Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.06.2003, Az.: 4 LB 522/02
Behinderter; Belastung; besondere Belastung; Eingliederungshilfe; Einsatz; einzusetzendes Vermögen; Hilfeempfänger; Härte; Härteprüfung; Nachzahlung; persönliche Schulden; Schulden; Schuldenregulierung; Schuldentilgung; Schuldverpflichtung; Sozialhilfe; Vermögen; Vermögenseinsatz; Übergangsgeld; Übergangsgeldnachzahlung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.06.2003
- Aktenzeichen
- 4 LB 522/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48625
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 25.01.2001 - AZ: 4 A 29/99
Rechtsgrundlagen
- § 88 Abs 3 S 1 BSHG
- § 84 Abs 1 S 2 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der Einsatz von Vermögen eines seelisch wesentlich behinderten Menschen zur Deckung der Kosten seiner Betreuung in einem Wohnheim kann für ihn eine Härte bedeuten, wenn ihm die Möglichkeit genommen wird, ihn belastende Schulden zu regulieren, und wenn dadurch der Erfolg der Eingliederungshilfe gefährdet wird.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem diese Leistungen der Eingliederungshilfe für den Zeitraum vom 1. September 1998 bis zum 30. November 1998 versagte.
Der 1963 geborene Kläger ist seelisch wesentlich behindert. Er leidet unter einer chronisch schizophrenen Psychose. Im Januar 1995 unternahm er einen zweiten Suizidversuch. Nach Behandlung der körperlichen Folgen in den Städtischen Kliniken B. befand er sich in der Zeit vom 1. Juni 1995 bis zum 11. Januar 1996 in stationärer Behandlung im Niedersächsischen Landeskrankenhaus B.. Im Anschluss daran war der Kläger vom 17. Januar 1996 bis zum 12. Juni 1997 im Rehabilitationszentrum "Am C. ". Nach seiner Entlassung erfolgte die stationäre Betreuung im "D.-Haus " des B. Vereins zur Hilfe für seelisch Behinderte e.V.. Seit dem 13. Juni 1997 erfolgt zusätzlich eine teilstationäre Betreuung im Arbeitsbereich der Werkstätten für Behinderte in den Gemeinnützigen Werkstätten des B. Landes GmbH. Die Kosten der stationären Unterbringung im "D.-Haus " in B. und der teilstationären Betreuung in den Werkstätten für Behinderte übernahm die Beklagte im Wege der Eingliederungshilfe.
Die Landesversicherungsanstalt Hannover bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 5. Februar 1998 eine befristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Rentenzahlungen vereinnahmte die Beklagte im Hinblick auf die erbrachten Eingliederungshilfeleistungen.
Mit Bescheid vom 25. März 1998 gewährte die Landesversicherungsanstalt Hannover dem Kläger ein Übergangsgeld für die Zeit des Aufenthalts im Rehabilitationszentrum vom 17. Januar 1996 bis zum 12. Juni 1997. Nach Abzug der von der Beklagten in diesem Zeitraum erbrachten Hilfeleistungen zahlte die Landesversicherungsanstalt im Mai 1998 einen Restbetrag in Höhe von 17.608,61 DM aus.
Daraufhin verfügte die Beklagte mit Bescheid vom 3. Juli 1998 die Einstellung der Eingliederungshilfeleistungen zum 1. September 1998. Zur Begründung führte sie aus: Der dem Kläger gewährte Nachzahlungsbetrag sei als einzusetzendes Vermögen zu bewerten. Hierbei sei ein Freibetrag von 4.500,-- DM zu berücksichtigen. Einzusetzen seien somit 13.108,61 DM. Die monatlichen Kosten für Wohnheim und Werkstätten für Behinderte beliefen sich auf ca. 5.479,-- DM. Außerdem stünde dem Kläger der Barbetrag in Höhe von 162,-- DM zuzüglich der Erhöhung nach § 21 Abs. 3 BSHG in Höhe von 79,40 DM zu. Die Gesamtkosten beliefen sich damit auf monatlich ca. 5.720,40 DM. Unter Berücksichtigung der dem Kläger gewährten Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 1.588,07 DM seien die Heimkosten bis November 1998 vom Kläger zu zahlen.
