Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.06.2003, Az.: 1 NDH M 2/03

Alkoholabhängigkeit; Dienstenthebung; Einbehaltung von Dienstbezügen; Rückfall; Rückfall in die Alkoholabhängigkeit; vorläufige Dienstenthebung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.06.2003
Aktenzeichen
1 NDH M 2/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48101
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 13.01.2003 - AZ: 10 B 3433/02

Gründe

I.

1

Der 1951 geborene und 1978 unter Verleihung der Eigenschaft eines Beamten auf Lebenszeit zum Polizeihauptwachtmeister ernannte Beamte nahm wegen einer Alkoholerkrankung in der Zeit von Anfang Mai bis Anfang November 1992 an einer Alkoholentwöhnungstherapie teil und schloss sie erfolgreich ab.

2

Am 22. Oktober 1998 wurde seine Ehe, aus der zwei 1973 und 1980 geborene Kinder hervorgingen, geschieden. Im Januar 1998 bewarb er sich erfolgreich um den Aufstieg in den gehobenen Polizeivollzugsdienst (§ 17 a Abs. 4 PolNLVO) und wurde am 23. Juni 1999 zum Polizeikommissar ernannt. Ein danach aufgetretener Rückfall in die Alkoholerkrankung machte eine zweite Alkoholentwöhnungsbehandlung notwendig, der sich der Beamte in der Zeit vom 10. Januar bis zum 24. März 2000 unterzog. Nach dem Bericht des Leiters des 2. Fachkommissariats der Polizeiinspektion Delmenhorst vom 10. Mai 2002 hatte der Beamte die Behandlung vorzeitig abgebrochen mit der Begründung, „dort könne ihm sowieso niemand etwas beibringen“. Bei Aufnahme seines Dienstes als Sachbearbeiter für die Aufklärung von Fahrrad-, Ladendiebstählen und anderen einfachen Diebstahlsdelikten wurde der Beamte von seinem Dienstvorgesetzten zunächst mündlich und am 29. März 2000 schriftlich auf die Folgen eines erneuten Alkoholgenusses und dem damit zwangsläufig verbundenen Rückfall in die Alkoholabhängigkeit belehrt und darauf hingewiesen, dass ein erneuter Alkoholgenuss zu strengen disziplinaren Konsequenzen und auch zur Entfernung aus dem Dienst führen könne.

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Am 22. Februar 2002 heiratete der Beamte erneut. Auf Grund einer damit im Zusammenhang stehenden Urlaubsgewährung und anderer zahlreicher Auffälligkeiten (erheblich unter dem Durchschnitt liegende Leistungen, wiederholte Bitten um Dienstbefreiung, plötzliche längerfristige Krankmeldungen, häufig zitternde Hände), die in dem bereits erwähnten Bericht vom 10. Mai 2002 im Einzelnen beschrieben sind, entstand der Verdacht eines erneuten Rückfalls in die Alkoholabhängigkeit. Am 7. Mai 2002 wurde dann eine Alkoholfahne festgestellt und anschließend am Alkomat eine gemessene Atemalkoholkonzentration von 0,23 Promille. Auf Initiative des Suchtberaters wurde eine Entgiftung in der D. -Klinik in E. veranlasst, die vom 8. bis zum 17. Mai 2002 durchgeführt wurde.

4

Durch Verfügung vom 16. Mai 2002 leitete die beteiligte Einleitungsbehörde ein förmliches Disziplinarverfahren gegen den Beamten ein und bestellte einen Untersuchungsführer sowie einen Vertreter der Einleitungsbehörde. Außerdem enthob die Einleitungsbehörde den Beamten durch diese Verfügung vorläufig des Dienstes und ordnete die Einbehaltung von 10 Prozent der Dienstbezüge des Beamten an. Zur Begründung führte die Einleitungsbehörde im Wesentlichen aus: Es bestehe der Verdacht, dass der Beamte trotz eingehender Belehrungen und mehrfacher Hilfestellungen seiner Vorgesetzten seiner Verpflichtung zur Gesunderhaltung und zur Wiederherstellung der Arbeitskraft nicht nachgekommen sei. Die damit verbundene Schädigung des Ansehens seiner Person als Polizeibeamter, der Polizei und der Beamtenschaft rechtfertigten die Annahme eines schweren Dienstvergehens (§§ 85 Abs. 1, 62 Satz 1, 63 Satz 3 NBG), das im Rahmen des Disziplinarverfahrens zur Entfernung aus dem Dienst führen werde.

