Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 14.02.2005, Az.: 1 B 5/05
Abänderungsantrag; Ausbildung; Ausweisung; Ausweisungsschutz; besonderer Ausweisungsschutz; Ermessensausweisung; Gesellenprüfung; innere Wirksamkeit; Regelausweisung; vorläufiger Rechtsschutz; Widerspruchsverfahren; Wirksamkeit; Änderung der Sach- und Rechtslage; äußere Wirksamkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 14.02.2005
- Aktenzeichen
- 1 B 5/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 50606
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs 7 S 2 VwGO
- § 47 Abs 2 Nr 2 AuslG
- § 54 AufenthG
- § 55 Abs 3 AufenthG
- § 56 Abs 1 S 4 AufenthG
- § 56 Abs 1 Nr 2 AufenthG
- § 101 Abs 2 AufenthG
- § 102 Abs 1 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Wenn ausländerrechtliche Maßnahmen nach Inkrafttreten des AufenthG am 1.1.2005 gem. § 102 Abs. 1 AufenthG "wirksam bleiben", so bedeutet das nur, dass die innere wie äußere Wirksamkeit als Verwaltungsakt erhalten bleibt: Noch anhängige Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren sind fortzuführen.
2. Noch nicht abgeschlossene Widerspruchsverfahren sind grundsätzlich nach neuem Recht fortzuführen, und zwar auch dann, wenn der Ausgangsbescheid nach altem Recht erlassen ist.
3. Das AufenthG hebt sich u.a. insofern vom (alten) AuslG ab, als besonderer Ausweisungsschutz gem. § 56 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG schon dann besteht, wenn in der Vergangenheit lediglich - gem. § 101 Abs. 2 AufenthG übergeleitete - befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt (und verlängert) wurden.
4. Weiterhin hebt sich das AufenthG u.a. insofern vom (alten) AuslG ab, als Regelausweisungen (§ 54 AufenthG) im Falle eines besonderen Ausweisungsschutzes gem. § 56 Abs. 1 AufenthG zu Ermessensausweisungen gem. § 55 AufenthG werden.
5. Zur Ermessensausweisung eines afghanischen Staatsangehörigen, der mit 11 Jahren nach Deutschland kam, seit 1997 jeweils befristete Aufenthaltsbefugnisse erhielt und sich z.Z. in einem Ausbildungsverhältnis befindet, das er in Kürze mit der Gesellenprüfung abschließen will (§ 55 Abs. 3 AufenthG).
Gründe
Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung von Anträgen auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Aus den neu vorgetragenen Umständen muss sich zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren Eilentscheidung ergeben.
Ein Anspruch nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist insbesondere dann gegeben, wenn sich nach der gerichtlichen Entscheidung eine Veränderung der für die Entscheidung maßgeblichen Sach- oder Rechtslage ergeben hat. Im vorliegenden Fall ist durch das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Aufenthaltsgesetz (AufenthG) eine entscheidungserhebliche Änderung der Rechtslage eingetreten, die eine neue Entscheidung in der Sache rechtfertigt.
Nach § 102 Abs. 1 AufenthG bleiben zwar die vor dem 1. Januar 2005 getroffenen sonstigen ausländerrechtlichen Maßnahmen wie insbesondere Ausweisungen einschließlich ihrer Rechtsfolgen „wirksam“, d. h. ihnen kommt die innere wie äußere Wirksamkeit als Verwaltungsakt zu, die mit ihrer Bekanntgabe verbunden ist. Dies hat jedoch nur zur Folge, dass eine bereits unanfechtbare Maßnahme nicht mehr vom Verwaltungsgericht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft wird. Soweit aber keine besondere Übergangsvorschrift besteht, werden noch anhängige Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren und verwaltungsgerichtliche Verfahren fortgeführt, wobei sich im gerichtlichen Verfahren jeweils nach Maßgabe des materiellen Rechts entscheidet, ob altes oder neues Recht anzuwenden ist bzw. ob hinsichtlich des Zeitpunktes der zugrunde zu legenden Rechtslage auf den Widerspruchsbescheid oder die letzte mündliche Verhandlung abzustellen ist. Nicht abgeschlossene Widerspruchsverfahren sind grundsätzlich nach dem neuen Recht fortzuführen, sofern sich nicht aus speziellen Regelungen etwas anderes ergibt - und zwar gerade auch dann, wenn der Ausgangsbescheid (wie hier) noch nach altem Recht erlassen worden war. Wenn hiernach somit auf einen Zeitpunkt, der nach dem 31. Dezember 2004 liegt, abzustellen ist, kann dies mithin zur Folge habe, dass eine „Altmaßnahme“ insgesamt oder teilweise keinen Bestand mehr hat (vgl. hierzu im Einzelnen Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand: Dezember 2004, § 102 Rdnr. 2 ff.). So liegt es hier.
