Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.06.2003, Az.: 18 MP 7/03

einstweilige Verfügung; Neustruktur; Organisationsplan; Personalrat; Personalvertretung; Rücknahme; Verfügungsgrund

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.06.2003
Aktenzeichen
18 MP 7/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48587
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 30.01.2003 - AZ: 9 B 157/03

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Für eine einstweilige Verfügung fehlt es am Verfügungsgrund, wenn organisatorische Änderungen - wie es die Regel darstellt - auch nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens zurückgenommen werden können.

Gründe

1

Die zulässige Beschwerde, über die gemäß § 83 Abs. 2 NPersVG i.V.m. §§ 87 Abs. 2 Satz 1, 85 Abs. 2 ArbGG, § 944 ZPO der Fachsenat durch den Vorsitzenden entscheidet, ist nicht begründet.

2

Der Antragsteller begehrt im Beschwerdeverfahren weiterhin, dass dem Beteiligten im Wege einer einstweiligen Verfügung untersagt wird, die zum 1. Januar 2003 in Kraft getretene Neustrukturierung der Stadtverwaltung der Stadt A. bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens bzw. bis zum Abschluss des Benehmensherstellungsverfahrens fortzuführen, und beantragt nunmehr hilfsweise, bereits umgesetzte Maßnahmen der Neustrukturierung rückgängig zu machen. Sowohl dem Haupt- wie dem Hilfsantrag kann nicht entsprochen werden.

3

Beide Ansprüche stützt der Antragsteller auf § 63 NPersVG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift dürfen Maßnahmen, bei denen – erstens - die gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung unterlassen oder – zweitens - bei einer Beteiligung gegen wesentliche Verfahrensvorschriften verstoßen worden ist, nicht vollzogen werden. Maßnahmen, die entgegen Satz 1 durchgeführt worden sind, sind zurückzunehmen, soweit nicht Rechte Dritter oder öffentliche Interessen entgegenstehen. Ob die Voraussetzungen des § 63 NPersVG hier gegeben sind, ist zunächst eine Frage des Hauptsacheverfahrens, das unter dem Aktenzeichen 9 A 156/03 beim Verwaltungsgericht Oldenburg rechtshängig ist. Ansprüche nach § 63 NPersVG werden jedoch – wie hier – schon wegen des Zeitfaktors in aller Regel im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 85 Abs. 2 Satz 1 ArbGG verfolgt. Die Zulässigkeit des Erlasses einer einstweiligen Verfügung in diesem Zusammenhang wird durch die bisherige Rechtsprechung auch bestätigt (Dembowski/Ladwig/Sellmann, NPersVG, Stand: Juni 2003, § 63 Rdnr. 35 m.w.N.). Sowohl für ein Begehren, der Dienststelle die (weitere) Durchführung der Maßnahme zu untersagen, bis die Beteiligung nachgeholt oder der Verfahrensmangel beseitigt worden ist, als auch für die angestrebte (vorläufige) Rücknahme bereits umgesetzter Maßnahmen müssen allerdings die besonderen Voraussetzungen der §§ 935 ff. ZPO – und nicht die des § 123 Abs. 1 VwGO, wie der Antragsteller meint – erfüllt sein. Insbesondere bedarf es also der Feststellung eines Verfügungsanspruchs und eines Verfügungsgrundes (Dembowski/Ladwig/Sellmann, aaO). Im Rahmen der Prüfung des Verfügungsanspruchs sind inzident die Voraussetzungen des § 63 NPersVG zu prüfen (Dembowski/Ladwig/Sellmann, aaO).

4

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist im Rahmen der Prüfung des Verfügungsanspruchs durchaus von Bedeutung, ob eine Sicherungsverfügung oder eine Anordnungsverfügung angestrebt wird; denn sind auf der Grundlage der gerichtlichen Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bereits durchgeführte Maßnahmen zurückzunehmen – sei es, dass das Gericht dies ausdrücklich anordnet oder lediglich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 NPersVG feststellt -, wird in diesem Fall die Hauptsache weitgehend vorweggenommen, was sowohl bei der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO als auch im Verfahren nach § 935 ZPO als grundsätzlich unzulässig angesehen wird und nur dann in Betracht kommen kann, wenn andernfalls Rechte des Antragstellers unzumutbar beeinträchtigt erscheinen. In dem vorliegenden Zusammenhang würde dies voraussetzen, dass das vom Antragsteller geltend gemachte Beteiligungsrecht besteht bzw. die Voraussetzungen des § 63 NPersVG mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. Dembowski/Ladwig/Sellmann, aaO, m. Rsprn.). Ob das der Fall ist, kann indessen offen bleiben, weil der geltend gemachte Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bereits am Erfordernis des Vorliegens eines Verfügungsgrundes - also an der Eilbedürftigkeit – scheitern muss, weil vollendete Tatsachen, die nicht mehr rückgängig zu machen wären, hier nicht geschaffen werden.