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Zur Begründung des hiergegen bei der Disziplinarkammer gestellten Aufhebungsantrags hat der betroffene Beamte, der eine Äußerung in dem auf den 1. August 2002 von dem Untersuchungsführer anberaumten Vernehmungstermin abgelehnt hat, geltend gemacht: Der Rückfall in die Alkoholabhängigkeit im Jahre 1999 sei durch das Scheitern seiner Ehe bedingt gewesen. Er habe danach die nötige Krankheitseinsicht erworben und mit Hilfe einer Selbsthilfegruppe seine Alkoholerkrankung beherrscht. Der Rückfall im Jahre 2002 sei nicht so schwerwiegend. Nach der erfolgreichen Behandlung in der D. -Klinik in E. sei er wieder in der Lage, Dienst zu tun. Er sei bereit, sich ständig kontrollieren zu lassen und mit einer Selbsthilfegruppe zusammen zu arbeiten. Eine Entfernung aus dem Dienst stehe außer Verhältnis zu seinem Fehlverhalten, weil er sich im Übrigen tadelsfrei verhalten habe und auch positiv beurteilt worden sei.

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Der Beamte hat beantragt,

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die durch die Verfügung vom 16. Mai 2002 ausgesprochene vorläufige Dienstenthebung sowie die angeordnete Einbehaltung eines Teiles seiner Dienstbezüge aufzuheben.

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Die Einleitungsbehörde hat beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Zur Begründung hat sie geltend gemacht: Nach dem derzeitigen Sachstand sei die Vertrauensbasis des Dienstherrn in ein pflichtgemäßes Verhalten des Beamten nicht mehr vorhanden. Alle Angebote wie Therapien, Ansprachen von Mitarbeitern, Vorgesetzten und sogar des Suchtberaters seien nicht angenommen und umgesetzt worden. Selbst die schriftliche Belehrung, in der eindeutig die dienstrechtlichen Konsequenzen bei erneutem Rückfall in die Alkoholabhängigkeit aufgezeigt worden seien, hätten das Verhalten des Beamten nicht ändern und ihn vor einem neuen Rückfall bewahren können. Verbunden mit diesem Verhalten sei eine Ansehensschädigung sowohl des Beamten als auch der ganzen Beamtenschaft, weil eine Dienstverrichtung eines Alkoholkranken mit zwangsläufig entsprechender Außenwirkung nicht akzeptiert werden könne. Außerdem führe eine solche Dienstausübung zu einer Gefährdung der Kollegen und anderer beteiligter Bürger. Eine mildere Maßnahme sei auch nicht auf Grund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten. In allen Bereichen des polizeilichen Exekutivdienstes müsse auf die Einhaltung der Dienstpflichten vertraut werden, um einen reibungslosen und fehlerfreien Dienstbetrieb nach innen und außen zu gewährleisten. Dafür leiste der Beamte auf Grund des mehrfach gezeigten Fehlverhaltens keine Gewähr mehr. Eine unerwartet einsetzende Gesundung des Beamten sei nach menschlichem Ermessen jetzt nicht mehr zu erwarten.