Gegen den Bescheid legte der Kläger am 3. August 1998 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er mit Schreiben vom 13. August 1998 ausführte: Der Einsatz des Übergangsgeldes für die Heimkosten und die Kosten der Werkstätten für Behinderte widerspreche seinem Wohl. Er habe Schulden in Höhe von ca. 32.000,-- DM, die eine erhebliche psychische Belastung für ihn bedeuteten. Es komme immer wieder zu gesundheitlichen Verschlechterungen und Krisen, die nur durch Krankenhausaufenthalte aufgefangen werden könnten. Das werde durch die ärztliche Stellungnahme der Ärztin für Psychiatrie Dr. F. vom 21. Juli 1998 bestätigt.
Mit Bescheid vom 1. Dezember 1998 half die Beklagte dem Widerspruch des Klägers teilweise ab. Hinsichtlich der teilstationären Betreuung im Arbeitsbereich der Werkstatt für Behinderte in den gemeinnützigen Werkstätten des B. Landes sei für den Einsatz von Vermögen der Freibetrag von 49.500,-- DM zu berücksichtigen. Das einzusetzende Vermögen liege unter der Freigrenze.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 1999, zugestellt am 27. Januar 1999, wies das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben den Widerspruch - soweit ihm nicht mit Bescheid vom 1. Dezember 1998 abgeholfen wurde - zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt: Der Kläger verfüge in ausreichendem Maße über verwertbares Vermögen, um die Kosten seiner Betreuung in der stationären Einrichtung für einen längeren Zeitraum selbst zu tragen. Der Einsatz des Vermögens stelle auch keine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG dar. Die Härteregelung wolle dem atypischen Fall gerecht werden, der wegen seiner Besonderheit nicht in den Ausnahmekatalog des Absatzes 2 aufgenommen worden sei. Gründe, die das Vorliegen einer solchen besonderen Härte rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.
Mit der am 1. März 1999, einem Montag, erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren weiterverfolgt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 3. Juli 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 1999 zu verpflichten, ihm Eingliederungshilfe für die Zeit vom 1. September bis 30. November 1998 durch Übernahme der Kosten seiner stationären Betreuung im "D.-Haus " in B. zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ergänzend zu den Gründen der angefochtenen Bescheide geltend gemacht: Es sei nicht Aufgabe der Sozialhilfe, eine Entschuldung des Hilfeempfängers auf Kosten der Allgemeinheit durchzuführen. Daran ändere es auch nichts, dass sich der Kläger aufgrund seiner Erkrankung durch die Schulden in besonderer Weise belastet fühle. Die Sozialhilfe stelle eine angemessene Lebensgrundlage zur Verfügung, wenn bereite Mittel nicht vorhanden seien. Der Einsatz eines Vermögens könne dann eine besondere Härte bedeuten, wenn dadurch die bisherige Lebensgrundlage zerstört werde oder die Mittel einem bestimmten, über die Sozialhilfe hinausgehenden Zweck dienten und ohne Änderung der Rechtsgrundlage auch als Einkommen gezahlt werden könnten. Der Einsatz der Mittel entziehe dem Kläger nicht eine bisher innegehabte Position. Die von ihm erstrebte Besserstellung sei nicht mit Mitteln der Sozialhilfe, sondern ggf. durch den persönlichen Einsatz der Betreuerin im Rahmen der Schuldenregulierung zu erreichen.
