Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 15.02.2005, Az.: 4 A 58/04

Abschiebung; Ashkali; Asyl; politische Verfolgung; Serbien-Montenegro; Änderung der Sach- und Rechtslage

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
15.02.2005
Aktenzeichen
4 A 58/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50632
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Klägerin ist Staatsangehörige von Serbien und Montenegro. Sie gehört nach ihren Angaben zur Volksgruppe der Roma und stammt aus G., Provinz Kosovo. Die Klägerin reiste mit ihrer Familie im Jahr 1990 in das Bundesgebiet ein. Den ersten Asylantrag der Klägerin und ihrer Familie lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 2. September 1994 ab. Gleichzeitig stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Die Klage der Klägerin war erfolglos. Auf ihren Folgeantrag hin stellte das Verwaltungsgericht Dresden mit Urteil vom 30. November 1998 (3 K 31325/98) fest, dass im Falle der Klägerin Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Es sei glaubhaft dargelegt worden, dass der Heimatort der Klägerin umkämpft sei und dass sie nur unter Gefahr für Leib oder Leben dahin zurückkehren könne. Es bestehe deswegen ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Seinen hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung nahm der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten zurück. Daraufhin stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 15. Dezember 1999 fest, dass im Falle der Klägerin ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Jugoslawiens vorliege, weil es hierzu mit Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden verpflichtet worden sei. Im Übrigen lägen Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vor.

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Mit Schreiben vom 14. November 2003 hörte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Klägerin zu dem beabsichtigten Widerruf der getroffenen Feststellung an. Die Klägerin wandte hiergegen ein, die Feststellung beruhe auf dem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil des Verwaltungsgerichts Dresden. Dieses entfalte Wirkung auch für die Zukunft. Den Antrag auf Zulassung der Berufung hiergegen habe die Beklagte zurückgenommen. Dies sei zu einer Zeit gewesen, als sich die Lage, die zur Zuerkennung des Abschiebungsschutzes geführt habe, bereits geändert gehabt habe.

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Mit Bescheid vom 21. Januar 2004 widerrief das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die mit Bescheid vom 15. Dezember 1999 zu § 53 Abs. 6 AuslG getroffene Feststellung. Wegen der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen.

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Die Klägerin hat am 6. Februar 2004 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Der Widerruf sei rechtswidrig, weil er nicht unverzüglich erfolgt sei. Auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG sei nicht eingehalten worden. Das Verfahren sei nicht durch den Leiter des Bundesamtes eingeleitet worden, sondern der Vizepräsident habe eine andere Person mit der Durchführung des Verfahrens beauftragt. Es sei keine nachträgliche Veränderung der Verhältnisse im Kosovo zu erkennen. Wegen der aktuellen Lage im Kosovo, die sich im März 2004 verschärft habe, könne keinem Flüchtling die Rückkehr dorthin zugemutet werden. Die Lage dort sei verfolgungsbedingt, weil sie auf die Vertreibungsmaßnahmen zurückgingen. Sie, die Klägerin, sei hiervon besonders betroffen, weil sie zur Gruppe der Roma gehöre. Bei Angehörigen von Minderheiten aus dem Kosovo sei davon auszugehen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 Satz 4c AufenthG gegeben sei.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 21. Januar 2004 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung führt sie aus, es sei nicht zu beanstanden, dass der Vizepräsident des Bundesamtes eine andere Person mit der Durchführung des Widerrufsverfahrens beauftragt habe. Die Delegation der Befugnis zur Einleitung eines Widerrufsverfahrens auf den Vizepräsidenten sei durch den Wortlaut des § 73 Abs. 4 AsylVfG gedeckt. Die Vorschrift diene auch nicht dem Schutz des Betroffenen. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz vom 26. Mai 2004 Bezug genommen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Bezug genommen. Es hat auch die Ausländerakte des Landkreises L.-D. vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage bleibt ohne Erfolg. Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 21. Januar 2004 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, die in dem Bescheid vom 15. Dezember 1999 zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG getroffenen Feststellung zu widerrufen, ist dabei an § 73 AsylVfG in der seit dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung zu messen, die die Vorschrift durch das Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) erhalten hat, denn gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG stellt das Gericht in Streitigkeiten nach dem AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab. Nach § 73 Abs. 3 AsylVfG n.F. ist die Entscheidung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 des AufenthG vorliegen, zurückzunehmen, wenn sie fehlerhaft ist und zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Da § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in seinen Tatbestandsvoraussetzungen § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG entspricht, ist dabei auch der Widerruf einer Feststellung, die - wie hier - auf der Grundlage des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG getroffen wurde, nicht zu beanstanden, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu dem für das Gericht maßgebenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorliegen.