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Die Disziplinarkammer bei dem Verwaltungsgericht hat die in der Einleitungsverfügung vom 16. Mai 2002 ausgesprochene vorläufige Dienstenthebung und die Anordnung der Einbehaltung von 10 Prozent der Dienstbezüge des Beamten durch den Beschluss vom 13. Januar 2003 aufrecht erhalten und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die sich aus den §§ 91 und 92 NDO ergebenden Voraussetzungen für die angegriffene vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung eines Teiles der Dienstbezüge lägen vor. Der Beamte habe die sich aus der Verpflichtung, sich seinem Beruf mit voller Hingabe zu widmen (§ 62 Satz 1 NBG) und dem Gebot, Anordnungen der Vorgesetzten auszuführen und die allgemeinen Richtlinien zu befolgen (§ 63 Satz 3 NBG), ergebende Pflicht zur Gesunderhaltung und Vermeidung einer (erneuten) Alkoholerkrankung in schwerwiegender Weise verletzt. Zu den konkreten Pflichten in diesem Zusammenhang gehöre es auch, nach einer Entzugsbehandlung den Griff zum sogenannten „ersten Glas“ zu unterlassen, weil jedweder Genuss von Alkohol nach einer Entzugstherapie das Verlangen nach weiterem Alkohol wieder aufleben zu lassen pflege und so erfahrungsgemäß in die „nasse Phase“ der Alkoholabhängigkeit zurückzuführen geeignet sei. Diese Pflichten habe der Beamte in erheblicher und schwerwiegender Weise verletzt, weil er nach seiner zweiten Alkoholentziehungskur im Frühjahr 2000 und einer darauf folgenden Zeit der Abstinenz im Frühjahr/Mai 2002 wieder rückfällig geworden sei. Vieles spreche dafür, dass der Beamte auch schuldhaft, jedenfalls mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe, als er allen Erkenntnissen und Ermahnungen und der schriftlichen Belehrung vom 29. März 2000 zum Trotz nach seiner zweiten Alkoholentwöhnungskur wieder Alkohol zu sich genommen habe. Damit dürfte der Beamte voraussichtlich nicht mehr vertrauenswürdig sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne nämlich der Beamte, der mit zumindest bedingtem Vorsatz gegen grundlegende Pflichten aus dem Beamtenverhältnis verstoße, das insbesondere bei einer Tätigkeit als Polizeibeamter erforderliche Vertrauen des Dienstherrn nicht mehr für sich beanspruchen. Anhaltspunkte für die Annahme besonderer Umstände, die hier dazu führen könnten, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Dienst erkennbar nicht zu erwarten sei, seien nicht gegeben. Soweit der Beamte darauf hingewiesen habe, dass er disziplinarrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten sei und seine Beurteilungen, insbesondere diejenige aus dem Jahre 1996, insgesamt positiv seien, sei dies zwar zutreffend; es könne jedoch nach dem jetzigen Sachstand nicht davon ausgegangen werden, dass die Folgen seines Rückfalls in den Alkoholkonsum keine Auswirkungen auf die dienstliche Tätigkeit des Beamten gehabt hätten. Nach den vorliegenden Verwaltungsvorgängen spreche vielmehr Überwiegendes dafür, dass die von seinem Vorgesetzten im Bericht vom 10. Mai 2002 herausgestellten schwachen Leistungen, seine mangelnde Einsatzbereitschaft und die Häufung von Zeiten der Erkrankung Ende 2001/Frühjahr 2002 darauf zurückzuführen seien, dass er wieder in die Alkoholabhängigkeit zurückgefallen sei. Ein derartiges dienstliches Verhalten sei ebenso wie der Rückfall in eine chronische Alkoholerkrankung durchaus geeignet, das in besonderem Maße erforderliche Vertrauen der Öffentlichkeit in die Amtsführung von Polizeibeamten nachhaltig zu beeinträchtigen. In Anbetracht dessen ergäben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die beteiligte Behörde bei der Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung eines Teiles der Dienstbezüge den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht hinreichend beachtet habe.

12

Gegen diesen ihm am 23. Januar 2003 zugestellten Beschluss hat der Beamte am 4. Februar 2003 Beschwerde eingelegt, zu deren Begründung er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft und darüber hinaus geltend macht: Die Annahme der Disziplinarkammer, in dem Disziplinarverfahren werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden, sei nicht gerechtfertigt. Die Disziplinarkammer habe unberücksichtigt gelassen, dass er acht Jahre „trocken“ gewesen sei, der Rückfall im Dezember 1999 auf dem Scheitern seiner ersten Ehe und damit auf inzwischen überwundenen persönlichen Gründen beruhe und dass der zweite Rückfall im Mai 2002 nicht so schwerwiegend sei. Durch die Behandlung in der D. -Klinik in E. habe er die Krankheit überwunden; ihm sei eine unbeeinträchtigte Dienstführung möglich und er sei bereit, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen und sich regelmäßigen Kontrollen der Blutalkoholkonzentration zu unterziehen. Die Fürsorgepflicht gebiete es, ihn zu unterstützen. Bei Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sei eine Entfernung aus dem Dienst nur bei wirklich hoffnungslosen Fällen gerechtfertigt. Diese Voraussetzung treffe für ihn aber nicht zu.

