Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.06.2003, Az.: 12 ME 142/03

Arbeitsverweigerung; Hilfe zum Lebensunterhalt; Kürzung; Mitwirkung; Sozialhilfe; Versagung; Zumutbarkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.06.2003
Aktenzeichen
12 ME 142/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48435
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 26.03.2003 - AZ: 4 B 80/03 UND 4 B 81

Gründe

1

Dem Antragsteller kann die beantragte Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Beschwerde nicht bewilligt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats müssen bei einem derartigen Antrag die Gründe, aus denen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung angegriffen werden soll, nach Maßgabe der Kenntnisse und Fähigkeiten des betroffenen Beteiligten bezeichnet werden. Nach diesem Maßstab hat die von dem Antragsteller beabsichtigte Beschwerde nicht die nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg.

2

Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand hat die Antragsgegnerin mit ihrem Bescheid vom 3. März 2003 die Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt an den Antragsteller zu Recht eingestellt. Auch eine Wiederaufnahme der Hilfegewährung war bisher nicht geboten.

3

Nach § 25 Abs. 1 BSHG hat derjenige, der sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbaren Maßnahmen nach den §§ 19 und 20 BSHG nachzukommen, keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Die Hilfe ist in einer ersten Stufe um mindestens 25 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes zu kürzen. Der Hilfeempfänger ist vorher entsprechend zu belehren.

4

Der von der Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller erlassene Heranziehungsbescheid vom 29. August 2002, auf den sich der hier in Streit stehende Kürzungsbescheid vom 3. März 2003 bezieht, ist, wie der Senat bereits in seinen Beschlüssen vom 17. Oktober 2002 (Az.: 12 PA 684/02) und vom 11. Februar 2003 (Az.: 12 PA 818/02) festgestellt hat, rechtmäßig (zur Rechtmäßigkeit des Heranziehungsbescheides als Voraussetzung der Rechtmäßigkeit des Kürzungsbescheides: BVerwG, Urt. v. 13.10.1983 - BVerwG 5 C 66.82 -, BVerwGE 68, 97, 99) und überdies in Bestandskraft erwachsen. Auch im Hinblick auf die Dauer der Heranziehung bestehen jedenfalls derzeit noch keine Bedenken. In seinem Beschluss vom 11. Februar 2003 (Az.: 12 PA 38/03) ist der Senat der Ansicht des Verwaltungsgerichts (vorgehend: Beschl. v. 22.1.2003 - 4 B 5/03 -) gefolgt, wonach sich der in dem Heranziehungsbescheid vom 29. August 2002 genannte 3-Monats-Zeitraum (beginnend mit dem 2. September 2002) wegen der in diesem Bescheid enthaltenen Bezugnahme auf den (ersten) Heranziehungsbescheid vom 18. Januar 2002 entsprechend der dort ausdrücklich vorgesehenen Bestimmung um eventuelle Krankheits- oder Fehltage verlängere. Da der Antragsteller die Arbeit, zu der er herangezogen worden ist, seither nicht einmal aufgenommen hat, hat sich der Heranziehungsbescheid vom 29. August 2002, der einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darstellt (vgl. auch hierzu den Beschluss des erkennenden Senats vom 11.2.2003 - 12 PA 38/03 -) entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht erledigt. Das Verwaltungsgericht geht in diesem Zusammenhang zu Recht davon aus, dass von einer zeitlich unbeschränkten, gewissermaßen auf endlose Dauer angelegten Hilfe zur Arbeit (vgl. zur Unzulässigkeit einer derart weitgehenden Heranziehung: 4. Senat des erkennenden Gerichts, Urt. v. 9.2.1988 - 4 OVG A 73/87 -, ZfF 1988, 229, 230 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 27.5.1991 - 24 A 899/89 -, ZfSH/SGB 1991, 521 ff.) derzeit noch nicht die Rede sein kann.

5

Der Antragsteller hat sich bisher durchgängig geweigert, der von der Antragsgegnerin geschaffenen Arbeitsgelegenheit nachzukommen, obwohl er - u.a. in den Heranziehungsbescheiden vom 18. Januar und 29. August 2002 - gemäß § 25 Abs. 1 Satz 3 BSHG über die nach § 25 Abs. 1 BSHG drohende Konsequenz einer Kürzung bzw. auch einer vollständigen Einstellung der Hilfe zum Lebensunterhalt (auch die Einstellung der Hilfe liegt im Rahmen des § 25 Abs. 1 BSHG: BVerwG, Urt. v. 31.1.1968 - BVerwG V C 22.67 -, BVerwGE 29, 99, 105f; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 4.4.1989 - 6 S 307/89 -, FEVS 39, 201, 206; Bayerischer VGH, Beschl. v. 2.12.1999 - 12 ZE 99.2267 -, FEVS 52, 312f) belehrt worden ist. Die Antragsgegnerin hat deshalb mit Bescheid vom 3. März 2003 die Leistung von Hilfe zum Lebensunterhalt an den Antragsteller in ermessensfehlerfreier Weise unter Verweis darauf eingestellt, dass sie wegen der Weigerung des Antragstellers zur Leistung gemeinnütziger Arbeit bereits zuvor Kürzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 25 % des Regelsatzes (für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2002) und um 45 % des Regelsatzes (für die Zeit vom 1. Januar bis 28. Februar 2003) vorgenommen habe. Eines Eingehens auf den von dem Verwaltungsgericht unabhängig von der Heranziehung nach § 19 BSHG in Betracht gezogenen Gesichtspunkt einer Weigerung des Antragstellers, überhaupt zumutbare Arbeit zu leisten, bedarf es somit nicht.

