Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.03.2008, Az.: 5 MC 311/07
Berechnung der amtsbezogenen Mindestversorgung von Beamten im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes; Verfassungsrechtliche Anforderungen der amtsgemäßen sowie der (bedarfs-)angemessenen Versorgung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 20.03.2008
- Aktenzeichen
- 5 MC 311/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 14579
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2008:0320.5MC311.07.0A
Rechtsgrundlagen
- § 14 Abs. 4 BeamtVG
- § 14a BeamtVG
- § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO
- § 294 ZPO
- § 920 Abs. 2 ZPO
Redaktioneller Leitsatz
Einem Beamten, der gerichtlich um die Höhe seiner Versorgungsbezüge streitet, steht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein Anordnungsgrund nicht zur Seite, wenn die ihm gewährte Versorgung über der seinem Statusamt entsprechenden amtsbezogenen Mindestversorgung liegt.
Gründe
Der Antragsteller ist niederländischer Staatsangehöriger. In den Niederlanden leistete er seinen Wehrdienst (13.11.1968 bis 5.12.1969) ab und studierte zunächst - teilweise den Wehrdienst überschneidend - Niederlandistik (Lehramt) sowie vom 1. September 1970 bis 31. August 1974 niederländische Sprach- und Literaturwissenschaft an der Universität B.. Anschließend war er vom 1. September 1974 bis 31. August 1989 vollzeitbeschäftigt als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Status eines "ambtenaar" (Beamten), und zwar erst befristet ("tijd dienst") und ab dem 1. Januar 1978 unbefristet ("vaste dienst"). Seine in dieser Zeit angefertigte Promotion schloss er am 17. Juni 1986 mit der höchsten Auszeichnung ab. Vom 1. September 1989 bis 29. Mai 1991 verwaltete er eine Professorenstelle für das Fach Niederländische Sprachwissenschaften an der Universität C. (nunmehr D. Universität). Am 30. Mai 1991 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Universitätsprofessor ernannt und in eine Planstelle der Besoldungsgruppe C 3 BBesO eingewiesen; es wurde ihm ein entsprechendes Amt bei der Universität C. übertragen, wo er am Institut für neue Philologie den Lehrstuhl für Niederländische Sprachwissenschaften innehatte.
Der Präsident der D. Universität versetzte den Kläger wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig mit Ablauf des 31. Mai 2004 in den Ruhestand.
Mit Bescheid vom 22. April 2004 setzte der Antragsgegner die Versorgungsbezüge fest und legte hierbei einen Ruhegehaltssatz von 41,75 v. H. und einen Versorgungsabschlag vom Ruhegehalt in Höhe von 10,80 v. H. wegen Nichterreichens der Altersgrenze zugrunde (Beiakte A, Bl. 65 ff.). Als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigte der Antragsgegner die Promotionszeit (D.) sowie die Zeit der Verwaltung einer Professorenstelle und die im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit verbrachte Dienstzeit. Darüber hinaus berücksichtigte er die Zurechnungszeit gemäß § 13 BeamtVG. Die übrigen in den Niederlanden absolvierten Vordienstzeiten ließ er außer Betracht. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheides Bezug genommen.
Ab dem 65. Lebensjahr hat der Antragsteller einen Anspruch auf Altersrente in den Niederlanden, für deren Berechnung die Beitragszeit vom 13. August 1963 bis zum 11. April 1990 berücksichtigt wird (siehe die Mitteilung der E. in Amsterdam vom 18.1.2005 - Beiakte A, Bl. 80).
Unter dem 7. Oktober 2004/17. Februar 2005 beantragte der Antragsteller die vorübergehende Erhöhung seines Ruhegehaltssatzes nach § 14a BeamtVG. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 14. Juni 2005 ab (Beiakte A, Bl. 81), da die in den Niederlanden erworbenen Rentenanwartschaft nicht zu einer Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung führe und daher die Voraussetzungen des § 14a BeamtVG nicht erfüllt seien.
