Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 22.05.2008, Az.: 2 A 41/07

bauliche Anlage; Gewässer; Unterhaltung; Wohl der Allgemeinheit

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
22.05.2008
Aktenzeichen
2 A 41/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 55091
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Der Kläger zu 1.) ist Miteigentümer des Grundstücks K. in L., Flurstück ... der Flur ... der Gemarkung L., das mit einem Mehrfamilienhaus bebaut ist. Nördlich dieses Grundstückes unmittelbar angrenzend befindet sich ein Graben (Flurstück ... / ... derselben Flur). Dieser Graben, der im Sommer gelegentlich trocken fällt, steht im Eigentum der M.. Auf Höhe des klägerischen Grundstücks überquert der K. diesen Graben, der durch einen Durchlass unter dem Weg durchgeführt wird. Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes “ N.“ des Flecken L.. Die auf der anderen Grabenseite gelegenen Flächen liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. “ O.“. Hier ist entlang des Grabenlaufs ein 5 Meter breiter Pflanzstreifen textlich festgesetzt.

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Am 17. Februar 2006 beantragten die Kläger bei der Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für die Anbringung einer Dachgaube an dem Mehrfamilienhaus sowie die Errichtung eines Carports an der nordöstlichen Grundstücksgrenze. Der Carport soll eine Grundfläche von 23,5 m² haben und auf der Grenze zu dem Flurstück ... / ... errichtet werden; sein Bruttorauminhalt beträgt nach den Bauantragsunterlagen 59,75 m³.

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Für den Bau der Dachgaube erteilte der Beklagte eine Baugenehmigung, für die Errichtung des Carports nicht. Zur Begründung führte er an, die Errichtung des Carports widerspreche Vorschriften des Nds. Wassergesetzes. Er solle an einem Gewässer dritter Ordnung errichtet werden. Für diesen Fall sei die Befahrbarkeit des rechtsseitigen Gewässerrandstreifens insbesondere im Durchlass unter dem K., wo in der Vergangenheit erhebliche Sedimentablagerungen zu beseitigen waren, nicht mehr möglich. Die erforderlichen Unterhaltungsarbeiten seien dann nur noch eingeschränkt und mit erheblich höherem Aufwand möglich. Zudem wäre eine Sicherung des Carports gegen Unterspülung erforderlich, was eine Einengung des Gewässerprofils mit negativen Auswirkungen auf die Gewässerhydraulik auf benachbarte Grundstücke befürchten lasse.

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Den hiergegen rechtzeitig eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2007 zurück.

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Hiergegen haben die Kläger am 1. März 2007 Klage erhoben.

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Zu deren Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, der ca. 1,50 m tiefe und ca. 2,0 m breite Graben sei meistens trocken. Es sei schon zweifelhaft, ob es sich bei ihm um ein Gewässer im Sinne des Nds. Wassergesetzes handele. Zudem sei er ein künstlich angelegter ehemaliger Bewässerungsgraben. Ihr Carport solle nicht im oder am Gewässer gebaut werden. Es bestehe kein räumlicher oder funktionaler Zusammenhang zwischen ihm und dem Graben. Selbst wenn das anders sein sollte, stünde das Wohl der Allgemeinheit einer Genehmigung nicht entgegen. Die Befahrbarkeit eines Gewässerrandstreifens sei bei Gewässern dritter Ordnung, wie hier, nicht erforderlich. Dies erbebe sich aus einem Umkehrschluss zu § 91 a Nds. Wassergesetz - NWG -. Ferner behindere die Errichtung des Carports Unterhaltungsarbeiten nicht. Der rechtsseitige Randstreifen des Grabens sei schon aufgrund dichter Vegetation nicht befahrbar. Hier könnten Unterhaltungsarbeiten allenfalls zu Fuß vorgenommen werden; so sei es auch in den vergangenen 12 Jahren einmal geschehen, als der Grabendurchlass unter dem K. per Hand gereinigt worden sei. Demgegenüber sei die linksseitige Grabenseite weitgehend unbebaut und befahrbar. Unterhaltungsarbeiten könnten von hier aus unternommen werden. Wegen der Entfernung des Carports zum Graben hätten die zu errichtenden Fundamente auch keine Auswirkungen auf die Gewässerhydraulik. Sie, die Kläger, könnten sich auch auf einen Fall in der Nachbarschaft berufen, bei dem ein Carport direkt am Graben errichtet worden sei. Schließlich sei die Versagung der Genehmigung unangemessen, da der Unterhaltungsverpflichtete die Möglichkeit habe, etwaigen Mehraufwand, der dadurch entstehe, dass er die rechte Grabenseite nicht zu Unterhaltungsarbeiten nutzen könne, nach § 113 NWG ersetzt zu verlangen. Ein derartiger Ersatz in Geld sei ein weniger gravierender Eingriff als die Versagung einer Baugenehmigung. Etwaige Hochwasserschäden würden die Kläger in Kauf nehmen.