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Der Beamte beantragt,

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den angefochtenen Beschluss zu ändern und nach dem im ersten Rechtszug gestellten Antrag zu erkennen.

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Die Einleitungsbehörde beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

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Zur Begründung verteidigt sie den angegriffenen Beschluss, wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen und macht darüber hinaus geltend: Aus den Umständen des Einzelfalles und dem Krankheitsverlauf ergäbe sich, dass eine günstige Prognose für die Überwindung der Alkoholerkrankung des Beamten nicht gestellt werden könne.

18

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Beteiligten wird auf die in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze, hinsichtlich des Sachverhalts im Übrigen auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge (Beiakten A bis D) Bezug genommen.

II.

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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

20

Die mit dem Bescheid vom 16. Mai 2002 verfügte vorläufige Dienstenthebung und Einbehaltung eines Teiles der Dienstbezüge ist gerechtfertigt, weil die sich hierfür aus den §§ 91 und 92 der Niedersächsischen Disziplinarordnung – NDO – (in der Fassung vom 7. September 1982, Nds. GVBl. S. 357, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. November 2001, Nds. GVBl. S. 701) ergebenden Voraussetzungen vorliegen.

21

Nach § 91 NDO kann die Einleitungsbehörde einen Beamten vorläufig des Dienstes entheben, wenn das förmliche Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wird oder eingeleitet worden ist. Diese vorläufige Maßnahme des Disziplinarverfahrens, über die die Einleitungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, erlaubt es, den unter dem Verdacht eines schweren Dienstvergehens stehenden Beamten zur Sicherung eines geordneten Dienstbetriebes, des Friedens in der Dienststelle oder des Ansehens der Behörde schon vor der disziplinargerichtlichen Entscheidung vom Dienst fern zu halten. Sie setzt aber – das ergibt sich aus der Gesetzessystematik (vgl.: NDH, Beschl. v. 16.01.2003 - 1 NDH M 5/02 –; Köhler/Ratz, Bundesdisziplinarordnung und materielles Disziplinarrecht, Kommentar, 2. Aufl., RdNr. 7 und 10 zu § 91) – den hinreichenden Verdacht eines Dienstvergehens voraus, das seiner Bedeutung nach eine nur im förmlichen Disziplinarverfahren zu verhängende Maßnahme erwarten lässt (vgl.: NDH, Beschl. v. 16.01.2003 - 1 NDH M 5/02 -; Claussen/Janzen, BDO-Kommentar, 8. Aufl., RdNr. 2 b zu § 91). Da Gehaltskürzungen durch die oberste Dienstbehörde bis zum Höchstmaß verhängt werden können (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 NDO), bedarf es daher zur Rechtfertigung einer vorläufigen Dienstenthebung des hinreichenden Verdachts eines Dienstvergehens, das mindestens die Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt (§ 10 NDO) erfordert (NDH, Beschl. v. 16.01.2003 - 1 NDH M 5/02 -, m.w.N.).

22

Der hinreichende Verdacht der Begehung eines solchen Dienstvergehens durch den betroffenen Beamten besteht, weil es – wie sich aus den nachfolgenden Erörterungen zu der Einbehaltung eines Teiles der Dienstbezüge (§§ 92 NDO) ergibt - hinreichend wahrscheinlich ist, dass das dem Beamten in der Einleitungsverfügung vom 16. Mai 2002 zur Last gelegte Dienstvergehen zu einer Entfernung aus dem Dienst führen wird.

23

Anhaltspunkte dafür, dass das Disziplinarverfahren durch die Verfügung vom 16. Mai 2002 nicht wirksam eingeleitet wurde und/oder die Einleitungsbehörde das ihr durch § 91 NDO eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, sind nicht erkennbar. Entgegen der Auffassung des Beamten hat die Einleitungsbehörde bei ihrer Entscheidung (vgl. S. 3 letzter Absatz) hinreichende Ermessenserwägungen angestellt.

