Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.10.2022, Az.: 14 ME 304/22

unverzüglich; Unverzüglichkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.10.2022
Aktenzeichen
14 ME 304/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59664
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 15.08.2022 - AZ: 6 B 1102/22

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur "Unverzüglichkeit" einer Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 6. Kammer - vom 15. August 2022 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren ebenfalls auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsgegner wendet sich gegen eine einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts, mit der dieses ihm die Veröffentlichung eines im Rahmen einer Betriebskontrolle in einer Bäckereifiliale des Antragstellers festgestellten lebensmittelrechtlichen Verstoßes vorläufig untersagt hat.

Der Antragsteller betreibt einen Bäckereibetrieb mit Filialgeschäften. Der Antragsgegner kontrollierte am 21. April 2022 eine Filiale und fand dort im Backvorbereitungsraum einen angebrochenen 125 g-Beutel und einen geschlossenen 125 g-Beutel Rucola; auf beiden war als Verbrauchsdatum („zu verbrauchen bis“) der 16. April 2022 angegeben.

Mit Schreiben vom 30. Juni 2022 hörte der Antragsgegner den Antragsteller daraufhin zu der gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch - LFGB - beabsichtigten Veröffentlichung dieses Sachverhaltes im Internet (https://www.verstoesse.lebensmittel-futtermittelsicherheit.Niedersachsen.de/startseite/verstoss_nach_regionen/alle_landkreise/) an. Der Antragsteller erhob mit Schreiben vom 21. Juli 2022 Einwände gegen die geplante Veröffentlichung.

Mit Schreiben vom 26. Juli 2022 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass er die Veröffentlichung weiterhin für erforderlich halte. Die Veröffentlichung werde nach einer Wartezeit von sieben Tagen erfolgen; dadurch solle der Antragsteller Gelegenheit erhalten, beim Gericht einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 VwGO zu stellen, um zu erreichen, dass die Veröffentlichung untersagt werde.

Der Antragsteller hat am 4. August 2022 beim Verwaltungsgericht Stade Eilrechtsschutz beantragt. Mit Beschluss vom 15. August 2022 hat das Verwaltungsgericht dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung, die nach seinen Schreiben vom 21. April 2022 und vom 26. Juli 2022 beabsichtigte Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB bis zum Ablauf von einem Monat nach Rechtskraft des Beschlusses untersagt, für den Fall, dass der Antragsteller gegen die beabsichtigte Veröffentlichung Klage erhebt, bis zur Entscheidung über die Klage des Antragstellers.

Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LFGB lägen voraussichtlich nicht vor. Es bestehe bereits kein durch Tatsachen begründeter Verdacht, dass in der kontrollierten Filiale des Antragstellers gegen „sonstige Vorschriften“ im Sinne dieser Norm in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden sei. Insbesondere gelte der im Backvorbereitungsraum vorgefundene Rucola mit Verbrauchsdatum 16. April 2022 nicht gemäß Art. 24 Abs. 1 Satz 2 der VO (EG) Nr. 1169/2011(Lebensmittelinformationsverordnung, LMIV) als nicht sicheres Lebensmittel i.S.d. Art. 14 Abs. 2 bis 5 der VO (EG) Nr. 178/2002 (BasisVO), das gemäß Art. 14 Abs. 1 BasisVO nicht in den Verkehr gebracht werden dürfte. Bei dem Rucola handele es sich bereits nicht um ein Lebensmittel, dass im Sinne des Art. 24 Abs. 1 Satz 1 LMIV in mikrobiologischer Hinsicht sehr leicht verderblich sei. Daher greife die gesetzliche Vermutung in Art. 24 Abs. 1 Satz 1 LMIV nicht. Rucola sei nicht mit Lebensmitteln vergleichbar, für die diese Eigenschaft vorliege, wie beispielsweise frischer Fisch, zum Beispiel roher Lachsaufschnitt, oder frisches Fleisch, dabei besonders Hackfleisch oder Geflügelfleisch bzw. im Bereich pflanzlicher Erzeugnisse frische Obst- und Gemüsesäfte, vorgeschnittene Salate oder Sprossen. Eine Vergleichbarkeit ergebe sich auch nicht aus Anforderungen an die Lagerung oder aus konkreten Verarbeitungsbedingungen. Nicht zubereitetes Gemüse, nicht zubereitete Salatpflanzen oder nicht zubereitete Kräuter wie Rucola seien weder in mikrobiologischer Hinsicht besonders anfällig oder in Kontakt mit Stoffen, die in mikrobiologischer Hinsicht besonders anfällig seien, noch seien sie kühlpflichtig.