Der Antragsteller legte gegen den Versorgungsfestsetzungsbescheid mit Schreiben vom 18. Juni 2004 und gegen die Ablehnung der vorübergehenden Erhöhung der Versorgungsbezüge mit Schreiben vom 7. Juli 2005 Widerspruch ein. Die Widersprüche wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2005 zurück (Beiakte A, Bl. 95 f.). Zur Begründung führte er an, dass bei der Berechnung der Versorgungsbezüge mit Blick auf die europarechtlichen Vorgaben die Vorschrift des § 55 Abs. 8 BeamtVG nicht zur Anwendung komme und somit die Überalimentierung, die bei dem Antragsteller wegen der ihm nach niederländischen Recht zustehenden weiteren Altersversorgung eintrete, nicht nach dieser Vorschrift verhindert werden könne. Die Überalimentierung sei daher auf andere Weise zu verhindern, indem entsprechend dem Runderlass des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 29. Oktober 2001 die in den Niederlanden abgeleisteten Vordienstzeiten im Rahmen der Ermessensausübung nicht als solche bei der Festsetzung der Versorgungsbezüge berücksichtigt würden. Eine vorübergehende Erhöhung der Versorgungsbezüge komme aus dem im Ablehnungsbescheid genannten Grund nicht in Betracht.
Nach Zustellung des Widerspruchsbescheides am 27. Oktober 2005 erhob der Antragsteller am 28. November 2005, einem Montag, Klage mit dem Ziel, unter Aufhebung der insoweit entgegenstehenden Bescheide des Antragsgegners diesen zu verpflichten, seine Tätigkeiten an der Universität B. vom 1. September 1974 bis 31. August 1989 mit Ausnahme von zwei Jahren Promotionszeit, die Studienzeiten von September 1970 bis September 1974 und die Zeit des Wehrdienstes als ruhegehaltfähige Dienstzeit anzuerkennen (1.) und ihm Versorgungsbezüge ab dem 1. Oktober 2004 nach einem vorübergehend erhöhten Ruhegehaltssatz zu gewähren (2.).
Das Verwaltungsgericht verpflichtete mit Urteil vom 14. März 2007 den Antragsgegner, dem Antragsteller beginnend mit dem 1. Oktober 2004 Versorgungsbezüge nach einem vorübergehend erhöhten Ruhegehaltssatz gemäß § 14a BeamtVG zu gewähren, wies im Übrigen die Klage ab und ließ die Berufung zu. Die Beteiligten legten wechselseitig gegen das Urteil Berufungen ein, die unter dem Az. 5 LC 204/07 geführt werden und über die noch nicht entschieden ist.
Während des Berufungsverfahrens hat der Antragsteller mit seiner am 3. August 2007 bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht eingegangenen Antragsschrift um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Er begehrt eine Verpflichtung des Antragsgegners, ihm bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren weitere Versorgungsbezüge zu zahlen. Zur Begründung führt er aus, dass seine entsprechend der Rechtsauffassung des Antragsgegners bemessene Versorgung zu einer Existenzgefährdung führe, da er seit seiner Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit gravierende Einkommensverluste erlitten habe. Während er seitdem einen Nettobetrag von 1.787,07 EUR erhalte, seien ihm zuvor monatliche Bezüge in Höhe von 4.462,14 EUR (netto) gewährt worden. Zwischenzeitlich wohne er bei seiner Lebensgefährtin, der er ca. 400,- EUR Miete zahle. Seine Ehefrau, von der er seit Februar 2004 getrennt lebe, erhalte von ihm Unterhalt in Höhe von 378,78 EUR. Zudem leistete er für sich und seine Ehefrau Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 342,80 EUR, sodass ihm gegenwärtig 645,49 EUR verblieben. Er besitze weder Immobilien, Kapitalvermögen noch sonstige