24

Nach § 92 NDO kann die Einleitungsbehörde gleichzeitig mit der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten ein Teil, höchstens die Hälfte der jeweiligen Dienstbezüge einbehalten wird, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden wird. Insoweit genügt es nicht, dass das dem Beamten vorgeworfene Dienstvergehen generell geeignet ist, die Höchstmaßnahme zu rechtfertigen; es reicht nicht aus, dass die Verhängung der Höchstmaßnahme möglich oder ebenso wahrscheinlich ist wie die Verhängung einer geringeren Maßnahme. § 92 NDO setzt voraus, dass im Disziplinarverfahren mit hinreichender, das heißt überwiegender Wahrscheinlichkeit auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden wird. Eine solche Maßnahme muss nach der in dem Antragsverfahren nach § 95 Abs. 2 NDO gebotenen, ihrer Natur nach nur überschlägig möglichen Prüfung des Sachverhalts wahrscheinlicher sein als eine unterhalb der Höchstmaßnahme liegende Disziplinierung (vgl.: NDH, Beschl. v. 11.06.2003 - 2 NDH M 6/02 -; Beschl. v. 16.01.2003 - 1 NDH M 5/02 -; Köhler/Ratz, Bundesdisziplinarordnung und materielles Disziplinarrecht – Kommentar, 2. Aufl., RdNr. 5 zu § 92; Claussen/Janzen, BDO-Kommentar, 8. Aufl., RdNr. 3 zu § 92, jeweils m.w.N.).

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Aus dem dem Beamten mit der Einleitungsverfügung vom 16. Mai 2002 zur Last gelegten Sachverhalt ergibt sich ein hinreichender Verdacht dafür, dass der Beamte ein seine Entfernung aus dem Dienst rechtfertigendes Dienstvergehen (§ 85 Abs. 1 Satz 1 NBG) dadurch begangen hat, dass er die ihm obliegenden Pflichten, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen (§ 62 Satz 1 NBG), die Anordnungen der Vorgesetzten auszuführen und die allgemeinen Richtlinien zu befolgen (§ 63 Satz 3 NBG), die ihm obliegenden Aufgaben in vertrauensvollem Zusammenwirken mit den Vorgesetzten und Mitarbeitern zu erfüllen (§ 63 Satz 1 NBG) und dem Gebot achtungs- und vertrauenswürdigen Verhaltens zu entsprechen (§ 62 Satz 3 NBG), verletzt hat.

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Im Vordergrund steht hierbei die Verletzung des Gebots, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen (§ 62 Satz 1 NBG). Aus diesem Gebot ergibt sich die Verpflichtung, dass ein Beamter zur Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten seinem Dienstherrn seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen hat und es ihm damit auch obliegen muss, diese Arbeitskraft im Interesse des Dienstherrn nicht nur zu erhalten, sondern, sofern sie beschränkt oder gar verloren gegangen sein sollte, schnellstmöglich wieder herzustellen. Zu den konkreten Pflichten in diesem Zusammenhang gehört demnach auch, nach einer Entzugsbehandlung den Griff zum sogenannten „ersten Glas“ Alkohol zu unterlassen, weil jedweder Genuss von Alkohol nach einer Entzugstherapie das Verlangen nach weiterem Alkohol wieder aufleben lässt und so erfahrungsgemäß in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit zurückführen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.1994 - 1 D 62.93 -, Dok. Ber., Ausgabe B, 1995, 7, m.w.N.). Es ist aber nicht das erste Glas selbst, das von disziplinarer Relevanz ist und allein den Vorwurf der Verletzung beamtenrechtlicher Pflichten begründet. Disziplinare Relevanz erhält der Rückfall in die Alkoholsucht erst, wenn die Abhängigkeit Folgen zeigt, die in den dienstlichen Bereich hinein reichen. Die dienstlichen Auswirkungen sind dabei nicht nur Folgen des Dienstvergehens, sondern selbst Tatbestandsmerkmal (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.1994, a.a.O.; Köhler/Ratz, BDO-Kommentar, 2. Aufl., B II 5 RdNr. 10; Fischer, Chronischer Alkoholismus als Dienstvergehen, DÖD 1988, 173). Dieses Tatbestandsmerkmal des Dienstvergehens ist erfüllt, wenn der Rückfall in die Alkoholsucht zu einer dienstlichen Abwesenheit infolge der Durchführung einer erneuten Entziehungskur führt. Solche dienstlichen Auswirkungen hat der Beamte durch seinen Rückfall im Mai 2002 dadurch herbeigeführt, dass eine Behandlung seiner Alkoholerkrankung in der D. -Klinik in E. in der Zeit vom 8. bis zum 17. Mai 2002 erforderlich wurde, und außerdem dadurch, dass er am 7. Mai 2002 mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,23 Promille seinen Dienst angetreten und die in dem bereits erwähnten Bericht vom 10. Mai 2002 im Einzelnen aufgeführten Auffälligkeiten gezeigt hat.