Das Verwaltungsgericht - 4. Kammer - hat die Klage mit Urteil vom 25. Januar 2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Dem Kläger stehe die begehrte Hilfegewährung nicht zu. Das Barvermögen sei nach Abzug des Schonbetrages nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG zur Deckung des hier streitigen, nach Anrechnung des Renteneinkommens verbleibenden, monatlichen Bedarfs ausreichend. Das Barvermögen sei auch nicht gemäß § 88 Abs. 3 BSHG geschützt. Die Vorschrift betreffe nur die Gewährung von Hilfeleistungen durch Übernahme der Kosten der Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte. Werde Eingliederungshilfe daneben auch für die Betreuung des Hilfesuchenden in einer weiteren Einrichtung, z.B. einem Wohnheim, geleistet, stehe dem Einsatz des Vermögens nicht die genannte Vorschrift entgegen. Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der Einsatz des durch die Nachzahlung entstandenen Barvermögens bedeute deshalb eine Härte für ihn, weil er zum Zeitpunkt der Rentennachzahlung Verbindlichkeiten in Höhe von rd. 32.000,-- DM gehabt habe, die, wenn die Rentenzahlungen rechtzeitig während des Zeitraums, für den sie bestimmt seien, erbracht worden wären, in erheblichem Umfang hätten getilgt werden können. Für die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit im maßgeblichen Zeitraum komme es stets auf die tatsächlichen Verhältnisse des Hilfesuchenden, hier also darauf, ob und in welcher Höhe er tatsächlich Vermögen habe, an. Die Herkunft des Vermögens spiele für seinen Einsatz und seine Verwertung regelmäßig keine Rolle. Sein Vorbringen, es sei für ihn im Hinblick auf seine Erkrankung besonders wichtig, dass die Schulden abgebaut würden, weil diese für ihn eine ganz erhebliche psychische Belastung darstellten, führe nicht zum Erfolg der Klage. Psychische Beeinträchtigungen der hier fraglichen Art seien nicht geeignet, eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG zu begründen. Es könne nicht Aufgabe der Sozialhilfe sein, solchen Beeinträchtigungen dadurch zu begegnen, dass öffentliche Leistungen ausgelöst würden, die mit der eigentlichen Behandlung der Krankheit nichts zu tun hätten. Hinzu komme, dass dann, wenn jemanden Schulden so sehr - wie hier geltend gemacht - belasteten, es nahegelegen hätte, sofort bei Erhalt dieser Mittel diese vollständig zur Tilgung der Schulden zu verwenden. Das sei hier nicht geschehen.
Gegen dieses Urteil des Verwaltungsgerichts wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat mit Beschluss vom 12. November 2002 zugelassenen Berufung.
Er trägt vor:
Der Einsatz des Nachzahlungsbetrages bedeute für ihn eine unzumutbare Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG. Mit der Nachzahlung sei eine Schulderegulierung vorgenommen worden. Die Schulden seien im Wesentlichen dadurch entstanden, dass er krankheitsbedingt den Überblick über seine Einkommens- und Vermögenslage verloren habe. Sie seien Folge seiner Behinderung. Schulden bedeuteten für ihn eine ganz erhebliche psychische Belastung. Dies sei die Ursache seiner Erkrankung. Durch den dadurch entstehenden seelischen Druck komme es bei ihm immer wieder zu gesundheitlicher Verschlechterung und Krisen, die nur durch Krankenhausaufenthalte aufgefangen werden könnten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 4. Kammer - vom 25. Januar 2001 aufzuheben und
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 3. Juni 1998 in der Form des Widerspruchsbescheides des Niedersächsischen Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben vom 20. Januar 1999 zu verpflichten, ihm Eingliederungshilfe durch Übernahme seiner Heimkosten für den Zeitraum vom 1. September 1998 bis 30. November 1998 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide und führt wiederholend aus, dass eine unzumutbare Härte im Sinne von § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG hinsichtlich des Einsatzes des Nachzahlungsbetrages nicht vorliege. Das Vorbringen des Klägers zu seinen Schulden und den daraus resultierenden gesundheitlichen Auswirkungen führe nicht zu der Annahme eines atypischen Falles im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Ihm steht ein Anspruch auf die Gewährung von Eingliederungshilfe durch Übernahme der Heimkosten nach §§ 39, 40 BSHG für den Zeitraum vom 1. September 1998 bis 30. November 1998 durch die Beklagte zu. Die in diesem Zusammenhang erfolgte übliche Einkommensanrechnung ist - wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat - nicht streitig.