6

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa: Urt. v. 31.1.1968, a.a.O.; Urt. v. 10.2.1983 - BVerwG 5 C 115.81 -, BVerwGE 67, 1, 5 f.; Urt. v. 17.5.1995 - BVerwG 5 C 20.93 -, BVerwGE 98, 203, 204 f.; aus der Literatur: W. Schellhorn/ H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2003, § 25, Rn. 10 f.; Krahmer, in: LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, § 25, Rn. 5, 7), der der Senat folgt, dient § 25 Abs. 1 BSHG dazu, Maßnahmen der in §§ 18 ff. BSHG geregelten Hilfe zur Arbeit zu unterstützen. Wegen seiner Koppelung mit diesen Hilfenormen ist § 25 Abs. 1 BSHG selbst Hilfenorm. Entsprechend liegt dieser Vorschrift wie den §§ 18 bis 20 BSHG die gesetzgeberische Vorstellung zugrunde, dass das Haben oder Nichthaben von Arbeit nicht nur als ein wirtschaftliches Problem zu sehen ist, sondern das Arbeiten als solches ein Mittel darstellt, einen Hilfeempfänger in seinem Selbsthilfestreben zu unterstützen und ihm Gelegenheit zur Entfaltung seiner Persönlichkeit zu geben und mithin ein wesentliches Kriterium für ein Leben ist, das der Würde des Menschen im Sinne des § 1 Abs. 2 BSHG entspricht. Dies gilt entgegen der Ansicht des Antragstellers auch im Rahmen der Zuweisung gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit, die mindestens mittelbar zur Selbsthilfe führt, weil durch sie der Arbeitsentwöhnung vorgebeugt und der Hilfebedürftige auf die Übernahme einer Erwerbstätigkeit vorbereitet werden kann, die ihn befähigt, unabhängig von Sozialhilfe zu leben. Dabei hat auch die Anwendung des § 25 Abs. 1 BSHG nicht zur Folge, dass der Hilfeempfänger aus der Betreuung des Trägers der Sozialhilfe entlassen wird. Die Weigerung, zumutbare Arbeit zu leisten, zieht lediglich den Verlust des Rechtsanspruchs auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach sich. Der Träger der Sozialhilfe wird bei der Gestaltung der Hilfe und ihrer Anpassung an die Besonderheiten des Einzelfalles freier gestellt.

7

Wichtiger als eine strikte, von vornherein erfolgende zeitliche Begrenzung der Hilfeeinstellung, die der Antragsteller in dem angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin vermisst (für eine solche Beschränkung - auf höchstens 3 Monate - allerdings auch: Bayerischer VGH, Beschl. v. 2.12.1999, a.a.O.; Krahmer, in: LPK-BSHG, a.a.O., § 25, Rn. 7, 14), ist in diesem Zusammenhang die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers, den einzelnen Fall auch nach Eintritt des Anspruchsverlustes unter Kontrolle zu halten und sein Ermessen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit weiterhin sachgerecht auszuüben. Ergibt sich, dass der Hilfeempfänger auf wirtschaftlichen Druck nicht ansprechbar ist und erweist sich das Mittel einer Kürzung bzw. Entziehung der Hilfe zum Lebensunterhalt als untauglich, ihn unabhängig von der Sozialhilfe zu machen, muss der Sozialhilfeträger nach weiterer diagnostischer Aufklärung des Falles den Einsatz anderer Hilfen - etwa nach den §§ 20, 39 ff, 72 BSHG - prüfen und gegebenenfalls auch die Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt - zumindest zeitweise - wieder aufnehmen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. 31.1.1968, a.a.O.; Krahmer, in: LPK - BSHG, a.a.O., § 25, Rn. 7; W. Schellhorn/ H. Schellhorn, a.a.O., § 25, Rn. 11f).

8

Nach diesen Maßstäben erweist sich die Einstellung der Leistung von Hilfe zum Lebensunterhalt an den Antragsteller auch derzeit noch als rechtmäßig, obwohl der Antragsteller die Hilfeleistungen nunmehr schon seit 3 ? Monaten entbehrt. Dies gilt jedenfalls unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Antragsgegnerin sich in dem Verfahren vor dem Senat bereit erklärt hat, dem Antragsteller im Falle einer - bisher nicht erfolgten - Vorsprache Leistungen wegen Mittellosigkeit zu gewähren. Dabei bestehen auch gegen die Nichtleistung von Unterkunftskosten noch keine Bedenken, da der Antragsteller bei seiner Mutter und seinem Stiefvater wohnt und insoweit auch die Schutzvorschrift des § 25 Abs. 3 BSHG nicht eingreift. Die Antragsgegnerin wird jedoch mit der beschriebenen Überprüfung ihrer bisherigen Behandlung des Falles des Antragstellers nicht mehr lange zuwarten dürfen.