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So liegt es hier. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die genannten Rechtsgüter zu werden, reicht dabei nicht aus, um eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen. Vielmehr ist erforderlich, dass eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit besteht (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 zu § 53 AuslG). Eine derartige Gefährdung ist für die Klägerin nicht ersichtlich. Dabei macht sie selbst nicht geltend, dass ihr Gefahr für die durch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geschützten Rechtsgüter aus individuellen Gründen droht. Soweit sie sich auf Übergriffe beruft, unter denen Roma und Ashkali in der Provinz Kosovo nach den vorliegenden Erkenntnismitteln in der Vergangenheit zu leiden hatten, drohte eine solche Gefahr nicht ihr individuell sondern den Angehörigen ethnischer Minderheiten allgemein. Gefahren, von denen eine ganze Bevölkerungsgruppe oder die gesamte Bevölkerung betroffen sind, stellen grundsätzlich kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AuslG dar. Sie werden nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG allein von der obersten Landesbehörde im Rahmen ihrer Entscheidungsbefugnis nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Nur dann, wenn dem einzelnen Ausländer kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 Satz 1 AuslG zusteht, er aber gleichwohl ohne Verletzung höherrangigen Verfassungsrechts nicht abgeschoben werden darf, ist bei verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Einzelfall Schutz vor der Durchführung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Das ist der Fall, wenn die obersten Landesbehörden trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, von ihrer Ermächtigung aus § 60a AufenthG keinen Gebrauch gemacht haben, einen generellen Abschiebestopp zu verfügen. Dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem einzelnen Ausländer unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren. In solchen Fällen ist § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass derartige Gefahren im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind (z.Vorst: BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324; Urt. v. 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249 zu § 53 Abs.6 AuslG). Eine extreme Gefahrenlage ist dabei nicht nur dann gegeben, wenn Tod oder schwerste Verletzung sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat eintreten. Sie besteht vielmehr auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, Beschl. v. 26.1.1999 - 9 B 617.98 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 14). Zu einer verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG besteht allerdings kein Anlass, wenn der Abschiebung anderweitige Hindernisse wie ein ausländerrechtlicher Erlass oder eine aus individuellen, von dem Asylverfahren unabhängigen Gründen erteilte Duldung entgegenstehen, die einen gleichwertigen Schutz bieten; d.h. einen Schutz, der dem entspricht, den der Ausländer bei Vorliegen eines Erlasses nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG oder bei Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erreichen könnte (BVerwG, Urt. v. 12.7.2001 - 1 C 2.01 -, BVerwGE 114, 379 zu § 53 Abs. 6 AuslG).

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Es sind keine Gründe ersichtlich, die es gebieten könnten, im Rahmen des § 60 Abs. 7 AufenthG von dieser zu § 53 Abs. 6 AuslG ergangen Rechtsprechung abzuweichen. Solche ergeben sich auch nicht aus der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes), die auch Mindestnormen für die Bestimmung und die Merkmale eines gegenüber der Rechtsstellung als Flüchtling subsidiären Schutzstatus enthält (Richtlinie 2004/83/EG des Rates, Präambel Nr. 24). Anspruch auf subsidiären Schutz hat dabei u.a. ein Drittstaatsangehöriger, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 zu erleiden und der den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will (Art. 2e Richtlinie 2004/83/EG des Rates), soweit auf ihn die Ausschlussregelung des Art. 17 keine Anwendung findet. Als ernsthafter Schaden gilt nach Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Herkunftsland oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Diese Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates stehen einer Auslegung des § 60 Abs. 7 AuslG in der oben dargelegten Weise nicht entgegen (so auch VG Stuttgart, Urt. v. 21.1.2005 - 12 K 10986/04 -). Abgesehen von dem Umstand, dass die Frist zur Umsetzung der Richtlinie noch nicht abgelaufen ist (Art. 38 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates), stellen Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung dar, die als ernsthafter Schaden im Sinne der Richtlinie zu beurteilen wäre (Richtlinie 2004/83/EG des Rates, Präambel Nr. 26).