Wertsachen. Seine Ersparnisse von 15.000,- EUR seien mittlerweile auf 4.000,- EUR zurückgegangen. Ungeachtet seines Rückgriffs auf sein Vermögen habe er sich gegenüber seiner gewohnten Lebenshaltung als Professor in einer Weise eingeschränkt, die ihm im Hinblick auf die unbekannte Dauer des Verfahrens für die Zukunft nicht länger zugemutet werden könne. Er habe einen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner ihm einen Lebenszuschnitt gewährleiste, der seinem früheren Lebenszuschnitt als Professor in Bezug auf den Kauf von Fachliteratur, Reisen und Kleidung nahe komme und ihm erlaube, sich in einem seinem früheren Status entsprechenden Umfeld zu bewegen. Die Verweisung auf den Mindestruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 2 BeamtVG werde dem Grundsatz amtsangemessener Versorgung im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG nicht gerecht. Die Handhabung seiner Versorgung habe zu einer Verschlimmerung seiner Erkrankung geführt. Ihm sei eine Lebensführung etwas oberhalb des Sozialminimums nicht zuzumuten. Ihm drohten durch den verfahrensbedingten Zeitablauf weitere Auswirkungen für seine sozial-wirtschaftliche Existenz. Bei der gebotenen Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner bei der Ermessensentscheidung einseitig die Interessen der Allgemeinheit in den Blick genommen habe und er - der Antragsteller - im Falle einer unberechtigten vorübergehenden Erhöhung seiner Versorgungsbezüge jedenfalls bei Erhalt auch der niederländischen Versorgungsbezüge zu einer lebenslangen Rückzahlung in der Lage wäre. Zudem gewähre der Europäische Gerichtshof den von dem Antragsgegner im Widerspruchsbescheid zitierten europarechtlichen, die Freizügigkeit regelnden Verordnungen den Vorrang, was eine Veränderung der Anwendung des Versorgungsrechts bedinge.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren weitere Versorgungsbezüge zu zahlen, die unter Berücksichtigung seiner in den Niederlanden erworbenen Befähigungen bzw. Dienstzeiten in ihrer Höhe nach in das Ermessen des Senats gestellt werden.
Der Antragsgegner hält den Antrag für unbegründet, da das Beamtenversorgungsgesetz ausreichende Regelungen enthalte, die eine Existenzgefährdung verhinderten. Selbst wenn ein Anordnungsanspruch bestünde, hätte der Antragsteller während der Dauer des Hauptsacheverfahrens wirtschaftliche Einschränkungen hinzunehmen, weil die Beträge, die er zusätzlich beanspruchen könne, vorerst nicht zur Auszahlung kämen. Es sei nicht erkennbar, weshalb ihm durchgängig ein Lebenszuschnitt nahe seinem früher üblichen Lebenszuschnitt gewährt werden müsse. Da der Antragsteller Ruhestandsbeamter sei, habe er keinerlei Lehr- und Forschungsverpflichtungen. Ihm sei es daher vorübergehend bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zuzumuten, auf den Erwerb von Fachliteratur und die Teilnahme an Fachtagungen zu verzichten.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
Der Antragsteller hat nicht - wie für den Erlass einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderlich - einen Anordnungsgrund, also dass die Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint, glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die Annahme eines Anordnungsgrundes setzt voraus, dass dem Antragsteller ein Abwarten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar ist (vgl. dazu: Funke-Kaise, in: Bader u. a., VwGO, 4. Aufl. 2007, § 123, Rn. 25).
So verhält es sich hier nicht.