Allein der formelle Umstand, dass die in Rede stehenden Rucola-Packungen mit einem Verbrauchsdatum versehen gewesen seien, ändere daran nichts. Es sei zulässig, ein Verbrauchsdatum auch dann - überpflichtmäßig - anzugeben, wenn das betroffene Lebensmittel nicht in mikrobiologischer Hinsicht sehr leicht verderblich sei. Dann greife die gesetzliche Vermutung in Art. 24 Abs. 1 Satz 2 LMIV aber nicht. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre ein Inverkehrbringen eines solchen Produktes nach Ablauf des Verbrauchsdatums nur ein (formeller) Verstoß von unerheblichen Ausmaß.

Damit sei aber auch ein Verstoß gegen Strafvorschriften, insbesondere gegen § 6 Abs. 2 der Lebensmittelinformations-Durchführungsverordnung (LMIDV) i.V.m. § 59 Abs. 3 LFGB nicht feststellbar.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners.

Unter dem 14. September 2022 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Stade auch Klage gegen die beabsichtigte Veröffentlichung erhoben (6 A 1341/22), über die noch nicht entschieden ist.

II.

Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht dem auf vorläufiges Unterbleiben der beabsichtigten Veröffentlichung gerichteten Eilantrag des Antragstellers entsprochen. Die vom Antragsgegner hiergegen dargelegten Beschwerdegründe rechtfertigen eine Abänderung des Beschlusses im Sinne des Antragsgegners nicht.

Dabei kann offenbleiben, ob das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der beabsichtigten Veröffentlichung zu Recht mit der Feststellung in Zweifel gezogen hat, das in Plastikbeuteln verpackte Rucola sei kein Lebensmittel, das i.S.d. Art. 24 Abs. 1 Satz LMIV in mikrobiologischer Hinsicht sehr leicht verderblich sei (vgl. unten 2.). Denn die beabsichtigte Veröffentlichung wäre jedenfalls nicht i.S.d. § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB „unverzüglich“ erfolgt (vgl. unten 3.). Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe neben dem auch seitens des Antragsgegners nicht in Zweifel gezogenen Anordnungsgrund auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, begegnet somit jedenfalls im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken.

1. Der vom Antragsteller geltend gemachte Unterlassungsanspruch findet seine Rechtsgrundlage in der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit des Antragstellers. Der Anspruch setzt voraus, dass sich die Veröffentlichung als rechtswidriger Eingriff in dieses Grundrecht darstellt (vgl. VGH BW, Beschl. v. 12.4.2021 - 9 S 661/21 -, juris Rn. 13 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urt. v. 25.1.2012 - 6 C 9.11 -, juris Rn. 22).

Als den Eingriff rechtfertigende Befugnisnorm kommt allein § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. September 2021 (BGBl. I S. 4253), zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 27. September 2021 (BGBl. I S. 4530), in Betracht.

Nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB informiert die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unverzüglich unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen hinreichend begründete Verdacht besteht, dass gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens dreihundertfünfzig Euro zu erwarten ist oder eine Sanktionierung wegen einer Straftat zu erwarten ist und deswegen gemäß § 41 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt ist.

2. Die Beschwerde wendet sich gegen die tragende Annahme des Verwaltungsgerichts, das in Plastikbeuteln verpackte Rucola sei kein Lebensmittel, das i.S.d. Art. 24 Abs. 1 Satz LMIV in mikrobiologischer Hinsicht sehr leicht verderblich sei.