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Die Klägerin kann wegen ihrer Volkszugehörigkeit keinen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verlangen. Dabei kann dahinstehen, ob die derzeitige Erlasslage in Niedersachsen (vgl. Erlasse v. 23.9.2004 und v. 25.6.2004) Angehörigen der Roma und Ashkali aus dem Kosovo einen Schutz bietet, der dem entspricht, der bei Vorliegen eines Erlasses nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG oder bei Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erreicht werden könnte (so NdsOVG, Beschl. v. 19.1.2005 - 8 LA 3/05 -). Die Situation der Roma und Ashkali in Serbien und Montenegro, speziell in der Provinz Kosovo, rechtfertigt nach den vorliegenden Erkenntnismitteln jedenfalls nicht die Annahme, ihnen drohe im Falle ihrer Rückkehr eine extreme Gefahrenlage die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde. Allerdings kam es in der Provinz Kosovo in der Vergangenheit zu massiven Übergriffen von Zivilisten gegenüber Mitgliedern der Minderheitsethnien, auch gegen Roma und Ashkali (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 18.5.2000; UNHCR, Auskünfte an das Nds.OVG v. 28.7.2000 u. v. 4.10.2000, Bericht v. September 2000: „Aktueller Überblick über die Lage im Kosovo“). In der Folgezeit sind die schweren Zwischenfälle aber zurückgegangen, die Sicherheitslage und die Gesamtsituation der Gemeinschaften von Roma, Ashkali und Ägyptern hatte sich bis März 2004 verbessert, so dass in vielen Regionen von einer stabilisierten Situation gesprochen wurde (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 27.11.2002; UNHCR/OSCE: „Beurteilung der Situation ethnischer Minderheiten im Kosovo für den Zeitraum von September 2001 bis April 2002“, Presseerklärung v. 30.5.2002; UNHCR, Bericht v. Oktober 2001: „Beurteilung der Situation ethnischer Minderheiten im Kosovo“, Auskunft an das VG Kassel v. 26.10.2001; Bericht v. Januar 2003: "Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo"; Schweizer Flüchtlingshilfe, Bericht v. 25.4.2002: „Minderheiten aus Kosova“, Bericht v. 16.4.2002: „Kosova - Situation der Minderheiten“). Im März 2004 kam es dann zu Ausschreitungen albanischer Volkszugehöriger gegenüber Angehörigen der Minderheiten. Hauptsächliches Ziel der interethnischen Gewalt waren die Kosovo-Serben. Gleichzeitig waren jedoch auch Roma, Ashkali and Ägypter von verschiedenen, schweren Übergriffen betroffen. Dies traf insbesondere auf die Stadt Vushtrri/Vucitrn zu, wo das gesamte Wohnviertel der Ashkali systematisch angegriffen wurde und Häuser zerstört und geplündert wurden (UNHCR, „Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo“ v. August 2004). Zu Übergriffen auf Roma und Ashkali/Ägypter ist es aber auch in anderen Orten des Kosovo gekommen, so z.B. in Obilic, Fushe Kosove/Kosovo Polje und Lipljan. Dabei kam es zwar nicht zu Todesopfern aber zu Verletzten. Zahlreiche Häuser gingen in Flammen auf. Schlimmeres verhinderte die UNMIK-Polizei (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 4.11.2004). Die Unruhen im März 2004 wurden jedoch nach kurzer Zeit insbesondere durch die rasche Entsendung von 2.000 Soldaten der NATO unterbunden (vgl. UNHCR, Bericht v. 30.3.2004). Wegen der Verstärkung der Sicherheitskräfte im Kosovo ist es seitdem nicht mehr zu Ausschreitungen gekommen. Da die Truppenverstärkungen aufrecht erhalten bleiben und die KFOR ihre Präsenz in besonders brisanten Gebieten verstärkt hat, ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass es in absehbarer Zeit erneut zu Unruhen kommen wird, die sich gegen Angehörige der Roma und Ashkali in einer Weise richten werden, dass jeder Rückkehrer einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgesetzt wäre. Auch die Berichte des UNHCR vom Juni 2004 und vom August 2004 („Update on the Kosovo Roma, Ashkaelia, Egyptian, Serb, Bosniak, Gorani communities in a minority situation“, Juni 2004, „Position zur fortdauernden internationalen Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo“, August 2004) lassen nicht erkennen, dass für Angehörige der Roma bzw. Ashkali generell die Gefahr des sicheren Todes oder schwerster Verletzungen besteht. Den genannten Berichten ist vielmehr zu entnehmen, dass die Sicherheitslage von den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten und mehreren individuellen Faktoren, wie z.B. Sprachkenntnissen und Verhalten der Betroffenen bzw. ihren Kontakten zu Albanern oder Serben vor der Ausreise abhängig ist und dass durchaus Orte existieren, an denen sich Angehörige der Roma bzw. Ashkali gefahrlos aufhalten können und wo ihre Existenz auch in wirtschaftlicher Hinsicht gesichert ist (vgl. auch Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 4.11.2004). Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln ist weiter nicht davon auszugehen, dass Angehörige der Roma und Ashkali in der Provinz Kosovo konkret vom Hungertod bedroht sind. Die Bevölkerung des Kosovo ist bis auf wenige Ausnahmen (z.B. sozial schwache Bewohner von Enklaven) nicht mehr auf die Lebensmittelversorgung durch internationale Hilfsorganisationen angewiesen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet. Bedürftige Personen erhalten Unterstützung in Form von Sozialhilfe, die von den Municipalities ausgezahlt wird, auch wenn sie sich auf sehr niedrigem Niveau bewegt (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 4.11.2004).