Das Widerspruchsverfahren hinsichtlich der Ausweisungsverfügung des Antragsgegners vom 11. Mai 2004 ist noch nicht bestandskräftig abgeschlossen, da der Widerspruchsbescheid noch aussteht. Folge hiervon ist, dass das Widerspruchsverfahren und ein gerichtliches Verfahren nach dem neuen Recht des Aufenthaltsgesetzes fortzuführen sind. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den hier vorliegenden Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO sind daher allein die Bestimmungen des zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes und nicht mehr die des zum 31. Dezember 2004 außer Kraft getretenen Ausländergesetzes maßgeblich.
Nach diesen Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes erfüllt der Antragsteller zwar vom Ansatz her weiterhin den Tatbestand der Regelausweisung des § 54 Nr. 3 AufenthG (früher § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG). Anders als nach der früheren Rechtslage nach dem Ausländergesetz genießt er aber unter der Geltung des neuen Aufenthaltsgesetzes nach § 56 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz. Unter diese Bestimmung fällt ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und u. a. als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Der Antragsteller erfüllt diese Voraussetzungen, da er im Jahre 1993 mit elf Jahren ins Bundesgebiet eingereist ist und seit 1997 jeweils befristete Aufenthaltsbefugnisse besaß. Diese Aufenthaltsbefugnisse gelten nach § 101 Abs. 2 AufenthG als „übrige Aufenthaltsgenehmigungen“ i. S. d. Ausländergesetzes als Aufenthaltserlaubnisse nach neuem Recht fort.
Folge dieses besonderen Ausweisungsschutzes ist gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, dass aus der Regelausweisung eine Ausweisung nach Ermessen wird. Nach § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG sind bei der Entscheidung über die (Ermessens-)Ausweisung wie bisher (vgl. dazu § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) insbesondere die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Gerichtes über den vorliegenden Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist die ursprünglich rechtmäßige Ermessensbetätigung des Antragsgegners in seiner Ausweisungsverfügung vom 11. Mai 2004 jedoch nicht mehr uneingeschränkt ermessensfehlerfrei. Denn der Antragsgegner hat es ermessensfehlerhaft versäumt, die in Kürze (Ende März 2005) anstehende Gesellenprüfung hinreichend in den Blick zu nehmen. Die Kammer geht dabei davon aus, dass die Gesellenprüfung - wie vom Antragsteller angegeben und beantragt - auch tatsächlich Ende März d. J. und nicht - wie vom Antragsgegner aufgrund nur des Endes des Ausbildungsverhältnisses mit der Gaststätten Betriebs GmbH am 31. August 2005 vermutet - erst im Anschluss an das Ende des vertraglichen Ausbildungsverhältnisses stattfindet. Es ist gerichtsbekannt, dass die Abschlussprüfungen der Auszubildenden bereits einige Monate vor dem eigentlichen Ende des Ausbildungsvertrages durchgeführt werden. Bei dieser Sachlage überwiegt das Interesse des Antragstellers, seine zweijährige Ausbildung mit der Gesellenprüfung abzuschließen, das öffentliche Interesse an seiner möglichst kurzfristigen Aufenthaltsbeendigung in Deutschland.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.