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Die Kläger beantragen,

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den Beklagten unter entsprechender Aufhebung seines Bescheides vom 19. Juni 2006 und seines Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2007 zu verpflichten, ihnen die in der beantragten Baugenehmigung enthaltene wasserrechtliche Erlaubnis für die Errichtung eines Carports auf ihrem Grundstück K. in L. zu erteilen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er widerspricht der Behauptung, bei dem Graben handele es sich um einen künstlich angelegten Bewässerungskanal. Vielmehr stelle dieser Graben die Vorflut für ca. 160 ha Fläche dar. Im Hochwasserfall müsste schweres Gerät eingesetzt werden, um Schwemmgut zu beseitigen. Dies gehe auf der rechten Grabenseite nicht, wenn dort ein Carport errichtet werden würde. Der Bebauungsplan für das Grundstück sehe ein Baufenster von 3 m vor. Zudem würde der Bau des Carports die Gewässerhydraulik beeinträchtigen. Im Übrigen nimmt der Beklagte Bezug auf seine Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

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Das Gericht hat zu der Lage des klägerischen Grundstücks und des daneben verlaufenden Grabens in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Einnahme des Augenscheins. Wegen der Feststellungen im Einzelnen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig.

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Das Gericht wertet die in mündlicher Verhandlung vorgenommene Umstellung des Klageantrags von der erstrebten Verpflichtung zur Erteilung einer Baugenehmigung in das Begehren auf Erteilung einer darin enthaltenen wasserrechtlichen Erlaubnis nicht als Klageänderung. Dieses Begehren war vielmehr von Anfang an in dem ursprünglichen Begehren enthalten; es handelt sich lediglich um eine Klarstellung des Klagebegehrens, zumal andere als wasserrechtliche Belange bisher vom Beklagten nicht geprüft worden sind.

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Die Klage ist auch begründet. Die Kläger haben Anspruch auf Erteilung der in der Baugenehmigung enthaltenen wasserrechtlichen Erlaubnis (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Soweit der Bescheid des Beklagten vom 19. Juni 2006 und sein Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2007 dem entgegenstehen, sind sie aufzuheben.

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Die Errichtung eines Carports mit einem Brutto-Rauminhalt von mehr als 40 m³, wie hier, ist gemäß §§ 68, 69 Abs. 1 i.V.m. Textziffer 1.1 des Anhangs zu § 69 NBauO eine baugenehmigungspflichtige Maßnahme. Gemäß § 75 Abs. 1 NBauO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme dem öffentlichen Baurecht entspricht. Gemäß § 2 Abs. 10 NBauO gehören zum öffentlichen Baurecht auch die sonstigen Vorschriften des öffentlichen Rechts, die Anforderungen an bauliche Anlagen oder die Bebaubarkeit von Grundstücken regeln. Zu diesen Vorschriften gehört auch § 91 NWG.

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Gemäß § 91 Abs. 1 NWG bedürfen die Herstellung und die wesentliche Änderung von baulichen Anlagen, auch von Aufschüttungen oder Abgrabungen, in und an oberirdischen Gewässern der Genehmigung der Wasserbehörde. Gemäß § 91 Abs. 4 NWG hat die Baubehörde auch über die Genehmigung nach Abs. 1 zu entscheiden. Die Kläger haben einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung, weil das Wohl der Allgemeinheit dem nicht entgegensteht.