Die Beklagte darf die Hilfe für den hier maßgeblichen Zeitraum nicht unter Hinweis auf den dem Kläger zugeflossenen Nachzahlungsbetrag ablehnen. Denn bei dem durch die Nachzahlung entstandenen Vermögen, das der Kläger zur Schuldentilgung eingesetzt hat, handelt es sich um Schonvermögen im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG. Nach der genannten Vorschrift darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz von Vermögen abhängig gemacht werden, wenn dies für den Hilfesuchenden eine Härte bedeuten würde. Der Begriff der Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG ist auslegungsbedürftig. Grundsätzlich setzt eine solche Härte eine Fallgestaltung voraus, die nach den Leitvorstellungen des § 88 Abs. 2 BSHG vom Vermögenseinsatz frei bleiben soll, aber wegen ihrer Atypik nicht von der Aufzählung des § 88 Abs. 2 BSHG erfasst werden konnte (BVerwG, Urt. v. 29.4.1993 - 5 C 12.90 - BVerwGE 92, 254). Leitgedanke dieser Bestimmungen über den Vermögenseinsatz ist es zu gewährleisten, dass dem Hilfeempfänger ein gewisser Spielraum in seiner wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit erhalten bleibt. Insbesondere soll sein Bestreben unterstützt werden, ein von der Sozialhilfe unabhängiges Leben führen zu können. Bei der erforderlichen Auslegung ist zu berücksichtigen, dass das Ziel der dem Kläger zuvor gewährten Eingliederungshilfe nach den §§ 39 ff. BSHG darin besteht, eine Behinderung zu verhüten, deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern (W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 39 Rdnr. 1). Bei der Beurteilung der Härte genügt die Erwägung, dass die Verwertung eine Hilfesuchenden hart trifft, allein noch nicht. Es muss eine besondere Situation hinzu treten, die die Anwendung der Härteklausel rechtfertigt, wobei vor allem auf die künftige Verwendung des Vermögens abzustellen ist (vgl. Brühl, in LPK-BSHG, 6. Aufl., 2003, § 88 Rdnr. 74 m.w.N.).
Für die Beantwortung der Frage, ob die Ablehnung des Begehrens des seelisch behinderten Hilfesuchenden, zur psychischen Entlastung und ggf. zur Vermeidung einer Verschlechterung der Erkrankung mit seinem Vermögen Schulden abzubauen, eine Härte i.S.d. § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG bedeutet, ist auf die Rechtsprechung des Senats zum Einsatz von Einkommen nach den §§ 84, 85 BSHG zurückzugreifen. Der in den genannten Vorschriften verwandte Begriff "in angemessenem Umfang" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der gerichtlichen Kontrolle in vollem Umfang unterliegt. Dabei verfolgt § 85 Nr. 3 BSHG insgesamt das Anliegen, zu vermeiden, dem Hilfeempfänger daraus einen wirtschaftlichen Vorteil erwachsen zu lassen, dass dieser auf Kosten der Allgemeinheit in einer seinen Lebensunterhalt und seine umfassende Betreuung sicherstellenden Weise untergebracht ist (Nds. OVG - 12. Senat - Urteil vom 28. November 1996 - 12 L 2179/96 -, Nds. Rpfl. 1998, S. 165 f.; nachgehend BVerwG, Beschl. v. 30. Dezember 1997 - 5 B 21/97 -, FEVS 48, 241 f.). Der Träger der Sozialhilfe muss im Rahmen der §§ 84, 85 BSHG erwägen, in welchem Umfang er dazu beiträgt, dass ein Hilfeempfänger Schulden tilgen kann. Diesen Gedanken drückt § 84 Abs. 1 Satz 2 BSHG aus, wonach bei der Prüfung, in welchem Umfang von Hilfesuchenden erwartet werden kann, eigene Mittel aufzubringen, seine besonderen Belastungen zu berücksichtigen sind. Zu diesen besonderen Belastungen gehören Schuldverpflichtungen. Das vornehmste Ziel der Hilfe, nämlich den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern, wäre gefährdet, wenn die Schuldverpflichtungen dem Hilfeempfänger nach Beendigung der Hilfe "wie ein Mühlstein am Halse hingen". Damit ist indessen nicht gesagt, jede