Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.03.2008, Az.: 9 ME 149/08

Dürftigkeitseinrede; Eigenschulden; Erbe; Erblasser; Nachlass; Nachlassverbindlichkeit; Niederschlagswasser; Niederschlagswassergebühren; Tod; Unzulänglichkeitseinrede; Verbindlichkeit; Vollstreckung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
06.03.2008
Aktenzeichen
9 ME 149/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 55069
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 13.02.2008 - AZ: 1 B 13/07

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Niederschlagswassergebühren, die nach dem Tod des Erblassers entstehen, sind keine reinen Nachlassverbindlichkeiten, sondern Eigenschulden des Erben. Daher greifen diesen gegenüber im Fall der Vollstreckung die Dürftigkeits- und Unzulänglichkeitseinrede nach § 1990 BGB nicht.

Gründe

1

Der minderjährige Antragsteller wendet sich im Beschwerdeverfahren noch gegen die Heranziehung zur Niederschlagswassergebühr.

2

Nach dem Tod seines Vaters im September 2005 erbte der Antragsteller eine Eigentumswohnung sowie einen Miteigentumsanteil an dem dazugehörigen Grundstück. Die Eigentumswohnung ist mit einer Grundschuld belastet, die der Sicherung eines vom Vater des Antragstellers aufgenommenen und noch nicht zurückgezahlten Darlehens bei der Stadtsparkasse D. dient. Die Höhe des noch ausstehenden Darlehens übersteigt den derzeitigen Marktwert der Eigentumswohnung und damit auch zugleich denjenigen des Nachlasses. Die Stadtsparkasse D. betreibt die Zwangsversteigerung der Eigentumswohnung.

3

Mit Bescheid vom 22. Dezember 2006 zog die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Grundsteuer in Höhe von 166,08 € sowie zur Niederschlagswassergebühr in Höhe von 20,60 € für den Veranlagungszeitraum 2007 heran. Dagegen hat der Antragsteller Klage erhoben.

4

Das Verwaltungsgericht hat auf den - nach einer Pfändungsankündigung der Antragsgegnerin - vom Antragsteller angestrengten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage hinsichtlich der Festsetzung der Grundsteuer angeordnet und den Antrag im Übrigen hinsichtlich der Festsetzung der Niederschlagswassergebühren abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Festsetzung der Grundsteuer betreffe Nachlassverbindlichkeiten im Sinne von Erblasserschulden, gegen die der Antragsteller die Dürftigkeits- und Unzulänglichkeitseinrede nach § 1990 Abs. 1 BGB wegen des die Darlehensforderung unterschreitenden Werts der Eigentumswohnung erfolgreich erheben könne. Bei den festgesetzten Niederschlagswassergebühren hingegen handele es sich nicht um Erblasserschulden, sondern um Eigenschulden des Antragstellers. Ihnen gegenüber könne der Antragsteller die Haftungsbeschränkungen der §§ 1975 ff. BGB nicht geltend machen, selbst wenn diese Verbindlichkeiten noch als Nachlasserbenschulden anzusehen sein sollten. Die Vollziehung des Abgabenbescheids sei für den Antragsteller auch nicht mit einer unbilligen Härte im Sinne von § 80 Abs. 4 VwGO verbunden. Ein über die Zahlung der Niederschlagswassergebühren hinausgehender Nachteil für den Antragsteller sei weder dargetan noch ersichtlich.

5

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.

6

Er wendet gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ein, die Niederschlagswassergebühren seien ebenfalls Nachlassverbindlichkeiten, auf die die Vorschriften der §§ 1975 ff. BGB anzuwenden seien. Zu den Nachlassverbindlichkeiten gehörten als sogenannte Nachlasserben- oder Nachlassverwaltungsschulden auch solche Verbindlichkeiten, die der Erbe in ordnungsgemäßer Verwaltung des Nachlasses selbst eingegangen sei. Bei den Benutzungsgebühren handele es sich um solche Nachlassverbindlichkeiten, die aus der Verwaltung der Eigentumswohnung und des gemeinschaftlichen Eigentums herrührten. Gegenüber den Nachlassverbindlichkeiten könne er sich mit Erfolg auf die Einrede der Unzulänglichkeit des Nachlasses berufen. Weiter bedeute die Vollziehung des Abgabenbescheids für ihn eine unbillige Härte, weil er mangels eigenen Vermögens den Betrag nicht zahlen könne und deshalb gezwungen sei, die eidesstattliche Versicherung abzugeben.