Tatsächlich bleibt zumindest unklar, wie das Verwaltungsgericht zu dieser Auffassung gelangt ist. Ob ein Lebensmittel in mikrobiologischer Hinsicht sehr leicht verderblich ist, ist eine Sachverständigenfrage und im Einzelfall zu entscheiden (vgl. Grube, in: Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl. 2016, Art. 24 Rn. 62). Das Verwaltungsgericht stützt seine Auffassung jedoch nicht erkennbar auf sachverständige Einschätzungen. Zur Begründung führt es vielmehr lediglich aus, nicht zubereiteter, frischer Rucola sei nicht mit Lebensmitteln vergleichbar, die in mikrobiologischer Hinsicht sehr leicht verderblich seien. Das Verwaltungsgericht legt jedoch nicht dar, warum eine solche Vergleichbarkeit nicht gegeben sein soll. Dabei führt das Verwaltungsgericht gestützt auf Grube (in: Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl. 2016, Art. 24 Rn. 63) zunächst selbst aus, dass u.a. vorgeschnittene Salate ein mikrobiologisch sehr leicht verderbliches Lebensmittel darstellten. Dies ist grundsätzlich nachvollziehbar. Während intakte Salatblätter einen gewissen natürlichen Schutz gegen Keime bieten, könnte dieser durch das Schneiden zerstört werden. Wissenschaftliche Untersuchungen legen nahe, dass an den Schnittflächen Zellsaft austritt, der Keime anzieht. Zudem sind diese Salate in der Regel in Plastikbeuteln verpackt. Die in Plastikverpackungen herrschende Luftfeuchte bietet nach wissenschaftlichen Studien ein ideales Klima, um Mikroorganismen schnell wachsen zu lassen (vgl. den Bericht „Salmonellen lieben Salate in Tüten“ in der Ärztezeitung vom 22.11.2016 [https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Salmonellen-lieben-Salat-in-Tueten-307184.html], der die Ergebnisse einer Studie von Wissenschaftlern der Universität Leicester [https://journals.asm.org/doi/10.1128/AEM.02416-16] zusammenfasst).

Vor diesem Hintergrund ist jedoch nichts dafür ersichtlich, dass dies für Rucolabeutel nicht ebenfalls gelten sollte. Das Verwaltungsgericht führt hierzu nichts aus. Die Rucolablätter sind an ihrem Stängel abgeschnitten, so dass ebenfalls Zellsäfte austreten können. Selbst winzigste Mengen Pflanzensaft sollen nach der zitierten Studie der Universität Leicester ausreichen, um das Bakterienwachstum massiv anzukurbeln. In Plastikbeuteln gelagerter Rucola soll danach im Vergleich zu anderen Salatblättern sogar besonders stark von einer Vermehrung von E.coli-Bakterien betroffen sein (vgl. den oben zitierten Bericht „Salmonellen lieben Salate in Tüten“).

Einer endgültigen Entscheidung der Frage, ob die Studie der Universität Leicester (im Rahmen eines Eilverfahrens) hinreichend belastbar ist und dem Stand der Wissenschaft entspricht, bedarf es jedoch nicht, da die beabsichtigte Veröffentlichung jedenfalls aus anderen Gründen rechtswidrig ist.

3. Die beabsichtigte Information erfolgte jedenfalls - was das Verwaltungsgericht zwar in dem angesprochenen Beschluss als Problem aufgeworfen, aber offengelassen hat - nicht unverzüglich im Sinne von § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB.

Im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ist nicht näher definiert, wann eine Information der Öffentlichkeit noch „unverzüglich“ im Sinne von § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB erfolgt. Nach Auffassung des Senats fordert der Begriff „unverzüglich“ auch im Rahmen von § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB in Anlehnung an die Legaldefinition in § 121 Abs. 1 BGB ein Handeln „ohne schuldhaftes Zögern“ (vgl. auch OVG Bremen, Beschl. v. 25.2.2022 - 1 B 487/21 -, juris Rn. 24; VGH BW, Beschl. v. 9.11.2020 - 9 S 2421/20 -, juris Rn. 21; VG München, Beschl. v. 19.5.2020 - M 26 E 20.1579 -, juris Rn. 38; jeweils m.w.N.).