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Außerdem hat der Beamte die ihm obliegende Pflicht, Anordnungen der Vorgesetzten auszuführen (§ 63 Satz 3 NBG), dadurch verletzt, dass er die ihm nach seiner zweiten Alkoholentziehungsbehandlung am 29. März 2000 erteilte Anordnung seines Dienstvorgesetzten nicht beachtet hat. Durch den Rückfall in die Alkoholabhängigkeit und die damit verbundenen Fehlverhaltensweisen – wie sie in dem Bericht vom 10. Mai 2002, auf den die Einleitungsverfügung vom 16. Mai 2002 Bezug nimmt, im Einzelnen dargestellt sind – hat der Beamte außerdem die Pflicht, die ihm obliegenden Aufgaben in vertrauensvollem Zusammenwirken mit den Vorgesetzten und Mitarbeitern zu erfüllen (§ 63 Satz 1 NBG), und das Gebot achtungs- und vertrauenswürdigen Verhaltens (§ 62 Satz 3 NBG) verletzt.

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Aus diesen Feststellungen ergibt sich, dass der Beamte in umfangreicher Weise die ihm als Polizeikommissar obliegenden Pflichten (§§ 62 Satz 1, 63 Sätze 3 und 1, 62 Satz 3 NBG) verletzt hat. Es bestehen gegenwärtig auch keine Zweifel, dass der Beamte rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat. Er hat es mindestens billigend in Kauf genommen, dass das erste Glas Alkohol nach seiner zweiten Alkoholentziehungsbehandlung (10.01. bis 24.03.2000) das Verlangen nach weiterem Alkohol wieder aufleben lassen und so erfahrungsgemäß in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit zurückführen wird. Denn auf Grund der beiden Alkoholentwöhnungstherapien in den Jahren 1992 und 2000 und insbesondere auch auf Grund der ihm unter dem 29. März 2000 erteilten Belehrung waren dem Beamten die mit dem „ersten Glas Alkohol“ verbundenen Gefährdungen und deren Auswirkungen auf dem Dienst bekannt; über dieses Wissen und seine bisherigen persönlichen Erfahrungen hat sich der Beamte bewusst hinweggesetzt.

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Durch diese zahlreichen schuldhaften und rechtswidrigen Pflichtverletzungen hat der Beamte ein einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen (§ 85 Abs. 1 Satz 1 NBG) begangen.