7

Diese Einwände gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen nicht zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Nach der im Beschwerdeverfahren allein möglichen summarischen Prüfung hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die festgesetzten Niederschlagswassergebühren Eigenverbindlichkeiten des Antragstellers und nicht reine Nachlassverbindlichkeiten sind. Der Charakter der Schulden als Eigenschulden erschließt sich hier daraus, dass es nicht um Verpflichtungen aus rechtsgeschäftlichem Handeln des Erben zwecks Verwaltung des Nachlasses geht, bei dem möglicherweise durch ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung des Erben gegenüber dem Vertragspartner die Haftung auf die Erbmasse beschränkt werden kann, sondern dass das Gebührenschuldverhältnis ein durch Rechtsnorm (Rechtssatz, Gebührensatzung) definiertes öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis ist (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 27.2.2001 - 9 B 157/01 - KStZ 2001, 216 = NVwZ-RR 2001). Nach § 11 Abs. 1 Nr. 2b NKAG i. V. m. § 38 AO entstehen Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Satzung die Leistungspflicht knüpft. Hier setzt die Verpflichtung zur Entrichtung von Niederschlagswassergebühren bei der Eigentümerstellung des Antragstellers und dem Anschluss an den Niederschlagswasserkanal an, ohne dass es für die Gebührenpflicht auf den Erwerbsgrund (Kauf, Tausch, Schenkung, Vererbung) ankommt. Die Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung zur Ableitung des Niederschlagswassers setzt auf Seiten des Nutzers kein rechtsgeschäftliches Handeln voraus.

8

Ob die zu zahlenden Niederschlagswassergebühren daneben noch - wie der Antragsteller meint - Nachlasserbenschulden sind, kann offen bleiben. Für Nachlasserbenschulden kann der Erbe, da er gleichzeitig mit seinem Eigenvermögen haftet, die Haftung nicht auf den Nachlass beschränken. Nachlasserbenschulden sind solche Verbindlichkeiten, die Nachlassverbindlichkeiten und zugleich persönliche Verbindlichkeiten des Erben sind. Die Gläubiger solcher Verbindlichkeiten können sowohl den Nachlass als auch das sonstige Vermögen des Erben in Anspruch nehmen (vgl. zu diesen Schulden mit doppeltem Haftungsgegenstand: Siegmann in Münchner Kommentar zum BGB, 2. Aufl., 2004, § 1967 Rdnr. 21; Stein in Soergel, Kommentar zum BGB, 11. Aufl., 1982, § 1967 BGB Rdnrn. 8, 9, 17; Marotzke in Staudinger, Kommentar zum BGB, 12. Auflage, 1989, § 1967 BGB Rdnrn. 4, 5, 36; Schlüter in Erman, Kommentar zum BGB, 11. Auflage, 2004, § 1967 BGB Rdnrn. 8 und 9; Edenhofer in Palandt, Kommentar zum BGB, 67. Aufl., 2008, § 1967 Rdnr. 8). Wenn der Gläubiger in das Eigenvermögen des Erben vollstrecken will - wie hier die Antragsgegnerin - greifen indes die erbrechtlichen Einreden nach § 1990 Abs. 1 BGB gegenüber dem Haftungsgrund der Eigenschuld nicht durch (OVG Münster, Beschluss vom 27.2.2001 - 9 B 157/01 - a. a. O.).

9

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend verneint, dass mit der Vollziehung des Anspruchs auf Zahlung der Niederschlagswassergebühren eine unbillige Härte verbunden ist. Solche wäre nur anzunehmen, wenn dem Antragsteller durch die sofortige Vollziehung wirtschaftliche Nachteile drohten, die über die eigentliche Zahlung hinausgingen und nicht bzw. kaum wieder gut zu machen wären. Dafür reicht die vom Antragsteller befürchtete Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nicht aus. Wenn der Antragsteller - eigenen Angaben zufolge - bereits vor einer Vollstreckung der Niederschlagswassergebühren vermögenslos ist, ist nicht ersichtlich, weshalb mit einer - möglicherweise erfolglosen - Vollstreckung des Gebührenbescheids eine Härte verbunden sein soll, zumal die Offenbarungspflicht bei der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung - sollte es überhaupt zu einer solchen kommen - nur den prozessfähigen Schuldner, mithin nicht den zehnjährigen Antragsteller persönlich, sondern seine gesetzliche Vertreterin trifft.