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Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 30. November 1998 steht einem Widerruf der in dem Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 15. Dezember 1999 zu § 53 Abs. 6 AuslG getroffenen Feststellung nicht entgegen. Die bindende Rechtskraftwirkung eines Urteils endet, wenn sich die zur Zeit des Urteils maßgebende Sach- und Rechtslage entscheidungserheblich ändert. Eine entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage liegt dann vor, wenn nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgebenden Zeitpunkt neue, für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgebenden Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder das Gericht gerechtfertigt ist. Dabei kann von einer derartigen Änderung regelmäßig ausgegangen werden, wenn auf der Grundlage einer veränderten Sachlage ein von dem rechtskräftigen Urteil abweichendes Ergebnis erzielt wird (vgl. z. Vorst.: BVerwG, Urt. v. 18.9.2001 - 1 C 7.01 - BVerwGE 115, 118 zu § 73 Abs. 3 AsylVfG a.F.) So liegt es hier, denn die tatsächlichen Verhältnisse in der Provinz Kosovo haben sich seit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Dresden am 30. November 1998 durch den vollständigen Abzug aller serbischen bzw. jugoslawischen Armeetruppen, sonderpolizeilichen Einheiten und paramilitärischen Gruppen aus dem Kosovo und das Einrücken der UN-Friedenstruppe Kosovo Force (KFOR) im Sommer 1999 maßgeblich verändert.

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Auf die Frage, inwieweit der Widerruf unverzüglich erfolgt ist, kommt es nicht an, denn anders als § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nennt § 73 Abs. 3 AsylVfG dieses Erfordernis nicht. Der Widerruf nach § 73 Abs. 3 AsylVfG ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift weiter nicht fristgebunden. Die Widerrufsentscheidung leidet auch nicht unter Verfahrensfehlern. Gemessen an § 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG ist es nicht zu beanstanden, dass der Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Entscheidung über die Einleitung eines Widerrufsverfahrens auf den Vizepräsidenten des Bundesamtes übertragen hat, der die Durchführung des Verfahrens delegiert hat. Da Streitgegenstand hier allein der Widerruf der zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG getroffenen Feststellung ist kommt es zuletzt nicht darauf an, ob für Angehörige der Roma aus dem Kosovo ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG gegeben ist (so VG Stuttgart, Urt. v.17.1.2005 - 10 K 10359/04 -). Die Prüfung dieser Frage setzte die Durchführung eines erneuten Asylverfahrens auf Antrag der Klägerin voraus.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.