Der Antragsteller vermag die Unzumutbarkeit des Abwartens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht damit begründen, dass ihm derzeit ein Lebenszuschnitt wie in der Zeit seines aktiven Dienstes nicht möglich sei, weil er nun lediglich 1.787,07 EUR netto erhalte, während ihm als aktiver Beamter Besoldung in Höhe von 4.462,14 EUR zur Verfügung gestanden habe. Denn er erhält bei einem Ruhegehaltssatz von 41,75 v. H. auch unter Berücksichtigung des Versorgungsabschlags von 10,80 v. H. des Ruhegehalts Versorgungsbezüge, die noch immer über der im Beamtenversorgungsgesetz geregelten Mindestversorgung liegen. Diese ist in § 14 Abs. 4 BeamtVG i.d F. der Bekanntmachung vom 16. März 1999 (BGBl. I S. 322, ber. S. 847 und 2033), zuletzt geändert durch Art. 6 des Steueränderungsgesetzes vom 19. Juli 2006 (BGBl. I S. 1652), normiert, der zwischen der in den Sätzen 2 und 3 geregelten amtsunabhängigen und der in Satz 1 enthaltenen amtsbezogenen Mindestversorgung unterscheidet. Letztere ist hier zu berücksichtigen. Sie beträgt 35 v. H. der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge. Ihre Gewährung folgt unmittelbar aus der Alimentationspflicht des Dienstherrn. Sie bringt die verfassungsrechtlichen Anforderungen der amtsgemäßen sowie der (bedarfs-)angemessenen Versorgung zur Geltung (vgl. nur: BVerwG, Urt. v. 23.6.2005 - BVerwG 2 C 25.04 -, BVerwGE 124, 19 ff. m. w. N.). In Anbetracht dessen ist die amtsbezogene Mindestversorgung in den Fällen, in denen der Beamte im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes vorübergehend die Gewährung einer höheren als der von seinem Dienstherrn festgesetzten Versorgung begehrt, als Maßstab dafür heranzuziehen, ob dem Beamten die ihm tatsächlich gewährte Versorgung für die Dauer des Verfahrens bis zu einer endgültigen, rechtskräftigen Entscheidung über die Höhe der dem Beamten kraft Gesetzes zustehenden Versorgungsbezüge als auskömmlich zuzumuten ist. Da im hier zu entscheidenden Fall die dem Antragsteller gewährte Versorgung über der seinem Statusamt entsprechenden amtsbezogenen Mindestversorgung liegt, hat er sich demzufolge mit einem Lebenszuschnitt zu begnügen, der sich aus den ihm aktuell zur Verfügung stehenden Mittel bestreiten lässt.
Dieses Ergebnis wird durch den Vergleich zwischen den zuletzt gewährten Nettobezügen des Antragstellers im aktiven Dienst und seinen gegenwärtigen Nettoversorgungsbezügen nicht in Frage gestellt. Denn die Höhe der zu gewährenden Versorgungsbezüge wird, ohne dass dieses verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, maßgeblich durch den Umfang der berücksichtigungsfähigen Dienstzeit bestimmt und kann zwischen der Mindestversorgung einerseits und dem Höchstsatz der Versorgungsbezüge andererseits liegen.
Unzumutbare Nachteile sind auch nicht anzuerkennen, soweit dem Antragsteller bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nach eigenen Angaben unter Berücksichtigung von Mietkosten, Krankenversicherungsbeiträgen und Unterhalt lediglich ca. 645 EUR verbleiben. Eine Existenzgefährdung oder vergleichbare wesentliche Nachteile sind allein hierdurch nicht glaubhaft gemacht.
Ebenso wenig kann sein Hinweis, er habe bereits den überwiegenden Teil seiner Ersparnisse aufgebraucht, den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung rechtfertigen. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Leistungsverzögerung bis zur Gewährung der höheren Versorgung im Falle eines Obsiegens in der Hauptsache wesentliche und für ihn unzumutbare Nachteile mit sich bringt. Die von ihm behauptete Verschlimmerung seiner Erkrankung durch die Handhabung seiner Versorgung hat der Antragsteller weder durch die Vorlage entsprechender ärztlicher Atteste belegt noch befinden sich in seiner Personal- und Versorgungsakte solche Atteste, die über die Entwicklung seines Gesundheitszustandes nach seiner Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit Aufschluss geben.