5

Auszugehen ist zunächst davon, dass bereits der Hauptantrag des Antragstellers ins Leere geht. Der Beteiligte hat vorgetragen, dass die infrage stehende Neustrukturierung der Stadtverwaltung – der Antragsteller beruft sich auf das Erfordernis der Benehmensherstellung nach § 75 Abs. 1 Nr. 6 NPersVG bei der Aufstellung oder wesentlichen Änderung von Organisationsplänen und Geschäftsverteilungsplänen – bereits vollständig vollzogen sei, so dass eine Fortführung der Neustrukturierungsmaßnahmen nicht mehr untersagt werden könne. Im Schriftsatz vom 15. April 2003 hat der Antragsteller dies „mit Nichtwissen bestritten“. Dies reicht zur Glaubhaftmachung des geltend gemachten Anspruchs nicht aus. Dem Antragsteller sind die vorgesehenen Maßnahmen der Neustrukturierung bekannt. Er hätte im Einzelnen darlegen müssen, welche dieser Maßnahmen bisher noch nicht vollzogen sind.

6

Den Verfügungsgrund für die mit dem Hilfsantrag begehrte Rückgängigmachung der bereits umgesetzten Maßnahmen begründet der Antragsteller damit, dass im Falle der Beibehaltung der Neustrukturierung der Stadtverwaltung – bis zur gerichtlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren bzw. bis zur Durchführung des behaupteten Beteiligungsrechts – eine Verfestigung der neuen Struktur drohe. Die Aussichten für eine Umkehr im Benehmensherstellungsverfahren würden dadurch geschmälert. Dies laufe auf eine Rechtsvereitelung für ihn hinaus. Ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache sei ihm, dem Antragsteller, nicht zumutbar, weil die Neustrukturierung der Stadtverwaltung nicht mehr vollends rückgängig zu machen sei. Mit der Umsetzung der veränderten Organisations- und Geschäftsverteilungspläne sei mittelfristig eine Beförderung einzelner Mitarbeiter der Stadtverwaltung zu erwarten, die wegen der „Ämterstabilität“ dann nicht mehr änderbar sei. Dass dies zu erwarten sei, ergebe sich aus dem Umstand, dass der Beteiligte in Zusammenhang mit der Neustrukturierung bereits eine Bewertungskommission für die Bewertung von Dienstposten und Arbeitsplätzen bei der Stadt A. eingerichtet habe. Mit diesen Ausführungen ist das Vorliegen eines Verfügungsgrundes jedoch nicht glaubhaft gemacht worden.

7

Zutreffend weist der Beteiligte darauf hin, dass sich jede Änderung von Organisations- und Geschäftsverteilungsplänen in der Verwaltung erneut ändern und auch rückgängig machen lasse. Im vorliegenden Verfahren würde dies bedeuten, dass die vor dem 1. Januar 2003 bestehende Zuordnung der Ämter zu den einzelnen Dezernaten ohne weiteres wiederhergestellt werden könnte. Entgegen der Auffassung des Antragstellers würde dem auch eine etwaige Beförderung einzelner Mitarbeiter der Stadtverwaltung nicht entgegenstehen. Denn im vorliegenden Verfahren geht es allein um die Frage des Bestehens des Beteiligungsrechts im Rahmen der Umorganisation, nicht aber um Beförderungen einzelner Mitarbeiter. Dies gilt umso mehr, als die dargestellten Umstrukturierungsmaßnahmen eher auf eine „Verschlankung“ der Verwaltung gerichtet sind, so dass sich das Problem einer späteren unterwertigen Beschäftigung einzelner Mitarbeiter nach einer Rückführung auf die frühere Organisationsstruktur nicht stellen dürfte. Nach Lage der Dinge erscheint eine vorläufige Regelung nicht unabweisbar dringlich geboten, so dass der Beschwerde der Erfolg versagt bleiben muss.