Für diese Auslegung sprechen zunächst der Wortlaut von § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB und die Einheitlichkeit der Rechtsordnung. Der Gesetzgeber des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches nimmt mit der Verwendung des Wortes „unverzüglich“ nämlich auf einen in der Rechtssprache seit langem etablierten Begriff Bezug, der bereits in der am 24. August 1896 bekanntgemachten und am 1. Januar 1900 in Kraft getretenen Urfassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Reichsgesetzblatt 1896, Nr. 21, S. 195) und seitdem unverändert in § 121 Abs. 1 BGB - zumindest für die Zwecke des Bürgerlichen Gesetzbuchs - legaldefiniert wird. Vor diesem Hintergrund legt die Anknüpfung an den Begriff der Unverzüglichkeit durch den Gesetzgeber des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs nahe, dass der Begriff auch für die Zwecke dieses Gesetzbuchs in der im Bürgerlichen Gesetzbuch definierten Art und Weise zu verstehen sein soll (VGH BW, Beschl. v. 9.11.2020 - 9 S 2421/20 -, juris Rn. 21; VG München, Beschl. v. 19.5.2020 - M 26 E 20.1579 -, juris Rn. 39; jeweils m.w.N.).

Die Gesetzgebungsgeschichte von § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB spricht ebenfalls für dieses Begriffsverständnis. Der Begriff „unverzüglich“ wurde durch Art. 1 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches vom 24. April 2019 (BGBl. I S. 498) mit Wirkung ab dem 30. April 2019 in § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB eingefügt. Dieser Gesetzesänderung vorausgegangen war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der die Vorgängerfassung des § 40 Abs. 1a LFGB insofern mit Art. 12 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt worden war, als in dem Gesetz eine zeitliche Begrenzung der Informationsverbreitung fehlte (BVerfG, Beschl. v. 21.3.2018 - 1 BvF 1/13 -, juris Rn. 56). Neben seiner Kritik an einer fehlenden Regelung zur Dauer der Veröffentlichung bezog das Bundesverfassungsgericht auch Erwägungen zum zeitlichen Abstand zwischen dem lebens- oder futtermittelrechtlichen Verstoß und der Veröffentlichung in seine Betrachtung mit ein (BVerfG, Beschl. v. 21.3.2018 - 1 BvF 1/13 -, juris Rn. 58):

„Je weiter der Verstoß zeitlich entfernt ist, desto geringer ist auf der einen Seite noch der objektive Informationswert seiner Verbreitung, weil sich vom Verstoß in der Vergangenheit objektiv immer weniger auf die aktuelle Situation des betroffenen Unternehmens schließen lässt. [...] Zwar wird auch aus [...] Sicht [der Verbraucher] die Bedeutung einer Information mit zunehmender Verbreitungsdauer und zunehmendem Abstand von dem die Informationspflicht auslösenden Rechtsverstoß regelmäßig sinken. Es kann jedoch nicht erwartet werden, dass alte Einträge immer zuverlässig als weniger relevant wahrgenommen werden. Vor allem aber änderte auch ein mit der Zeit sinkender Einfluss auf das Konsumverhalten nichts daran, dass noch lange Zeit nach dem eigentlichen Vorfall, wenn auch in abnehmender Zahl, Verbraucherinnen und Verbraucher von dieser Information zum Nachteil des Unternehmens beeinflusst werden. Eine zeitliche Begrenzung der Veröffentlichung ist daher verfassungsrechtlich geboten.“

An ebendiese Ausführungen knüpft der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zu Art. 1 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches an, mit dem das Wort „unverzüglich“ in § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB eingefügt wurde. Dort heißt es (BT-Drs. 19/8349, S. 19):

„Mit der Ergänzung werden die zuständigen Vollzugsbehörden verpflichtet, nach der abschließenden Ermittlung des Sachverhalts die erforderliche Veröffentlichung ohne Zeitverzug vorzunehmen. Verzögerungen von zum Teil mehreren Monaten zwischen der Feststellung von Verstößen und einer Veröffentlichung, wie in der Vergangenheit teilweise erfolgt, sind im Sinne der Verbraucherinformation nicht zweckdienlich. Je weiter der Verstoß zeitlich entfernt ist, desto geringer ist der objektive Informationswert seiner Verbreitung, weil sich vom Verstoß in der Vergangenheit objektiv immer weniger auf die aktuelle Situation des betroffenen Unternehmens schließen lässt (siehe BVerfG, Beschluss vom 21.3.2018, Rn. 58).“