Schuldverpflichtung eines Hilfeempfängers sei gemäß §§ 84, 85 BSHG zu berücksichtigen. Andererseits sind auch nicht nur solche Verpflichtungen einzubeziehen, deren Begründung die Gesichtspunkte wirtschaftlicher Lebensführung nicht verletzt (Senat, Urt. v. 9. Oktober 1991 - 4 L 22/90 -, DÖV 1992, 414 <Leitsatz>; nachgehend BVerwG, Beschl. v. 22. Dezember 1992 - 5 B 22.92 -). Da wegen der speziellen Regelung des § 84 Abs. 1 Satz 2 BSHG der Nachrang der Sozialhilfe, der ein Strukturprinzip des Bundessozialhilfegesetzes ist, die Berücksichtigung von Schuldverpflichtungen nicht durchweg ausschließt, ist darauf abzustellen, welche Schuldverpflichtungen noch „angemessen" sind. Hierfür ist ein weiteres Strukturprinzip des Bundessozialhilfegesetzes heranzuziehen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass es gemäß § 1 Abs. 2 BSHG Aufgabe der Sozialhilfe ist, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht (Nds. OVG - 12. Senat - Urteil vom 28. November 1996, a.a.O.).
Der Senat hält es für geboten, diese zu den §§ 84, 85 BSHG entwickelten Grundsätze auch bei der Auslegung der Härtefallregelung des § 88 Abs. 3 BSHG für den Einsatz von Vermögen anzuwenden. Denn es entspricht auch hier den Zielen der Eingliederungshilfe, den Behinderten zu befähigen, nach Beendigung der Hilfemaßnahmen wieder in ein von Sozialhilfe unabhängiges, in die Gesellschaft eingegliedertes Leben einzutreten. Eine Anwendung der genannten Grundsätze ist jedenfalls dann geboten, wenn andernfalls das Ziel der Eingliederungshilfe gefährdet wäre. Die Möglichkeit, die für den Einsatz von Einkommen geltenden Grundsätze bei der Auslegung der Härtefallregelung des § 88 Abs. 3 BSHG heranzuziehen, wird bestätigt durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage der Einsatzfreiheit des Schmerzensgeldes als Vermögen. Danach sind zwar der Einsatz des Einkommens (§ 76 ff. BSHG) und der Einsatz des Vermögens (§ 88 f. BSHG) im Bundessozialhilfegesetz getrennt und unterschiedlich geregelt, so dass § 77 Abs. 2 BSHG, der bestimmt, dass Schmerzensgeld nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist, nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er auch die Einsatzfreiheit des Schmerzensgeldes als Vermögen regele. Daraus folgt aber nicht, dass es ausgeschlossen ist, den gesetzgeberischen Grund für die Nichtberücksichtigung des Schmerzensgeldes bzw. einer Schmerzensgeldrente als Einkommen auch im Rahmen des Vermögenseinsatzes durchgreifen zu lassen, weil das Schmerzensgeld als Vermögen den gleichen Zwecken zu dienen bestimmt ist wie die Schmerzensgeldrente als Einkommen (BVerwG, Urt. v. 18. Mai 1995 - 5 C 22.93 -, BVerwGE 98, 256 ff. = FEVS 46, 57, 58 f., vorgehend: Senat, Urteil vom 24.März 1993 – 4 L 2065/92 -). § 77 Abs. 2 BSHG kommt daher über seine unmittelbare Geltung hinaus auch Bedeutung für die Auslegung des Härtebegriffs in § 88 Abs. 3 BSHG zu, so dass dem Umstand, dass der Gesetzgeber die Freistellung des Schmerzensgeldes vom Vermögenseinsatz nicht im Rahmen des § 88 Abs. 2 BSHG besonders geregelt hat, sondern als durch die Härteregelung des § 88 Abs. 3 BSHG ausreichend gesichert ansieht, zu entnehmen ist, dass der Gesetzgeber das Schmerzensgeld unabhängig von dessen wachsender Rolle im Rechtsleben als in Bezug auf die Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG atypische Fallgestaltung versteht (BVerwG, Urt. v. 18. Mai 1995, a.a.O., 60 m.w.N.). Diese Rechtsprechung zeigt, dass die Auffassung der Beklagten, Grundsätze des Einkommenseinsatzes seien auf den Vermögenseinsatz nicht übertragbar, nicht zutrifft. Die zu den §§ 84, 85 BSHG entwickelten Grundsätze können vielmehr zur Auslegung der Härtefallregelung des § 88 Abs. 3 BSHG herangezogen werden.