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Die Errichtung eines Carports ist die Errichtung einer baulichen Anlage. Der vor dem klägerischen Grundstück entlang fließende Graben ist ein Gewässer im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 NWG, weil er mindestens zeitweilig in einem Bett fließt. Für diese Frage ist unerheblich, ob es sich um ein natürliches oder ein künstliches Gewässer handelt (Haupt/Reffken/Rhode, NWG, Loseblattsammlung, § 1 RN 4). Indes nimmt § 1 Abs. 3 Nr. 1 NWG Gräben von der Anwendung des Wasserhaushaltsgesetztes und des NWG aus, wenn sie nicht dazu dienen, die Grundstücke mehrerer Eigentümer zu bewässern oder zu entwässern. Ein solcher Graben ist ein künstlich angelegtes Gewässer (Haupt/Reffken/Rhode, NWG, Loseblattsammlung, § 1 RN 13). Der Graben neben dem klägerischen Grundstück wurde, wie die Augenscheinseinnahme ergeben hat, nicht künstlich angelegt. Selbst wenn das so wäre, bliebe das NWG anwendbar, da er - auch - dazu dient, mehrere Grundstücke zu entwässern. Er ist die Vorflut für ca. 160 ha Fläche. Konkret handelt es sich um ein Gewässer dritter Ordnung im Sinne von § 68 NWG weil es weder ein Gewässer erster noch zweiter Ordnung ist. § 91 gilt auch für derartige Gewässer (Haupt/Reffken/Rhode, a.a.O. § 91 RN 3).

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Der Carport soll auch an einem Gewässer errichtet werden. Anlagen am Gewässer müssen in einem räumlichen oder funktionellen Zusammenhang mit dem oberirdischen Gewässer stehen. Auf einen bestimmten Abstand vom Gewässer kommt es nicht an (Haupt/Reffken/Rhode, a.a.O., § 91 RN 5; VG Göttingen, Urteil vom 20.03.2002 - 4 A 4216/98 -, rkr). Zwar steht der geplante Carport in keinem funktionellen Zusammenhang mit dem Gewässer, wohl aber in einem räumlichen. Dieser räumliche Zusammenhang ergibt sich aus der Unterhaltungspflicht für das Gewässer. Unterhaltungspflichtig für Gewässer dritter Ordnung ist gemäß § 107 Abs. 1 NWG der Eigentümer, hier die M.. Eine ggf. erforderliche Unterhaltung, insbesondere Räumung des Grabens mit schwerem Gerät ist auf der rechten Seite des Grabens in Höhe des klägerischen Grundstücks nicht mehr möglich, wenn dort der Carport errichtet werden würde. Denn es trennen das klägerische Grundstück und die Böschungsoberkante des Grabens nur wenige Zentimeter. Der Carport beeinträchtigt mithin wasserwirtschaftliche Belange, was einen räumlichen Zusammenhang begründet. Aus einem Umkehrschuss zu § 91 a NWG lässt sich entgegen der Ansicht der Kläger kein anderes Ergebnis ableiten. Die Vorschrift erweitert die sich aus § 91 NWG ergebenden Pflichten für Gewässer zweiter und dritter Ordnung; zu einer einschränkenden Auslegung des § 91 Abs. 1 NWG berechtigt sie hingegen nicht (Haupt/Reffken/Rhode, a.a.O., § 91 a RN 2).

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Unterliegt die Errichtung des Carports damit der wasserrechtlichen Genehmigungspflicht nach § 91 Abs. 1 NWG, haben die Kläger entgegen der Auffassung des Beklagten Anspruch auf Erteilung dieser Genehmigung. Denn gemäß § 91 Abs. 2 NWG darf die Genehmigung nur versagt werden, soweit die Maßnahme das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere auch den Wasserabfluss beeinträchtigt. Das Bauvorhaben der Kläger beeinträchtigt das Wohl der Allgemeinheit nicht.

