Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.03.2008, Az.: 1 OB 14/08
Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten zu einer Untätigkeitsklage bei Entbehrlichkeit der Einleitung eines Widerspruchsverfahrens; Erstattungsfähigkeit von Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 05.03.2008
- Aktenzeichen
- 1 OB 14/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 13638
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2008:0305.1OB14.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Göttingen - 07.01.2008 - AZ: 2 A 227/07
Rechtsgrundlagen
- § 75 VwGO
- § 161 Abs. 2 VwGO
- § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO
- Art. 14 Abs. 1 GG
Fundstellen
- JurBüro 2008, 322 (amtl. Leitsatz)
- NVwZ-RR 2008, VI Heft 7 (amtl. Leitsatz)
- NVwZ-RR 2008, 849-850 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten bei Untätigkeitsklage ist nur dann im Sinne des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht notwendig, wenn schon die Einleitung des Widerspruchsverfahrens entbehrlich war (Abgrenzung zu den Senatsbeschlüssen vom 1.3.2006 - 1 OB 29/06 -, Vnb. und vom 8.1.2007 - 1 OB 81/07 -, NVwZ-RR 2007, 430).
Gründe
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Zuziehung des Bevollmächtigten der Klägerin für seine Tätigkeit im Rahmen eines Widerspruchs, welchen die Klägerin vor Erhebung der Untätigkeitsklage eingelegt hatte, nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären ist.
Die Klägerin beantragte im Dezember 2006 bei der Beklagten, ihr die Errichtung zweier Werbetafeln von 11,4 qm Fläche zu genehmigen. Die Tafeln sollten an einem Lidl-Markt angebracht werden. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich einer zusammen mit einem Bebauungsplan erlassenen örtlichen Bauvorschrift der Beklagten. Diese schließt Werbeträger über 10 qm Fläche und außerdem aus, Fremdwerbung zu betreiben.
Die Beklagte lehnte den Bauantrag durch Bescheid vom 14. Mai 2007 ab. Hiergegen legte die Klägerin durch ihre Verfahrensbevollmächtigten am 7. Juni 2007 Widerspruch ein. Zur Begründung verwies sie u.a. auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. April 1972 (- IV C 11.69 -, BVerwGE 40, 94 = DVBl 1973, 40 = BRS 25 Nr. 27). Danach sei ein generalisierendes Verbot, in diesem Sondergebiet Anlagen für Fremdwerbung zu installieren, wegen Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 GG unwirksam.
Am 31. Oktober 2007 hat die Klägerin Untätigkeitsklage mit dem Ziel erhoben, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 14. Mai 2007 zur Erteilung der begehrten Baugenehmigung zu verpflichten. Durch Widerspruchsbescheid vom 1. November 2007 - abgesandt am 8. November 2007 - wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf die genannten Bestimmungen der örtlichen Bauvorschrift zurück.
Die Klägerin nahm daraufhin den Bauantrag zurück. Mit Schriftsatz vom 15. November 2007 hat die Klägerin das Verfahren daraufhin für erledigt erklärt. Dem hat sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 22. November 2007 angeschlossen. Darin erklärte sie sich bereit, die Verfahrenskosten zu tragen.
Mit Beschluss vom 26. November 2007 stellte das Verwaltungsgericht Göttingen das Verfahren ein und legte die Verfahrenskosten wegen ihres schriftlichen Einverständnisses der Beklagten auf.
Den mit Schriftsatz vom 27. November 2007 gestellten Antrag, die Zuziehung eines Rechtsanwalts für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, hat das Verwaltungsgericht mit dem hier angegriffenen Beschluss vom 7. Januar 2008 abgelehnt. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des Senats in seinem Beschluss vom 8. Januar 2007 - 1 OB 81/07 -, NVwZ-RR 2007, 430, bezogen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde, welcher das Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat und zu der sich die Beklagte nicht äußert.
Die Beschwerde hat Erfolg.
Sie ist zulässig. § 158 Abs. 1 VwGO steht ihr nicht entgegen; denn es handelt sich nicht um eine Frage der Kostengrundentscheidung, sondern um einen Zwischenstreit im Rahmen der Kostenfestsetzung (vgl. Sodan/Ziekow-Neumann, VwGO 2. Aufl., § 167 Rdnr. 119).
Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet. Nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO sind Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten erstattungsfähig, wenn ein Vorverfahren geschwebt hat und das Gericht dessen Zuziehung für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Die bisherige Senatsrechtsprechung (vgl. neben dem oben zitierten Beschluss vom 8. Januar 2007 - 1 OB 81/07 -, NVwZ-RR 2007, 430 noch die unveröffentlichte Entscheidung vom 1. März 2006 - 1 OB 29/06 -) steht einer Beschwerdestattgabe nicht entgegen. In beiden zitierten Entscheidungen, welche Untätigkeitsklagen betrafen, hatte der Senat zwar einen dahingehenden Ausspruch abgelehnt. Wesentlicher Hintergrund dieser Entscheidungen war jedoch die Einschätzung, dass schon die Einleitung des Widerspruchsverfahrens aus der Sicht des Klägers nicht notwendig war und dementsprechend auch die Tätigkeit seines Bevollmächtigten dort nicht i.S. des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig anerkannt werden konnte. In dem Beschluss vom 1. März 2006 (- 1 OB 29/06 -) hatte der Senat dies daraus gefolgert, dass das Verwaltungsgericht für einen Termin, der nur eine Woche nach Erlass des ablehnenden Bescheids des neuen Beklagten gelegen hatte, Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt gehabt hatte. Dem Kläger war trotz aller Unübersichtlichkeit, welche die Anwendung des § 75 VwGO mit sich zu bringen geeignet ist, daher zuzumuten, erst einmal diesen Termin abzuwarten und sich erst dann zu versichern, ob es eines Widerspruchsverfahrens und der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts zu dessen Einleitung und Durchführung bedurfte. In dem vom Verwaltungsgericht herangezogenen, unter dem 8. Januar 2007 (- 1 OB 81/07 -, a.a.O.) entschiedenen Fall hatte der Kläger den nach Erhebung der Untätigkeitsklage erlassenen ablehnenden Bescheid zwar entsprechend der ihm beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung mit dem Widerspruch angegriffen, während der sich anschließenden eineinhalb Jahre jedoch keine Anstalten getroffen, das Verwaltungsgericht zu veranlassen, das Verfahren auszusetzen und so die Behörde zur Bescheidung des Widerspruchs zu bewegen. Auch in diesem Falle stellte sich die Einlegung des Widerspruchs und Einleitung des Widerspruchsverfahrens daher nicht als Maßnahme dar, welche zur Erreichung des Klageziels als notwendig und sachgerecht schien. War das Widerspruchsverfahren selbst damit nicht notwendig gewesen, konnte auch die Zuziehung des Bevollmächtigten für diese Verfahrenshandlung nicht als i.S. des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO notwendig anerkannt werden.
Hier liegt es grundlegend anders. Hätte die Klägerin gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 2007 nicht, wie unter dem 7. Juni 2007 geschehen, Widerspruch eingelegt, wäre der ablehnende Bescheid bestandskräftig und damit die Führung einer Klage unzulässig geworden. Dieses Widerspruchsverfahren war dann erst nachdem sie am 31. Oktober 2007 Klage erhoben durch Erlass des Widerspruchsbescheides vom 1. November 2007 mit der Folge abgeschlossen worden, dass eine dem "Regelfall" vergleichbare Sachlage, in dem also die Erhebung der Verpflichtungsklage dem Erlass des Widerspruchsbescheides nachfolgt, im Sinne der Ausführungen des Senatsbeschlusses vom 8. Januar 2007 (- 1 OB 81/07 -, a.a.O.) wiederhergestellt worden war.
Die Überlegung, die Klägerin habe das Klageverfahren trotz Zurückweisung ihres Widerspruchs ja nicht fortgeführt, betrifft nicht die Notwendigkeit, ein solches Widerspruchsverfahren zu führen, sondern die Kostengrundentscheidung, welche das Verwaltungsgericht nach § 161 Abs. 2 VwGO im Einstellungsbeschluss vom 26. November 2007 getroffen hatte. Für die Frage, ob die Einleitung des Widerspruchsverfahrens notwendig war (vgl. Bader, VwGO, 4. Aufl. 2007, § 162 Rdnr. 17: Das Vorverfahren muss nur geschwebt haben, es muss nicht notwendig abgeschlossen worden sein), ist das ohne Aussagekraft.
Die Zuziehung der Bevollmächtigten für das Vorverfahren war auch inhaltlich veranlasst. Notwendig ist die Zuziehung eines Bevollmächtigten, wenn es dem betroffenen Bürger nicht zuzumuten ist, seine Interessen gegenüber der Verwaltung ohne sachkundigen Beistand zu wahren. Hier stellte sich die schwierige Frage, ob eine örtliche Bauvorschrift wirksam sein konnte, die für ein Sondergebiet jegliche Fremdwerbung ausschließt und Eigenwerbung nur in räumlich sehr untergeordnetem Umfang zulässt. Das sind Fragen, welche selbst ein auf die Installation von Werbeanlagen spezialisiertes Unternehmen nicht allein mit eigenem Sachverstand zu beantworten braucht. Die Klägerin durfte die Zuziehung eines Rechtskundigen für notwendig erachten, um ihre Interessen gegenüber der Beklagten zu wahren.