anlässlich der Operation am 21.06.1993 festgestellt, so dass der Versicherungsfall mit Beginn der entsprechenden Behandlungsbedürftigkeit am 08.06.1993 eingetreten ist (§ 551 Abs. 3 S. 2 RVO/§ 9 Abs. 5 SGB VII). Als mittelbare Folge dieser Berufskrankheit ist es entsprechend den insoweit übereinstimmenden und überzeugenden Ausführungen der Dres. K. und J. zu einer Arthrose am linken Kniegelenk gekommen, da sich diese mit überwiegender Wahrscheinlichkeit aufgrund der am 21.06.1993 erfolgten Operation bzw. Resektion der Menisken entwickelt hat (vgl. zur mittelbaren Folge eines Versicherungsfalls: Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 36).

Zur BK Gonarthrose: Die Klage ist jedoch unbegründet, soweit die Feststellung einer BK 2112 geltend gemacht wird. Als BK 2112 ist entschädigungsfähig:

"Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbarer Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht".

Zwar sind nach den Ermittlungen der Beklagten die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt. Die Anerkennung scheitert auch nicht an der Stichtagsregel des § 6 Abs. 1 BKV, da die Arthrose erst nach dem 30.09.2002 festgestellt wurde. Es ist jedoch nicht wahrscheinlich, dass die beim Kläger festgestellte Arthrose im rechten und linken Kniegelenk auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist. Die Arthrose im linken Kniegelenk ist - wie oben ausgeführt - eine Folge der aufgrund der BK 2102 erforderlich gewordenen Meniskusoperation im Jahr 1993. Auf der rechten Seite ergab sich demgegenüber bei der röntgenologischen Untersuchung vom 03.02.2009 nur eine angedeutete Verschmälerung des innenseitigen Gelenkspalts mit leicht vermehrter subchondraler Sklerosierung des darunter liegenden Schienbeinkopfplateaus und eine geringe Ausziehung des innenseitigen Kreuzbandhöckers. Der außenseitigen Gelenkspalt stellte sich altersentsprechend normal dar (Bl. 38 SG-Akte). Diese Veränderungen sind entsprechend den überzeugenden Ausführungen der Dres. J. und K. nicht belastungskonform, sondern Ausdruck einer schicksalshaften Erkrankung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, dass die im Rahmen einer BK 2112 geltend gemachte Arthrose letztlich als mittelbare Folge der BK 2102 anzuerkennen war.