Mit dem tatbestandlichen Merkmal der Unverzüglichkeit soll mithin ein möglichst geringer zeitlicher Abstand der zu veröffentlichenden Information zu dem die Informationspflicht auslösenden Rechtsverstoß und dadurch eine hohe Aktualität gewährleistet werden. Mit sinkender Aktualität der Information reduziert sich auch der Wert dieser Information für die Verbraucherinnen und Verbraucher und umso weniger ist den hiervon Betroffenen die Veröffentlichung im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG zuzumuten (VGH BW, Beschl. v. 9.11.2020 - 9 S 2421/20 -, juris Rn. 21; VG München, Beschl. v. 19.5.2020 - M 26 E 20.1579 -, juris Rn. 44; jeweils m.w.N.). Maßgeblich ist keine starre zeitliche Grenze, sondern eine Beurteilung der konkreten Umstände des Einzelfalles, wobei der zuständigen Behörde eine nach den Umständen des Einzelfalles zu bemessende Prüfungs- und Überlegungsfrist einzuräumen ist. Dabei sind Verzögerungen aus der Sphäre des Lebensmittelunternehmers „fristverlängernd“ zu würdigen (OVG Bremen, Beschl. v. 25.2.2022 - 1 B 487/21 -, juris Rn. 24; VGH BW, Beschl. v. 9.11.2020 - 9 S 2421/20 -, juris Rn. 21).

Nach diesen Maßgaben und unter der gebotenen Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erfolgt die vom Antragsgegner beabsichtigte Information der Öffentlichkeit nicht unverzüglich im Sinne von § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB. Erst zehn Wochen nach der Betriebskontrolle vom 21. April 2022, nämlich mit Schreiben vom 30. Juni 2022, hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu der beabsichtigten Veröffentlichung im Internet an. Die tatsächliche Veröffentlichung sollte ausweislich eines weiteren Schreibens des Antragsgegners vom 26. Juli 2022, dem Antragsteller nach der bei den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde am 1. August 2022 zugestellt, nach einer Wartefrist von sieben Werktagen ab Zustellung dieses weiteren Schreibens erfolgen, also frühestens am 10. August 2022. Zwischen der Feststellung der bemängelten Zustände und dem vom Antragsgegner geplanten Veröffentlichungsdatum lag daher ein Zeitraum von gut dreieinhalb Monaten.

Bereits der zehnwöchige Zeitraum zwischen dem festgestellten Verstoß und der Anhörung des Antragstellers stellt sich vorliegend nicht mehr als unverzüglich dar. Daher greift auch der Vortrag des Antragsgegners, Verzögerungen durch das Anhörungsverfahren seien nicht der Überwachungsbehörde zuzurechnen, nicht durch. Die Verzögerung ist vielmehr bereits vor dem Anhörungsverfahren entstanden. Aus den Akten geht nicht hervor, dass vor der Anhörung zur Veröffentlichung eine weitere Sachverhaltsaufklärung - etwa in Form weitergehender Ermittlungen oder Untersuchungen z.B. zur mikrobiologischen Verderblichkeit von in Beuteln verpacktem Rucola - stattgefunden hat oder aufwändige rechtliche Prüfungen zur Einordnung des Verstoßes erfolgt sind. Dafür ist auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere legt der Antragsgegner dazu auch nichts dar. Ein Zeitraum von zehn Wochen vom festgestellten Verstoß bis zur Anhörung, in dem keine weiteren gebotenen Ermittlungen oder gebotene vertiefte Prüfungen stattgefunden haben, kann jedoch nicht mehr als unverzüglich angesehen werden. Hier ist bereits von einer schuldhaften Untätigkeit auszugehen, der erforderliche enge Zusammenhang zwischen dem Verstoß und der geplanten Veröffentlichung fehlt.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Antragsgegner vor der Veröffentlichung noch das Benehmen mit der Staatsanwaltschaft herstellen musste. Nach dem Wortlaut des § 40 Abs. 1a Satz 4 LFGB dürfen während eines laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Informationen nach Satz 1 nur im Benehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft herausgegeben werden, wenn hierdurch nicht der mit dem Verfahren verfolgte Untersuchungszweck gefährdet wird.