Vor diesem Hintergrund ist der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass psychische Beeinträchtigungen der fraglichen Art nicht geeignet sind, eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG zu begründen, nicht zu folgen. Die Frage, ob in einer solchen Konstellation der Einsatz des Vermögens eine Härte im Sinne der genannten Vorschrift begründet, ist vielmehr unter Berücksichtigung der dargelegten Maßstäbe nach den Besonderheiten des Einzelfalles zu beurteilen.
Im vorliegenden Fall ist diese Frage zu bejahen, weil ansonsten die Erreichung des Ziels der Eingliederungshilfe wesentlich erschwert würde und es sich um Schuldverpflichtungen handelt, die (teilweise) vor Eintritt der Notlage entstanden und nach Grund und Höhe nicht unangemessen sind. Des weiteren wird auch das Strukturprinzip des Nachrangs der Sozialhilfe hinreichend gewahrt, da der Träger der Sozialhilfe im Verhältnis zu den insgesamt bereits erbrachten und noch zu erbringenden Leistungen nicht in unzumutbarem Umfang belastet wird.
Im Einzelnen: Der Senat ist davon überzeugt, dass eine Ablehnung des Begehrens des Klägers, das ihm zugeflossene Vermögen zur Schuldentilgung einzusetzen, die Erreichung des Ziels der Eingliederungshilfe wesentlich erschweren würde. Das ergibt sich aus den vom Kläger im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen. In der ärztlichen Stellungnahme der Frau Dr. F. vom Niedersächsischen Landeskrankenhaus B. vom 21. Juli 1998 (Bl. 97 der Beiakte B) wird ausgeführt, dass das Krankheitsbild des Klägers durch eine wiederholt auftretende depressive Symptomatik sowie Ängste gekennzeichnet sei. Insbesondere zeige sich der Kläger durch immer wieder auftretende Grübeleien über die finanzielle Situation und die vorhandenen Schulden sehr belastet. Er sei zuletzt vom 9. Juni 1998 bis 30. Juni 1998 in stationärer Behandlung gewesen. Mitauslösend für die drohende Dekompensation der Erkrankung seien wiederum Grübeleien und Ängste um die Finanzen gewesen. Aus ärztlicher Sicht werde es die Stabilität des Patienten wesentlich fördern, wenn das dem Kläger ausgezahlte Übergangsgeld zur Begleichung der vorhandenen Schulden eingesetzt werden könne. Diese Einschätzung wird bestätigt durch eine erneute ärztliche Stellungnahme der Frau Dr. F. vom 13. Oktober 2000 (Bl. 59 der Gerichtsakte). Dort wird ausgeführt, dass bereits kleinere Belastungen zu einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes führten. Insbesondere wird auch hier die Belastung durch die finanzielle Situation und die vorhandenen Schulden hervorgehoben. Es wird erneut bestätigt, dass aus ärztlicher Sicht die Stabilität des Patienten durch Verwendung des ihm zugeflossenen Betrages zur Begleichung der vorhandenen Schulden wesentlich gefördert würde. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sich an dieser Einschätzung zwischenzeitlich etwas geändert haben könnte. Danach liegt hier eine Sachlage vor, nach der die Versagung der Möglichkeit der Schuldenregulierung nicht lediglich zu einer psychischen Belastung, sondern qualitativ darüber hinausgehend zu einer Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes führt; möglicherweise bis hin zu einer erneut drohenden psychischen Dekompensation.