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Zutreffend hat die Disziplinarkammer auch angenommen, dass es sich um ein schwerwiegendes Dienstvergehen handelt, das - wie es § 92 Abs. 1 NDO für die hier angegriffene Einbehaltung eines Teiles der Dienstbezüge voraussetzt - voraussichtlich zur Entfernung aus dem Dienst (§ 11 NDO) führen wird. Die für diese Maßnahme vorausgesetzte endgültige Zerrüttung des für die Aufrechterhaltung des Beamtenverhältnisses unerlässlichen Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn ergibt sich aus dem Umfang der Pflichtverletzungen und insbesondere aus dem Umstand, dass der wiederholte Rückfall in die Alkoholabhängigkeit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Fähigkeit des Beamten geführt hat, die ihm als Polizeikommissar obliegenden Pflichten zu erfüllen. Nach den gegenwärtigen Ermittlungen ist davon auszugehen, dass der zweite Rückfall in die Alkoholerkrankung im Mai 2002 zu einer quantitativen und qualitativen Verminderung der Arbeitsleistung des Beamten und zu häufigem und unvorhergesehenem Nichterscheinen zum Dienst geführt hat. Es ist gegenwärtig nicht erkennbar, dass die Behandlung des Beamten in der D. -Klinik in E. (8. bis 17.5.2000) zu einer Überwindung der Alkoholabhängigkeit geführt hat und es dem Beamten möglich ist, gegenwärtig und künftig seinen Dienstpflichten uneingeschränkt zu entsprechen. Zwar wird mit der Beschwerde zutreffend geltend gemacht, dass dem Beamten in der Zeit von 1992 bis 1999 eine mehrjährige sogenannte „trockene Phase“ möglich war, jedoch kann der Beschwerdebegründung nicht gefolgt werden, soweit geltend gemacht wird, der erste Rückfall im Jahre 1999 habe auf der inzwischen überwundenen schwierigen persönlichen Situation im Zusammenhang mit der Scheidung von der ersten Ehefrau beruht. Denn geschieden wurde der Beamte am 22. Oktober 1998 und es war ihm anschließend möglich, sich erfolgreich für den Aufstieg von dem mittleren in den gehobenen Dienst zu bewerben und seine Ernennung zum Polizeikommissar im Juni 1999 zu erreichen. Die Annahme, dieser Rückfall beruhe auf einer inzwischen überwundenen Lebensphase, erscheint deshalb nicht gerechtfertigt. Gleiches gilt für den zweiten Rückfall im Mai 2002. Denn am 22. Februar 2002 hat der Beamte erneut geheiratet und persönliche Umstände, die es rechtfertigen könnten, diesen erneuten Rückfall in die Alkoholabhängigkeit auf eine inzwischen abgeschlossene besondere Lebensphase zurückzuführen, sind nicht erkennbar. Die letzte dienstliche Beurteilung wurde dem Beamten unter dem 25. Februar 2000 mit der Gesamtnote „entspricht voll den Anforderungen (3)“ erteilt und erfasst die durch den zweiten Rückfall in die Alkoholabhängigkeit bedingten und in dem Bericht vom 10. Mai 2002 im Einzelnen geschilderten Leistungseinschränkungen nicht. Gegenwärtig muss also davon ausgegangen werden, dass der Beamte nicht in der Lage ist, künftig ein vergleichbares Fehlverhalten zu vermeiden und die ihm obliegenden Dienstpflichten uneingeschränkt zu erfüllen. Das aber führt unter Berücksichtigung der übrigen vorstehend dargestellten Umstände zu einer endgültigen Zerstörung des für die Aufrechterhaltung des Beamtenverhältnisses unerlässlichen Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn und rechtfertigt die Annahme, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in dem förmlichen Disziplinarverfahren auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden wird.

31

Eine andere Beurteilung ist auch nicht im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geboten. Denn weder eine vorläufige Dienstenthebung noch die Einbehaltung eines Teiles der Dienstbezüge stehen außer Verhältnis zu einem Fehlverhalten eines Beamten, das nach der in dem Antragsverfahren nach § 95 Abs. 5 NDO gebotenen, ihrer Natur nach nur überschlägig möglichen Prüfung des Sachverhalts die Annahme rechtfertigt, eine Entfernung aus dem Dienst sei wahrscheinlicher als eine unterhalb der Höchstmaßnahme liegende Disziplinierung (vgl. zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Disziplinarmaßnahmenbemessung: BVerwG, Urt. v. 08.06.1983 - 1 D 112.82 -, ZBR 1983, 371; NDH, Urt. v. 14.06.2001 – 1 NDH L 1560/01 -, jew. m.w.N.). Auch im Übrigen ist entgegen der Auffassung des Beamten das der Einleitungsbehörde durch § 92 NDO eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. worden. Die Verfügung vom 16. Mai 2002 lässt erkennen, dass die Einleitungsbehörde private und öffentliche Interessen abgewogen hat und eine unwiderbringliche Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses maßgeblich für die getroffenen vorläufigen Maßnahmen ist.

32

Hinsichtlich der Höhe der aus den vorstehenden Gründen gerechtfertigten Einbehaltung eines Teiles der Dienstbezüge (§ 92 Abs. 1 NDO) hat der Beamte auch im Beschwerdeverfahren Bedenken nicht geltend gemacht. Anhaltspunkte dafür, dass die angegriffene Verfügung insoweit den sich aus § 92 Abs. 1 NDO ergebenden Anforderungen nicht entspricht, sind nicht erkennbar.

33

Die Kosten des danach erfolglosen Beschwerdeverfahrens hat nach § 114 Abs. 1 Satz 1 NDO der Beamte zu tragen.

34

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 78 Abs. 3 Satz 2, 90 NDO).