Setzt die Veröffentlichung das Benehmen mit einer anderen Stelle voraus, so ist dieser (lediglich) Gelegenheit zur Stellungnahme (mit dem Ziel der Verständigung) zu geben, ohne dass ein Einvernehmen/ eine Zustimmung bestehen muss; die Stellungnahme muss jedoch von der entscheidenden Behörde zur Kenntnis genommen und in ihre Überlegungen einbezogen werden (vgl. Weber kompakt, Rechtswörterbuch zum Stichwort „Einvernehmen“). Daher trägt die Veröffentlichungsbehörde die Verantwortung für die Wahrung der „Unverzüglichkeit“ im Sinne des § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB selbst dann, wenn die Staatsanwaltschaft zu beteiligten ist. Durch Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten hat die Behörde es in der Hand, im Rahmen des Veröffentlichungsverfahrens ein zügiges Beteiligungsverfahren durchzuführen, etwa indem sie die Staatsanwaltschaft - unter Hinweis auf die Eilbedürftigkeit - um Rückäußerung innerhalb einer konkret angegebenen Frist - ggf. mit dem Hinweis, dass bei fehlender Rückmeldung innerhalb der Frist angenommen werde, dass keine Einwände gegen die Veröffentlichung bestehen - bittet und/oder jedenfalls den Eingang der Rückäußerung der Staatsanwaltschaft kontrolliert (vgl. VG Bayreuth, Beschl. v. 16.5.2022 - B 7 E 22.461 -, juris Rn. 31).

Vorliegend hat der Antragsgegner erst mit Schreiben vom 7. Juni 2022, abgesandt am 13. Juni 2022, also bereits über sieben Wochen nach dem Verstoß Strafanzeige gestellt und sodann die Staatsanwaltschaft lediglich um „möglichst kurzfristige“ Rückäußerung gebeten, ohne eine konkrete (möglichst kurze) Frist zu setzen.

Auch sofern und soweit für die zeitliche Verzögerung zwischen der Feststellung der lebensmittelrechtlichen Verstöße und der nach § 40 Abs. 3 LFGB zwingend erforderlichen Anhörung des Antragstellers zur beabsichtigten Veröffentlichung die Bindung behördlicher Arbeitskraft durch andere vordringliche Aufgaben oder eine unzureichende personelle Ausstattung ursächlich gewesen sein mögen, vermag dies nicht zu begründen, dass die beabsichtigte Veröffentlichung unverzüglich - also ohne schuldhaftes Zögern - erfolgte. Denn es obliegt dem Antragsgegner in eigener Verantwortung, auch und gerade in Fällen der nicht nur kurzzeitigen behördlichen Überlastung eine zureichende Personalausstattung zu gewährleisten und die vorhandenen Personalmittel sachgerecht einzusetzen. Unterlässt eine Behörde es unter diesen Umständen, eine hinreichend große Anzahl von Mitarbeitern mit der Bearbeitung von lebensmittelrechtlichen Verfahren der vorliegenden Art zu betrauen, so muss sie sich die zwangsläufig eintretenden Verzögerungen als „schuldhaftes Zögern“ zurechnen lassen (vgl. VG München, Beschl. v. 19.5.2020 - M 26 E 20.1579 -, juris Rn. 48).

Ob es nach dem Anhörungsschreiben noch weitere schuldhafte Verzögerungen seitens des Antragsgegners gegeben hat, kann somit dahinstehen. Dass der Antragsteller den Fortgang der Angelegenheit seinerseits verzögert hat, ist nicht ersichtlich.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. In Anlehnung an die Empfehlung in Nr. 25.2 und Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2013 hat der Senat den Auffangwert festgesetzt und von einer Reduzierung des Betrags im Eilverfahren abgesehen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO sowie § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).