Die Schulden des Klägers resultieren im Wesentlichen aus der Zeit vor Eintritt der seelischen Behinderung, jedenfalls aus der Zeit, bevor diese diagnostiziert wurde. Die Schulden beruhen – soweit ersichtlich – im wesentlichen auf Darlehensverbindlichkeiten für die Anschaffung eines Motorrades sowie auf der Überziehung des Bankkontos in den Jahren 1987/88 ( vgl. Bl. 29 der Beiakte A und Bl. 44 der Gerichtsakte). In der Zeit der Erkrankung sind diese Schulden dann durch angefallene Zinsen und weitere Folgekosten bis auf über 32.000,-- DM angestiegen. Die Schuldverpflichtungen sind - soweit ersichtlich - in der Zeit entstanden, als der Kläger noch in seinem Beruf als Maler und Lackierer tätig gewesen ist. Insoweit kann auch nicht angenommen werden, dass er unangemessene Verbindlichkeiten eingegangen ist.
Angesichts der für den Kläger monatlich durch den Träger der Sozialhilfe aufzuwendenden Kosten steht dem Begehren des Klägers auch nicht das Strukturprinzip des Nachrangs der Sozialhilfe entgegen. Der Träger der Sozialhilfe wird dadurch nicht unzumutbar belastet. Denn die monatlichen Aufwendungen für den Kläger betragen nach den Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 3. Juli 1998 5.720,40 DM. Durch den Nachzahlungsbetrag wird der Bedarf lediglich für einen Zeitraum von drei Monaten gedeckt. Im Verhältnis zu den bereits erbrachten Leistungen kann eine unangemessene Belastung des Trägers der Sozialhilfe durch den Einsatz des dem Kläger zugeflossenen Vermögens zur Schuldentilgung nicht festgestellt werden. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger durch seine bzw. die Bemühungen seiner Betreuer und seiner Prozessbevollmächtigten in Verhandlungen mit den Gläubigern eine Reduzierung der Verbindlichkeiten erreicht hat, die nach den Angaben seines Prozessbevollmächtigen in der mündlichen Verhandlung zwischenzeitlich beglichen worden sind. Hierdurch wird bestätigt, dass sich der vorliegende Fall - wie der Senat bereits in dem Beschluss über die Zulassung der Berufung ausgeführt hat - von dem vom Verwaltungsgericht angeführten Beispiel des Hilfeempfängers, der ein mühsam erworbenes Eigenheim als Vermögen einsetzen muss, wenn er es wegen Pflegebedürftigkeit nicht mehr bewohnt, obgleich dies eine erhebliche psychische Belastung für ihn bedeutet, unterscheidet. Denn Ziel und Zweck der Vermögensschonung ist hier nicht der Erhalt eines Vermögensgegenstandes, sondern die Verwendung des Vermögens, um Schuldverpflichtungen zu tilgen und so eine spätere Wiedereingliederung in die Gesellschaft zumindest zu erleichtern. Es handelt sich also nicht um einen Fall, in dem der Bestand des Vermögens unter Hinweis auf eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG erhalten bleiben soll.
Nach alledem muss der Kläger sein durch die Nachzahlung des Übergangsgeldes entstandenes Vermögen - soweit es der Schuldentilgung dient bzw. gedient hat - nicht einsetzen, weil es sich um Schonvermögen im Sinne von § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG handelt. Die Beklagte hat die ungedeckten Heimkosten im Wege der Eingliederungshilfe nach den §§ 39, 40 BSHG für den Zeitraum vom 1. September 1998 bis zum 30. November 1998 zu tragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegt nicht vor.