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Eine gesetzliche Definition dieses Begriffs gibt es nicht. Entsprechend dem Zweck der Regelung gehören hierzu jedenfalls die wasserwirtschaftlichen Belange (so die Gesetzesbegründung, LT-Ds 9/1600, S. 80), mithin auch die gesetzlichen Unterhaltungspflichten, auf die sich die Argumentation des Beklagten maßgeblich stützt, wenn und soweit ausgeführt wird, dass Unterhaltungsarbeiten nicht wie im Einzelfall erforderlich durchgeführt werden könnten, wenn der Carport an der fraglichen Stelle errichtet werden würde. Diese Begründung vermag die ablehnende Entscheidung des Beklagten indes nicht zu tragen.

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Die südliche, dem klägerischen Grundstück zugewandte Grabenseite ließe sich nach dem Ergebnis der Augenscheinseinnahme mit schwerem Gerät ohnehin nur an der Stelle befahren, an der der Carport geplant ist. Grabenaufwärts ist wegen der starken Verbuschung einschließlich Baumbewuchs und wegen der steilen Böschungslage an ein derartiges Unterfangen nicht zu denken. Allerdings könnte der Unterhaltungspflichtige vom geplanten Standort des Carports auch an den Grabendurchlass unter dem K. gelangen, was das Hauptanliegen des Beklagten ist; die Nutzung ihres Grundstücks hätten die Kläger gemäß § 115 Abs. 1 NWG zu dulden, wenn und soweit dies zur Unterhaltung erforderlich ist. Die Kammer ist jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass der Unterhaltungspflichtige nicht auf die Nutzung des klägerischen Grundstücks angewiesen ist, um seiner Unterhaltungspflicht nachzukommen. Daraus ergibt sich, dass es das Wohl der Allgemeinheit nicht gebietet, diesen Bereich des Grabens von Bebauung frei zu halten.

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Denn die erforderlichen Unterhaltungsarbeiten können ebenso gut, wenn nicht gar besser, von der anderen, nördlichen Grabenseite oder von der Brücke über den Graben aus durchgeführt werden. Die auf der nördlichen Grabenseite vorhandene Bebauung geht bei weitem nicht so nah an den Graben heran wie auf der dem klägerischen Grundstück zugewandten Seite. Zwar ist die Böschung auch in diesem Bereich sehr steil; wenn es jedoch erforderlich sein sollte, schweres Gerät einzusetzen, ließe sich dies auf dieser Grabenseite bewerkstelligen. Hinzu kommt, dass ein Bereich von 5 Metern von der Grabengrenze von jeglicher Bebauung freizuhalten ist. Ausweislich des Bebauungsplanes Nr. 21 „O.“ ist dort ein Pflanzstreifen von entsprechender Breite ausgewiesen. Es ist daher auch künftig nicht mit einer Bebauung dieses Bereichs zu rechnen. Da der Graben insgesamt eine Breite von ca. 2 Metern aufweist, kann davon ausgegangen werden, dass mit schwerem Gerät auch das gegenüber liegende Ufer von der nördlichen Grabenseite aus erreicht werden könnte. In Anbetracht dieser örtlichen Gegebenheiten, die eine Befahrung mit schwerem Gerät durchaus ermöglichen, werden etwaige Unterhaltungsarbeiten durch den von den Klägern geplanten Bau eines Carports nicht beeinträchtigt. Der Durchführung der bei lebensnaher Betrachtung am wahrscheinlichsten erscheinenden Unterhaltungsarbeiten per Hand, wie sie auch in der Vergangenheit allein praktisch geworden sind, steht ohnehin nichts im Wege.

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Schließlich steht entgegen der Ansicht des Beklagten auch eine Beeinträchtigung der Gewässerhydraulik durch den Bau des Carports nicht zu befürchten. Die von den Klägern zu verwendenden Fundamente sollen 30 bis 35 cm in den Boden eingelassen werden. Sie werden damit vollständig in die an dieser Stelle des Grundstücks nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Kläger 1,5 Meter tiefe Kiesschicht eingelassen. Eine Beeinträchtigung des Grabens ist daher von vornherein ausgeschlossen. Dies erscheint dem Gericht so offenkundig, dass es von der Einholung eines Sachverständigengutachtens zu dieser Frage abgesehen hat.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.