Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.08.2015, Az.: 2 PA 219/15
Jobcenter; Mutwilligkeit; Prozesskostenhilfe; Telefonliste
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 13.08.2015
- Aktenzeichen
- 2 PA 219/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 45039
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 18.06.2015 - AZ: 1 A 2033/14
Rechtsgrundlagen
- § 114 Abs 2 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Hinreichende Erfolgsaussichten für eine Klage auf Herausgabe von Telefonlisten von Jobcentern können zur Zeit nicht verneint werden.
2. Hat der Kläger für ein solches Verfahren bereits Prozesskostenhilfe bewilligt erhalten (hier nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO), kommt Prozesskostenhilfe für seine - andere Jobcenter betreffende - Parallelverfahren wegen mutwilliger Rechtsverfolgung im Sinne des § 114 Abs. 2 ZPO jedenfalls dann nicht mehr in Betracht, wenn er - wie hier - vergleichbare Verfahren auch in anderen Bundesländern betreibt.
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 1. Kammer - vom 18. Juni 2015 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu Recht versagt.
Zwar bestehen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs.1 Satz 1 ZPO hinreichende Erfolgsaussichten, denn die zugrunde liegenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt. Das gilt im Übrigen auch hinsichtlich der Frage, ob „Organisationsmittel“ wie Geschäftsverteilungspläne, Telefonlisten u.ä. nach der Gesetzessystematik bereits von sich aus unter den hier einschlägigen Begriff der Information fallen oder das Gesetz hierauf nur anzuwenden ist, soweit solche Organisationsmittel darin ausdrücklich angesprochen sind.
Die Rechtsverfolgung ist hier im Sinne des § 114 Abs. 2 ZPO jedoch mutwillig. Das ist der Fall, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von dieser Rechtsverfolgung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zutreffend nicht darauf abgestellt, dass das materielle Recht Informationsansprüche voraussetzungslos gewährt. Entgegen der vom Kläger zitierten, auch obergerichtlichen Rechtsprechung verwendet § 114 Abs. 2 ZPO insoweit einen ausschließlich prozessual orientierten Maßstab. Dieser ist verfassungsrechtlich im Übrigen schon vor der Neufassung der Norm unbeanstandet geblieben; die zweite Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts hat bereits mit Nichtzulassungsbeschluss vom 18. November 2009 (- 1 BvR 2455/08 -, NJW 2010, 988) ausgeführt, ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Bürger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln finanzieren müsse, werde ein Verfahren nicht (weiter) betreiben, solange dieselbe Rechtsfrage bereits als sogenanntes unechtes Musterverfahren in der Revisionsinstanz anhängig sei. Das ist auch auf die Fallgestaltung übertragbar, dass in mehreren im Wesentlichen gleichliegenden Verfahren die Berufung zugelassen worden ist.
Mutwillen kann unter diesen Umständen nur angenommen werden, wenn hinreichend wahrscheinlich ist, dass die „Musterverfahren“ zu einer Klärung der Rechtsfragen auch für das vorliegende Verfahren führen werden. Insoweit ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger zu einem Zeitpunkt, zu dem mehrere Parallelverfahren bereits in der Berufungsinstanz anhängig gewesen seien, selbst mehrere Klagen anhängig gemacht und dafür mehrere erstinstanzliche PKH-Anträge gestellt habe. Der Kläger hat in einem Parallelverfahren auf Anfrage des Senats auch die Auskunft gegeben, neben den beim Senat bereits anhängigen Verfahren betreibe er bezüglich niedersächsischer Jobcenter noch mehrere weitere Klageverfahren, habe aber nach Möglichkeit auch das Ruhen von Verfahren erwirkt. Auch bundesweit sei er insoweit tätig, weil er in der ehrenamtlichen Arbeit engagiert sei, und ihm diese Arbeit erleichtert würde, wenn die Führung von Telefonkonferenzen zwischen ihm, dem Unterstützten und dem jeweiligen Jobcenter ermöglicht würde.
Zugunsten des Klägers ist zu berücksichtigen, dass erfahrungsgemäß nicht jeder unechte Musterprozess zu einer Sachentscheidung führt. Auch ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Bürger kann sich deshalb zur Führung einer Mehrzahl an Klageverfahren entschließen, um verlässlich zu einer höchstrichterlichen Entscheidung zu gelangen. Mutwillig in dem oben bezeichneten Sinne wäre es jedoch zweifelsfrei, wenn der Kläger bei jedem niedersächsischen Jobcenter die jeweilige Telefonliste einklagte und hierfür Prozesskostenhilfe begehrte. Bei allem Verständnis für sein ehrenamtliches Engagement würde „ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Bürger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln finanzieren“ muss, so nicht vorgehen. Soweit der Kläger argumentiert, er habe Klagen erheben müssen, um zu vermeiden, dass die Jobcenter die Handhabung ihrer Telefonlisten ändern, greift dies nicht durch, weil es für das Bestehen eines Informationsanspruchs auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommt, soweit nicht ein Fortsetzungsfeststellungsbegehren in Rede steht. Zu weiteren Klageerhebungen gezwungen war und ist er jedenfalls schon deshalb nicht, weil er davon absehen kann, von Jobcentern weitere Ablehnungsbescheide einzufordern; es ist davon auszugehen, dass sich Behörden auch ohne Klageverfahren auf die höchstrichterliche Rechtsprechung einstellen.
Die Frage, ob die Grenze des Mutwillens noch überschritten ist, wenn je Bundesland nur ein Musterfahren geführt wird, braucht der Senat hier nicht zu entscheiden, weil dem Kläger jedenfalls in dem Verfahren 2 LC 109/15 nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger erklärtermaßen in anderen Bundesländern ähnliche Verfahren führt, ist damit eine hinreichende Wahrscheinlichkeit gegeben, dass jedenfalls eines dieser Verfahren zu einer höchstrichterlichen Klärung führen wird, wenn nicht andere Kläger ihm darin zuvorkommen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für weitere in Niedersachsen geführte Verfahren kommt danach nicht mehr in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Nach § 166 Abs.1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).